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Schulmedizin und Anteilnahme

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Begonnen von Davos, 26. September 2014, 00:33:30

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Davos

Nach "Menschen hautnah" fand ich "Auf der Suche nach Heilern" beinahe erträglich. Praunheims Résumé (sinngemäß): Außer Sport und Diät hat nichts geholfen. Aber ich habe faszinierende Menschen kennengelernt. Na dann ...

Mir geht es angesichts der Vielzahl der alternativen "Heilmethoden" ähnlich wie mit Hunden: Ihr Phänotyp variiert weit stärker als ihre Neigung zum Sabbern und ihr Geruch.

Allerdings habe ich mir von Schulmedizinern schon oft mehr Geduld, Anteilnahme, Menschlichkeit (im besten Sinne des Wortes), Humor, Bescheidenheit u. s. w. gewünscht.

Groucho

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 00:33:30
Allerdings habe ich mir von Schulmedizinern schon oft mehr Geduld, Anteilnahme, Menschlichkeit (im besten Sinne des Wortes), Humor, Bescheidenheit u. s. w. gewünscht.

Ich hab mir schon oft mehr Kompetenz und aktuelles Fachwissen gewünscht, auf den Rest verzichte ich gerne, wenn Ersteres vorhanden ist - und wenn es nicht vorhanden ist, nützen mir diese Sekundärtugenden erst recht nichts.

Davos

Soso, kein Arsch zu sein, ist also eine Sekundärtugend. Zur Heilung meiner Krankheiten trägt diese Sekundärtugend durchaus bei. Schon alleine deshalb, weil ich mir nach dem Besuch eines sekundärtugendhaften, aber inkompetenten Arztes eher eine Zweitmeinung einhole als nach dem Besuch eines Arztes, der über keine Tugenden verfügt. Ich kann mir dann nämlich sagen: Hey, nicht alle Ärzte sind Ärsche. Kein Arsch zu sein, ist gut für die Vertrauensbildung. Mit der Primärtugend allein gewinnt jedenfalls kein Arzt mein Vertrauen. Und ich bin mir recht sicher, dass es vielen Menschen so geht und dass viele Menschen genau aus diesem Grund ihr Glück bei Alternativmedizinern suchen. Für über Quecksilberpotenzierer jammernde Schulmediziner habe ich also nur dann Verständnis, wenn sie sekundärtugendhaft sind.  ;D

pelacani

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 01:54:23Soso, kein Arsch zu sein, ist also eine Sekundärtugend.
In gewisser Weise schon, ja. Wir hatten dieses Thema kürzlich berührt, hier:
https://forum.psiram.com/index.php?topic=13042.0
Zitat von: Pelacani am 23. Juni 2014, 18:36:20
Als Patient kann man die Freundlichkeit beurteilen, aber nicht die fachliche Kompetenz. Beides korreliert nur sehr locker miteinander.
Ein unfreundlicher Kinderarzt ist undenkbar, aber nicht ein bösartiger.

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 01:54:23Zur Heilung meiner Krankheiten trägt diese Sekundärtugend durchaus bei. Schon alleine deshalb, weil ich mir nach dem Besuch eines sekundärtugendhaften, aber inkompetenten Arztes eher eine Zweitmeinung einhole als nach dem Besuch eines Arztes, der über keine Tugenden verfügt.
Das glaube ich nicht, wahrscheinlich meinst Du das Gegenteil von dem, was Du sagst  ;)

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 01:54:23Kein Arsch zu sein, ist gut für die Vertrauensbildung. Mit der Primärtugend allein gewinnt jedenfalls kein Arzt mein Vertrauen. Und ich bin mir recht sicher, dass es vielen Menschen so geht
Ja, klar.
Zitatund dass viele Menschen genau aus diesem Grund ihr Glück bei Alternativmedizinern suchen.
Nein. Aus diesem Grund würden sie höchstens mangels Verfügbarkeit anderer Ärzte zum Quack gehen.

Zitatüber Quecksilberpotenzierer jammernde Schulmediziner
Häh?  :gruebel

:teufel

Davos

Zitat von: Pelacani am 23. Juni 2014, 18:36:20
Als Patient kann man die Freundlichkeit beurteilen, aber nicht die fachliche Kompetenz. Beides korreliert nur sehr locker miteinander.

Ein unfreundlicher Kinderarzt ist undenkbar, aber nicht ein bösartiger.

Ein bösartiger Kinderarzt ist denkbarer als ein unfreundlicher? Was meinst du?

