Diesem Wahlspruch folgend leiste ich mir bei Psiram noch ein paar renitente Schlussbemerkungen:
Es gibt Probleme, die nicht wirklich Probleme sind, sondern normale Erscheinungen, wie etwa der biologische Lebensbogen – es gibt Probleme, die sich nicht ändern lassen, wie etwa die Tatsache, dass es hier im Winter kalt wird – es gibt Probleme, die nur nicht gelöst werden, weil der Mensch sie ignoriert, wie etwa die Vervierfachung der Weltbevölkerung in den letzten 100 Jahren und die Gefährdung der Natur – es gibt Probleme, die den Menschen fälschlich als lösbar vermittelt werden, wie etwa die Volksgesundheit – es gibt Probleme, die systematisch verschwiegen werden, wie etwa der natürliche Anspruch des Menschen auf Erfüllung seiner wahren Bedürfnisse.
Viele Probleme erwachsen in ihrer Formulierung als Gegenreaktionen auf anfänglich konsensuale Sachverhalte. Zum Beispiel war noch vor 50 Jahren der Klimawandel praktisch unbekannt, er ist ein „sehr junges“ Problem, doch mit seiner Ausbreitung im Massenbewusstsein kam es schnell zu einer Lagerbildung in Bejaher und Ablehner. Das überrascht nicht, weil Denken gleichzeitig dualistisch und antagonistisch angelegt ist. In Rede und Gegenrede formt sich die kollektive Meinungsbildung vermeintlich ideal. Individuell macht das Prinzip die meisten Menschen zu Trivialdialektikern, was allerdings leicht in einen pauschalen Hang zur Infragestellung von allem Möglichen ausarten kann. Die Tendenz, ein Problem sofort zu polarisieren anstatt sich in ihm zu orientieren, führt oft zu dem Fehlschluss, es so am effektivsten einer Lösung näher zu bringen. Wenn aber das „Lass uns darüber reden“ zum „Lass uns alles zerreden“ wird, dann ist nichts gewonnen, und die Menschen werden erst recht konfus.
Wer versteht die Klimaproblematik umfassend? 200 Professoren? - dazu 2.000 Studenten? - weltweit vielleicht 20.000 Fachleute? Vermutlich sind es eher weniger. Der Rest der Menschheit kann bei dem Problem nicht seriös mitreden, oder nur unter der Voraussetzung, dass es allgemein verständlich aufbereitet wurde. Doch schon die Aufbereitung birgt neue Konflikte in sich, die Wissenschaftler fangen an zu streiten und sprechen sich gegenseitig die Kompetenz ab, es kommt zu einem Tohuwabohu, und am Ende steht der schlichte Zeitgenosse ohne blassen Schimmer da.
Wie war das noch genau mit dem Euro?... ich meine, mit diesen Rettungsschirmen, mit dem ESM, mit der EFSF, mit der Transferunion, mit der EZB, mit dem IWF, mit den Haircuts und neuerdings mit den Sixpacks? Wie gut, dass Sie über alles Bescheid wissen, auch über die verschiedenen Geldmengen, über die volkswirtschaftlichen Bilanzen und so weiter - ich muss da passen, obwohl mir das Börsenparkett von früher noch vertraut ist. Wer mit Derivaten handelt, ist deshalb noch kein menschliches Derivat, und ein freundlicher Vermögensberater der norddeutschen Fensterbank bleibt ein ehrbarer Bürger, selbst wenn er einem Normalverdiener eine Viertelmillion Kredit aufschwatzt, für ein Eigenheim, für das er schließlich eine halbe Million bezahlen muss.
Wenn die Menschen nicht mehr mithalten können, dann muss das was sie immer schneller und weiter überholt langsamer werden oder im Extremfall sogar anhalten, es muss sich ihnen jedenfalls auf eine geeignete Weise anpassen – die Priorität ist eindeutig, denn wem käme sonst das Überholen zugute? Die Naturwissenschaften bleiben fraglos faszinierend, doch man darf über ihre folgenreiche Zwiespältigkeit nicht hinweg sehen: Sie sind nicht nur ein Raum der Wissenserweiterung, nicht nur ein Motor des Fortschritts, sie sind auch eine Maschinerie zur Entwertung des Menschen, die umso bedenkenloser zum Einsatz kommt, je mehr Menschen existieren.
Die Menschheitsbeglücker und Weltordnungsverwurster kennen ihre Feinde, allerdings meist nur vom Hörensagen – da wäre zunächst der Kapitalismus, der kaum ein fassbares Feindbild abgeben kann, weil er ein kompliziertes System von Rahmenbedingungen darstellt, vor allem ökonomische, aber auch allgemein gesellschaftliche und historische. Gleich hinter der Struktur des Kapitalismus rangieren seine große Eigendynamik und sein außerordentliches Beharrungsvermögen, von dem auch perspektivisch auszugehen ist. Den Kapitalismus kann man nur nachhaltig modifizieren - ihn zu eliminieren, entspricht einem Wunschtraum, der bereits bei dem Versuch seiner Verwirklichung in einem Albtraum enden würde. Viele, besonders die jungen Kapitalismuskritiker wissen nicht um den apersonalen Charakter des Kapitalismus, sie erahnen ihn jedoch, sie fürchten sich geradezu davor und nehmen deshalb Zuflucht zu geheimen Zirkeln, in denen sich die Verantwortlichen für das kapitalistische System angeblich verbergen – natürlich sind da die Rothschilds, die Rockefellers und wie sie alle heißen, natürlich spuken die Illuminaten, die Freimaurer und Endzeitversessene herum, natürlich gibt es geschäftstüchtige Juden, so wie es geschäftstüchtige Deutsche, Russen, Araber, Argentinier und Chinesen gibt... aber sie alle sind Profiteure des Systems, und nicht seine Konstrukteure oder gar seine okkulten Bewahrer. Auch die berüchtigte Federal Reserve Bank allein ist weit davon entfernt, eine Art Garant des Kapitalismus zu sein, selbst der Dollar kann diese Garantie als Leitwährung nicht leisten, nicht einmal im Ansatz, das wäre eine naive Illusion. Man muss also mit dem Kapitalismus leben – wie, das ist eine andere Frage.
Doch Kapitalismus muss nicht zwangsweise Imperialismus und globale ökonomische Quasi-Anarchie bedeuten – das was die Angloamerikaner zusammen mit den folgsamen Europäern da gegenwärtig betreiben zeichnet sich hauptsächlich durch Planlosigkeit und durch Aggressivität aus. So schafft man weder ein bessere Welt noch löst man Probleme. Diese Erkenntnis führt – leider – direkt zu 9/11: Verschwörungstheorien hin oder her, egal ob Truther oder Debunker: Die Anschläge sind ein Pfahl im Fleische der USA. Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass der internationale Ruf der Vereinigten Staaten heute so schlecht ist wie noch nie zuvor – und der zentrale Ausgangspunkt dieses fatalen Imageverfalls war der 11. September 2001. Von diesem Tag an ging es steil bergab. Da Amerikaner müssen sich besinnen, um wieder Anerkennung zurück zu gewinnen, sie brauchen dafür eine Zäsur in ihrem Denken, Drohnen helfen überhaupt nicht weiter.