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Coronavirus warum die ganze Aufregung?

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Begonnen von Scipio 2.0, 01. Februar 2020, 20:53:01

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HAL9000

Für den behandelnden (und somit verantwortlichen) Arzt sollte es aber trotzdem egal sein, was irgend ein anderen Arzt dem Patienten verschrieben hat.
Wie kommt das Krankenhaus dazu, für die Folgen der Verabreichung einer veterinärmedizinischen Parasitenbehandlung geradestehen zu müssen, weil
ein experimentierfreudiger Arzt mit fragwürdigem Ethikverständnis das für gut befand.

Peiresc

Zitat von: sailor am 02. September 2021, 06:16:54
Ging es dagegen "nur" um die Frage, ob die Frau im Namen ihres Mannes Behandlungen verlangen kann sieht es etwas differenzierter aus. Ich gehe nämlich nicht davon aus, dass ein County Judge über die Wirksamkeit/Unwirksamkeit einer Substanz urteilen würde. Da die Klagschrift beigefügt ist, sieht es nach letzterer Variante aus:

Nein, das ist absurd. Nach Gefühl, in Unkenntnis der amerikanischen Rechtslage: 1. kann die Frau nicht im Namen des Mannes sprechen, sofern er Herr seiner Sinne ist und sie keine wie immer geartete Vollmacht hat, in seinem Namen zu agieren. 2. kann kein Patient eine bestimmte Behandlung verlangen, vor allem nicht wenn sie medizinisch unsinnig, kontraindiziert o. ä. ist. Der Richter hat seine Kompetenz definitiv überschritten, egal wie die juristischen Details sind. Das klassische Beispiel für solche Urteile ist der Beschluss der Inquisition über den Lauf der Sonne - auch da ist es vollkommen nebensächlich, ob er formaljuristisch "korrekt" gewesen ist (was übrigens möglich ist und dann eine Aussage über die juristische Korrektheit, nicht über die Sonne, gewesen wäre).

sailor

@peiresc: Sie wird in der Anklage als "guardian" bezeichnet, was man auch als Vormund übersetzen kann. Damit klagt sie darauf, dass ihren Anordnungen Folge geleistet werden soll. Ob ein Vormund immer richtig handelt ist für den Richter nicht die Frage.

Nach "Gefühl" ist die Empörung gerechtfertigt, aber Rechtsprechung ist nun mal in der Masse formal. Der Richter kann verlangen, dass formalrechtlich auf die Frau gehört wird. Und formalrechtlich gibt es für Ärzte sicher auch in den USA die Möglichkeit, Maßnahmen zu verweigern. Aus der Klagschrift geht leider nicht die Antwort der Ärzte hervor und ich kenne die Bewertung der Vormundsfunktion im US-Zivilrecht nicht. Es gibt ja auch im deutschen Raum Vormundsentscheidungen in medizinischen Fällen, die mehr als zweifelhaft (Verweigerung von Blutspenden) sind. Das wiki hier bietet ja etliches dazu. Daher weiss ich nicht, in wie fern das jetzt typisch "trumpistisch" ist... eher typisch "Quack", weil ein Mittel massiv zweckfremd und ohne wissenschaftlichen Wirkbeweis eingesetzt wird.

Peiresc

Zitat von: sailor am 02. September 2021, 18:21:30
@peiresc: Sie wird in der Anklage als "guardian" bezeichnet, was man auch als Vormund übersetzen kann. Damit klagt sie darauf, dass ihren Anordnungen Folge geleistet werden soll.

Inzwischen habe ich die Klageschrift gelesen. Dieser Punkt korrekt; der Rest ist falsch. Das amerikanische Recht bietet genügend Handhabe, schwer am Thema vorbei, formaljuristisch düster zweifelhaft und rein politisch in extremo zu entscheiden - und zwar bis zum Supreme Court -, wie wir gerade gesehen haben. Aber: es ist für mich unvorstellbar, dass das amerikanische Recht keine Handhabe bietet, sachgerecht zu entscheiden.

Bachblüte

Noch etwas dazu...

Ohio Judge Orders Hospital to Use Ivermectin to Treat COVID Patient
https://www.youtube.com/watch?v=oSS71ZwqLQw

Ich kann irgendwie nachvollziehen, dass ein Richter vielleicht der verängstigten Ehefrau beistehen will, wenn ihr Gatte im Sterben liegt. Aber ich finde es auch erschreckend, dass bei diesen Juristen so wenig Menschenverstand und Sachkenntnis vorhanden ist. Hätte der Richter etwa gar auch zugunsten der Gattin entschieden, wenn auf dem Rezept so etwas wie "100 ml H2SO4 conc. i.v." gestanden hätte?