Kinder. Sie dürfen zuerst sinkende Schiffe verlassen und ihnen wird mehr Anteilnahme zuteil, wenn das Schicksal -- in welcher Gestalt auch immer -- ihnen Leid bereitet. Weil sie unschuldig sind. Nur: Ich glaube nicht, schuldiger zu sein als Kinder. Die Angst eines Erwachsenen vor Schmerz und Tod ist nicht unbedingt weniger diffus. Sie ist vielleicht rationaler. Aber nicht wirklich. (Ich z. B. habe alle möglichen irrationalen Ängste, obwohl ich Rationalist bin.) Dafür sind die Vorstellungen des Erwachsenen vom Bösen auf der Welt aufgrund seiner Erfahrungen (die er nicht notwendigerweise am eigenen Leib gemacht hat) vielfältiger. Soll heißen: Bevor man lernt, was eine Amputation ist, lernt man, was eine Spritze ist. Was dem Kind die Spritze ist, ist dem Erwachsenen die Amputation. Die Spritze ist weniger schlimm. Dafür liegt die Amputation gewöhnlich außerhalb des 2nd-Hand-Erfahrungsbereichs des Kindes. Unmenschlichkeit hat niemand verdient. Wieso glauben eigentlich Ärzte, sich unmenschlicher verhalten zu dürfen als andere Dienstleister? Und wieso glauben Patienten, das sei in Ordnung?

Wenn ich krank bin, bin ich verletzbarer als in gesundem Zustand. Und in der Situation gehe ich zum Arzt. Verhält sich der Arzt dann sekundäruntugendhaft ist das etwa so wie Nachtreten nach einem bereits zum U-Bahn-Boden geschlagenen Rentner. Wer hat nur dieses Gerücht in die Welt gesetzt, dass Kinder einen größeren Menschlichkeitsbedarf haben? Denen wird ja schon nach der ersten Zellteilung vom Gynäkologen mehr Freundlichkeit entgegengebracht als mir von meinem Ex-Orthopäden. Den zitiere ich mal an dieser Stelle. Hintergrund ist meine Bitte, mir zu erklären, was auf dem Röntgenbild eines meiner Knie zu sehen ist: "Dann erklären wir dem Herrn X das mal -- wenn er es denn versteht."

Und natürlich trägt Menschlichkeit (Eigentlich hasse ich dieses Wort, weil es euphemistisch ist!) zu meinem Wohlbefinden bei. Sie ersetzt keinen Wirkstoff und keine OP, das ist klar. Aber ich halte Ärzte, die sich unmenschlich verhalten, für schlecht. Und Homöopathen, die sich menschlich verhalten, ebenfalls. An unmenschliche Homöopathen mag ich grad gar nicht denken.

Hildegard

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 12:02:24
Unmenschlichkeit hat niemand verdient. Wieso glauben eigentlich Ärzte, sich unmenschlicher verhalten zu dürfen als andere Dienstleister? Und wieso glauben Patienten, das sei in Ordnung?

Wenn ich krank bin, bin ich verletzbarer als in gesundem Zustand. Und in der Situation gehe ich zum Arzt. Verhält sich der Arzt dann sekundäruntugendhaft ist das etwa so wie Nachtreten nach einem bereits zum U-Bahn-Boden geschlagenen Rentner.

Da kann ich gar nicht genug zustimmen. Je kränker man ist, desto ruppiger wird man behandelt. So mein Eindruck, der allerdings subjektiv sein kann, aus genau dem Grund, den du nennst. Man ist in der Situation sowieso schon besonders verletzlich. Und dann werden auch noch alle möglichen schmerzhaften Maßnahmen ohne Betäubung vorgenommen. Als dächte das Personal: Der hält das aus - ist ja kein richtiger Mensch mehr.
[url="http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com"]http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com[/url]

pelacani

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 12:02:24
Zitat von: Pelacani am 23. Juni 2014, 18:36:20
Ein unfreundlicher Kinderarzt ist undenkbar, aber nicht ein bösartiger.
Ein bösartiger Kinderarzt ist denkbarer als ein unfreundlicher? Was meinst du?
Ich meine, dass ein unfreundlicher Kinderarzt keinen seiner Patienten untersuchen kann; Kinder sind da empfindlich. Ein bösartiger, aber freundlicher Arzt könnte das. Mehr ist nicht gemeint.

ZitatUnmenschlichkeit hat niemand verdient.
Bisher war nur von Unfreundlichkeit die Rede, das ist wohl ein bisschen was anderes.

