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Kritik an "esoterischen" Therapien und der Stand der Psychotherapieforschung

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Begonnen von OTTOKAR, 18. Januar 2018, 01:34:26

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Schwuppdiwupp

Zitat von: Peiresc am 20. Januar 2018, 23:00:39
Manchmal reicht es ja auch in der Tat, mal in Ruhe ein Bier zu trinken, wie der GB-A-Vorsitzende einst in einem Kostendämpfungsanfall formuliert hat.
Kein Widerspruch von meiner Seite.

Zitat von: Peiresc am 20. Januar 2018, 23:00:39Potentiell gefährlicher sind diejenigen, die sich mit den Attributen einer Professionalität ausstatten und sich als die bessere Alternative stilisieren. In der Esoterik und der Quacksalberei steckt immer eine Frontstellung gegen den "gewöhnlichen" Heilberufler, ein anti, wie Edzard Ernst sagt. Das bringt die Akquise einfach mit sich.

Genau darauf wollte ich hinaus.


Was heißt überhaupt "esoterische Therapie"?

Fällt darunter auch die Notfall-Seelsorge z. B. eines christlichen Trägers? Da gehe ich doch mal davon aus, dass die Priester und Laien so weit geschult sind, dass sie in akuten Fällen in der Tat die richtigen Worte finden (die sich durchaus auf das christliche Glaubensbekenntnis stützen dürfen) und bei schwierigen Fällen die Patienten an staatlich ausgebildete Profis weiterleiten.

Aber welche Qualifikation, anerkannte Prüfungen etc. p. p. haben "Esoterische Therapeuten" vorzuweisen? Wie kann der möglichweise orientierungslose Patient von außen erkennen, dass er es nicht mit einem Quacksalber zu tun hat?

Mein Eindrück als psychologischer Laie der bisherigen Diskussion ist, dass König Ottokar sehr wortreich hier sein rhetorisches Szepter schwingt, um die Kritik in den Psiram-Artikeln soweit abzumildern, dass sie letztendlich nicht mehr vorhanden ist.
Ach, was weiß denn ich ...

Peiresc

Noch ein Nachtrag, damit es nicht aussieht, als würde ich mich drücken.
Zitat von: OTTOKAR am 20. Januar 2018, 23:13:10und von Angell beantwortet

Aus dem Link.
ZitatWe regret that a more balanced approach was not taken.
Nothing could be further from the truth.

- John Oldham, M.D. President American Psychiatric Association

Angell is right that we should follow the dictum "first, do no harm," but she has distorted the potential adverse effects of psychotropic drugs with anecdotes and flawed data and downplayed the devastating consequences of untreated psychiatric illness.

- Richard A. Friedman, Andrew A. Nierenberg, M.D.

Ich begreife nicht, wie man die Antwort von Marcia Angell für suffizient halten kann:
ZitatI have spent most of my professional life evaluating the quality of clinical research, and I believe it is especially poor in psychiatry. [...] Finally, Friedman and Nierenberg accuse me of downplaying the devastating consequences of untreated psychiatric illness. I do no such thing. But it is no favor to desperate and vulnerable patients to treat them with drugs that have serious side effects unless it is clear that the benefits outweigh the harms.
Aber sie hat ihr Berufsleben nicht mit Kranken verbracht. Ich würde sie gern einmal bei einer wahnhaft Depressiven sehen, die sich gerade mit einem Messer ernsthaft verletzt hat und der eine Stimme sagt: ,,Bring dich um, Du bist schuldig am Übel dieser Welt", oder vor einer Wohnungstür, hinter der sich ein Mensch im hochakuten Verfolgungswahn verbarrikadiert hat.

eLender

Zitat von: Peiresc am 21. Januar 2018, 00:06:45
Unser Wiki ist voll von ,,begabten Eso-Therapeuten". Gurus helfen mehr, als sie Unheil anrichten? Absurd.

Das ist mir auch eher der entscheidende Punkt. Es mag ja sein, dass irgendeine "esoterische" Therapie bei irgend einer Störung zumindest nicht schlechter wirkt als eine kassenärztlich verordnete, aber das ist ja nur ein Aspekt. Welche Gefahren hat so eine esoterische Therapie denn sonst noch? Das kann auch der wirtschaftliche Aspekt sein. Alternativen muss ich selber bezahlen, wenns ganz hart kommt, ist es Bestandteil der "Therapie", dass ich mein gesamtes Vermögen auf den Therapeuten übertrage. Generell ist das Abhängigkeitsverhältnis eine sehr kritische Sache. Vll. bekomme ich bestimmte Symptome in den Griff, lade mir aber gleichzeitig neue Probleme auf...

ZitatBla. Antipsychiatrischer Scheiß.

Ja, den Eindruck kann man langsam gewinnen. Es ist ja in Ordnung, die gängige Praxis und die verschiedenen Methoden zu hinterfragen. Da gibt es bestimmt viel zu bemängeln. Aber solche Positionen wie "Antidepressiva sind wirkungslos", "professionelle Psychotherapie wirkt nicht und schadet eher", "esoterische Therapien sind genauso gut" sind schon ziemlich radikal und differenzieren zu wenig. Man muss jede Intervention genau betrachten und sehr differenziert bewerten. In dieser sehr allgemeinen Form sind solche Positionen sicherlich nicht haltbar.
Wollte ich nur mal gesagt haben!

Peiresc

Ich erweitere das Zitat mal, damit der ursprüngliche Zusammenhang nicht verloren geht:
Zitat von: eLender am 21. Januar 2018, 13:38:10
Zitat
ZitatMan hat ein invalides und unreliables System mit psychoanalytischer Inspiration gegen ein invalides und unreliables System ohne psychoanalytische Inspiration eingetauscht.
Bla. Antipsychiatrischer Scheiß.
Ja, den Eindruck kann man langsam gewinnen. Es ist ja in Ordnung, die gängige Praxis und die verschiedenen Methoden zu hinterfragen. Da gibt es bestimmt viel zu bemängeln.
Für DSM und ICD gilt, was Churchill von der Demokratie gesagt hat: das schlechteste System überhaupt, ausgenommen alle anderen. Ich schätze den Anteil der Psychiater und Psychotherapeuten, die ein besseres Klassifikationssystem begrüßen würden, auf 100%.

OTTOKAR

@ Peiresc:

Vorhandensein von Psychoanalyse: Okay.  Danke für die Links.

Dass der Effekt von Antidepressiva – jedenfalls zu einem großen Teil - auf dem Placebo-Effekt beruht, dürfte schwer zu bestreiten sein, und ich glaube nicht, dass es einen Konsens gegen diese These gibt. Selbst der Psychiatrie-Professor Daniel Carlat, der einen Lserbrief geschrieben hat, um Angell zu widersprechen, räumte ja bezüglich des Effekts von Antidepressiva ein:

"...much of this response is undoubtedly due to the placebo effect."   

Wieso sollte es auch plausibel sein, dass Medikamente, die nicht besser wirken als aktive Placebos und keine Dosis-Wirkungs-Kurve aufweisen, nicht auf dem Placebo-Effekt beruhen (jedenfalls zum großen Teil)?

Gedenkenexperiment: Nehmen wir einmal an, ein "Esoteriker" würde für ein pflanzliches Mittel als "Antidespressivum" anpreisen – aber Studien würden zeigen, dass es nicht besser wirkt als ein Placebo, das die gleichen Nebenwirkungen verursacht. Was würdest Du dann denken?

Nochmals wg. Wirksamkeit "esoterischer" Therapie bzw. "esoterischer" Therapeuten:
- Laien – auch ohne eine bestimmte Methode – sind nach allem, was man weiß, (mindestens) ähnlich effektiv wie Profis – und zwar mit oder ohne spezielle Methode..
Wieso sollte das bei "esoterisch ausgerichteten Therapeuten" anders sein? Das wäre eine Anomalie, die erstaunlich und erklärungsbedürftig wäre.

Oder sind "Esoteriker" ineffektiv, weil sie ein unwissenschaftliches Therapie-Modell haben? Psychoanalytiker haben – jedenfalls nach Meinung vieler Skeptiker – ebenfalls ein unwissenschaftliches Therapie-Modell; und doch ist unbestritten, dass die Psychoanalyse im Allgemeinen ähnlich effektiv ist wie Verhaltenstherapie, wenn nicht gleich effektiv.