Peiresc

Zitat von: Bachblüte am 02. September 2021, 19:31:30
Ich kann irgendwie nachvollziehen, dass ein Richter vielleicht der verängstigten Ehefrau beistehen will, wenn ihr Gatte im Sterben liegt.

Eine ähnliche Rechtsfigur gibt es natürlich auch im deutschen Recht. Da geht es aber allein um die Kostenübernahme durch die Krankenkasse für nicht zugelassene Medikamente. Die Formel lautet in etwa "bei schwerwiegender Erkrankung und nicht ganz fernliegender Aussicht auf Heilung" kann die  Kostenübernahme im Einzelfall genehmigt werden, ansonsten ist sie durch §12 SGB V, Wirtschaftlichkeitsgebot, untersagt.

Aber dabei geht es ausschließlich um den finanziellen Aspekt. Ärzte dazu zu verpflichten, eine solche ungenügend validierte Behandlung zu unternehmen, ist absurd. Mein erster Impuls wäre das Angebot an die Ehefrau, den Patienten in eine Klinik ihrer Wahl zu verlegen. Aber auch das ist auf den zweiten Blick unethisch, nicht zum mindesten, weil der Transport ein erhebliches, unnötiges Risiko ist.

---
(Edit nach dem Video, thx dafür). So ganz nebenbei lässt der Rechtsexperte in dem Interview abtropfen, dass es CDC- und FDA-Warnungen gegen Ivermectin gibt - d.h. die Ärzte würden direkt gegen jede Norm verstoßen und hoffentlich berufsrechtlich belangt werden, wenn sie das applizieren. Ich finde es auch schräg, dass er sagt: das Krankenhaus kümmert sich ausschließlich um den standard of care, weil es nicht verklagt werden will, aber nicht um den individuellen Patienten. Das ist eine falsche Frontstellung. Die Einhaltung des medizinischen Standards muss die beste Art und Weise sein, sich um den Patienten zu kümmern - wenn nicht, gehört er abgeschafft.

Und wenn der Richter keine Ahnung von Medizin hat, dann hat er einen Sachverständigen heranzuziehen. Das kann nicht jeder hergelaufene Quacki sein.

sailor

Es geht hier auch um eine "Emergency", also Eilentscheidung. Da kann der Richter nicht erst 20 Gutachtertage buchen, sondern muss direkt entscheiden. In dem Fall hat er sich für das Recht der Frau  über "alternative Behandlungen" zu entscheiden, entschieden.

Zum Krankenhaus: Er sagt auch was richtiges hinsichtlich der grundlegenden Einschränkung medizinischer Versorgung, nämlich dass diese ein begrenztes Angebot bei unbegrenzter Nachfrage hat. Mir ist kein Gesundheitssystem bekannt, was für jeden Patienten die beste Art und Weise als Basisstandard anbietet. Das ist faktisch undurchführbar, weil dazu einfach die Ressourcen (bspw. Ärzte, Pfleger etc.) fehlen.

Zum "Arzt mit Zweitmeinung und Pferderezept": Wahrscheinlich ein Quack, aber mit Zulassung und gültigem Rezeptblock. Damit "gültig" und auf einer Ebene mit dem Krankenhaus. Und nun? Patient stirbt, zwei Arztmeinungen stehen sich gegenüber... und der Vormund des Patienten hat eine Seite bevorzugt. Das ist in meinen Augen eine Situation, die sich in verschiedenen medizinischen Kontexten wiederholt. Nix "trumpistisches". Letztendlich stellt sich dabei die Frage, wie man den Wurmkurpfuscher belangen kann. Denn er stellt "nur" das Rezept aus. Und die Klinik wird verpflichtet es auf Wunsch der Frau anzuwenden. keine Leichte Sache, schon gar nicht in einer Eilentscheidung...

