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Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen ist strafbar

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Begonnen von Marsmensch, 09. Juli 2012, 11:35:56

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Nogro

Zitat von: Binky am 10. Juli 2012, 22:29:59
Der Nutzen ist aber auch hier umstritten:
Ist mir aber eigentlich egal, mir machts mit beiden Häuten Spass
Es genügt nicht, keine Ahnung zu haben. Man muss auch dagegen sein (Hermann Hinsch)

Antitainment

Also ich hab Grinsi so verstanden, dass er dieselben Bedenken hat wie ich oder wie es Doc Ici gesagt hat:
ZitatEs gibt ein Ideal (in dem Fall der Richterspruch, der zwangsläufig so aus dem GG abgeleitet werden muss, und was ich auch begrüße), aber auch eine Realität, die diesem Ideal nun mal nicht entsprechen kann - wie immer im Leben halt. Also muss man sich um pragmatische Lösungen bemühen und diskutieren: Wie schafft man es, aus so einer Situation mit möglichst wenig Leid für Betroffene rauszukommen?

Die eine Seite ist das Schaffen einer Gesetzesgebung, die andere Seite eben die soziale Realität. Geht es mir um das Kindeswohl auch außerhalb einer Jurisdiktion, dann sollte man überprüfen und kritisch diskutieren wie und ob sich das auch in dem betroffenen Teil der Gesellschaft tatsächlich für die Kinder positiv auswirkt.
Wird in Zukunft ein großer Teil der Kinder eben nicht mehr von Fachpersonal "verstümmelt", um mal die gängige Polemik zu verwenden, sondern von Laien, dann sehe ich daran keinerlei gesellschaftlichen Fortschritt und auch keinen Zugewinn an Kindeswohl, sondern es entsteht eben das genaue Gegenteil des angestrebten Anliegens.
(Bei den beiden hauptsächlich betroffenen Glaubensrichtungen kann ich mir durchaus vorstellen, dass sie zwar aus unterschiedlichen Gründen aber mit demselben Ergebnis an ihrer Tradition festhalten werden; eben so wie sie es bisher getan haben.)
Das ein Abschnippeln der Vorhaut aus religiösen Gründen im Kern total plemplem ist muss für mich hier nicht weiter ausgeführt werden, da für mich damit offene Türen eingerannt werden.

Weiterhin bezweifle ich auch, dass die juristische Lage so klar ist, wie man vielleicht so meint, da zumindest das zuständige Amtsgericht in erster Instanz zu einer anderen Entscheidung gekommen ist.

Kein Schnitt weiter
http://jungle-world.com/artikel/2012/27/45790.html
(Hier wird auch das Thema der Weltanschauungsdebatte klar, wie man an den Äußerungen des Zentralrats der Juden, der katholischen und der evangelischen Kirchen sehen kann. In diversen atheistischen Blogs macht das Ding auch in einem z.T. wenig sachbezogenen Ton die Runde; d.h. hier steht weniger das Kindeswohl an erster Stelle sondern mehr wer den Grabenkampf gewinnt)

@PaulPanter
Danke für die Links und das Ausgraben von Material
Zahlen, Statistiken ... das ist alles total Sarrazin! Ihr müsst richtig fühlen! FÜHLEN! Darum geht es.

Binky

Die juristische Lage ist schon relativ klar. Körperverletzung ist selbst jeder ärztliche Eingriff. Er ist aber nicht rechtswidrig, wenn er eine medizinische Indikation hat. Weiterhin sind Körperverletzungen nach Einwilligung desjenigen nicht rechtswidrig.

Beides trifft auf Beschneidung von Kindern nicht zu.

Antitainment

@Binky
Ich bin in juristischen Dingen nicht wirklich fit, aber wenn das so eindeutig ist, dann frage ich mich warum das Amtsgericht in erster Instanz juristisch eine andere Bewertung vorgenommen hat.
Zahlen, Statistiken ... das ist alles total Sarrazin! Ihr müsst richtig fühlen! FÜHLEN! Darum geht es.


40_Fieber

Zitat von: Antitainment am 10. Juli 2012, 22:44:56
@Binky
Ich bin in juristischen Dingen nicht wirklich fit, aber wenn das so eindeutig ist, dann frage ich mich warum das Amtsgericht in erster Instanz juristisch eine andere Bewertung vorgenommen hat.

Weil das Landesgericht sich einen Mediziner als Gutachter geleistet hat.
http://kidmed*info/

Antitainment

@Binky
Danke für den tollen Link - Muss ich mir mal in Ruhe durchlesen, aber beim groben Querlesen scheint der schon mal mit dem Mythos aufzuräumen, dass lediglich ältere Kinder die Beschneidung als traumatisch erleben.

@40_Fieber
Klingt nach einem guten Grund für das Abändern des Urteils und war mir nicht bekannt.



Bleiben unterm Strich noch die Auswirkungen in der sozialen Realität.
Zahlen, Statistiken ... das ist alles total Sarrazin! Ihr müsst richtig fühlen! FÜHLEN! Darum geht es.

Binky


40_Fieber

Zitat von: Antitainment am 10. Juli 2012, 23:00:17
Bleiben unterm Strich noch die Auswirkungen in der sozialen Realität.

Es wird teurer, weil man ins Ausland muß. Schluß mit Beschneidung auf Kassenkosten und Ärzteerpressung.
http://kidmed*info/

Binky

Zitat von: Antitainment am 10. Juli 2012, 23:00:17
Bleiben unterm Strich noch die Auswirkungen in der sozialen Realität.

Ja, da kann man, auch als Eltern, ganz schön unter Druck geraten, wenn man sich dagegen entscheidet. Wie in einem stockkatholischen Dorf, wenn man die Kinder nicht taufen lässt.

Conina

In ein paar Jahrzehnten gibt´s vielleicht in den meisten westlichen Ländern nur noch symbolische Beschneidung.

Irgendjemand muss halt mal anfangen.
Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber nicht machen, dass es trinkt.

Binky

Ich habe diesen Artikel gestern nicht mehr gefunden, hier ist eine IHMO gute Betrachtung des Themas aus ärztlicher und juristischer Sicht:

http://m.aerzteblatt.de/print/61273.htm

Man beachte: Der Artikel ist von 2008.

Grinsi Kleinpo

Danke für den Link, Binky.

ZitatSchwere Komplikationen (zum Beispiel eine Harnröhrenfistel) sind sicherlich selten, kommen aber gerade nach nicht ärztlich durchgeführten Beschneidungen vor

darum gings mir zum Beispiel. Wenns der Arzt nicht mehr machen darf und der Eingriff in irgendwelchen Hinterzimmer von irgendwelchen frömmelnden Zeitgenossen vorgenommen wird, egal ob im Ausland oder hier, kommt es sicher auch deutlich häufiger zu heftigen Infektionen der OP-Wunde und anderen Komplikationen.

Die Argumente bezüglich der Indentitätsbestimmung in einem bestimmten sozialen Umfeld lassen sich sicher dahingehend beantworten, dass jedem jungen Erwachsenen frei steht, sich die Vorhaut entfernen zu lassen, wenn er das aus religiösen, hygienischen, ästhetischen oder anderen Gründen wünscht, das ist klar.

Zum Argument der HIV-Prävention (und der Prävention für andere Krankheiten, die sexuell übertragbar sind wie Papillomaviren): klar, hier ist das momentan weniger erforderlich. Hier sind Kondome in jedem Drogeriemarkt frei verkäuflich. Hier ist (noch) ein relativ aufgeklärtes Verständnis von Krankheit und Übertragungswegen vorhanden. Anders in vielen Drittweltländern wo noch heute die Folgen einer HIV-Infektion gerne als das Wirken von bösen Geistern oder Hexen, als Tuberkulose oder sonst was angesehen wird, wo religiöse Vorstellungen noch viel größeren Einfluss haben, das Kondomverbot der Kirche genauso wie die Vorstellung dass große Fruchtbarkeit ein Zeichen von großer Männlichkeit ist und schon allein deshalb gerne auf Kondome verzichtet wird.






Antitainment

Zitat von: 40_Fieber am 10. Juli 2012, 23:11:14
Es wird teurer, weil man ins Ausland muß. Schluß mit Beschneidung auf Kassenkosten und Ärzteerpressung.

Die Betrachtung ist mir zu eindimensional und taugt vielleicht für das Malen von Transparenten. Wäre der finanzielle Aspekt das einzige Kriterium, dann wäre das nicht diskussionswürdig.
Klar kann ich mich auf den Punkt zurückziehen, Gesetz ist Gesetz und wem es nicht passt der darf gehen, aber in dem Punkt bin ich eben pädagogisch vorgeschädigt.
Nehmen wir mal an, dass das Verbot bundesweit juristisch verankert wird und eine Beschneidung im Ausland vorgenommen wird.
Im Anschluss daran kommt es zu einer Behandlung beim Arzt, bei der festgestellt wird, dass das Kind beschnitten ist. Ist der Arzt zu einer Meldung verpflichtet?
Kommt es zu einer strafrechtlichen Verfolgung nach § 223 Absatz 1 StGB, wie aus dem Link von @Binky vorgeht?
Sind die Eltern damit straffällig aufgrund der Ausübung ihrer Religionszugehörigkeit? (Um es nochmal zu sagen: Das Beschnippeln eines Pimmels um den Bund mit seiner imaginären Vaterfigur zu besiegeln ist, gelinde gesagt, abstrus und einigermaßen lächerlich, aber dieser Eingriff ist ein elementarer Bestandteil der betroffenen Glaubensrichtung und keine marginale Randbemerkung und somit wird das Problem nicht aufhören zu existieren, weil ich, bzw. wir hier das für primitiv und relativ beknackt halten)
Haben die Eltern erstmal eine Klage wegen Kindesmisshandlung/Körperverletzung am Hals, kann eventuell der gesamte Rattenschwanz an Kinder-/Jugendhilfemaßnahmen ins Rollen kommen - Ob das dann in seiner Gesamtheit dem Kindeswohl zuträglich ist stelle ich in Frage.
Aus Sicht der betroffenen Bevölkerungsgruppen heißt das dann wohl raus aus Deutschland und/oder ein Abgleiten in illegale Gefilde.

Weiterhin gibt es eben die von @Grinsi angeführten medizinischen Probleme die bei unsachgemäßer Durchführung wohl häufiger auftreten dürften. (Wenn z.B. der Onkel, der Frisör ist, den Eingriff am Küchentisch vornimmt oder der Rabbi im Hinterzimmer)
Auch hier kann man dann die angestrebte Verbesserung des Kindeswohl in die Tonne treten.

Die Abwägung der oben angeführten Punkte im Konflikt mit der körperlichen Unversehrtheit der Kinder, der Gängelung der Ärzte, Werte einer säkularen Demokratie etc. beschreibt das Dilemma, das ich bei der Thematik sehe.
Ob das alles dann so abläuft und sich selbst normalisiert wie bei dem Thema Abtreibung bezweifle ich auch stark, wenn man mal betrachtet mit welchen integrativen Problemen man vor allem mit dem muslimischen Teil der Bevölkerung noch am ackern ist, bei denen bisher noch keine vergleichbare Reformation oder Aufklärung flächendeckend stattgefunden hat, die einen fruchtbareren Boden für solche Entscheidungen bieten würden.
Zahlen, Statistiken ... das ist alles total Sarrazin! Ihr müsst richtig fühlen! FÜHLEN! Darum geht es.

Conina

Noch mehr Lesestoff:

http://gaywest.wordpress.com/2012/07/07/mein-schwanz-gehort-mir-sag-es-laut-und-immer-wieder/

ZitatNachvollziehbarerweise empfinden Juden und Muslime das Urteil als Einschränkung der Religionsfreiheit – genauer müsste man aber wohl von einer Einschränkung der Religionsausübung sprechen, denn die Religionsfreiheit erstreckt sich nur auf gesetzlich zulässige Handlungen. Das Urteil richtet sich aber nicht gegen die Religionsausübung als solche, auch nicht gegen die Beschneidung an sich, sondern hält lediglich die Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Kinder für unverhältnismäßig. Zwar wird die Religionsausübung eingeschränkt, dies geschieht aber, um einem höherrangigen Recht Geltung zu verschaffen, nämlich dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Man muss dies nicht mögen, es ist aber nicht zu beanstanden.
Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber nicht machen, dass es trinkt.