Was also erklärt die angenommene Anomalie bei den "Esoterikern"?

ZitatAbwegig. Das lässt tief in Deine Sachkenntnis blicken. Es gibt einen Haufen Krankheiten/Störungen, die da ganz unproblematisch sind, ob mit DSM oder ohne.

Bisher hatten wir – trotz etlicher Differenzen – einen sachlichen Diskussionsstil, was ich angenehm finde.
Zur Sache: Was die Abgrenzung psychischer gegen organische Störungen angeht, so ist das natürlich in der Tat eine schwierige Sache. Spricht man über die "Reliabilität" psychischer Störungen, so wird dieser Aspekt aber gewöhnlich nicht mit einbezogen. Vielmehr wird bei Tests zur Reliabilität unter der Prämisse operiert, dass organische Ursachen nicht feststellbar sind und nun eine psychiatrische Diagnose zu stellen sei. Es wird dann gemessen, wie gut Kliniker in ihrem Urteil übereinstimmen. Im Rahmen dieser Prämisse gilt auch meine Aussage, dass die Diagnose einer PTBS nicht sonderlich schwierig zu stellen sein dürfte, und dass sie daher wahrscheinlich auch deutlich reliabler als viele andere psychischen Störungen sein dürfte.   
Dazu, dass psychiatrische Diagnosen typischerweise bestenfalls eine mittelmäßige, oft aber nur eine schlechte Reliabilität haben, habe ich mehrere Texte verlinkt, gegen deren Argumente hier bisher kein Einwände vorgetragen wurden.

(Man könnte hier natürlich argumentieren, dass es "esoterische" Therapien potentiell gefährlich macht, dass psychiatrische und organische Störungen ohne eine nähere Untersuchung schwer zu unterscheiden sein können - ein Esoteriker würde vielleicht meinen, dass er ein rein psychisches Problem behandelt, wo in Wahrheit etwa eine neurologische Erkrankung vorliegt. Ein Lösungsansatz für dieses Problem  - sofern es virulent wäre - bestünde beispielsweise darin, dass vor der Behandlung bei einem "Esoteriker" eine ärztliche Abklärung erfolgen sollte.)     

Zitat OTTOKAR:
Zitat
Die "Division of Clinical Psychology Position" der renommierten British Psychological Society schlägt vor, die gängigen Diagnosesysteme (DSM und psychiatrischer Teil der ICD) ganz zu streichen, weil sie sie wissenschaftlich für fragwürdig und therapeutisch für nutzlos hält.

Zitat Peiresc:

ZitatObskur.

Ist die British Psychologigal Society obskur? Oder ihr Vorschlag obskur? Warum?

ZitatBla. Antipsychiatrischer Scheiß.

Was ist an meiner Aussage "Scheiß"? Dass das DSM-III sich von seinen Vorgängerversionen dadurch unterscheidet, dass es von der Psychoanalyse Abstand genommen hat? Dass es nicht valide war? Dass es nach Datenlage sehr wahrscheinlich nicht wesentlich reliabler war als seine Vorgänger?

ZitatFür DSM und ICD gilt, was Churchill von der Demokratie gesagt hat: das schlechteste System überhaupt, ausgenommen alle anderen. Ich schätze den Anteil der Psychiater und Psychotherapeuten, die ein besseres Klassifikationssystem begrüßen würden, auf 100%.

Der frühere Präsident der British Psychological Society, Kindermann, schlägt beispielsweise eine Alternative vor, die sicher viele der Probleme vermeiden würde:
https://livrepository.liverpool.ac.uk/3007684/1/imagine%20theres%20no%20diagnosis.pdf

ZitatUnter der Voraussetzung, dass Psychoanalyse nicht hilft...

...hilft auch die Verhaltenstherapie nicht oder nur minimal, denn alle Studien zeigen, dass die Effektivitätsunterschiede bestenfalls gering (wenn überhaupt vorhanden sind). Das scheint übrigens nicht allein für Labor-Experimente, sondern auch "für das Feld" zu gelten:

"...Neuere Metaanalysen kommen zu einem ähnlichen Schluss. Die Qualität der therapeutischen Beziehung zeichnet für den Großteil der Varianz des Behandlungsergebnisses innerhalb der Therapiegruppe verantwortlich und ist bis zu sieben Mal einflussreicher hinsichtlich der Förderung von Veränderung als einzelne Therapieverfahren (Wampold, 2001; Duncan, Miller u. Sparks, 2004)...Das zeigt sich nicht nur in Forschungsprojekten, sondern auch in Begegnungen im 'echten' klinischen Alltag. So konnte in einer Übersicht über mehr als 5000 Behandlungsfälle des britischen National Health Service psychotherapeutischen Techniken nur ein sehr kleiner Varianzanteil im Ergebnis zugeschrieben werden, im Gegensatz zu unspezifischen Effekten wie der therapeutischen Beziehung (Stiles, Barkham u. Mellor-Car, 2008)."
http://forum.systemagazin.de/bibliothek/texte/Timimi-No-More-Psychiatric-Labels.pdf

Zu Angell:
Weder Sie noch die ihr antwortenden Psychiater sind gründlich auf die relevanten Studien eingegangen, wofür ja auch kaum der Platz war. Angell hat allgemein geäußert, wieso sie die Studien nicht für überzeugend hält. Soweit sie ihr konkrete Befunde oder konkrete Kritik vorgehalten wurden, ist sie auf die auch eingegangen:

"The problem with relapse studies, like that of John Geddes, which is cited by Friedman and Nierenberg, is that they don't distinguish between a true relapse and withdrawal symptoms that result from the abrupt cessation of drugs...
The letter by Drs. Friedman and Nierenberg is filled with inaccuracies and assertions masquerading as fact. They are simply wrong in asserting that psychiatry, in using drugs to treat signs and symptoms of illness without understanding the cause of the illness or how the drugs work, is no different from other medical specialties. First, mental illness is diagnosed on the basis of symptoms (medically defined as subjective manifestations of disease, such as pain) and behaviors, not signs (defined as objective manifestations, such as swelling of a joint). Most diseases in other specialties produce physical signs and abnormal lab tests or radiologic findings, in addition to symptoms.
Moreover, even if the underlying causes of other diseases are unknown, the mechanisms by which they produce illness usually are, and the treatments usually target those mechanisms. For example, we may not know what causes arthritis, but we do understand a great deal about the mechanism, and we know how anti-inflammatory agents work. Even when there are only symptoms, such as nausea or headache, other medical specialists, unlike psychiatrists, would be very reluctant to offer long-term symptomatic treatment without knowing what lies behind the symptoms."


Usw...

ZitatIch würde sie [Angell] gern einmal bei einer wahnhaft Depressiven sehen, die sich gerade mit einem Messer ernsthaft verletzt hat und der eine Stimme sagt: ,,Bring dich um, Du bist schuldig an Übel dieser Welt", oder vor einer Wohnungstür, hinter der sich ein Mensch im hochakuten Verfolgungswahn verbarrikadiert hat.

Weder Whitaker noch Gøtzsche – und sicher auch nicht Angell – streiten ab, dass der vorübergehende Einsatz von Medikamenten in manchen Fällen hilfreich sein kann. Whitaker hält es für möglich, dass zumindest manche Patienten auch von einer langfristigenn Medikation profitieren. Die Kritik richtet sich gegen das, was diese Autoren als übertriebene Verschreibung von Medikamenten betrachten (man bedenke etwa, dass inzwischen jeder 5. US-Amerikaner Psychopharmaka) konsumiert.     

@ ajki:

Ich freue mich, dass Du Dir Gedanken machst – denn das ist eigentlich erst mal das, was ich erreichen wollte. Anstöße zum Nachdenken geben. Es gibt prinzipiell sicher verschiedene Lösungswege mit ihren Vor- und Nachteilen. Und falls man das – jedenfalls aus meiner Sicht bestehende – Problem lösen will, würde dies sicher ein längeres Nachdenken erfordern. Allerdings stecke ich selbst mental im Moment fast noch ein wenig im Modus "Mache erst mal das Problem plausibel".