Peiresc

Zitat von: sailor am 03. September 2021, 09:11:15
Es geht hier auch um eine "Emergency", also Eilentscheidung. Da kann der Richter nicht erst 20 Gutachtertage buchen, sondern muss direkt entscheiden. In dem Fall hat er sich für das Recht der Frau  über "alternative Behandlungen" zu entscheiden, entschieden.
Er hat sachkundig zu entscheiden, wie auch immer. Wenn er mit offenen Augen durch die Welt ginge, dann wüsste er, dass Ivermectin Quack ist. Dazu muss man keine Fachpresse lesen. Die Frequentierung der Vergiftungs-Hotlines ist dramatisch gestiegen. Gib mal ,,ivermectin toxicity" bei Gockel ein und klicke auf News.
Zitat'You are not a horse.' FDA warns against use of ivermectin as a treatment for COVID-19
-   USA Today, vor 1 Woche
Er weiß es nicht, wenn er Republikaner von echtem Schrot und Korn (und kein RINO) ist. Dann sind das alles Fake News.

Zitat von: sailor am 03. September 2021, 09:11:15
Zum Krankenhaus: Er sagt auch was richtiges hinsichtlich der grundlegenden Einschränkung medizinischer Versorgung, nämlich dass diese ein begrenztes Angebot bei unbegrenzter Nachfrage hat. Mir ist kein Gesundheitssystem bekannt, was für jeden Patienten die beste Art und Weise als Basisstandard anbietet. Das ist faktisch undurchführbar, weil dazu einfach die Ressourcen (bspw. Ärzte, Pfleger etc.) fehlen.
1. Maximalbehandlung ist nicht identisch mit Optimalbehandlung. 2. Ein Grund mehr, den Richterentscheid zu kritisieren.

Zitat von: sailor am 03. September 2021, 09:11:15Zum "Arzt mit Zweitmeinung und Pferderezept": Wahrscheinlich ein Quack
Und gegen diese Wahrscheinlichkeit sollen die behandelnden Ärzte dazu verpflichtet werden, dennoch dessen Empfehlungen zu folgen?

Zitat von: sailor am 03. September 2021, 09:11:15
Damit "gültig" und auf einer Ebene mit dem Krankenhaus. Und nun? Patient stirbt, zwei Arztmeinungen stehen sich gegenüber...
Falsche Äquivalenz. Ist die Seite der Behandler, die der Wissenschaft, FDA und CDC, irgendwie gehört worden, oder ist es rechtlich in Ordnung, in Eilfällen ganz aus dem trumpistischen Bauch heraus zu entscheiden?

HAL9000

A propos "Aufregung": Wodarg verbreitet seit ein paar Tagen auf seiner Webseite (Artikel dazu bei Joseph Kuhn in den ScienceBlogs)
einen quasi gefakten Rote-Hand-Brief mit einer Warnung zu den Impfungen. Das Blut an seinen Händen dürfte ihm egal sein.

Peiresc

von wegen he says/she says:
ZitatPhysician Jason McElyea told KFOR patients who took doses of ivermectin meant for a horse are filling up hospitals in eastern and southeastern Oklahoma.

"The ERs are so backed up that gunshot victims were having hard times getting to facilities where they can get definitive care and be treated," McElyea said.

"All of their ambulances are stuck at the hospital waiting for a bed to open so they can take the patient in and they don't have any, that's it," he said. "If there's no ambulance to take the call, there's no ambulance to come to the call."

The American Medical Association (AMA) this week called for the "immediate end" of the use of ivermectin to treat COVID-19 and for physicians to stop prescribing the drug for that purpose.

https://thehill.com/changing-america/well-being/570730-doctor-says-ers-overwhelmed-with-people-overdosing-on-livestock

sailor

@Peiresc: Natürlich hat er sachkundig zu entscheiden, die Frage ist nur, was hier Sache ist. Die Klage zielt nicht darauf ab zu bewerten, ob das Medikament geeignet ist, sondern ob der Vormund das Recht hat, die Umsetzung einer Verschreibung anzuordnen. Es geht bei der Rechtsprechung nur selten um das "große Ganze", vor allem nicht in der US-Ziviljustiz. Es gibt Bestseller voll "Die dümmsten Urteile der USA".