ZitatDen zitiere ich mal an dieser Stelle.
Bitte. Aber es hat überhaupt keinen Sinn, über ,,die Ärzte" zu klagen.

Groucho

Ist man frustriert, waren die Erwartungen zu hoch. Ärzte sind auch nur Menschen. Ist aktuelle Fachkompetenz da und konzentriert sich der Arzt in der Zeit, in der er mich behandelt, zu 100% auf meinen Fall, so bin ich zufrieden. Freundlichkeit und ein nettes Gespräch am Rande sind schön, aber für mich bestenfalls Bonusmaterial, das man nicht einfordern kann.

Diskrepanzen erheben sich halt gerne aus den verschiedenen Vorstellungen, die man hat. Ein Dermatologe z.B. weiß oft schon nach Sekunden, was Sache ist, und der Patient kommt sich als abgefertigt vor, obwohl der Arzt völlig korrekt seine Arbeit getan hat.

Davos

Zitat von: Pelacani am 26. September 2014, 13:25:50Bisher war nur von Unfreundlichkeit die Rede, das ist wohl ein bisschen was anderes.

Nicht ganz:

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 00:33:30Allerdings habe ich mir von Schulmedizinern schon oft mehr Geduld, Anteilnahme, Menschlichkeit (im besten Sinne des Wortes), Humor, Bescheidenheit u. s. w. gewünscht.

Aber ich habe ja schon angedeutet, dass der Begriff Menschlichkeit ein Euphemismus ist. Vielleicht sogar die Mutter aller Euphemismen. Menschlich ist ausnahmslos jede menschliche Eigenschaft und alle von Menschen ausgeführten Handlungen. Der Begriff ist also ungeeignet, um wünschenswerte von nicht wünschenswerten Eigenschaften und Handlungen abzugrenzen, wobei nicht alle Menschen dieselben Wünsche haben.

Absurderweise befriedigen sowohl Alternativheiler als auch Schulmediziner oft sogar das Bedürfnis nach Übermenschlichkeit: Entweder durch autoritäres Verhalten (Gott in Weiß) oder durch Behandlungen, deren angebliche Wirksamkeit nicht ohne Rückgriff auf Übermenschliches erklärt werden kann. (Übernatürliches gibt es ja im homöopathischen Weltbild nicht, sondern nur Übermenschliches.) Ich bin also vergleichsweise bescheiden.

Zitat von: Groucho am 26. September 2014, 13:43:03
Ist man frustriert, waren die Erwartungen zu hoch. Ärzte sind auch nur Menschen. Ist aktuelle Fachkompetenz da und konzentriert sich der Arzt in der Zeit, in der er mich behandelt, zu 100% auf meinen Fall, so bin ich zufrieden. Freundlichkeit und ein nettes Gespräch am Rande sind schön, aber für mich bestenfalls Bonusmaterial, das man nicht einfordern kann.

Ist man frustriert, waren die Erwartungen zu hoch. Ist man arm, hat man sich noch nicht mit Ärmeren verglichen. Wird man geknechtet, ist man noch nicht religiös genug.

Ich war noch nie aus Langeweile beim Arzt und erwarte keine Plaudereien. Und ich bin kein Fall. Wenn ich zum Friseur gehe, lasse ich auch nicht meinem Kopf, sondern mir die Haare schneiden. Edit: D. h., es gibt Ärzte, die grußlos das Behandlungszimmer betreten und sich erst mal an ihren Computer setzen und sich den Fall anschauen. Liebe ich besonders, wenn ich das erste Mal bei dem Arzt bin und die Informationen von der Sprechstundenhilfe stammen, die sie lauthals im Eingangsbereich ermittelt hat, so dass jeder Anwesende mitbekommt, dass ich gerade eine Prostatitis o. ä. habe.

Aber ich habe schon verstanden, was du meinst. Kompetetenz und Gründlichkeit wünsche ich mir auch.

pelacani

Dann halten wir fest, dass die Abwesenheit von Menschlichkeit in diesem Sinn nicht dasselbe ist wie Unmenschlichkeit. Letzterer Begriff hat in der Bewertung des durchschnittlichen ärztlichen Verhaltens keinen Platz, meine ich.  :police:

Davos

Ja. Weil es keine unmenschlichen Ärzte geben kann, die der Spezies Mensch angehören, und wir wahrscheinlich beide nicht an die Anwesenheit Außerirdischer auf Erden glauben.  ;D

Gefährliche Bohnen

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 14:22:48
Aber ich habe ja schon angedeutet, dass der Begriff Menschlichkeit ein Euphemismus ist. Vielleicht sogar die Mutter aller Euphemismen. Menschlich ist ausnahmslos jede menschliche Eigenschaft und alle von Menschen ausgeführten Handlungen. Der Begriff ist also ungeeignet, um wünschenswerte von nicht wünschenswerten Eigenschaften und Handlungen abzugrenzen, wobei nicht alle Menschen dieselben Wünsche haben.