@ Schwuppdiwupp:

Unter einer "esoterischen" Therapie würde ich grob eine Therapie verstehen, die auf "esoterischen" Modellen beruht, und nicht auf solchen der wissenschaftlichen Psychologie oder Medizin. "Esoterische Modelle" wiederum würde ich im Sinne des üblichen Sprachgebrauchs verstehen. Ein Beispiel wäre hier das Modell der EFT.

Ansonsten kann ich auf Deinen Beitrag leider nicht antworten, da sich – wenn ich dies so sagen darf - Deine Beiträge darin erschöpfen, Behauptungen aufzustellen, die nicht intersubjektiv überprüfbar begründet werden - während meine eigenen systematischen Argumente vollständig ignoriert werden.   

@ eLender:

ZitatAber solche Positionen wie "Antidepressiva sind wirkungslos", "professionelle Psychotherapie wirkt nicht und schadet eher", "esoterische Therapien sind genauso gut" sind schon ziemlich radikal und differenzieren zu wenig. Man muss jede Intervention genau betrachten und sehr differenziert bewerten. In dieser sehr allgemeinen Form sind solche Positionen sicherlich nicht haltbar.

"professionelle Psychotherapie wirkt nicht und schadet eher"
Diese These habe ich nicht geäußert – es sei denn in dem Sinne, dass es vernünftige Gründe und renommierte Autoren gibt, die dies speziell im Fall der Antidpressiva nahelegen. Dies ist aber eher ein "Nebenpunkt", den ich eingeklammert habe.

Auch andere Thesen würde ich weniger "krass" formulieren. Ich würde beispielsweise sagen: Es spricht viel dafür, dass esoterische Therapien, sofern sie hinreichend allgemeine Wirkfaktoren enthalten (was häufig der Fall sein dürfte) zumindest ähnlich effektiv sind wie professionelle Therapie. Ersetze "esoterische Therapie" durch "Laientherapie" (mit und ohne spezielle Methode), und fast die gesamte verfügbare Literatur der Psychotherapieforschung bestätigt meine Behauptung.  Ein Zurückweisen meiner Thesen sollte daher ebenfalls mit inhaltlichen Argumenten erfolgen. 

Was den Schaden der Esoterik angeht: Es gibt sicher Fälle, in denen es einen Schaden gibt. Ob dies aber häufig passiert, oder ob es sich um Einzelfälle handelt, wäre hier die Frage. Auch Einzelfälle sind bedauerlich, können aber schwerlich die These rechtfertigen, dass die Esoterik insgesamt eine bedeutende Gefahr darstellt – ein gewisses Restrisiko ist oft unvermeidlich.
Ein Expertengremium, das das australische Gesundheitsministerium berät, kam beispielsweise nach einer ausführlichen Analyse zur Überzeugung, dass mit alternativen Heilverfahren und Laienpraktikern keine bedeutenden Gefahren einhergehen, und dass keine nennenswerte Regulierung erforderlich sei. Alles, was empfohlen wurde, war im Wesentlichen ein Registrierungsverfahren:

"The vast majority of unregistered health practitioners practise in a safe, competent and ethical manner. There are, however, a small proportion of practitioners who are dangerously incompetent, or engage in exploitative, predatory and illegal behaviour that, if they were registered, would result in cancellation of their registration and removal of their right to practise."
http://ris.pmc.gov.au/sites/default/files/posts/2013/08/unregistered-health-practitioners-final-report-decision-RIS.pdf

(Bei diesen nicht-registrierten Praktikern geht es tatsächlich in vielen Fällen um Personen, die "esoterische" Techniken wie Homöopathie, Osteopathie usw. anwenden - siehe den Text.)

Man mag die Argumente und Thesen des Gremiums ja gerne kritisieren; aber a priori anzunehmen, dass alternative oder esoterische Verfahren - oder Laienpraktiker - gefährlich sein müssten, wäre eine Form des Dogmatismus. Die These von der erheblichen Gefährlichkeit sollte vielmehr überzeugend empirisch begründet werden, wenn sie mehr sein soll als eine spekulative Hypothese. Sympathie und Antipathie sollten dabei keine Rolle spielen.

Peiresc

Die Nachfragen zu meinen kurzen Antworten zeigen, dass Du die Antworten entweder nicht verstanden hast, oder dass Du sie verstanden hast, sie aber mehr oder weniger (eher weniger) kunstvoll umgehst. Beides ist kein Anreiz für mich, darauf einzugehen.

Nur ein Beispiel. Ich hatte dreimal (zuletzt in #23) nach einer beispielhaften Studie gefragt, und welche Bedingungen sie erfüllen müsste. Es würde mich überraschen, wenn es eine solche Studie gäbe. Es wäre das einzige Design, das Deine zentrale These stützen und Deinen haltlosen, kontraintuitiven und kontrafaktischen Spekulationen einen Hauch formaler Legitimation verleihen würde. Sie würde es Dir ermöglichen, wenigstens den Anschein zu erwecken, dass Du nur naiv oder fehlgeleitet bist. Deine Antwort war:
Zitat von: OTTOKAR am 20. Januar 2018, 23:13:10Das habe ich wohl in der Tat missverstanden. Ich kann versuchen, das zu genauer zu recherchieren, wenn Du das möchtest.
Jemand, der das missversteht, ist genauso wenig diskussionsfähig wie jemand, der glaubt, an dieser Frage vorbeireden zu können. Es gibt keine Evidenz dafür, dass ,,Esoterik so gut ist wie professionelle Psychotherapie"; alles andere ist Beiwerk, Tarnung, Rauchschleier. Und es ist unwahrscheinlich, dass es diese Evidenz je geben wird.

Es erübrigt sich, auf die dutzendste ebenso wortreiche wie einförmige Wiederholung unsinniger Thesen systematisch zu antworten. Was zu sagen ist, ist gesagt.

Peiresc

OT. Noch ein bisschen antipsychiatrische Blütenlese, weil ich da nur sehr kurz war.

Zu Kinderman, Imagine there's no diagnosis, it's easy if you try

Wenn ich das recht verstehe, dann schlägt er vor, die Diagnose durch eine Art Konglomerat aus psychopathologischem Befund, klassifizierter Anamnese und Lebensumständen zu ersetzen. Das, was daran vorteilhaft sein könnte, gibt es heute schon im Achsensystem des DSM. Das übrige sind kindische Phrasen (kein Wortspiel intendiert). Es würde nach meinem Eindruck alle Suche nach Stabilität und Reproduzierbarkeit begraben. Abgesehen davon, dass es die Versorgungslandschaft (akut wie chronisch, medizinisch wie sozial) verzweifelt kompliziert und damit willkürlich machen würde, wäre es auch das Ende jeder Forschung in der Psychiatrie, sowohl der psychopharmakologischen wie auch der biologischen und der psychotherapeutischen. Das ist ein bisschen wie Monopoly, eine ausgedachte Welt. Vielleicht wäre Kinderman erschrocken, wenn man ihn ernst nehmen würde – ich jedenfalls wäre es.

Vorstellen kann man sich alles Mögliche. Göttliche Eingriffe, multiple Universen, Zombies, intergalaktische Allianzen, nonlokale Kausalitäten. Das ist wirklich ganz einfach, man muss es nur versuchen. Beam me up, Scotty.

Zu Timimi.

Die Katze aus dem Sack lässt er z. B. hier:
ZitatWenn psychiatrische Versorgungseinrichtungen in nichtwestlichen Kontexten lokale Glaubenssysteme und Praktiken integrieren, könnte der »Großhandelsexport« westlicher Psychiatrie gestoppt werden.
Die Afrikaner sollten froh sein, dass sie zum Schamanen gehen dürfen. Auch die Chinesen tun gut daran, wieder mehr auf die heilenden Kräfte der Dämonenvertreibung zu vertrauen (hier). Aber er ist ein wenig inkonsequent. Konsequent wäre es, auch im Westen die Versorgung psychisch Kranker den Ordensbrüdern zurückzugeben, die sie vor 200 Jahren aus irgendwelchen Gründen aufgegeben haben.

OTTOKAR

@ Peiresc:

ZitatNur ein Beispiel. Ich hatte dreimal (zuletzt in #23) nach einer beispielhaften Studie gefragt, und welche Bedingungen sie erfüllen müsste.