Du musst mich nicht über die Folgen des Wurmkurhypes aufklären. Ich habe auch nie behauptet, dass dieses Urteil richtig ist. Ich finde es lediglich bedenklich, dass gerade in diesem Forum aufgrund weniger Zeilen ein Urteil/eine Verbindung hergestellt wird, die sich bei näherer Betrachtung kaum halten lässt. Denn nirgendwo habe ich gelesen/gehört, dass der Richter Trumpanse sei. Und "Optimalbehandlung"/Standardbehandlung können in den USA je nach Klinik/Patientenstatus sehr unterschiedlich aussehen. Da hat es Deutschland deutlich besser. Optimalbehandlung wird meiner Kenntnis dort eben nicht standardisiert, sondern obliegt den KH selbst, im Zweifelsfall entscheidet hinterher ein Gericht mit einer Summe X über Optimal/Nichtoptimal. Dazu wissen wir nicht, welche Argumente von Seiten des KH gegen die Verabreichung vin Ivermectin vorgebracht wurden. Wenn ein finales Stadium erreicht war und auf weitere "offensive" (sprich über lebenserhaltende Massnahmen hinausgehende) Behandlungen verzichtet wurde, kann ein Richter schon zu der Überzeugung kommen, dass der Wunsch nach "Alternativen" angemessen ist, da die klinische Medizin ihr Ende gefunden hat. Aus dieser Warte steht das Ergebnis (Tod des Patienten) fest, eine Verschlimmerung ist nicht mehr möglich, also könnte eine alternative Behandlung vieleicht eine Verbesserung bringen.

Die Äquivalenz ist auch bei dir nicht richtig. Der Richter urteilt nicht fundamental über Wissenschaft vs. Dummheit, er urteilt über individuelle Rechte. Auch ein dummer Bürger besitzt Bürgerrechte und die Ablehnung von Wissenschaft ist keine Straftat (ihre Folgen können das sehr wohl sein, aber das ist ein anderes Thema, siehe Morons-Faden). Es ist ein Trugschluss, aus Einzelfallentscheidungen der unteren juristischen Ebenen globale Gültigkeiten ableiten zu wollen. Das versuchen "die Dummen" gern, siehe das Weimar-Urteil zu Corona-Maßnahmen an Schulen. Gleichfalls ist es ein Trugschluss, durch plakative Darstellung solcher Einzelfälle gleich die vernunftbasierte Welt am Wanken zu sehen. Der Richter hat hier in meinen Augen einzig und allein über die Rechte der Ehefrau als Vormund entschieden, NICHT über die Validität von Verschreibungen bestimmter Ärzte und NICHT über die Wirksamkeit von Ivermectin. Kann er auch gar nicht, weil die Einschätzung des Medikamentes von einer Bundesbehörde kommt, über welche er keine Jurisdiktion hat. Sehr wahrscheinlich hat er auch keine Jurisdiktion über den Quacker (anderer Bundesstaat). Es ist vergleichbar mit einer Amtsgerichtsentscheidung, mehr nicht und sie bezieht sich auf einen klar begrenzten Einzelfall. Dass diese Entscheidung dem komatösen Patienten nicht helfen wird ist sicher klar, aber auch darum ging es nicht primär. Es ging primär darum, dass der Vormund GLAUBT, es würde helfen und sie das Recht hat, auf der Behandlung zu bestehen. Die einzige Möglichkeit, gegen sowas vorzugehen ist deutlich zu machen, dass die Gabe des Medikamentes aufgrund der beschriebenen medizinischen (Neben-)Wirkungen eine Gefahr für den Patienten bedeutet und dass die mit der zusätzliichen Gefährdung des Patienten der Vormund seine Pflichten verletzt.

Da wir das Verfahrensprotokoll nicht kennen ist nicht klar, welche Argumente letztendlich vorgebracht wurden... und somit bleibt vieles der Entscheidung schleierhaft. Daraus irgendeine politische Konnotation zu schließen halte ich für gewagt ("in dubio pro reo").

Peiresc


Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Auch ein dummer Bürger besitzt Bürgerrechte
Mag sein, dass es ein Recht auf Dummheit gibt. Aber das ist nicht die Frage. Es bleibt eine Grenzüberschreitung, von vernünftigen Leuten mit richterlichem Nachdruck zu verlangen, gefährliche Dummheit aktiv zu unterstützen.

Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Es ist ein Trugschluss, aus Einzelfallentscheidungen der unteren juristischen Ebenen globale Gültigkeiten ableiten zu wollen.
Wir können gerne die jüngste (Nicht-)Entscheidung des Supreme Court bezgl. der Texas Taliban diskutieren, aber dann im Amerika-Faden.

Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Optimalbehandlung wird meiner Kenntnis dort eben nicht standardisiert, sondern obliegt den KH selbst
Ich glaube nicht, dass es viel Sinn hat, diesen Punkt zu vertiefen, deshalb verallgemeinere ich jetzt auch mal: Es gibt natürlich viele lokale Spielarten der Irrationalität, aber es gibt nur eine wissenschaftliche Wahrheit. Medizinische Standards können vermutlich nicht überall eingehalten werden, aber sie sind codiert (in evidenzbasierten Guidelines), und sie sind nicht wahlfrei.

Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Kann er auch gar nicht, weil die Einschätzung des Medikamentes von einer Bundesbehörde kommt, über welche er keine Jurisdiktion hat.
Und wenn er die Jurisdiktion hätte? Das ist falsch. Er kann es nicht, weil er keine Fachkompetenz hat.

Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Daraus irgendeine politische Konnotation zu schließen halte ich für gewagt ("in dubio pro reo").
Dieses Wagnis geht die Rechte ein: bei denen wird er als Held gefeiert, nach meinem Eindruck.

Ich weiß nicht, ob Du Dich mal ausführlicher mit der Causa Galilei befasst hast. Heutige Apologeten finden tausend Gründe, warum Galilei verurteilt wurde: weil er ein Stiesel war, weil er Urban VIII lächerlich gemacht hat, weil er keine schlüssigen Beweise vorgelegt hat, weil er gegen Auflagen verstoßen hat, weil er Tycho Brahe links liegen lassen hat usw. usw.

Das ist alles absurd. Nichts davon schafft den Text des Urteils und den der Abschwörung aus der Welt.

sailor

Kann es sein, dass dieses Thema jetzt über mehrere Threads verschleppt wurde?  :skeptisch:

Zitat von: Peiresc am 04. September 2021, 17:47:28

Mag sein, dass es ein Recht auf Dummheit gibt. Aber das ist nicht die Frage. Es bleibt eine Grenzüberschreitung, von vernünftigen Leuten mit richterlichem Nachdruck zu verlangen, gefährliche Dummheit aktiv zu unterstützen.

Diese Grenzüberschreitung ist gerade in den USA häufiger anzutreffen. Siehe auch Rechtsprechung zu Waffen und Abtreibungen. Wenns an den Fetisch vermeintlicher Grundrechte geht kann die UAS immer noch einen draufsetzen... egal wer grade Präsi ist.

Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Es ist ein Trugschluss, aus Einzelfallentscheidungen der unteren juristischen Ebenen globale Gültigkeiten ableiten zu wollen.
Wir können gerne die jüngste (Nicht-)Entscheidung des Supreme Court bezgl. der Texas Taliban diskutieren, aber dann im Amerika-Faden.

Ist da ja schon angekommen^^. Und sorum wird eher ein Schuh draus, weil eben der Präsident Bundesrichter ernennt... was jetzt keine neue Erkenntnis ist und im Falle Trumps ja nun auch für genügend Ärger sorgt (auf die nächsten X Jahre). Nur erschliesst sich mir noch immer nicht, was an dem Urteil "trumpistisch" sein soll, ausser der Zusammenhang mit Substanzmissbrauch, der zufällig gerade unter Trumpansen aufräumt.

Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Optimalbehandlung wird meiner Kenntnis dort eben nicht standardisiert, sondern obliegt den KH selbst
Ich glaube nicht, dass es viel Sinn hat, diesen Punkt zu vertiefen, deshalb verallgemeinere ich jetzt auch mal: Es gibt natürlich viele lokale Spielarten der Irrationalität, aber es gibt nur eine wissenschaftliche Wahrheit. Medizinische Standards können vermutlich nicht überall eingehalten werden, aber sie sind codiert (in evidenzbasierten Guidelines), und sie sind nicht wahlfrei.

Das ist sehr verallgemeinert, also hinsichtlich "eine wissenschaftliche Wahrheit ;) Was die guidelines angeht: ich bin mir nicht sicher, inwiefern ihre Anwendung Pflicht ist und in wie fern alle Krankenhäuser der USA diesen Standard auch umsetzen (können). Ich gehe nicht davon aus, dass Landkliniken dort den gleichen Standard bieten können wie die Metropolenkrankenhäuser oder gar Unikliniken. Und es ist bezeichnend, dass die beste Klinik (-Kette) der USA weder staatlich noch kommerziell ist (Mayo-Kliniken).

Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Kann er auch gar nicht, weil die Einschätzung des Medikamentes von einer Bundesbehörde kommt, über welche er keine Jurisdiktion hat.
Und wenn er die Jurisdiktion hätte? Das ist falsch. Er kann es nicht, weil er keine Fachkompetenz hat.