[krümelkackmodus]
Ist zwar offtopic, aber sorry, das ist Quatsch. Ein Begriff wird nicht über das definiert, was er anhand seiner Wortbestandteile so alles bedeuten könnte. Zu "Menschlichkeit" im engeren Sinne:

ZitatMenschlichkeit
Philosophen bestimmen in der Tradition des Humanismus anhand verschiedener moralischer Kriterien eine gewisse Teilmenge des Verhaltens von Menschen als ,,menschlich".
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschlichkeit

Das ist die Bedeutung, auf die man sich gemeinhin geeinigt hat, wenn man im entsprechenden Kontext von Menschlichkeit spricht.
Wenn man deine Euphemismus-Detektier-Methode anwendet, wäre selbst "Gummibaum" ein Euphemismus. Es könnte sich ja auch tatsächlich um einen billigen, künstlichen Baum aus Gummi handeln. Das meint man aber für gewöhnlich nicht, wenn man von Gummibäumen spricht.
[/krümelkackmodus]
"Ich muss an dieser Stelle gestehen: Ich mag Karpfen gar nicht." - Groucho
RIP

Davos

Die Humanisten. Man sollte meinen, die seien Experten für Menschlichkeit. Meiner Erfahrung nach sind sie das eher nicht. Es ist doch völlig bescheuert, jede nicht erwünschte Eigenschaft, die Menschen haben, einfach als unmenschlich zu bezeichnen. Das ist Rosinenpickerei. Es heißt nämlich so viel wie: Ich war es nicht, sondern ein anderer. Es kann auch heißen: Die anderen haben sich nicht menschlich verhalten, also muss ich sie, wenn ich sie für ihr Verhalten zur Rechenschaft ziehe, nicht wie Menschen behandeln. Diese Definition ist Selbstverleugnung. Jeder Mensch hat mehr oder wenig viele Eigenschaften, die im Sinne der humanistischen Definition des Begriffs "Menschlichkeit" unmenschlich sind.

Und was ist mit den menschlichen Eigenschaften, die keinen moralischen Kriterien unterliegen? Die sind eigentlich in Bezug auf das narzisstische Selbstbild risikolos und können der Teilmenge der Menschlichkeit ebenso zugeführt werden. Es sei denn, sie sind einem peinlich. Man könnte also mit Fug und Recht behaupten, ein gepflegtes Essen sei menschlich, die Ausscheidung der unverdaulichen Reste aber bloß tierische Vergangenheit. Und das nur, weil das eine gut riecht, das andere aber nicht.

Groucho

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 14:22:48
Ich war noch nie aus Langeweile beim Arzt und erwarte keine Plaudereien. Und ich bin kein Fall. Wenn ich zum Friseur gehe, lasse ich auch nicht meinem Kopf, sondern mir die Haare schneiden. Edit: D. h., es gibt Ärzte, die grußlos das Behandlungszimmer betreten und sich erst mal an ihren Computer setzen und sich den Fall anschauen. Liebe ich besonders, wenn ich das erste Mal bei dem Arzt bin und die Informationen von der Sprechstundenhilfe stammen, die sie lauthals im Eingangsbereich ermittelt hat, so dass jeder Anwesende mitbekommt, dass ich gerade eine Prostatitis o. ä. habe.

Naja, ich setze schon übliche Standards im Umgang miteinander voraus, und sowas geht gar nicht. Ich kenne auch Ärzte, die in der Pathologie deutlich besser aufgehoben wären. 

Zitat
Aber ich habe schon verstanden, was du meinst. Kompetetenz und Gründlichkeit wünsche ich mir auch.

Ist nur meine persönliche Erfahrung, aber Kompetenz hatten meist diejenigen vermehrt, die nicht über den Charme eines Unterhaltungskünstlers verfügten.

pelacani

Zitat von: Davos am 26. September 2014, 14:46:31
Weil es keine unmenschlichen Ärzte geben kann
Um ein letztes Mal ernst zu bleiben: bei dieser Kombination denke ich an Mengele o. ä.