In einem Punkt muss ich zwei Fehler einräumen. Erstens: Ich hatte das mit "von Laien appliziert" irgendwie übersehen. Ich weiß nicht, ob ich eine entsprechende Studie finden werde. Allerdings kann ich dafür unzählige Studie geben, die dafür sprechen, dass Laien – mit oder ohne Anwendung definierter psychotherapeutischer Techniken – so gut sind wie Professionelle. Es scheint mir vernünftig zu sein, dieses Ergebnis auch auf die EFT oder andere einfach anzuwendende "esoterische" Techniken zu generalisieren, und davon auszugehen, dass sie auch diesbezüglich ähnlich gut wie Profis sind. Die alternative Annahme würde nämlich lauten: Laien sind im Allgemeinen so gut wie Profis, mit oder ohne formalisierte Techniken – es sei denn natürlich, es handelt sich um esoterische Techniken. 

Auf eine Metaanalyse, die eine entsprechende Studie (vermutlich ohne Laien) beinhaltet, hatte ich hingewiesen. Mittels dieser Metaanalyse sollte es einfach sein, die entsprechende Studie zu identfizieren. Die Studie mag schlecht gemacht sein; dass sie aber gar nicht existiert, dürfte aber doch sehr unwahrscheinlich sein.
Ich muss jedoch einen zweiten Fehler einräumen: Ich gebe zu, dass ich Dich einmal missverstanden hatte, als Du dann die Einzelstudie selbst wolltest. Ich habe mich dann aber, sobald das Missverstädnis geklärt war, anerboten, sie zu suchen – das kann aber noch ein paar Tage dauern, da ich eventuell erst die Metaanalyse bestellen muss. Ich kann aber vorerst einmal auf folgende Studien hinweisen:
http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/2156587216659400
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1550830716300799

Verschiedene andere randomisierte Studien werden hier aufgeführt:
http://stichting-eft.nl/wp-content/uploads/2017/10/Literatuurlijst-laatste-versie-25-oktober-2017.pdf

Ob sie qualitativ gut sind, sei dahingestellt; es ging ja darum erst einmal überhaupt eine Studie zu haben.     

Du sprichst im Zusammenhang mit meiner Argumentation von "haltlosen, kontraintuitiven und kontrafaktischen Spekulationen".

Leider sagst Du nicht, auf welche meiner Positionen diese Verdikte zutreffen sollen, oder warum. Ich würde Dir aber in einem Punkt recht geben: Die Erkenntnisse zur hohen Effektivität der Laientherapie oder zur geringen Bedeutung von unterschiedlichen Methoden sind kontraintuitiv. Das wird auch von  Psychotherapieforschern so gesehen. Christensen und Jacobon etwa schreiben zu den sehr guten Ergebnissen, die Laien erzielen:

"Theseare provocative findings for the psychotherapy community. As do other professionals, we assume that the effects of professional training and expenence are substantial. Years of study and training  should  dramatically alter a person's ability to conduct professional work. In most  professions, it would be ludicrous to compare a trained and an untrained person. It is hard to imagine a study companng trained and untrained surgeons, or trained and untrained electncians for that matter. Dead patients in the first instance or dead trainees in the second couldbe the unfortunate outcome. Not only  should we  expect significantly better outcomes for professionally trained therapists relative to nonprofessional  therapists, but the effect sizes should be substantial, and the differences clinically as well as statistically significant."
http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.469.4634&rep=rep1&type=pdf

Auch andere Erkenntnisse der Psychotherapieforschung sind kontraintuitiv – etwa die Tatsache, dass die therapeutische Erfahrung nach allen bisherigen Erkenntnissen bestenfalls sehr geringfügig mit der Effektivität eines Therapeuten zusammenhängt.

"Haltlos" sind diese Erkenntnisse jedoch nicht - und die Schlussfolgerungen, die ich daraus ziehe, sicher auch nicht.   

ZitatEs gibt keine Evidenz dafür, dass "Esoterik so gut ist wie professionelle Psychotherapie".

Keine direkte Evidenz vielleicht. Es gibt eine sehr gute Evidenz für folgende Behauptungen, die zusammengenommen meine These als äußerst plausibel erscheinen lassen:

- Alle möglichen psychotherapeutischen Techniken sind etwa gleich gut, auch wenn sie sehr verschieden sind und auf völlig unterschiedlichen Modell-Annahmen beruhen.
- Auch Techniken, die – wie jedenfalls von Kritikern der Psychoanalyse angenommen wird – auf unwissenschaftlichen Modellen beruhen, sind sehr effektiv.
- Unspezifische Wirkfaktoren sind sehr wichtig.
- Die Persönlichkeit des Therapeuten ist offenbar wichtiger als Ausbildung und Technik.
- Laien sind bei zahlreichen Problemen (mindestens) ähnlich gut wie Profis, mit oder ohne spezielle Technik.

Zusammengenommen spricht das dafür, dass auch eine Therapie mit esoterischem Hintergrund effektiv sein kann, wenn sie allgemeine Wirkfaktoren hinreichend beinhaltet (was typischerweise bei nahezu jeder Therapie der Fall ist). Wenn Du diese Schlussfolgerung – aus welchen Gründen auch immer - nicht als plausibel erachtest, dann ist das halt so. Es gibt dann halt mutmaßlich wohl irgendwelche merkwürdigen Mechanismen innerhalb esoterischer Therapien, die dafür sorgen, dass die unspezifischen Faktoren nicht mehr wirken, wie sie es sonst überall tun; oder Mechanisemn, die dazu führen, dass Laien auf einmal schlechter sind als Profis; oder Mechanismen für beides.  ;)

Zum Text von Kindermann würde ich Dir raten, ihn einfach nochmals sorgfältiger zu lesen. Du wirst dann entdecken, dass Deine Kritik ungerechtfertigt ist.   

Zu Timimi:

Sprechen wir hier nur mal über Schizophrenie und Neuroleptika – man könnte auch über Depressionen sprechen.

Die Langzeitprognose etwa der Schizophrernie ist in den Entwicklungsländern sehr viel besser als in der westlichen Welt, wie mehrere WHO-Studien festgestellt haben - oder sie war es jedenfalls vor der Verbreitung von Neuroleptika dort:

"In developing countries, the WHO researchers concluded, schizophrenia patients enjoyed 'an exceptionally good social outcome,' whereas living in a developed country was a "strong predictor" that a person would never fully recover."
https://www.psychologytoday.com/blog/mad-in-america/201005/schizophrenia-mystery-solved

Ein Grund dafür könnten die neurotoxischen Eigenschaften von Neuroleptika sein. Beispielsweise führen Neuroleptika zu einer progredienten Atrophie bestimmter Gehirnregionen (etwa des präfrontalen Cortex), wobei erst graue und dann weiße Substanz abgebaut wird. Diese Erkenntnis ist inzwischen auch im psychatrischen und ärztlichen Mainstream angekommen. Sie hat es sogar bis ins Deutsche Ärzteblatt geschafft:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/44617/Antipsychotika-lassen-das-Gehirn-schrumpfen

Auch in Tierversuchen zeigen Neuroleptika diesen ungünstigen neurotoxischen Effekt.
Die Atrophie von Gehirngewebe hängt mit der Dosis von Neuroleptika zusammen und hat offenbar sowohl auf positive wie auf negative Symptome wie auf andere wichtige Parameter Auswirkungen der Psychose Auswirkungen:
"Considering the contribution of antipsychotics to the changes in brain structure, which seem to depend on cumulative dosage and can exert adverse effects on neurocognition, negative and positive symptoms and psycho-social functioning, guidelines for antipsychotic long term treatment should be reconsidered."

https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0924933815300559

Zuvor hatte man angenommen, dass die Psychose selbst neurotoxisch sei. Tatsächlich aber hat der Verlust an Hirngewebe offenbar weder viel mit der Schwere der Schizophrenie noch mit Substanzmissbrauch zu tun, sondern geht vollständig oder zum allergrößten Teil auf die Neuroleptika zurück:
https://www.psychologytoday.com/blog/mad-in-america/201102/andreasen-drops-bombshell-antipsychotics-shrink-the-brain

Nancy Andreasen, eine prominente und orthodox biologisch orientierte Psychiateri,n war eine der ersten, die auf diese Zusammenhänge aufmerksam machte. Sie wartete erst mit ihren Entdeckungen, um sich sicher zu sein, sprach dann aber mit der New York Times:

"The big finding is that people with schizophrenia are losing brain tissue at a more rapid rate than healthy people of comparable age. Some are losing as much as 1 percent per year. That's an awful lot over an 18-year period. And then we're trying to figure out why. Another thing we've discovered is that the more drugs you've been given, the more brain tissue you lose...Well, what exactly do these drugs do? They block basal ganglia activity. The prefrontal cortex doesn't get the input it needs and is being shut down by drugs. That reduces the psychotic symptoms. It also causes the prefrontal cortex to slowly atrophy...The reason I sat on these findings for a couple of years was that I just wanted to be absolutely sure it was true. My biggest fear is that people who need the drugs will stop taking them."
http://www.nytimes.com/2008/09/16/health/research/16conv.html

Andere Schädigungen des Gehirns im Zusammenhang mit Neuroleptika laufen vermutlich über das dopaminerge System. Beispielsweise wurden in Gehirnen von Schizophrenen, die Nuroleptika nahmen, wesentlich mehr Dopamin-Rezeptoren gefunden; in manchen Fällen sind solche Änderungen womöglich nicht mehr reversibel. Psychopharmaka beseitigen nicht irgendwelche "Ungleichgewichte" im Gehirn – entsprechende Thesen sind führenden Psychiatern heutzutage geradezu peinlich, und sie sehen darin Strohmänner von Psychiatriekritikern (siehe etwa den Austausch zwischen Angell und ihren Kritikern). Vielmehr wirken Neuroleptika, indem Veränderungen im Gehirn herbeiführen. Angell beschreibt das so:

"With long-term use of psychoactive drugs, the result is, in the words of Steve Hyman, a former director of the NIMH and until recently provost of Harvard University, 'substantial and long-lasting alterations in neural function.' As quoted by Whitaker, the brain, Hyman wrote, begins to function in a manner 'qualitatively as well as quantitatively different from the normal state'."
http://www.nybooks.com/articles/2011/06/23/epidemic-mental-illness-why/

Man kann natürlich die Meinung vertreten, dass die Neuroleptika (und ihr dauerhafter Gebrauch) Vorteil haben, die ihre Nachteile aufwiegen (wie Andreasen das meint); die Studien, die für die Neuroleptika sprechen sollen, sind aber, was ihre Qualität angeht, sehr umstritten. Und selbst sie weisen darauf hin, dass man viele Schizophrene ohne Neuroleptika behandeln könnte. Projekte wie Soteria zeigen zudem, dass ein minimaler Einsatz von Neuroleptika – nur manche Psychotiker bekommen Neuroleptika, und möglichst kurz und wenig - bei gleichzeitiger intensiver psychosozialer Unterstützung (übrigens hauptsächlich durch Laien) mindestens so effektiv ist wie der konventionelle Einsatz von Neuroleptika.
https://de.wikipedia.org/wiki/Soteria

Das ist übrigens allgemein bekannt und anerkannt. Trotzdem wurde der Einsatz von Neuroleptika massiv ausgeweitet, auch für Probleme, die nichts mit Schizophrenie zu tun haben – und teilweise schon bei Kindern (und insbesondere in den USA). Um nochmals Angell zu zitieren:

"There seem to be fashions in childhood psychiatric diagnoses, with one disorder giving way to the next. At first, ADHD, manifested by hyperactivity, inattentiveness, and impulsivity usually in school-age children, was the fastest-growing diagnosis. But in the mid-1990s, two highly influential psychiatrists at the Massachusetts General Hospital proposed that many children with ADHD really had bipolar disorder that could sometimes be diagnosed as early as infancy. They proposed that the manic episodes characteristic of bipolar disorder in adults might be manifested in children as irritability. That gave rise to a flood of diagnoses of juvenile bipolar disorder. Eventually this created something of a backlash, and the DSM-V now proposes partly to replace the diagnosis with a brand-new one, called 'temper dysregulation disorder with dysphoria,' or TDD, which Allen Frances calls 'a new monster.'
...
In December 2006 a four-year-old child named Rebecca Riley died in a small town near Boston from a combination of Clonidine and Depakote, which she had been prescribed, along with Seroquel, to treat 'ADHD' and 'bipolar disorder'—diagnoses she received when she was two years old. Clonidine was approved by the FDA for treating high blood pressure. Depakote was approved for treating epilepsy and acute mania in bipolar disorder. Seroquel was approved for treating schizophrenia and acute mania. None of the three was approved to treat ADHD or for long-term use in bipolar disorder, and none was approved for children Rebecca's age. Rebecca's two older siblings had been given the same diagnoses and were each taking three psychoactive drugs.
...
Whether these drugs should ever have been prescribed for Rebecca in the first place is the crucial question. The FDA approves drugs only for specified uses, and it is illegal for companies to market them for any other purpose—that is, 'off-label.' Nevertheless, physicians are permitted to prescribe drugs for any reason they choose, and one of the most lucrative things drug companies can do is persuade physicians to prescribe drugs off-label, despite the law against it. In just the past four years, five firms have admitted to federal charges of illegally marketing psychoactive drugs. AstraZeneca marketed Seroquel off-label for children and the elderly (another vulnerable population, often administered antipsychotics in nursing homes); Pfizer faced similar charges for Geodon (an antipsychotic); Eli Lilly for Zyprexa (an antipsychotic); Bristol-Myers Squibb for Abilify (another antipsychotic); and Forest Labs for Celexa (an antidepressant).
Despite having to pay hundreds of millions of dollars to settle the charges, the companies have probably come out well ahead."

http://www.nybooks.com/articles/2011/07/14/illusions-of-psychiatry/

Friedman und Nierenberg beschrieben den Fall Rebecca in ihrer Antwort an Angell als "tragic anecdote". Angell antwortete:

"Friedman and Nierenberg refer to the death of Rebecca Riley, who was diagnosed with bipolar disorder as well as ADHD when she was just two years old, as a 'tragic anecdote.' While that is true, I believe it should also be seen in the context of the extraordinary epidemic of juvenile bipolar disease that was stimulated largely by the teachings of some of Dr. Nierenberg's colleagues at the Massachusetts General Hospital. Three of them were recently disciplined by the hospital for not having disclosed some of their hefty payments from drug companies."

Wenn man das alles im Hinterkopf behält – und vor allem die Tatsache, dass die Leute in der 3. Welt nach mehreren WHO-Studien einen sehr viel bsseren Verlauf der Schizophrenie hatten als wir im Westen -, dann darf man sich fragen, ob Timimis kritische Haltung zur Ausbreitung der westlichen Psychiatrie in jeden Teil der Welt wirklich so absurd ist. Man muss nicht seiner Meinung sein, könnte aber vielleicht anerkennen, dass er zumindest ernstzunehmende Argumente hat.   

Zu Deinen Ad-ominem-Attacken möchte ich mich nicht weiter äußern, noch will ich versuchen, in gleicher Münze zurückzuzahlen. Vielmehr hoffe ich, dass wir trotz aller Divergenzen zu einem sachlicheren Diskussionsstil zurückfinden können.

Peiresc

Zitat von: OTTOKAR am 22. Januar 2018, 04:11:37
Leider sagst Du nicht, auf welche meiner Positionen diese Verdikte zutreffen sollen, oder warum. 
Die Party ist vorbei.

Zitat von: OTTOKAR am 22. Januar 2018, 04:11:37
Diese Erkenntnis ist inzwischen auch im psychatrischen und ärztlichen Mainstream angekommen.
Falsch. Sie ist im psychiatrischen Mainstream entstanden. Schau Dir die Agenda jedes x-beliebigen größeren Psychiatrie-Kongresses der letzten Jahre an.

Zu Timimi:

Das Paradoxon ist, dass die Methodologie, mit der alle ernstzunehmenden Befunde erhoben wurden und werden, aus der Wissenschaft stammt.
ZitatDie Bourgeoisie liefert uns den Strick, an dem wir sie aufhängen werden.
- Lenin (unverbürgt)
Die richtige Antwort ist alltrials.net, nicht Naturopathy.

Abschließend noch zum antipsychiatrischen Scheiß:
ZitatDer Schutz von Freiheit und Eigentum vor all jenen, die diese Werte mißachten oder zerstören, sollte die Aufgabe von Richtern, Strafkammern und Gefängniswärtern, nicht von Psychiatern, Psychologen und Sozialarbeitern sein.
- Thomas Szasz, Grausames Mitleid, S. 292

Peiresc

Noch ein Nachtrag zu
Zitat von: Peiresc am 20. Januar 2018, 12:48:28überhaupt noch kein ausreichender Leitfaden, welche Art von Therapie präferiert werden sollte: hier ist beispielsweise ausschließlich von Effektstärke die Rede, aber nicht von Risiken und Nebenwirkungen, nicht von Dauer des Effekts usw.

Von der gleichen Autorengruppe gibt es eine aktuelle Übersicht zur Therapie von Angststörungen, die im Volltext verfügbar ist.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5573566/

ZitatTreatment of anxiety disorders.
Bandelow B1, Michaelis S1, Wedekind D1.
Dialogues Clin Neurosci. 2017 Jun;19(2):93-107.

The treatment recommendations given in this article are based on guidelines, meta-analyses, and systematic reviews of randomized controlled studies. Anxiety disorders should be treated with psychological therapy, pharmacotherapy, or a combination of both. Cognitive behavioral therapy can be regarded as the psychotherapy with the highest level of evidence. First-line drugs are the selective serotonin reuptake inhibitors and serotonin-norepinephrine reuptake inhibitors. Benzodiazepines are not recommended for routine use.

OTTOKAR

@ Peiresc:

Zu der von Dir zitierten Studie so viel: Es gibt weit mehr Untersuchungen zur Verhaltenstherapie als zu anderen Therapieformen. Insofern ist sie am besten "evidenzbasiert". Man kann daraus folgern, dass es vernünftig ist, dass es vernünftig ist, vor allem die VT einzusetzen. Denn auch ein geringer (möglicher Vorteil) ist ein Vorteil. Und je mehr Studien es gibt, desto eher ist man auf der sicheren Seite. Das ändert aber nichts daran, dass die verfügbare Evidenz deutlich dafür spricht, dass andere Therapien (wie etwa die psychodynamischen) zumindest ähnlich effektiv sind wie die VT, jedenfalls in den meisten Bereichen.

Man kann den Rat, die VT vorzuziehen, übrigens auch kritischer sehen. Weil in der Praxis eh nicht nach Protokoll vorgegangen wird und die meisten Kliniker mehrere Ansätze integrieren, steht es um die externe Validität solcher Studien vermutlich nicht sehr gut. Manche Kritiker machen auch geltend, dass manche Untersuchungen der VT so angelegt sind, dass sie diese vom Design her bevorzugen, und dass Unterschiede bei einem besseren Design verschwinden. Siehe etwa folgendes "Editorial" des American Journal of Psychiatry: 
https://ajp.psychiatryonline.org/doi/pdf/10.1176/appi.ajp.2013.13060839 

Im Übrigens sollte man solche Richtlinien auch nicht ganz ohne Vorsicht betrachten. Sie sind teils auch von berufspolitischen Interessen beeinflusst und können sich von Land zu Land unterscheiden. In Deutschland etwa ist man beim Einsatz von Antidpressiva bei leichten Depressionen deutlich zurückhaltender als in den USA - und das liegt sicher nicht daran, dass amerikanische und deutsche Experten jeweils andere Studien auf ihren Schreibtischen liegen hätten.

Du sprichst von "haltlosen, kontraintuitiven und kontrafaktischen Spekulationen". Besonders gravierend ist das "kontrafaktisch" - denn es legt nahe, dass erweislich falsch ist, was ich schreibe. Auf meine Rückfrage, worauf sich Deine Äußerungen genau beziehen, und wie Du zu ihnen kommst, antwortest Du:

ZitatDie Party ist vorbei.

Ich hatte ausführlich de Ergebnisse der Psychotherapieforschung (samt Quellenangaben) referiert und begründet, wieso sie zumindest indirekt meine Thesen sehr wahrscheinlich machen. Du hast hier logisch gesehen eigentlich nur drei Möglichkeiten:

- Du bestreitest, dass die hochgradig übereinstimmenden Ergebnisse der Psychotherapieforschung relevant sind.
- Du erklärst die Annahme für plauibel, dass die Prinzipien, die ansonsten für Laien und für psychotherapeutische Techniken aller Art gelten, wie durch Geisterhand verschwinden, wenn es um "Laien-Therapien" mit "esoterischem" Hintergrund geht.
- Du verweigerst eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser meiner Argumentation.

Welche Option Du wählst, bleibt natürlich Dir überlassen.

ZitatFalsch. Sie [die Erkenntnis, dass Neuroleptika neurotoxische Effekte haben] ist im psychiatrischen Mainstream entstanden.

Nein, kritische Experten wie Peter Breggin hatten bereits vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass Indizien vorliegen, die nahelegen, dass Neuroleptika neurotoxische Eigenschaften besitzen. Solche Stimmen wurden allerdings nicht ernst genommen.

Kritiker (wie (Whitaker) hatten übrigens auch schon länger darauf hingewiesen, dass die "neuen" Neuroleptika nicht wirklich besser sind als die alten; bis das dann im Mainstream angekommen ist, hat es auch gedauert. Der Lancet schireb 2009:

"As a group, [the atypicals] are no more efficacious,
do not improve specific symptoms, have no clearly
different side-effect profiles than the first-generation
antipsychotics, and are less cost-effective. The
spurious invention of the atypicals can now be
regarded as invention only, cleverly manipulated by
the drug industry for marketing purposes and only
now being exposed. But how is it that for nearly two
decades we have, as some have put it, 'been
beguiled' into thinking that they were superior?"


In seinem Nachwort zur überarbeiteten Auflage von "Mad in America"  merkt Whitaker dazu an:

"Readers of Mad in America back in 2002 could answer that last question. And it's fair to say that while Lancet wrote in 2009 that the 'spurious invention' of the atypicals was 'only now being exposed,' readers of Mad in America had been aware of this ,spurious invention' for many years."
   
Das heißt natürlich nicht, dass man Leuten wie etwa Whitaker oder Breggin alles unbesehen glauben sollte. Es wäre aber vielleicht ein Grund, ihre Kritik zumindest ernst zu nehmen.

ZitatDas Paradoxon ist, dass die Methodologie, mit der alle ernstzunehmenden Befunde erhoben wurden und werden, aus der Wissenschaft stammt.

Ich sehe hier kein Paradoxon, da Timimi sich ja nie gegen die wissenschaftliche Methodik ausgesprochen hat. Allerdings stellt er mit guten (im Sinne von: wissenschaftlichen) Gründen infrage, ob die derzeit vorherrschenden psychiatrischen Erklärungs- und Therapieansätze tatsächlich so wissenschaftlich und sinnvoll sind, wie oft angenommen wird – und ob ihre eins-zu eins Übertragung auf andere Gesellschaften (denen es psychisch bisher womöglich besser ging als uns) wirklich hilfreich ist. Das kann man sicher kritisch diskutieren; die Position als solche empfinde ich jedoch als legitimen Denkanstoß. Denn Timimi ha ja auch nichts dagegen, dass die "westliche" Psychiatrie auch Menschen in anderen Kulturen unterstützt – aber eben in einer vorsichtigen Weise, und mit Berücksichtigung der dort herrschenden kulturellen Vorstellungen:

"Wenn psychiatrische Versorgungseinrichtungen in nichtwestlichen Kontexten lokale Glaubenssysteme und Praktiken integrieren, könnte der 'Großhandelsexport' westlicher Psychiatrie gestoppt werden."

Die Idee, kulturelle und subjektive Bedingungen zu berücksichtigen, dürfte übrigens grundsätzlich vernünftig sein, jedenfalls unter bestimmten Bedingungen:

"Dissoziative Trance- und Besessenheitszustände und ihre exorzistische Behandlung werden in allen Epochen beschrieben. Kulturelle Heilungsriten und Behandlungsvorschläge sollten auch nicht zu schnell ad acta gelegt werden. Oft bleiben Heilungserfolge mit Medizin und Psychologie aus. In der Literatur findet sich beispielsweise der Fall eines 13-jährigen Yakima-Indianermädchens, das in einem Reservat im US-Staat Washington lebte. Die ausgeprägte Besessenheitssymptomatik war therapieresistent. Erst die Durchführung eines stammesüblichen Exorzismus-Rituals führte zur Heilung. In einem anderen Fall wurde ein schizophrener Patient von dämonischen Stimmen belästigt, die auch durch Neuroleptika nicht zum Verschwinden kamen. Erst ein kulturell orientierter Exorzismus brachte die Stimmen zum Verschwinden (Fiedler, 2001)."
http://sekten-info-nrw.de/index.php?option=com_content&task=view&id=121

Zu Szaz: Ich habe mich nicht nennenswert mit ihm beschäftigt, habe aber von dem, was ich mitbekommen habe, den Eindruck, dass seine Ansichten zu radikal sind. Die Autoren, die ich zustimmend genannt habe (etwa Whitaker und Gøtzsche) streiten keineswegs ab, dass es Menschen mit großen psychischen Problemen gibt, denen man helfen muss. Sie haben auch nicht prinzipiell etwas gegen Psychopharmaka, sondern meinen nur, dass diese wesentlich zu viel eingesetzt werden, und andere Formen der Behandlung zu kurz kommen. Insofern besteht hier so ein ganz radikaler Gegensatz gar nicht.   

Peiresc

Na gut, überredet.

Zitat von: OTTOKAR am 22. Januar 2018, 16:36:05Besonders gravierend ist das "kontrafaktisch"
Wenn ich alles in einen Topf werfe und kräftig umrühre, dann erzeuge ich Brei. Jede andere Annahme wäre weltfremd. Eine Medline-Suche mit den Suchbegriffen ,,efficacy" und ,,psychotherapy" mit den gesetzten Filtern ,,review" und ,,meta-analysis" erbringt >3800 Treffer. Auch wenn wir die Nieten abziehen: Es ist schon von vornherein ausgeschlossen, dass sie sämtlich behaupten ,,alle Psychotherapien sind gleich wirksam", noch zu schweigen von der These, dass alle gleich wirksam seien wie Laienintervention (man sollte da nicht von Therapie sprechen). So gut wie alle Arbeiten, ob sie Unterschiede feststellen oder nicht, vermerken gleichzeitig die niedrige Qualität oder die geringe Fallzahl oder sonstige Begrenzungen. Die Ernährungswissenschaften sind in einer ähnlichen Lage: auch da sind keine doppelblinden Studien möglich. Essen muss man trotzdem, und es gibt obskure genauso wie plausible Diätberatung. Und es gibt viele Erkenntnisse und instruktive Kasuistiken über gesundheitliche Folgen chronischer Fehlernährung, genauso wie über die Folgen skrupelloser esoterischer Abzocke.

Um zum formalen Aspekt zurückzukehren. Die Grawe-Metaanalyse z. B., die heftig Staub aufgewirbelt hat und die ich am Rande erwähnt habe (das war eine Falle  ;)), kennst Du entweder nicht oder Du kennst sie, aber ziehst es vor, sie zu ignorieren.
Vollkommen wahllos herausgegriffen z. B.
ZitatIn contrast to previous reviews, we found the evidence for the effectiveness of LTPP [long-term psychoanalytic psychotherapy] to be limited and at best conflicting.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22227111

There are small but reliable differences in efficacy between psychological interventions for psychosis, and they occur in a pattern consistent with the specific factors of particular interventions.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24525715

IPT may be superior to school counseling for adolescents with elevated interpersonal conflict, and to minimal controls for patients with severe depression. Cognitive-behavioral therapy may outpace IPT for patients with avoidant personality disorder symptoms.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28710917
etc etc. pp ad infinitum, ad libitum et ad nauseam.

Schon die Ausgangsbasis für Deine These ist kontrafaktisch und beruht auf selektiver Wahrnehmung.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich kann leider bei der Diskussion nicht zugegen sein, mein Zug fährt gleich.

Schwuppdiwupp

Dass du dieses ganze Blah-Blah-Bläh überhaupt so lange durchhalten konntest, nötigt mir beinahe Respekt ab. :2thumbs:
Ach, was weiß denn ich ...

OTTOKAR

@ Peiresc:

ZitatEine Medline-Suche mit den Suchbegriffen ,,efficacy" und ,,psychotherapy" mit den gesetzten Filtern ,,review" und ,,meta-analysis" erbringt >3800 Treffer. Auch wenn wir die Nieten abziehen: Es ist schon von vornherein ausgeschlossen, dass sie sämtlich behaupten ,,alle Psychotherapien sind gleich wirksam, noch zu schweigen von der These, dass alle gleich wirksam seien wie Laienintervention (man sollte da nicht von Therapie sprechen).

Dass all diese von Dir gefundenen Texte behaupten würden, dass alle Therapien gleich wirksam seien, sagt ja auch keiner.  :grins2:
Viele dieser Texte beschäftigen sich doch gar nicht mit einem Vergleich der Effektivität zwischen unterschiedlichen Therapien und/oder Profis und Laien und/oder Profis mit und ohne viel Ausbildung.

Meine Behauptungen waren vielmehr:
a) Nahezu alle Reviews oder Metaanalyen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen, kommen zum Schluss, dass die unterschiedlichen Therapien entweder gleich effektiv sind, oder dass die Unterschiede zumindest relativ gering sind.
b) Ebenso kommen (fast) alle Reviews oder Metaanalysen, die sich mit der entsprechenden Frage beschäftigen, zum Schluss, dass Laien (mindestens) vergleichbar effektiv sind wie Profis.

ZitatDie Ernährungswissenschaften sind in einer ähnlichen Lage: auch da sind keine doppelblinden Studien möglich.

Das stimmt, ist aber vor allem dort relevant, wo Psychotherapien mit Nicht-Behandlung verglichen werden.

ZitatSo gut wie alle Arbeiten, ob sie Unterschiede feststellen oder nicht, vermerken gleichzeitig die niedrige Qualität oder die geringe Fallzahl oder sonstige Begrenzungen.

Das stimmt häufig, aber nicht immer. Das "Editorial" des American Journal of Psychiatry zum Beispiel, das ich im letzten Beitrag verlinkt hatte, bewertete eine große Studie, die für die Effektivität psychodynamischer Methoden bei der Depression spricht, als methodisch überzeugend. Wenn außerdem die Studien mit begrenzter Qualität in ihrer großen Mehrheit miteinander übereinstimmen, dann spricht dies ebenfalls für die Validität des gemeinsamen Ergebnisses. Man müsste ansonsten annehmen, dass bestimmte Schwächen zu einer systematischen Verzerrung führen. Solche systematischen Faktoren gibt es – beispielsweise tendieren Studien (mit Design-Schwächen) dazu, jene Therapie als überlegen auszuweisen, die von den Forschern am meisten geschätzt wird. Solche Schwächen kann man aber deutlich vermindern - und man kann sie auch bei der Studien-Auswertung berücksichtigen (man kann abschätzen, wie stark solche Effekte sind):
http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.870.4669&rep=rep1&type=pdf

Zu Grawe: Die Studie, die Du vermutlich meinst,  ist von 1994. Als ich auf einige ältere Studien hingewiesen hatte, hattest Du erklärt:

ZitatDie jüngste Deiner Quellen ist 22 Jahre alt...Ältere Befunde sind nicht per se invalide, aber sie können auch nicht unbesehen hingenommen werden.

In diesem Fall ist das Alter durchaus relevant; denn während in meinem Fall neuere Studien die (diversen und übereinstimmenden) älteren Reviews, die ich aufgeführt hatte, bestätigen, gilt Entsprechendes im Hinblick auf die Grawe-Studie so nicht unbedingt. Inzwischen gibt etliche neuere Untersuchungen, die die Wirksamkeit psychodynamischer Therapien bestätigen (für ein Beispiel siehe meinen letzten Kommentar).   

Zudem wurde Kritik an der Grawe-Studie geäußert, die mir – ohne mich da nun eingearbeitet zu haben -, zumindest prima facie als plausibel erscheint:

"...Die problematische Stichprobenbildung in der Metaanalyse von Grawe und Mitarbeitern zeigt sich darin, daß sie erwähnen, lediglich 12 Studien lägen zur psychoanalytisch orientierten Psychotherapie vor. In vier dieser Studien wurden schizophrene Patienten therapiert. In einer weiteren Studie wird eine nicht psychotische Gruppe gegen eine chronisch- bzw. akut-psychotische Patientengruppe getestet. Diese 5 Studien werden von Grawe und Mitarbeitern kommentarlos angeführt, so als ob tatsächlich chronische Schizophrenien regelhaft mit Hilfe psychoanalytischer Verfahren therapiert würden..."
http://www.drkupper.de/pdf/these-grawe.pdf

Zu den von Dir verlinkten Zusammenfassungen:

Link 1:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22227111

Der von Dir zitierte Satz lautet:

"In contrast to previous reviews, we found the evidence for the effectiveness of LTPP [long-term psychoanalytic psychotherapy] to be limited and at best conflicting."

Dieser Satz besagt etwas (Kritisches) über die "absolute" Effektivität der LTPP. Er sagt aber nichts über die "relative" Effektivität der LTPP (ihrer Effektivität im Vergleich zu anderen Therapieformen). Er impliziert nicht, dass die LTPP ineffektiver als andere Formen der Psychotherapie gewesen wäre. Soweit ein Vergleich stattfand, impliziert er laut den Autoren eher, dass die LTPP nicht schlechter war als andere Verfahren:

"A subgroup analysis of the domain target problem showed that LTPP did significantly better when compared to control treatments without a specialized psychotherapy component, but not when compared to various specialized psychotherapy control treatments." 

(Ich würde übrigens vermuten, dass bei den "various specialized psychotherapy control treatments" auch ein VT-Verfahren dabei war, da VT-Verfahren als Standard-Verfahren sehr verbreitet sind; ich gebe aber zu, dass das Spekulation ist.)

Link 2:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24525715

Die Autoren kommen zum Schluss:

"There are small but reliable differences in efficacy between psychological interventions for psychosis, and they occur in a pattern consistent with the specific factors of particular interventions."

Das widerspricht nicht meiner These, dass laut der großen Mehrheit der relevanten Studien keine oder höchstens geringe Unterschiede im Hinblick auf die Effektivität von Psychotherapien bestehen. Der Satz bestätigt meine These vielmehr.

Link 3:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28710917

Nirgendwo finde ich einen Hinweis darauf, dass die interpersonelle Therapien erheblich (im Gegensatz zu: geringfügig) ineffektiver wäre als etwa die Verhaltenstherapie. Alles, was ich finde, ist dieser Satz:

"Cognitive-behavioral therapy may outpace IPT for patients with avoidant personality disorder symptoms."

Abgesehen davon, dass diese Überlegenheit hier allein als Möglichkeit dargestellt wird, wird nichts über die Größe oder klinische Bedeutung des möglichen Unterschieds ausgesagt. Zudem scheint diese Studie - auch für die Verhältnisse der Psychotherapieforschung - mit besonders vielen methodischen Problemen verbunden zu sein:

"The included studies suffered from several limitations and high risk of Type I and II error. Obstacles that may explain the difficulty in identifying consistent moderators, including low statistical power and heterogeneity in samples and treatments, are discussed. Possible remedies include within-subjects designs, manipulation of single treatment ingredients, and strategies for increasing power such as improving measurement."

Keine der Zusammenfassungen behauptet oder suggeriert, dass die VT anderen Psychotherapien bedeutend überlegen sei; und die zweite Zusammenfassung spricht sogar eher für die gegenteilige These.   

Abgesehen davon kann man sich ohnehin fragen, ob es sinnvoll ist, wenn wir in unserer Diskussion auf Einzelstudien rekurriert. Denn für jede Einzelstudie, die suggeriert, dass die Verhaltenstherapie anderen Therapien (moderat) überlegen ist, könnte man mit einer Einzelstudie antworten, die keine Unterschiede findet.
Siehe etwa:
https://bmcpsychiatry.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12888-017-1370-7

Und so könnten wir das immer weiter fortführen. Das wäre dann wirklich "ad nauseam".
Sinnvoller wäre daher hier wohl der Blick auf Reviews und Metaanalysen. In diesem Kontext hatte ich bereits früher auf eine Zusammenfassung von Wampold, einem führenden Experten auf dem Feld der Psychotherapieforschung, hingewiesen:

"The question of whether some treatments are superior to others has long been debated, with origins at the very beginning of the practice of psychotherapy...Today, there are claims that some treatments, in general or for specific disorders, are more effective than others. Others, however, claim that there are no differences among psychotherapies, in terms of their outcomes. The literature addressing this issue is immense and summarizing the results of relative efficacy is not possible. Nevertheless, the various meta-analyses for psychotherapies in general or for specific disorders, if they do find differences among various types of treatment, typically find at most differences of approximately d=0.20, the value shown in Figure 1."
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4592639/

Ein "d" von 0.20 wird allgemein als gering betrachtet:
https://de.wikipedia.org/wiki/Effektst%C3%A4rke#Cohens_d   

Andere Quellen besagen dasselbe wie Wampold. Das Oxford Textbook of Psychotherapy etwa spricht von "the general finding of only reletively small differences between treatments with respect to several outcome criteria"  (Google-Vorschau, S. 455) .

Es ist also zwar umstritten, ob alle Psychotherapien gleich effektiv sind; dass sie im Allgemeinen aber zumindest ähnlich effektiv sind, schient nicht sonderlich kontrovers zu sein.
Und mehr, als dass sie im Allgemeinen - mindestens - ähnlich sind, habe ich auch nie behauptet. Und mehr "muss" ich (diesbezüglich) ja auch gar nicht behaupten, um meine These zu untermauern, dass eine "esoterische Laientherapie", die die typischen unspezifischen Wirkfaktoren beinhaltet, durchaus vergleichbar effektiv sein kann wie eine professionelle Standardtherapie.

Studien, die untersuchen, welche Faktoren der Psychotherapie welchen Anteil an der Varianz der Ergebnisse erklären, sprechen übrigens ebenfalls dafür, dass die Therapiemethode nur eine ziemlich untergeordnete Rolle spielt. Ich hatte bereits entsprechend Timimi zitiert; aber den magst Du ja nicht, und so wollen wir mal nach einer anderen Quelle suchen.  ;)
Schauen wir also mal, was die American Psychological Association, der weltweit größte Psychologen-Verband, dazu zu sagen hat:

"The Task Force findings bolster an accumulation of research over the past twenty years showing that our focus on technique in psychotherapy is misplaced. The psychotherapy outcome research has shown that specific technique accounts for only 1% of outcome variance in treatment (Asay & Lambert, 2008; Wampold & Bhati, 2004). Various studies have revealed  that the relationship between client and therapist is an important predictor of outcome (Bachelor & Horvath, 2008; Horvath & Bedi, 2002; Krupnick, et al., 1996). However, although the therapeutic alliance is an important predictor of outcome, it only accounts for about 7% of outcome variation. About 87% of outcome variability is related to extratherapeutic-client factors—unique aspects of each client and his or her environment—about which little is known (Wampold, 2001)."
http://www.apadivisions.org/division-31/publications/articles/british-columbia/beihl-hans.pdf

Die American Psychological Association schreibt dann weiter im Text :

"A growing body of research indicates that all bona fide psychological approaches are comparable in effectiveness (Asay & Lambert, 2008; Beutler, 2009; Wampold, Imel, & Miller, 2009). Equality in treatment effectiveness has been found for PTSD (Benish, Imel, & Wampold, 2008), depression (Wampold, Minami, Baskin, & Tierney, 2002), and substance abuse problems (Imel, Wampold, Miller, & Fleming, 2008). The evidence for robust differences in the effectiveness of different models of treatments does not exist. Dismantling studies have shown that specific ingredients are not necessary for treatment effectiveness. In short, a convergence of findings shows that technique is not the powerful tool we once thought it to be...When we realize that technique is of relatively little importance per se in treatment outcome, and that therapeutic alliance, allegiance, and extratherapeutic-client factors account for the larger proportion of outcome variance in treatment, we come to a more realistic, humbling perspective of our role."

@ Schwuppdiwupp:

Wie wäre es denn, wenn Du Dich einfach mal in der Sache äußern würdest? Und zwar nicht mit reinen Behauptungen, und mit methodisch sehr schwachen und intersubkjektiv nicht nachvollziehbaren Argumenten? Sondern mit Beiträgen, mit denen man sich sinnvoll inhaltlich auseinandersetzen kann? Jeder andere, der in diesem Thread geschrieben hat, hat das geleistet; ich bin sicher, dass Du das auch kannst.   
       

deus ex machina

Und nach diesem weiteren Prachtexemplar für dodging the question machen wir nun das Licht aus. Guten Heimweg allen!