Gegenargument: Gibt es Richter, die ausserhalb der Rechtsanwendung Fachkompetenz haben? Das ist keine Einstellungsvoraussetzung. Gerichte bedienen sich gern und oft Gutachtern, wenn sie die Zeit dafür haben. In einer Eilentscheidung geht das nur sehr schwer und da wird sich eigentlich immer auf die rechtliche Ebene zurückgezogen. Ist in D auch so, bspw. bei Eilanträgen gegen Demoverbote der Quarkdenker. Da wurde der medizinische Risikofaktor beiseite gewischt und rein formal entschieden. mit allen Folgen...

Zitat von: sailor am 04. September 2021, 11:03:15Daraus irgendeine politische Konnotation zu schließen halte ich für gewagt ("in dubio pro reo").
Dieses Wagnis geht die Rechte ein: bei denen wird er als Held gefeiert, nach meinem Eindruck.

Die Rechte feiert immer, was ihr in den Kram passt, genauso wie die Linke. Das ist eine ex post Erkenntnis, zu beweisen, dass es dem Richter darauf ankam wird sehr schwer.

Ich weiß nicht, ob Du Dich mal ausführlicher mit der Causa Galilei befasst hast. Heutige Apologeten finden tausend Gründe, warum Galilei verurteilt wurde: weil er ein Stiesel war, weil er Urban VIII lächerlich gemacht hat, weil er keine schlüssigen Beweise vorgelegt hat, weil er gegen Auflagen verstoßen hat, weil er Tycho Brahe links liegen lassen hat usw. usw.

Das ist alles absurd. Nichts davon schafft den Text des Urteils und den der Abschwörung aus der Welt.

Und was soll mir das sagen? Dass "falsch" Recht gesprochen wird? Eine Binsenweisheit. Dass Recht nicht immer gerecht ist? Soll und kann es nicht sein. Dass manche Urteile einem nicht passen? Geschenkt. Ich habe lernen müssen, dass es bei dem Verstehen von Urteilen immer darauf ankommt, alles zu lesen... und bei interessanten und kontroversen Urteilen noch mehr. Cherrypicking macht die Presse gern und Reichsbürger sind spitze darin, Versatzstücke zu finden, die ihnen angeblich recht geben. Aber ein Urteil ist in der Regel viel mehr als einige Sätze, die sich fett kursiv auf Schreiben an Behörden gut machen.

Im Fall der Entwurmungsfetischistin und dem Richter bin ich der Meinung, dass dieses Urteil so falsch war... zumindest hätte es einen Satz zur Verantwortung des Vormundes und zur verpflichtenden Einhaltung medizinischer Standards bei der Ausübung des Vormundrechtes bedurft. Womit der Richter auch indirekt über den Pferdedoc und sein Rezept hätte entscheiden müssen. Bei einer reinen Doc vs. Doc Lage hätte der Richter eine einfachere Entscheidung gehabt, da er auf die höhere Fachlichkeit der Klinik bzgl. Intensivbehandlung verweisen könnte. Hier hatte er aber eine Individualrechtslage, wo es um die Rechte des Vormundes ging. Und das sind immer fiese Entscheidungen, wie gesagt, es gibt da auch etliche Beispiele hier im Wiki.


Peiresc

Zitat von: sailor am 05. September 2021, 17:45:05Im Fall der Entwurmungsfetischistin und dem Richter bin ich der Meinung, dass dieses Urteil so falsch war...
Ich denke, nachdem wir nun Einigkeit erzielt haben, können wir das Thema abschließen, so dass ich nunmehr festhalten kann:
Zitat von: sailor am 05. September 2021, 17:45:05
Und was soll mir das sagen?
das weiß ich unter diesen Umständen auch nicht mehr.

Zitat von: sailor am 05. September 2021, 17:45:05Was die guidelines angeht: ich bin mir nicht sicher, inwiefern ihre Anwendung Pflicht ist
Guidelines können nie völlig bindend sein. Aber man sollte seine Gründe haben, von ihnen abzuweichen. Stell' Dir vor, Dir passiert was, und Dein Anwalt kann aufdecken, dass in der Klinik gegen den state of the art verstoßen worden ist. Glücklicherweise (oder manchmal: unglücklicherweise) für Ärzte haben Anwälte von Medizin genausoviel Ahnung wie Richter. Es gibt Anwälte, die hängen triumphierend 40 Seiten Leitlinien an ihre Klageschrift und glauben, sie hätten damit was gerissen. Es kostet den Arzt ein müdes Gähnen, so was wegzuwedeln. Wenn Du dazu noch etwas sagen willst, was ich vermute, mach' dafür einen neuen Faden auf.

Juliette

Irgendwie stoßen mir die beiden Schlagzeilen nebeneinander doch etwas sauer auf: