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Was ist Irrationalität?

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Begonnen von Groucho, 21. Juli 2013, 16:39:10

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Groucho

Es gibt so Begriffe, die wendet man, nach einiger Gewöhnung, einfach nur noch so an, ohne sich mehr ihrer begrenzten Definitionsmacht bewusst zu sein. Meist verwenden wir ihn, wenn es so scheint, dass sich jemand außerhalb eines logischen (rationalen) Rahmens verhält und denkt.

Vernunft und Unvernunft scheinen aber je nach Betrachtungsbene und Perspektive im fliegenden Wechsel tauschen zu können.

Jemandem nicht die Hand bei einer Begrüßung zu geben, ist rational sinvoll im Sinne von Infektionsvermeidung, sozial eher Irrational, weil man dann etwas "eigen" daherkommt, und sich Sozialkontakte von selbst erledigen werden.

Nachts nackt auf einer vielbefahrenen Kreuzung zu tanzen, mag irrational sein, führt aber ev. zu einer vernünftigen Behandlung des Betroffenen, z.B. Drogenentzug.

Ebenso sind Wahnsysteme in sich meist mitunter von stringenter Logik, die Prämissen sind halt anders gesetzt.

Die Frage ist: Wo ist der Archimedes-Punkt, hier zu einer absoluten Einschätzung zu kommen? Welches Bezugssystem gibt es in welcher Hierarchie? Welchem geben wir warum den Vorrang?

(Das war die Frage zum Sonntag    :angel:)

sweeper

Fangen wir mal gaanz vorsichtig an:

http://de.wikipedia.org/wiki/Irrational
Zitat
Begriffsbestimmung

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff in verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Einen Sachverhalt als ,,irrational" zu bezeichnen kann heißen, dass er möglicherweise besteht, dem Verstand aber nicht zugänglich ist, d.h. rational nicht erklärbar ist.

Er kann aber auch bedeuten, dass er, weil er rationalen Kriterien widerspricht (etwa dem Gebot der Widerspruchsfreiheit), per se nicht bestehen kann. Der Begriff des ,,Ir-rationalen" ist zudem abzugrenzen vom psychologischen Begriff des Unbewussten, also Inhalten, welche entweder nur zu einer gewissen Zeit nicht bewusst sind, oder die, wie einige Gehirnvorgänge, zwar grundsätzlich nie bewusst ablaufen, der Vernunft jedoch nicht direkt widersprechen.

Des Weiteren ist anzumerken, dass jede Überlegung, jeder Glaube an, jedes Denken über das Irrationale nur innerhalb eines bestimmten begrifflichen Diskurses vor sich gehen kann und dabei grundsätzlich den logischen Regeln der Sprache und Vernunft unterworfen ist. So setzt der Gebrauch des Begriffs ,,ir-rational" selbst immer schon das Rationale voraus, zu welchem das Ir-rationale negativ ins Verhältnis gesetzt wird.[1]
With magic, you start with a frog and end up with a prince.
With science, you start with a frog, get a PhD and are still left with the frog you started with...


Terry Pratchett

bayle

Zitat von: Groucho am 21. Juli 2013, 16:39:10
Ebenso sind Wahnsysteme in sich meist von stringenter Logik
Wenn Du statt ,,meist" ,,mitunter" sagen würdest, wäre ich mit Deinem Satz glücklicher. ;)

Groucho

Zitat von: sweeper am 21. Juli 2013, 16:48:28
Fangen wir mal gaanz vorsichtig an:

http://de.wikipedia.org/wiki/Irrational
Zitat
Begriffsbestimmung

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff in verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Einen Sachverhalt als ,,irrational" zu bezeichnen kann heißen, dass er möglicherweise besteht, dem Verstand aber nicht zugänglich ist, d.h. rational nicht erklärbar ist.

Er kann aber auch bedeuten, dass er, weil er rationalen Kriterien widerspricht (etwa dem Gebot der Widerspruchsfreiheit), per se nicht bestehen kann. Der Begriff des ,,Ir-rationalen" ist zudem abzugrenzen vom psychologischen Begriff des Unbewussten, also Inhalten, welche entweder nur zu einer gewissen Zeit nicht bewusst sind, oder die, wie einige Gehirnvorgänge, zwar grundsätzlich nie bewusst ablaufen, der Vernunft jedoch nicht direkt widersprechen.

Des Weiteren ist anzumerken, dass jede Überlegung, jeder Glaube an, jedes Denken über das Irrationale nur innerhalb eines bestimmten begrifflichen Diskurses vor sich gehen kann und dabei grundsätzlich den logischen Regeln der Sprache und Vernunft unterworfen ist. So setzt der Gebrauch des Begriffs ,,ir-rational" selbst immer schon das Rationale voraus, zu welchem das Ir-rationale negativ ins Verhältnis gesetzt wird.[1]

Jaja, das kenn ich latürlich  :grins2:

Das spannende an der Frage ist ja, dass so eine Beschreibung selbst im Nichts endet. Will sagen, was taugt diese Unterscheidung eigentlich?
Bei Nichtgefallen kann man ja jederzeit die Ebene ändern.

Nicht, dass mir das gefällt. Aber mal eben frei nach meiner Sig.

Groucho

Zitat von: bayle am 21. Juli 2013, 16:57:55
Zitat von: Groucho am 21. Juli 2013, 16:39:10
Ebenso sind Wahnsysteme in sich meist von stringenter Logik
Wenn Du statt ,,meist" ,,mitunter" sagen würdest, wäre ich mit Deinem Satz glücklicher. ;)

Ok, ich ändere auf "mitunter". Will Deinem Glück nicht im Wege stehen  :grins2:

bayle

An dieser Stelle ist die tanzende Bockwurst üblich, aber ich finde die irgendwie blöd.  ;)

Groucho

Zitat von: bayle am 21. Juli 2013, 17:05:18
An dieser Stelle ist die tanzende Bockwurst üblich, aber ich finde die irgendwie blöd.  ;)

Ach, die ist so doof, dass sie schon wieder gut ist. Was uns zum Kernthema zurückführt   :angel:

sweeper

@Groucho:

Ich habe die Definition nur eingestellt, um deutlich zu machen, dass man erst mal einen Bezugsrahmen festlegen müsste, damit eine Diskussion nicht ins unverbindliche Schwafeln abgleitet.

Dein Beispiel
ZitatNachts nackt auf einer vielbefahrenen Kreuzung zu tanzen, mag irrational sein, führt aber ev. zu einer vernünftigen Behandlung des Betroffenen, z.B. Drogenentzug.

hätte ja nur dann eine immanente  "rationale" Logik, wenn diese Freaks mit ihrem Verhalten unbewusst bewirken wollten, dass sie einer Behandlung zugeführt werden.

Vielleicht wollen sie aber eine exstatische Mondanbetung praktizieren unter der Vorstellung, wer dabei zu Schaden kommt, sei Frau Lunas auserwähltes Opfer.
Das hätte in ihrem Weltbild eine stringente Logik, käme unsereins aber komplett irrational vor.
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Terry Pratchett

Groucho

Zitat von: sweeper am 21. Juli 2013, 17:09:59
@Groucho:
Ich habe die Definition nur eingestellt, um deutlich zu machen, dass man erst mal einen Bezugsrahmen festlegen müsste, damit eine Diskussion nicht ins unverbindliche Schwafeln abgleitet.

Es geht mir doch genau um den Bezugsrahmen. Wie und warum legen wir den fest? Frei flottierend kann er wohl nicht sein. Wobei manche genau damit spielen. Und dann, rational gesehen, manchmal Erfolg haben.

sweeper

ZitatEs geht mir doch genau um den Bezugsrahmen. Wie und warum legen wir den fest?

Ich z.B. verwende den Begriff "irrational" ungern, wenn es um Beschreibung menschlichen Verhaltens geht.
Denn rein "rationales" menschliches Verhalten gibt es m.E. nicht.  ;)

Man könnte da vielleicht von "den Umständen gut oder weniger gut angepasst" sprechen; von "vorhersagbar", "angemessen" etc.
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Terry Pratchett

Belbo

.....funktioniert das nich in zwei Stufen.....
1. die Handlung muss zu einem definierten Ziel führen
2. dieses Ziel muss real/wirklich sein.

The Doctrix

Zitat von: Groucho am 21. Juli 2013, 17:02:30
Zitat von: bayle am 21. Juli 2013, 16:57:55
Zitat von: Groucho am 21. Juli 2013, 16:39:10
Ebenso sind Wahnsysteme in sich meist von stringenter Logik
Wenn Du statt ,,meist" ,,mitunter" sagen würdest, wäre ich mit Deinem Satz glücklicher. ;)

Ok, ich ändere auf "mitunter". Will Deinem Glück nicht im Wege stehen  :grins2:

Damit bin ich aber noch nicht ganz einverstanden. Für den Betroffenen ist sein Wahnsystem eigentlich immer in sich sehr logisch und stringent. (Und wenn es das dann mal doch nicht ist, sind selbstverständlich SIE schuld - und schon stimmt's wieder.) Für Aussenstehende eher selten. Dazwischen stehen u.a. diejenigen, die sich professionell mit solchen Wahnsystemen beschäftigen und vieles oft mehr oder weniger nachvollziehen können - aber eben auch längst nicht alles.

Eben alles eine Frage der Perspektive und des Zugangs.
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

bayle

Zitat von: The Doctor am 21. Juli 2013, 19:31:08
Für den Betroffenen ist sein Wahnsystem eigentlich immer in sich sehr logisch und stringent.
Wenn wir über den Wahn im engeren Sinne sprechen: nein, der Betroffene macht sich überhaupt keine Gedanken darüber, ob das logisch ist, was er denkt. Es ist einfach so da, das hat mit Logik überhaupt nichts zu tun. Es ist pathologisch evident, nicht hinterfragbar; das, was Jaspers mit "unkorrigierbar" meint. Die Systematisierung, das Hineinbringen von Logik, ist eine nachträgliche Leistung, die nur möglich ist, sofern die Kritikfähigkeit noch nicht darniederliegt.

sweeper

Zitat... das Hineinbringen von Logik, ist eine nachträgliche Leistung, die nur möglich ist, sofern die Kritikfähigkeit noch nicht darniederliegt.

Und damit ist es  - auch -  ein "gesunder" Mechanismus, um kognitive Dissonanzen auszugleichen:

Zitathttp://de.wikipedia.org/wiki/Rationalisierung_%28Psychologie%29

...Der Begriff bezeichnet in der Psychologie kognitive Vorgänge, bei denen gemachten Erfahrungen, Erlebnissen oder Beobachtungen nachträglich (ex post) rationale Erklärungen zugeschrieben werden. Diese müssen keinesfalls wirklich ursächlich für das Erlebnis sein, sondern sind oft konstruiert und persönlich eingefärbt. Die vermeintliche Logik reduziert kognitive Dissonanzen und vermittelt der Person einen Sinn. Dies kann soweit gehen, dass Erinnerungen konstruiert werden, um den Sinn aufrechtzuerhalten...
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Terry Pratchett

The Doctrix

Zitat von: bayle am 21. Juli 2013, 19:49:28
Zitat von: The Doctor am 21. Juli 2013, 19:31:08
Für den Betroffenen ist sein Wahnsystem eigentlich immer in sich sehr logisch und stringent.
Wenn wir über den Wahn im engeren Sinne sprechen: nein, der Betroffene macht sich überhaupt keine Gedanken darüber, ob das logisch ist, was er denkt. Es ist einfach so da, das hat mit Logik überhaupt nichts zu tun. Es ist pathologisch evident, nicht hinterfragbar; das, was Jaspers mit "unkorrigierbar" meint. Die Systematisierung, das Hineinbringen von Logik, ist eine nachträgliche Leistung, die nur möglich ist, sofern die Kritikfähigkeit noch nicht darniederliegt.

Nach so einer Aussage bezweifle ich ernsthaft, dass Du jemals mit einem Schizophrenen auf dem Höhepunkt eines psychotischen Schubes gesprochen hast. Natürlich wird er Dir - aus seiner Perspektive - alles logisch darlegen können und sich wundern, warum Du das, was für ihn offensichtlich ist, nicht nachvollziehen kannst.

Und selbstverständlich macht sich ein Psychotiker sehr viele Gedanken über die Logik hinter seinem Wahn. Oftmals aus reiner Verzweiflung, auf diese Weise irgendein ordnendes Schema in das Feuerwerk an Eingebungen und Ideen zu bringen, die permanent das Gehirn durchzucken. Es hat zwar nicht mehr viel mit Logik, wie wir sie verstehen, zu tun, das stört den Psychotiker aber nicht sonderlich.
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!