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Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Thema gestartet von: G5 am 25. August 2012, 17:51:08

Titel: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: G5 am 25. August 2012, 17:51:08
Hallo alle zusammen

Was hat es mit folgendem Artikel bei Welt Online aufsich ( http://www.welt.de/kultur/history/article108335884/Die-grossen-Aufklaerer-waren-oft-Judenhasser.html )?

Hier wird davon gesprochen, dass Leute, wie H.G. Wells, Voltaire und auch Kant mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen sind. Dabei werden auch einige Zitate von diesen Leuten gebracht.

Was haltet ihr von diesem Artikel? Was hat es mit den Aussagen dieses Artikels aufsich?
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Onkel Heinz am 25. August 2012, 17:57:31
Hintergrund scheint wohl die Beschneidungsdebatte zu sein, nach bewährter Springer-Manier...
ZitatSolange die Aufklärer sich über ihren eigenen Antisemitismus nicht aufklären lassen wollen, sind sie als Gesprächspartner in der öffentlichen Debatte kaum ernst zu nehmen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 25. August 2012, 18:45:35
Große Weltaufklärer waren auch sehr oft Juden. Es ist völlig dämlich. Menschen sind Menschen. Unterscheiden mögen sie sich durch Intelligenz und Fähgkeiten, und wenn sie etwas weniger wie erwartet von beidem haben, sind sie immer noch Menschen, die man lieb haben oder zum Teufel jagen kann.

Das Problem ist doch dieses bescheuerte Kategorisieren an Stellen, wo es völlig idiotisch wird. Ist ein anatolischer Eselskarrenführer intelligenter als ein Kaptitän auf dem Great Lake, dessen Schiff in einem Sturm untergeht?

Schubladen zu benutzen ist eine denkökönomische Wirklichkeit, aber sie falsch zu nutzen, das zeichnet den echten Idioten aus.

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Onkel Heinz am 25. August 2012, 19:23:13
Zitat von: Dr. Ici Wenn am 25. August 2012, 18:45:35
Schubladen zu benutzen ist eine denkökönomische Wirklichkeit, aber sie falsch zu nutzen, das zeichnet den echten Idioten aus.
Schön gesagt.

Dieser ganze Welt-Artikel ist ein einziges ad-hominem gegen die Aufklärung (dort vs. Religion) ... die Stoßrichtung ist klar.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Volvox am 25. August 2012, 19:29:04
Ich habe schon einen Vorschlag für einen neuen Artikel:
"Die großen Gegner der Aufklärung waren Judenhasser
Die Tradition des Antisemitismus reicht bis in die Anfänge des Christentums zurück.
"
;)

Abgesehen von einem polemischen argumentum ad absurdum, lässt sich auch noch der Vorwurf des "cherry picking" ins Feld führen. David Hume war beispielsweise auch für die Aufklärung wichtig, wird aber in dem Artikel nicht erwähnt (er hatte ja auch nichts gegen Juden). Erwähnt wird auch nicht Jean-Jacques Rousseau (er hatte ebenfalls nichts gegen Juden).
Aber auch Hitler in diesem Artikel zu erwähnen, impliziert, dass er als Aufklärer bezeichnet werden könne. Dies scheint allerdings im Angesicht der Bücherverbrennungen etc. etwas abwegig zu sein.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Onkel Heinz am 25. August 2012, 19:44:28
Ja, das ist wirklich eine krude Mischung: Wells, Voltaire, Kant, Hitchens, Stalin, Hitler... und am Schluss noch Reich-Ranicki über den Holocaust.

Vielleicht haben seine Experimente damit zu tun:
Zitat"Ich habe mehrere Wochen so verzeifelte wie vergebliche Versuche unternommen, mit dem Denken aufzuhören. Einmal habe ich geschlagene neun Wochen lang nichts gedacht - und ich ging, bildlich gesprochen, immer noch die Wände hoch."
http://de.wikiquote.org/wiki/Hannes_Stein
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 07:18:27
Ich meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen. Auch Spinoza und Moses Mendelssohn und Lessing gehören zu ihr. Wenn man ,,den Aufklärern" Antisemitismus unterstellt, dann kann man das auch bei Shakespeare tun. Der große Pierre Bayle  ;) hat nachgewiesen, dass König David, dieser heilige Monarch, nach allen menschlichen Begriffen zutiefst unmoralisch gehandelt hat; war Bayle also Antisemit?

Hitchens ist antireligiös, aber definitiv nicht antisemitisch. Das Schema ist nicht neu: der katholische Publizist Alexander Kissler hat 2008 Richard Dawkins als ,,antisemitisch" denunziert, wofür er von kamenin in dessem blog elegant zerlegt worden ist (leider heute nicht mehr online). Auch bei Schmidt-Salomon's atheistischen "Drei kleinen Ferkelchen" hat man den absurden, unehrlichen Versuch unternommen, sie mit dem Antisemitismus-Vorwurf juristisch zu erledigen.

Wirklicher Antisemitismus ist in der Gegenaufklärung viel verbreiteter, gar nicht zu reden von Papst Paul IV (Erfinder des Römischen Ghettos) oder Martin Luther.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16
Ich denke, wir sind alle angehalten, unsere Stereotypien kritisch zu hinterfragen.

Luther auf seinen antisemitischen "Sündenfall" zu reduzieren und alles unter den Tisch fallen zu lassen, was er innerhalb des allgegenwärtig dominanten starren religiösen Systems seiner Zeit an elementaren Neuerungen gebracht hat

- nicht zuletzt den Primat der eigenen Gewissensentscheidung gegenüber dem kirchlichen Dogma und die Möglichkeit für jeden Interessierten, die biblischen Texte endlich ohne Bevormundung durch Geistliche selbst lesen zu können, um sich ein eigenes Urteil zu bilden -

ist genau so einseitig und falsch wie der Grundtenor dieses Zeitungsartikels.

BTW:

Zitat
Der große Pierre Bayle  ;) hat nachgewiesen, dass König David, dieser heilige Monarch, nach allen menschlichen Begriffen zutiefst unmoralisch gehandelt hat; war Bayle also Antisemit?

Das zeugt von unzureichender Kenntnis biblischer Texte, die keineswegs über "heilige" Menschen berichten bzw diese gar mit einem Nimbus umgeben wollen, sondern im Gegenteil die Irrungen und Wirrungen sterblicher und fehlbarer Menschen oft sehr schonungslos beschreiben, allen voran David (der einem seiner zuverlässigsten Offiziere nicht nur die Frau ausspannte, sondern diesen selbst in vorderster Reihe an die Front schickte, um ihn loszuwerden...), was ihm dann von seinem  "Persönlichen Berater" Samuel auch ohne Beschönigung ins Gesicht gesagt wird.

ZitatIch meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen.

Entnimmst du das diesem Artikel?

Ich finde ihn zwar unpassend, weil er unnötig polarisiert, insbesondere die Headline, habe den Autor aber eher so verstanden, dass er einer allzu enthusiastischen undifferenzierten Sicht auf Protagonisten der Aufklärung mal etwas Kritisches entgegen setzen wollte und sich dabei total vergaloppiert hat.

Es ist völlig deplaziert und unseriös, geradezu konfus, hier ausgerechnet Stalin und Hitler einzureihen.  :o

Zu Jean-Jaques Rousseau: ob ich den a priori unter "Protagonist der Aufklärung" verbuchen würde? - Eher nein.
Gerade er ist  (unabhängig von dieser Antisemitismus-Frage) ein Beispiel dafür, dass humane, fortschrittliche Ideen (Naturrecht; Gleichheit der Menschen) oft leider gemeinsam mit tendenziell problematischen Ansätzen oder Charakterzügen vorliegen können:

sein "Zurück zur Natur" ist letztlich fortschritts-und entwicklungsfeindlich und wirkt im Rückblick doch recht verstiegen - heutzutage würden sich "schulmedizin"- und  technikfeindliche Alternative aller Couleur, Schamanen, Urköstler etc gut auf ihn beziehen können. Sabine Pauls PaläoPower zum Beispiel geht auch in diese Richtung.

http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Jacques_Rousseau

Um den kritisierten oder auch geschätzten Protagonisten tatsächlich gerecht zu werden, sollte man sich daher umfassend über ihr Leben und Werk informieren, statt ungeprüft Stereotypien zu übernehmen - das ist mein Fazit, auch für mich selbst, aus einem solchen grottigen Artikel.



Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ratiomania am 26. August 2012, 11:31:09

ZitatSelbstverständlich tut Harris mit dem nächsten Atemzug just das, was er gerade eben noch für "beinahe unmöglich" erklärt hatte: Er macht die Juden für ihr Unglück selbst verantwortlich. Der Grund ihres Leidens sei nämlich "ihre Weigerung, sich zu assimilieren, ihre Insularität und das Bekenntnis zur Überlegenheit ihrer religiösen Kultur — also der Inhalt ihres eigenen sektiererischen Glaubens".

Blaming the victim. Toll Sam Harris!  >:(

Vorallem weil das alles ihr gutes Recht als was auch imer für verstandene Gemeinschaft war und ist.

Zitat
Und gerade Gläubige haben eigentlich jeden Grund, für die Existenz von gottlosen Menschen dankbar zu sein. Schließlich hilft der Atheismus ihnen, im freundschaftlichen Streit ihre Argumente zu schärfen.

Genau. Schade nur, dass es keine Religionsparodien geben kann. Schärfer als die Argumente für Pastafarianismus können die nämlich nicht werden.  ::)

ZitatSolange die Aufklärer sich über ihren eigenen Antisemitismus nicht aufklären lassen wollen, sind sie als Gesprächspartner in der öffentlichen Debatte kaum ernst zu nehmen.

Aber gerne, her damit! Bisher hält man sich ja mim aufklären über meinen versteckten Antisemitismus sehr zurück!

ZitatDie Tradition der Aufklärung dagegen gilt immer noch als weitgehend unschuldig — wie zuletzt etwa in der deutschen "Beschneidungsdebatte" deutlich wurde (in der schrille judenfeindliche Töne gar nicht zu überhören waren).

Mit Sätzen wie diesen OHNE konkretes Beispiel? Soll ich Ratemal-mit-Rosenthal spielen?
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 11:36:47
@P. Stibbons

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16
Luther auf seinen antisemitischen "Sündenfall" zu reduzieren und alles unter den Tisch fallen zu lassen, was er innerhalb des allgegenwärtig dominanten starren religiösen Systems seiner Zeit an elementaren Neuerungen gebracht hat

Mir geht es nicht um Luther, sondern darum, dass der Antisemitismus-Vorwurf instrumentalisiert wird. Natürlich, ohne Luther hätte es wohl keine Aufklärung gegeben.

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16

Zitat
Der große Pierre Bayle  ;) hat nachgewiesen, dass König David, dieser heilige Monarch, nach allen menschlichen Begriffen zutiefst unmoralisch gehandelt hat; war Bayle also Antisemit?

Das zeugt von unzureichender Kenntnis biblischer Texte, die keineswegs über "heilige" Menschen berichten bzw diese gar mit einem Nimbus umgeben wollen, sondern im Gegenteil die Irrungen und Wirrungen sterblicher und fehlbarer Menschen oft sehr schonungslos beschreiben, allen voran David (der einem seiner zuverlässigsten Offiziere nicht nur die Frau ausspannte, sondern diesen selbst in vorderster Reihe an die Front schickte, um ihn loszuwerden...), was ihm dann von seinem  "Persönlichen Berater" Samuel auch ohne Beschönigung ins Gesicht gesagt wird.

Nein, das ist eine heutige Reformtheologie, die erst durch und nach Bayle möglich geworden ist. David ist natürlich in höchstem Maße gottgefällig; der "heilige Monarch" ist ein Zitat aus Bayle. Er ist der allerletzte, dem man böswillige Verzerrung kritisierter Ansichten oder Unkenntnis von Quellen vorwerfen könnte: "his erudition was second to none in his, or perhaps any, period", sagt die Stanford Encyclopedia of Philosophy.

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16

ZitatIch meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen.

Entnimmst du das diesem Artikel?

Nein, natürlich nicht, das ist meine Interpretation, die sich auf analoge Debatten und auch auf die vermutete Zielrichtung (Beschneidungsproblem) stützt. Die Erwähnung von Hitler und Stalin ist doch nicht zufällig oder aus Achtlosigkeit geschehen. Im Übrigen bin ich weitgehend mit Deinem Posting einverstanden, außer dass ich die Berufung auf das Naturrecht nicht für einen Fortschritt halte.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 26. August 2012, 11:43:00
Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 08:36:16

Zu Jean-Jaques Rousseau: ob ich den a priori unter "Protagonist der Aufklärung" verbuchen würde? - Eher nein.

Gewiss nicht. Man gucke die Auseinandersetzung mit Voltaire an. An Russeau leiden wir gerade aktuell mit seiner Bambifizierung der Natur.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 11:45:59
ZitatNein, das ist eine heutige Reformtheologie,

Nein, sondern die von dir beschriebene Auffassung ist eine klassische , von wem auch immer überlieferte Fehlinterpretation.
Dazu müsstest du dir aber die Mühe machen, die AT-Texte selbst zu lesen, um zu erkennen, dass dort alles sehr drastisch und schonungslos beschrieben wird.
Zitat
Nein, das ist eine heutige Reformtheologie, die erst durch und nach Bayle möglich geworden ist. David ist natürlich in höchstem Maße gottgefällig; der "heilige Monarch" ist ein Zitat aus Bayle. Er ist der allerletzte, dem man böswillige Verzerrung kritisierter Ansichten oder Unkenntnis von Quellen vorwerfen könnte: "his erudition was second to none in his, or perhaps any, period", sagt die Stanford Encyclopedia of Philosophy.

Bayle ist bestenfalls Sekundärliteratur - er sollte wenigstens angegeben haben, auf welche Quelle er sich beruft...

Nach AT-Überlieferung geht der 51. Psalm auf den Vorfall zurück:

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/psalm/51/

1 Ein Psalm Davids, vorzusingen; 2 da der Prophet Nathan zu ihm kam, als er war zu Bath-Seba eingegangen. (2. Samuel 12.1)

Die angegebene Referenz ist

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/2_samuel/12/#1

Ich muss mich in diesem Punkt korrigieren: der Berater war nicht Samuel, sondern der Prophet Nathan.

So viel vielleicht noch:

"heilig" bedeutete nach ursprünglichen jüdisch-christlichen Verständnis nicht "sündlos", sondern eher so etwas wie "für Gott ausgesondert"; eine Sprachwurzel im germanischen Sprachraum ist hier: "heil gemacht"; whole = "ganz"  -> also eher "gerechtfertigt" als "von sich aus gerecht"

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ratiomania am 26. August 2012, 12:55:59
Zitat von: Ratiomania am 26. August 2012, 11:31:09


ZitatSolange die Aufklärer sich über ihren eigenen Antisemitismus nicht aufklären lassen wollen, sind sie als Gesprächspartner in der öffentlichen Debatte kaum ernst zu nehmen.

Aber gerne, her damit! Bisher hält man sich ja mim aufklären über meinen versteckten Antisemitismus sehr zurück!


Meine Suche, nach Google-Treffern:

ZitatSolche Mahnungen zur Versachlichung erscheinen dringend geboten, denn es wird immer deutlicher, welch gefährliche Gräben die Kontroverse um die Beschneidung aufreißt. Der Hofer Rabbiner Goldberg bezeichnete die Vorgänge in Deutschland in Interviews mit mehreren israelischen Medien als "klar antisemitisch". Er berichtet von Anrufen und E-Mails, in denen die Beschneidung als primitiv geschmäht werde und man ihn auffordere, das Land zu verlassen. Die Anklage gegen ihn "versetze Deutschland zurück in die dunklen Tage", glaubt er.

Q: http://www.sueddeutsche.de/politik/beschneidungsdebatte-in-israel-streit-um-ein-goettliches-gebot-1.1449976

Ja, genau, wenn Antisemiten Hass-Mails an den Rabbi schicken, dann müssen alle anderen die gegen Beschneidung sind auch antisemitisch sein >.<#. Genial.

(Ja ich weiß, dass es keine eindeutige Begründung für seine Aussage)

Danach die Reaktion auf den Ethikrat, dem ich murrend zustimme, da besser als nix:

ZitatRabbi Lau erklärte dazu bereits: "Wir brauchen von ihnen keine Lizenz, um wie Juden zu leben". Vielleicht aber, so folgert er, habe all das auch sein Gutes, "wenn die Juden dort verstehen, dass sie dort nicht hingehören".
Q: http://www.sueddeutsche.de/politik/beschneidungsdebatte-in-israel-streit-um-ein-goettliches-gebot-1.1449976


ZitatAm Ende zeigte sich Yona Metzger sichtlich zufrieden. ,,Sie haben der jüdischen Religion Respekt gezollt", sagte der israelische Oberrabbiner am Dienstag in der Bundespressekonferenz. Auch könne er in der hiesigen Diskussion ,,keinen Antisemitismus" erkennen. Metzger ist nicht irgendwer, sondern die höchste Autorität der ashkenasischen, also der aus Mittel- und Osteuropa stammenden Juden.
Q: http://www.fr-online.de/politik/debatte-um-beschneidung-oberrabbiner-sieht--keinen-antisemitismus-,1472596,16935222.html

Tja. Sagt nichts auch, schließlich spricht er nicht für alle Juden und wie man weiß, sind Juden ja auch manchmal Antisemiten. Verdammte Wurst!

ZitatSie werde aber inzwischen "doch ein bisschen hässlich", denn "da und dort wird sie auch missbraucht von einigen, um wieder alte antisemitische Klischees und Vorurteile zu transportieren".
Es gebe punktuell einen antisemitischen Akzent in der Debatte, sagte Graumann und verwies auf entsprechende Kommentare und "ekelhafte Ergüsse" im Internet verwies.
Q: http://www.derwesten.de/nachrichten/graumann-entdeckt-in-debatte-um-beschneidung-antisemitische-toene-id6911498.html

Toll. War wohl auch nix.

ZitatNicht zuletzt weist ja auch Goldschmidt darauf hin, dass es sich ganz bestimmt um Antisemitismus handele, der da unter dem Mäntelchen der Menschenrechte durchscheine. So beiläufig wie er die Menschenrechtsbedenken wegwischt, scheint er weder viel von Menschenrechten zu halten noch scheint er je auf die Idee gekommen zu sein, dass religiöse (zumal jüdische) Praktiken jemals gegen sie verstoßen könnten. Jedenfalls ist es all das für ihn nicht wert, sich auf die Ebene von Argumenten herabzulassen.

Q: http://www.heise.de/tp/artikel/37/37292/1.html

Lol. Ja man muss das nur oft genung wiederholen, dass es antisemitisch sei, Begründungen und die geforderte Aufklärung der Aufklärer bleibt allem anschein nach aus  >:(


Hier wird sich mehr bemüht:

ZitatWorauf führen Sie das Urteil zurück?

Brenner: ,,Was im Hintergrund mitspielt, sind völlig falsche Vorstellungen eines barbarischen Aktes der Beschneidung. Die Beschneidung erscheint in der deutschen Gesellschaft als kulturell fremd. Dabei wird sie von der Weltgesundheitsbehörde empfohlen, in Amerika sind die meisten christlichen Männer beschnitten, die Nachkommen des englischen Königshauses auch. Auch Jesus wurde beschnitten. Die Beschneidung ist aber im Laufe des 19. Jahrhunderts aus dem deutschen kulturellen Kontext verschwunden.

Ich sage nicht, dass jeder, der die Beschneidung ablehnt, Antisemit ist. Aber viele antisemitische Stereotype spielen im Hintergrund bei dieser Ablehnung der Beschneidung eine Rolle."
Q: http://www.nordbayern.de/ressorts/schlagzeilenseite/interview-beschneidungsverbot-immer-antisemitisch-motiviert-1.2205168

Gut und welche "antisemtischen Stereotypen" sind das nun?


ZitatInwiefern?

Brenner: ,,In anderen Staaten wie in den USA oder England ist die Beschneidung viel eher als gängigere kulturelle Praxis akzeptiert. In Deutschland aber scheint sie mit dem Makel des Fremden und Barbarischen behaftet zu sein.Das hat mit kulturellen Praktiken zu tun, die sich seit langer Zeit herausgebildet haben. Und da würde ich schon sagen, dass in diesem Prozess auch die Ablehnung der eben von Juden praktizierten Praxis eine gewisse Rolle spielt.[...]

Achja: Kinderschutz z.B. Prügel und Demütigung zum Wohle des Kindes hat in Deutschland eine tiefgreifen kulturelle Tradition. Sie war und ist eine kulturell weit verbretiete Praxis...

Und die ist mitnichten aus irgendwelchem Kontext verschwunden, als die entsprechenden Gesetze "plötzlich" beachtet wurden...



ZitatIn der Vorstellung der Juden ist mit dem Verbot der Beschneidung immer eine antisemitische Gesetzgebung verbunden. Das geht zurück in das zweite vorchristliche Jahrhundert unter griechischer Fremdherrschaft über die römische Zeit und bis hin zur Sowjetunion. Es waren immer totalitäre Regime, mit denen antijüdische Verfolgung verbunden war, die die Bescheidung verboten haben. Und es wäre schon traurig, wenn die Bundesrepublik Deutschland jetzt der erste demokratische Staat wäre, der ähnlich handelt."

Ja genau. Weil antisemiten u.a. auch diese jüdische Praxis verboten hatten, MUSS ja wohl auch jeder Befürworter des beschneidungsverbots antisemtisch motiviert sein!

Aus der Geschichte lernen, heißt siegen lernen. Oder den größten Quatsch aller Zeiten (GQAZ) sich zusammenzuschustern.

Hitler hat Brot gegessen, also sind alle Brotesser...  :P ??? :P



Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 12:57:29
@P. Stibbons

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 11:45:59
ZitatNein, das ist eine heutige Reformtheologie,

Nein, sondern die von dir beschriebene Auffassung ist eine klassische , von wem auch immer überlieferte Fehlinterpretation.
Dazu müsstest du dir aber die Mühe machen, die AT-Texte selbst zu lesen, um zu erkennen, dass dort alles sehr drastisch und schonungslos beschrieben wird.
Zitat
Nein, das ist eine heutige Reformtheologie, die erst durch und nach Bayle möglich geworden ist. David ist natürlich in höchstem Maße gottgefällig; der "heilige Monarch" ist ein Zitat aus Bayle. Er ist der allerletzte, dem man böswillige Verzerrung kritisierter Ansichten oder Unkenntnis von Quellen vorwerfen könnte: "his erudition was second to none in his, or perhaps any, period", sagt die Stanford Encyclopedia of Philosophy.

Bayle ist bestenfalls Sekundärliteratur - er sollte wenigstens angegeben haben, auf welche Quelle er sich beruft...

Ich verstehe nicht ganz, worum es Dir geht. Es geht nicht um den Wortlaut der Bibel, sondern darum, wie er bewertet wird, und da ist Bayle Primärliteratur allerersten Ranges. Im Übrigen ist auch der Wortlaut der Bibel nicht völlig konstant, sondern gewissen Veränderungen unterworfen, was sich gerade hier zeigen lässt:

2. Samuel 12, 31.
"Aber das Volck drinnen füret er eraus / vnd legt sie vnter eisern segen vnd zacken / vnd eisern keile / vnd verbrand sie in Zigelöfen / So thet er allen Stedten der kinder Ammon." [Luther-Bibel 1545]
"Aber das Volk drinnen führte er heraus und legte sie unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile und verbrannte sie in Ziegelöfen. So tat er allen Städten der Kinder Ammon." [Luther-Bibel 1912]
"Aber das Volk darin führte er heraus und stellte sie als Fronarbeiter an die Sägen, die eisernen Pickel und an die eisernen Äxte und ließ sie an den Ziegelöfen arbeiten. So tat er mit allen Städten der Ammoniter." [Revidierten Test der Ev. Haupt-Bibelgesellschaft zu Berlin, AT 1964]

Diese Entschärfung des Textes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ebenso in anderen deutschsprachigen, in den englischen Versionen und auch in der Vulgata. Deschner liegt also falsch, wenn er den Opportunismus der Kirche Deutschlands dafür verantwortlich macht. Aber: es bleibt Reformtheologie.

Ich finde aber, das führt uns weit vom Ausgangspunkt weg: Ist der Antisemitismus-Vorwurf an die Aufklärung berechtigt, oder wird er instrumentalisiert, um andere Aspekte der Aufklärung zu diskreditieren?
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 13:48:24
@ bayle:

ZitatIch verstehe nicht ganz, worum es Dir geht. Es geht nicht um den Wortlaut der Bibel, sondern darum, wie er bewertet wird, und da ist Bayle Primärliteratur allerersten Ranges. Im Übrigen ist auch der Wortlaut der Bibel nicht völlig konstant, sondern gewissen Veränderungen unterworfen, was sich gerade hier zeigen lässt:

Dein Argument war ursprünglich - aber das ist ohnehin ja nicht der Kernpunkt des Fadens - dass man Bayle dann fälschlich auch als Antisemit bezeichnen könne, da er den "Heiligen Monarchen David" quasi entmystifiziert habe.

Mein Gegenargument war: es ist in den Urtexten (von denen hier ja auch nur die ehrwürdige Luther-Übersetzung vorliegt - Quelle: Vulgata - auch kein "Urtext", sondern lateinische Übersetzung...) nie vorgesehen gewesen, David auf einen heiligen Sockel zu stellen.

http://www.mechon-mamre.org/p/pt/pt08b11.htm
http://www.mechon-mamre.org/p/pt/pt08b12.htm

Insofern trifft auf Bayle zu, dass er ein im Nachhinein verzerrtes (katholisches oder anglikanisches) theologisches Bild von David wieder zurecht gerückt hat - dies richtete sich aber dann primär gegen die christliche Übermalung und Überhöhung (ähnlich wie bei Maria, der Mutter Jesu)

(Eine Quelle, in der "über" biblische Texte geschrieben wird, ist aus theologisch-literaturwissenschaftlicher Sicht nie "Primärliteratur", sondern Rezeption - das nur am Rande)

Und ja: natürlich ist jede Übersetzung aus den Urtexten immer auch eine Übertragung, und diese muss sich auch immer neuen Überarbeitungen gemäß den aktuellen Forschungsergebnissen unterziehen.

Das ändert aber in diesem Fall nichts daran, dass die Urtexte ein sehr realistisches Bild von David malen.
Ich weiß nicht mal, ob er nach heutigen jüdischen Maßstäben als Jude reiner Abstammung gilt; denn eine seiner Ahninnen war definitiv keine Jüdin ;-)
Zitat
Boas heiratet Rut, die Stammmutter Davids

Und Boas sprach zu den Ältesten und zu allem Volk: Ihr seid heute Zeugen, daß ich alles gekauft habe, was dem Elimelech, und alles, was Chiljon und Mahlon gehört hat, von der Hand Naemis; 10 dazu auch Ruth, die Moabitin, Mahlons Weib, habe ich mir erworben zum Weibe, daß ich dem Verstorbenen einen Namen erwecke auf sein Erbteil und sein Name nicht ausgerottet werde unter seinen Brüdern und aus dem Tor seines Orts; Zeugen seid ihr des heute. 11 Und alles Volk, das im Tor war, samt den Ältesten sprachen: Wir sind Zeugen. Der HERR mache das Weib, das in dein Haus kommt, wie Rahel und Leah, die beide das Haus Israels gebaut haben; und wachse sehr in Ephratha und werde gepriesen zu Bethlehem. 12 Und dein Haus werde wie das Haus des Perez, den Thamar dem Juda gebar, von dem Samen, den dir der HERR geben wird von dieser Dirne. (1. Mose 38.29)

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/rut/4/
-

Also: alles nicht so wirklich schmeichelhaft, und wenn man sich die Geschichten der Urväter anschaut, menschelt es auch eher.
Sagen wir mal so:

Wenn das aufgeschrieben wurde mit dem Ziel, verklärende Mythen zu schaffen, war der Chefredakteur besoffen.... 

ZitatDiese Entschärfung des Textes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ebenso in anderen deutschsprachigen, in den englischen Versionen und auch in der Vulgata. Deschner liegt also falsch, wenn er den Opportunismus der Kirche Deutschlands dafür verantwortlich macht. Aber: es bleibt Reformtheologie.

Man nennt das "historisch-kritische Forschung".

Na ja - mein Tip: selbst nachlesen statt ungeprüft zu übernehmen, was einem jemand erzählt.
Dank Luther und dessen ersten Übersetzungsbemühungen  (und allen, die daran anknüpften) ist das ja zum Glück möglich. Dafür gibt es übrigens akademische Theologie, dass sich die rein subjektiven Interpretationen nicht allzu sehr verselbständigen...

Zitat
Ich finde aber, das führt uns weit vom Ausgangspunkt weg: Ist der Antisemitismus-Vorwurf an die Aufklärung berechtigt, oder wird er instrumentalisiert, um andere Aspekte der Aufklärung zu diskreditieren?

Der Zeitungsartikel regt mich jedenfalls an, das Oevre einzelner Aufklärer genauer nachzuprüfen.
Ehrlich gesagt: ich kenne keinen Menschen, mit noch so löblichen Ansichten, der nicht irgendwo auch schwer geirrt hätte.

Mein ganz persönlicher Eindruck momentan ist, dass im Zuge der postmodernen Säkularisierung viel wirklich wirres Zeug über Judentum und Christentum verbreitet wird, was einfach ungeprüft übernommen wird. Siehe oben.

An dieser Stelle finde ich mittlerweile manche selbst ernannten Vorreiter für Humanismus und Aufklärung wirklich unglaubwürdig.
Und dann kann schnell antisemitisches oder anti-christliches Gedankengut mit reinrutschen - weil man sich nicht die Mühe gemacht hat, selbst nachzuprüfen.
Wenn das Sam Harris - Zitat so stimmt, fände ich das katastrophal.
Genau so katastrophal, weil tatsächlich völlig verdreht, fände ich (falls es denn zutreffend wiedergegeben wurde) die Passage über Hitchens.

Es sind im Namen Gottes und der Kirche von den Mächtigen viele sehr schlimme Dinge verübt worden, daran besteht kein Zweifel.
Allerdings stellt man sich diesem himmelschreienden Unrecht heutzutage in selbstkritischer Reflektion (zumindest die Theologen, die ich schätze - allen voran Hans Küng).

An dieser Stelle gebe ich dem Verfasser Recht:
ZitatEs geht mir hier um etwas Anderes: um so etwas wie Gerechtigkeit. Nach dem Völkermord an den europäischen Juden haben die christlichen Kirchen zumindest angefangen, ernsthaft in sich zu gehen. Mittlerweile wird eine tiefgründige Diskussion über judenfeindliche Stellen in den Evangelien geführt; viele gläubige Christen haben begriffen, dass sie die Bibel ohne jüdische Hilfe gar nicht recht lesen können.

Und natürlich hat auch die atheistische Bewegung ihren "Schatten", mit dem sie sich auseinandersetzen muss -  die Redewendung "Die Revolution frisst ihre Kinder" hat ja leider eine historische Wurzel.






Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 15:09:31
Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 13:48:24

Mein Gegenargument war: es ist in den Urtexten (von denen hier ja auch nur die ehrwürdige Luther-Übersetzung vorliegt - Quelle: Vulgata - auch kein "Urtext", sondern lateinische Übersetzung...) nie vorgesehen gewesen, David auf einen heiligen Sockel zu stellen.

Insofern trifft auf Bayle zu, dass er ein im Nachhinein verzerrtes (katholisches oder anglikanisches) theologisches Bild von David wieder zurecht gerückt hat - dies richtete sich aber dann primär gegen die christliche Übermalung und Überhöhung

Einspruch. Was die Intention der ,,Urtexte" war, ist nur aus den Umständen her zu verstehen, unter denen sie entstanden sind. Es liegt mir fern, mich als Bibel-Gelehrten aufspielen zu wollen, aber die Moral des AT, speziell der Geschichtsbücher, ist im Großen und Ganzen inkompatibel mit heutigen Moralvorstellungen. Jahwe war ein lokaler Kriegsgott, der den Völkermord an allen Nicht-Israeliten befohlen hat (Was dem HERRN, d. h. der israelitischen Priesterkaste, an David missfallen hat, war ein Unrecht gegen einen Stammesgenossen).  Es deshalb nicht plausibel, dass Bayle nur den ursprünglichen Sinn des Urtextes von christlichen Verformungen befreit habe.

Zitat
Eine Quelle, in der "über" biblische Texte geschrieben wird, ist aus theologisch-literaturwissenschaftlicher Sicht nie "Primärliteratur", sondern Rezeption

Es steht mir aber frei, die Bibel als ein archaisches Textkonvolut anzusehen und die ,,theologisch-literaturwissenschaftliche" Sicht abzulehnen, nach der die Bibel letztlich sakrosankt ist und es nur darum gehen könne, ihren wahren Sinn, in dem sich das Göttliche Gebot offenbart, freizulegen – m. a. W., den Gegebenheiten der jeweiligen Jetztzeit anzupassen. Reformtheologie.

Zitat
Na ja - mein Tip: selbst nachlesen statt ungeprüft zu übernehmen, was einem jemand erzählt.

Meinst Du damit wirklich Hans Küng? Der wäre ja nach Deiner Definition Tertiärliteratur und ist der Reformtheologe par excellence (,,Katholizismus mit ökumenischem Antlitz"). Dann schon lieber die Quartärliteratur: Hans Albert, ,,Das Elend der Theologie".

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 16:13:06
ZitatWas die Intention der ,,Urtexte" war, ist nur aus den Umständen her zu verstehen, unter denen sie entstanden sind. Es liegt mir fern, mich als Bibel-Gelehrten aufspielen zu wollen, aber die Moral des AT, speziell der Geschichtsbücher, ist im Großen und Ganzen inkompatibel mit heutigen Moralvorstellungen.

Du sagst es.
Das heißt aber, dass man sie primär nicht mit heutigen Moralvorstellungen vergleichen darf, sondern in ihrem historischen Kontext beurteilen muss.

Außerdem muss man wissen, mit welcher Intention diese Texte entstanden sind (das ist Aufgabe der Theologie, gemeinsam mit Sprachforschern, Altertumsforschern, Historikern etc)
Damit dies wissenschaftlich "sauber" geschieht und nicht irgendetwas hineininterpretiert wird, was gar nicht gemeint war, ist akademische Theologie nötig (unabhängig von kirchlicher Weisung...)

Das Alte Testament ist eine Sammlung von "historischen Erzählungen" (wie damals eben üblich, aus mündlicher Tradition aufgeschrieben und mit schmückendem Beiwerk versehen), aus Stammbäumen, Gesetzestexten, Gebeten, philosophischen Betrachtungen (Hiob), Liebeslyrik (Hohes Lied), Sinnsprüchen etc.

Man muss sehr genau wissen, was man von einem Text "zu erwarten" hat.

ZitatJahwe war ein lokaler Kriegsgott, der den Völkermord an allen Nicht-Israeliten befohlen hat (Was dem HERRN, d. h. der israelischen Priesterkaste, an David missfallen hat, war ein Unrecht gegen einen Stammesgenossen).

Das ist ein Aspekt und als solcher im Vergleich zu den Nachbarvölkern nicht ungewöhnlich; allerdings ist es falsch, dies zu verallgemeinern oder daraus gar abzuleiten, das sei die eigentliche Kernaussage.

Die Geschichte aus 2. Samuel zeigt m.E. sogar sehr gut, dass der König David, der den Hals offenbar nicht voll kriegen konnte und sich als wirkliches Charakterschwein entpuppte, scharf zur Verantwortung gezogen wird, gerade weil er sich (als "Vertreter Gottes" ) als schlechtes Vorbild und Willkürherrscher erwiesen hat.

Leider werden im Rahmen der einseitigen Information über die Inhalte des AT die anderen Aspekte des jüdischen Gottesbildes völlig unterschlagen.
Im Gegensatz zu den umgebenden religiösen Strömungen ist nämlich ein sehr ungewöhnliches neues sanftes und geradezu menschliches Gottesbild an einigen Stellen des AT emergent - an dieses knüpft letztlich der Jude Jesus an und verstärkt diese neue Strömung.
Insofern erachte ich es als bewusste sehr einseitige Verzerrung, wenn Hitchens formuliert "Der Herr ist KEIN Hirte" - und daraus könnte man in der Tat eine antisemitische Grundeinstellung ableiten, weil daraus nämlich ein neues Feindbild herauf beschworen werden kann.

Wenn man die Geschichte Israels ansieht, erkennt man auch schnell, dass es zwar zur Zeit der Landnahme diese aggressiven Exzesse gegeben hat, dass aber aufs Ganze gesehen die Kräfteverhältnisse deutlich auf der gegnerischen Seite waren.
Selbst die "starke" Zeit unter David und Salomo war ja nur von kurzer Dauer; bald danach zerfiel das Königreich in zwei Teile, und dann waren schnell die Großmächte aus dem Osten zur Stelle.

Zitat
Es steht mir aber frei, die Bibel als ein archaisches Textkonvolut anzusehen und die ,,theologisch-literaturwissenschaftliche" Sicht abzulehnen, nach der die Bibel letztlich sakrosankt ist

Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.
Aus Sicht evangelischer Theologen war die Bibel seit ca 200 Jahren nicht sakrosankt, und die historisch-kritische Forschung stammt nicht aus der Nachkriegszeit.
Zu dem "archaischen Textkonvolut" habe ich ja schon weiter oben kommentiert.

Beispiele richtungsweisender evangelischer Theologen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts:

http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Barth#Theologische_Ausbildung_im_Gefolge_der_liberalen_Theologie

http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Bultmann

Besonders wichtig sind nach meiner Einschätzung die jüdischen Gelehrten des jüdisch-christlichen Dialogs:

http://de.wikipedia.org/wiki/Schalom_Ben-Chorin

http://de.wikipedia.org/wiki/Pinchas_Lapide

Man kommt heutzutage nicht mehr drum herum, sich mit der jüdischen Sicht auf Jesus und das Urchristentum auseinander zu setzen, wenn man diesem Thema auch nur annähernd gerecht werden will.
Zitat
Meinst Du damit wirklich Hans Küng? Der wäre ja nach Deiner Definition Tertiärliteratur
[/quote]

Hans Küng hat den großen Vorteil, dass er in seinen Fachbüchern geradezu erschütternd viele Quellen von Urtexten bis quer durch die gesamte Kirchengeschichte verarbeitet hat und gleichzeitig sehr gut verständlich schreibt.

Ja, er ist "Tertiärliteratur" (im Vergleich zum Urtext), aber wenn er (wie es üblich ist) die Bibelstellen angibt, auf die er sich bezieht, dann kann man das ja jederzeit selbst nachprüfen. Jedenfalls ist er einer der herausragendsten Theologen und Denker der Gegenwart

Ich habe nie behauptet, dass Sekundär-oder Tertiärliteratur schlecht sei - im Gegenteil, sie ist sehr notwendig, vor allem wenn man selbst nicht den nötigen sachkundigen Horizont mitbringt (indem man z.B. Urtext lesen kann).

Aber man sollte sich in diesen Dingen nicht kritiklos der Rezeption von einzelnen Meinungen überlassen - dazu ist die Angelegenheit zu komplex.
Zitat
und ist der Reformtheologe par excellence (,,Katholizismus mit ökumenischem Antlitz"

Spricht das gegen ihn?
Ich würde auch Dietrich Bonhoeffer (http://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Bonhoeffer) empfehlen und auch Befreiungstheologen (http://de.wikipedia.org/wiki/Befreiungstheologie)

Es gibt eben eine ganze Palette sehr unterschiedlicher theologischer Strömungen, und wenn man zum Christentum (und Judentum) etwas Fundiertes sagen und gerne auch kritisieren will, dann muss man sich mit diesen verschiedenen Interpretationen auseinander setzen statt irgendwelche unreflektierten Allgemeinplätze zu vertreten
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 17:39:01
@ P. Stibbons

Zitat
Zitat
Es steht mir aber frei, die Bibel als ein archaisches Textkonvolut anzusehen und die „theologisch-literaturwissenschaftliche“ Sicht abzulehnen, nach der die Bibel letztlich sakrosankt ist

Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.
Aus Sicht evangelischer Theologen war die Bibel seit ca 200 Jahren nicht sakrosankt, und die historisch-kritische Forschung stammt nicht aus der Nachkriegszeit.

Dann brauchst Du nur noch den zweiten Teil meines Satzes zu lesen: " ... und es nur darum gehen könne, ihren wahren Sinn, in dem sich das Göttliche Gebot offenbart, freizulegen – m. a. W., den Gegebenheiten der jeweiligen Jetztzeit anzupassen." Du umgehst dieses unlösbare Grundproblem der Theologie sorgfältig, vor dem natürlich Barth, Bultmann, Bonhoeffer und alle anderen genauso stehen: Die Bibel ist für den Theologen letztlich immer Gottes Wort, dies ist einfach eine unüberschreitbare Schranke. Du kannst natürlich sagen, das ist für Dich keine Schranke, aber es bleibt eine Schranke der Erkenntnis. Die Bibel ist doch nicht relevant, weil sie eine lange mündlich tradierte Geschichtslegende und Mythensammlung ist, sondern weil der Christ noch immer moralische Orientierung aus ihr ziehen will. Dafür ist heute in der Tat Theologie nötig, denn 60% des Textes sind in dieser Hinsicht in den Skat zu drücken, und für den Rest braucht man eine Gebrauchsanweisung. Dein Favorit Küng sagt, die Bibel werde vom Vatikan als Steinbruch missbraucht, aber nun mal im Ernst - anders ginge es doch gar nicht, alles andere ist Illusion. "Wer den heutigen Katholizismus nicht mag, sollte austreten und Protestant oder Atheist werden, statt ihn durch alberne Reformen zu verderben", sagt Paul Feyerabend ("The church had never such a writer; A shame he hath not got a mitre!", könnte man nun wieder mit Swift dazu sagen).

Du kannst gerne gegen Hitchens sein, aber dann bitte aus den "richtigen" Gründen. Er ist ebenso "Anti-Christ" und "Anti-Moslem", wie er "Anti-Hebräer" ist. Natürlich komme ich darum herum, mich mit "der jüdischen Sicht auf Jesus und das Urchristentum auseinanderzusetzen", weil das für mich als Atheisten keine Relevanz hat. Du kannst gern versuchen, die Aufklärer zu entlarven (besser wäre auch hier, sie in ihrem historischen Kontext zu verstehen), aber mach Dir Deine Motive klar. Es geht Dir, so scheint es mir, nicht um den Antisemitismus, sondern um die Religiosität. Wär schön, wenn ich mich irre, denn in vielen anderen Punkten liegen unsere Ansichten nahe beieinander.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ratiomania am 26. August 2012, 17:52:52
Zitat von: bayle am 26. August 2012, 12:57:29

Ich finde aber, das führt uns weit vom Ausgangspunkt weg: Ist der Antisemitismus-Vorwurf an die Aufklärung berechtigt, oder wird er instrumentalisiert, um andere Aspekte der Aufklärung zu diskreditieren?

Man kann nicht wegidiskutieren das viele Aufklärer durch die Bank Antisemiten, Sexisten und Rassisten waren.

Aber erstens, waren die Hauptteile ihrer Werke eben nicht antisemitisch. Zweitens diskretiert diese Tatsache eben nicht ihre Ideen und ihre sonstigen Leistungen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 18:13:01
ZitatDu umgehst dieses unlösbare Grundproblem der Theologie sorgfältig, vor dem natürlich Barth, Bultmann, Bonhoeffer und alle anderen genauso stehen: Die Bibel ist für den Theologen letztlich immer Gottes Wort, dies ist einfach eine unüberschreitbare Schranke.

Ein Blick auf die verlinkten Wikipediaseiten hätte dir gezeigt, dass das nicht zutrifft: die Auseinandersetzung und Reibung mit diesen biblischenTexten kann und soll durchaus zu unterschiedlichen Positionen führen - allein schon wegen der erwünschten immer neu zu erarbeitenden kontextabhängigen Aktualisierung (nicht zu verwechseln mit Dogma)

Zitat
Natürlich komme ich darum herum, mich mit "der jüdischen Sicht auf Jesus und das Urchristentum auseinanderzusetzen", weil das für mich als Atheisten keine Relevanz hat.

Das steht jedem frei, nur sollte man sich dann am besten überhaupt nicht inhaltlich zu Dingen äußern, die man nur vom Hörensagen kennt.
Hier liegt  (wenn überhaupt) meine kritische Anfrage.
Du hast ja selbst weiter oben zugegeben, dass Deschner (kannte ich bisher gar nicht - ist das ein Theologe?) mit einer Aussage falsch liegt.
Weiß er es nicht besser, oder ist es ihm egal, solange es seinem Zweck dienlich ist - das ist doch die Frage.
Falls letzteres zutrifft, ist es schlicht Stimmungsmache und daher intellektuell unredlich.

ZitatDu kannst gern versuchen, die Aufklärer zu entlarven (besser wäre auch hier, sie in ihrem historischen Kontext zu verstehen), aber mach Dir Deine Motive klar. Es geht Dir, so scheint es mir, nicht um den Antisemitismus, sondern um die Religiosität. Wär schön, wenn ich mich irre, denn in vielen anderen Punkten liegen unsere Ansichten nahe beieinander.

Ich glaube, du erliegst der Projektion, dass ich mir die Auffassung des Autors zu eigen mache (um den es ja in diesem Faden geht)
Es sollte in meinem ersten Beitrag deutlich geworden sein, dass dem keineswegs so ist
Ich habe lediglich versucht zu erklären, worin meiner Ansicht nach eine Gefahr liegt  - weil du die Frage (nach Antisemitismus) expressis verbis gestellt hast.

Ich will niemanden "entlarven", aber genau so wenig möchte ich mich (als Christ, der ich bin, wenn auch ohne Kirchenbindung oder spezielles Dogma) auf eine einseitige und verzerrte Sichtweise festlegen lassen, wie Hitchens (den ich nicht kenne) sie offenbar vertritt - (falls der Autor das richtig wiedergegeben hat...) Dagegen grenze ich mich deutlich ab.
Da wir in einer pluralistischen Gesellschaft mit vom Grundgesetz garantierter Religionsfreiheit leben, muss sich ja nun keiner dafür rechtfertigen, wenn er sich zu einer bestimmten Glaubensrichtung bekennt.

Mir wäre lieber - und ich würde es für wesentlich überzeugender halten - wenn sich Atheisten wie etwa Schmidt-Salomon nicht hauptsächlich dadurch profilieren, indem sie Andersdenkende als Negativ-Kontrastfläche missbrauchen, sondern wenn es gelänge, eine positiv formulierte überzeugende eigenständige Ethik zu formulieren und vor allem auch umzusetzen (siehe unsere zwei Blogs zur GBS...)

Meine Kernaussage war (s.o.), dass die Aufklärer sich - wie die Kirchen - eben auch mit ihrem eigenen Schatten aktiv auseinandersetzen müssten:

ZitatMan kann nicht wegidiskutieren das viele Aufklärer durch die Bank Antisemiten, Sexisten und Rassisten waren.

besonders wenn sie sich mit einem klaren ethischen Anspruch eigenständig gegenüber den (ohnehin zumeist abgewirtschafteten) Kirchen in der Gesellschaft präsentieren, ist da eine kritische Beschäftigung mit eigenen Irrtümern doch nur förderlich.

Mehr wollte ich eigentlich gar nicht sagen - außer dass dem natürlich zuzustimmen ist:

ZitatAber erstens, waren die Hauptteile ihrer Werke eben nicht antisemitisch. Zweitens diskretiert diese Tatsache eben nicht ihre Ideen und ihre sonstigen Leistungen.

Und nicht alle Aufklärer waren Atheisten.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 19:09:32
Zitat
nur sollte man sich dann am besten überhaupt nicht inhaltlich zu Dingen äußern, die man nur vom Hörensagen kennt.

Wo habe ich mich zum Urchristentum und zu Jesus Christus geäußert? aber da berührt es doch seltsam, dass Du über Hitchens eine Meinung entwickelst, den Du gar nicht gelesen hast. Ich empfehle ihn, zur Abhärtung. Und Du vermutest bei Deschner intellektuelle Unredlichkeit, obwohl Du ihn noch nicht mal dem Namen nach kennst:

Zitat
Du hast ja selbst weiter oben zugegeben, dass Deschner (kannte ich bisher gar nicht - ist das ein Theologe?) mit einer Aussage falsch liegt ... schlicht Stimmungsmache und daher intellektuell unredlich.

Red' dich nicht auf den Konjunktiv raus.

Was meinst Du mit "zugeben"? Karlheinz Deschner ist ein bekannter Kirchenkritiker und später militanter Vegetarier, er hätte damit durchaus einen Eintrag im Wiki verdient.
Was meinst Du mit "Christ ohne spezielles Dogma"? Ist Jesus Christus, der Gottessohn, für Dich auferstanden oder ist das eine Legende, die sich nach seinem Tod entwickelt hat? Das ist die Grenze, die die (christliche) Theologie nicht überschreiten kann.

Zitat
Und nicht alle Aufklärer waren Atheisten

Nein, viele waren Deisten. Der entscheidende Punkt ist letztlich, ob sie an einen personalen Gott geglaubt haben, der noch in das Weltgeschehen eingreift. Es dürfte doch schwerhalten, einen orthodoxen Christen unter ihnen zu finden - das wäre der Widerspruch in sich.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 19:49:10
@ bayle:
Zitat
da berührt es doch seltsam, dass Du über Hitchens eine Meinung entwickelst, den Du gar nicht gelesen hast.

Ich beziehe mich lediglich auf die Zitate im WELT-Artikel, sowohl bei Hitchens als auch bei Deschner (der Konjunktiv, falls er von mir in diesem Zshg verwendet wurde, weil ich nicht überprüft habe, ob der Autor richtig zitiert)

Zu letzterem  - Deschner - schriebst du hier:

ZitatDiese Entschärfung des Textes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ebenso in anderen deutschsprachigen, in den englischen Versionen und auch in der Vulgata. Deschner liegt also falsch, wenn er den Opportunismus der Kirche Deutschlands dafür verantwortlich macht. Aber: es bleibt Reformtheologie.

Daraus geht hervor, dass du selbst findest, dass Deschner - den du ja offenbar kennst, und das soll in diesem Zshg genügen - "also falsch liegt".

Weiterhin sagst du, dass er "den Opportunismus der Kirche Deutschlands" verantwortlich macht.
Das ist vor dem Hintergrund dessen, dass er nach deiner Aussage falsch liegt, also eine Zuschreibung, die  Deschner aufgrund einer Fehlinterpretation tätigt.
Meine Anmerkung dazu im Wortlaut:
Zitat
Weiß er es nicht besser, oder ist es ihm egal, solange es seinem Zweck dienlich ist - das ist doch die Frage.
Falls letzteres zutrifft, ist es schlicht Stimmungsmache und daher intellektuell unredlich.

Falls er also seine Falschaussage wider besseren Wissens getätigt haben sollte - was ich nicht beurteilen kann, aber du, denn du scheinst dich mit ihm näher befasst zu haben -, dann hat er diese Falschaussage für seine Kirchenkritik instrumentalisiert.
Oder wie sollte eine solche Bemerkung sonst zu verstehen sein.

Zu fragen wäre dann weiterhin, wen er mit "die Kirche Deutschlands" meint, oder ob das auch nur ein Allgemeinplatz war.
Hier kämen wir dann auf spannendes Terrain - vor allem hinsichtlich der beiden von mir verlinkten Theologen Barth und Bonhoeffer, die beide nicht zu den gleichgeschalteten "Deutschen Christen" gehörten, sondern zur "Bekennenden Kirche", also dem Widerstand.

Daraus ergäbe sich die Frage an Herrn Deschner - die du ihm vielleicht stellen kannst, falls du ihn persönlich kennen solltest - , warum er hier nicht genauer differenziert hat.

ZitatWo habe ich mich zum Urchristentum und zu Jesus Christus geäußert?

Nee, du hast dich auf Bayle berufen und das Beispiel von David gebracht.
Da habe ich gemerkt, dass du die Texte und Hintergründe gar nicht kennst, und deshalb meine Anmerkung:

Zitatnur sollte man sich dann am besten überhaupt nicht inhaltlich zu Dingen äußern, die man nur vom Hörensagen kennt.

Das könnte ich auch zu Deschner und seinem undifferenzierten pauschalisierenden Kirchenkritik-Satz sagen (falls er das so pauschal gesagt hat)

ZitatRed' dich nicht auf den Konjunktiv raus.

Wie bitte? - Worauf bezieht sich das?

Zitat
Was meinst Du mit "Christ ohne spezielles Dogma"? Ist Jesus Christus, der Gottessohn, für Dich auferstanden oder ist das eine Legende, die sich nach seinem Tod entwickelt hat? Das ist die Grenze, die die (christliche) Theologie nicht überschreiten kann.

Ist hier meine ganz persönliche Sicht relevant?
Entscheidend ist doch lediglich, was "dabei rüberkommt".

Nach dem Motto "An den Früchten werdet ihr sie erkennen"

D.h. z.B. eine Haltung der Versöhnlichkeit und der Verantwortlichkeit für die Menschen, mit denen man zu tun hat.
Kongruenz zwischen Reden und Tun; zu dem stehen, was man versiebt hat... nicht primär das eigene Wohlergehen suchen sondern das des anderen im Blick behalten.
Verzeihen können und wissen, dass man selbst auf Verzeihung/Vergebung angewiesen ist, weil man sich irren kann und weil dieses Leben so geartet ist, dass man trotz bester Vorsätze derbe ins Klo greifen kann.

Für mich speist sich diese Haltung - die mir auch nicht immer gelingt - aus meinem (wie immer gearteten )Glauben.
Natürlich kann man in einer solchen Haltung auch als nicht gläubiger Mensch leben.


Aber was hat das mit dem Thema des Fadens zu tun?

Ich habe mein persönliches Christsein nur ins Spiel gebracht, weil ich mich gegen Pauschalisierungen von der Art abgrenze, wie der Autor sie Hitchens in den Mund gelegt hat. Ob er damit Recht hat, kann ich nicht beurteilen.
Anscheinend liegt das nicht so fern, denn du hast mir geraten:

ZitatDu kannst gerne gegen Hitchens sein, aber dann bitte aus den "richtigen" Gründen. Er ist ebenso "Anti-Christ" und "Anti-Moslem", wie er "Anti-Hebräer" ist

Also darf ich mich von seiner Anti-Haltung auch angesprochen fühlen?
Dann habe ich es doch richtig verstanden.

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 20:11:07
Zitat
Nee, du hast dich auf Bayle berufen und das Beispiel von David gebracht.
Da habe ich gemerkt, dass du die Texte und Hintergründe gar nicht kennst, ...

Also entschuldige mal, das ist doch wohl nicht Dein Ernst. Was hat David mit dem Urchristentum zu tun? Wir haben uns hier nur so verästelt, weil Du mir unterstellst, ich wüsste nicht, was ich zitiere. Es gibt hier jemanden, der nicht versteht, was ich zitiere, aber das bin nicht ich.

Zitat
Falls er also seine Falschaussage wider besseren Wissens getätigt haben sollte - was ich nicht beurteilen kann, aber du, denn du scheinst dich mit ihm näher befasst zu haben -, dann hat er diese Falschaussage für seine Kirchenkritik instrumentalisiert

Genau das meinte ich mit Konjunktiv, auf den Du Dich nun doch rausredest.

Wenn Du einverstanden bist, sollten wir an dieser Stelle abbrechen. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir noch einen Erkenntnisgewinn für wen auch immer herauskitzeln  :grins2:
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 20:20:47
ZitatGenau das meinte ich mit Konjunktiv, auf den Du Dich nun doch rausredest.

Ich benutze den Konjunktiv, weil ich hier von verschiedenen ungeprüften Voraussetzungen ausgehe.
Ich habe nur die Aussagen des WELT-Artikels sowie deine Aussagen/Interpretationen zu Hitchens und Deschner.

Das ist mir zu wenig, um auf den Konjunktiv zu verzichten - ich will ihnen ja nichts andichten, was sie vielleicht gar nicht so gemeint haben.
Nach derzeitiger Sachlage habe ich die obigen Schlussfolgerungen getätigt - mit der beschriebenen Einschränkung.
Ist das problematisch oder verkehrt?
Korrigier mich bitte, wenn ich da was falsch verstanden habe.

Bevor du dich aus der Diskussion verabschiedest, wüsste ich gern noch, warum du mir unterstellst, dass ich mich irgendwo rausrede.
Das ist immerhin ein Vorwurf, der aus meiner Sicht Aufklärung verdient.

ZitatWir haben uns hier nur so verästelt, weil Du mir unterstellst, ich wüsste nicht, was ich zitiere.

Wir haben uns verästelt, weil ich deine Aussage zu Bayle (den du gleich am Anfang von dir aus ins Spiel gebracht hast) so nicht stehen lassen konnte, sondern richtig gestellt habe.
Alles weitere ergibt sich daraus.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 20:48:46
Du hast überhaupt nichts richtig gestellt. Der klassische Text ist Pierre Bayle, Historisches und kritisches Wörterbuch, Artikel "David", in der Meiner-Ausgabe Hamburg 2003, S. 42-67. Ich kann leider nicht französisch, wenn Du das kannst, findest du das auch online.
Auf Englisch, in leicht abgekürzter Form, und etwas schwierig zu handhaben, hier ab S. 363:
http://archive.org/details/anhistoricaland00baylgoog

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 20:56:41
Na komm, bayle, du windest dich.
Erst nimmst du mich ins Kreuzverhör bis hin zur Gretchen-Frage, die mein grundgesetzlich anerkanntes Privatvergnügen ist, und dann kneifst du selbst.  ;)

Also:

Ist Hitchens, so wie du mir nahe bringen wolltest, auch aktiver Christenbekämpfer?
Darf ich mich zu Recht gegen diese Art undifferenzierte Bashing-Polemik wehren?

Habe ich deine Referenz  auf Deschner falsch verstanden?

Was sagt uns das alles im Blick auf den WELT-Artikel?
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 26. August 2012, 21:31:43
Also, unsere Wahrnehmung der bisherigen Debatte unterscheidet sich doch sehr. Ich könnte nun alle Bemerkungen wiederholen, deren Bezug zum Thema du entweder nicht erkannt hast oder zu denen Du es vorgezogen hast, Dich nicht zu äußern, aber was soll das bringen?

Bleiben wir nur bei Deiner letzten Bemerkung. Noch hast Du keine Zeile von Hitchens gelesen, aber schon gehst Du der WELT auf den Leim und nennst ihn einen "aktiven Christenbekämpfer", gegen dessen "undifferenziertes Bashing" Du Dich wehren müsstest? Was willst Du noch zu Deschner wissen? Du hast nicht die Spur einer Ahnung, ob seine Kritik am Christentum gerechtfertigt ist. Dir genügt es zu erfahren, dass er Kritik äußert, die jemand anders für nicht im vollen Umfang gerechtfertigt hält, und dann weißt Du schon, sie kann nur "undifferenziert", "Falschaussage" oder sonstwas sein. Und Du selbst bringst mal eben kurz 1000 Jahre Menschheitsgeschichte durcheinander (David und das Urchristentum), was Dich aber nicht daran hindert, mir zu unterstellen, ich wüsste nicht wovon ich rede.

Glaub nicht, dass ich Angst bekommen habe, ich halte es nur für fruchtlos, so weiterzumachen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 22:16:08
ZitatBleiben wir nur bei Deiner letzten Bemerkung. Noch hast Du keine Zeile von Hitchens gelesen, aber schon gehst Du der WELT auf den Leim und nennst ihn einen "aktiven Christenbekämpfer", gegen dessen "undifferenziertes Bashing" Du Dich wehren müsstest?

bayle, deine Rabulistik ist schon bemerkenswert!

Ich habe bislang auf jede deiner Fragen aufrichtig Antwort gegeben und habe dir sogar erklärt, warum es m.E. auf deine immerhin sehr persönliche Frage (die in diesem Rahmen übrigens völlig deplaziert wirkt...)

ZitatIst Jesus Christus, der Gottessohn, für Dich auferstanden oder ist das eine Legende, die sich nach seinem Tod entwickelt hat?

zwar eine aufrichtige Antwort geben kann:

ZitatIst hier meine ganz persönliche Sicht relevant?
Entscheidend ist doch lediglich, was "dabei rüberkommt".

Nach dem Motto "An den Früchten werdet ihr sie erkennen"

D.h. z.B. eine Haltung der Versöhnlichkeit und der Verantwortlichkeit für die Menschen, mit denen man zu tun hat.
Kongruenz zwischen Reden und Tun; zu dem stehen, was man versiebt hat... nicht primär das eigene Wohlergehen suchen sondern das des anderen im Blick behalten.
Verzeihen können und wissen, dass man selbst auf Verzeihung/Vergebung angewiesen ist, weil man sich irren kann und weil dieses Leben so geartet ist, dass man trotz bester Vorsätze derbe ins Klo greifen kann.

Für mich speist sich diese Haltung - die mir auch nicht immer gelingt - aus meinem (wie immer gearteten )Glauben.
Natürlich kann man in einer solchen Haltung auch als nicht gläubiger Mensch leben.

- dass aber meine persönliche Glaubensbeziehung zu Jesus in diesem Zusammenhang irrelevant ist.

Du hingegen meinst, mich ständig weiter befragen zu müssen bis hin zu eigenwilligen Interpretationen meiner Aussagen:

ZitatBleiben wir nur bei Deiner letzten Bemerkung. Noch hast Du keine Zeile von Hitchens gelesen, aber schon gehst Du der WELT auf den Leim und nennst ihn einen "aktiven Christenbekämpfer", gegen dessen "undifferenziertes Bashing" Du Dich wehren müsstest?

So weit ich es erkennen kann, hast du mir bisher auf keine meiner Fragen eine klare Antwort gegeben.

Ich habe dich gefragt - und erst nachdem du mich darauf aufmerksam gemacht hast, dass ich Herrn Hitchens wenn, dann doch bitte aus den "richtigen Motiven" ablehnen möge - :

ZitatIst Hitchens, so wie du mir nahe bringen wolltest, auch aktiver Christenbekämpfer?
Darf ich mich zu Recht gegen diese Art undifferenzierte Bashing-Polemik wehren?

Du hingegen schreibst:
Zitat
Noch hast Du keine Zeile von Hitchens gelesen, aber schon gehst Du der WELT auf den Leim und nennst ihn einen "aktiven Christenbekämpfer", gegen dessen "undifferenziertes Bashing" Du Dich wehren müsstest

Unmittelbar vorher beschuldigst du mich, mich mit dem Konjunktiv rauszureden, obwohl ich den Konjunktiv benutzt habe, um zum Ausdruck zu bringen "sollte Deschner... Hitchens... tatsächlich gesagt haben..."

Deine eigene Aussage war aber:
Zitat
Du kannst gerne gegen Hitchens sein, aber dann bitte aus den "richtigen" Gründen. Er ist ebenso "Anti-Christ" und "Anti-Moslem", wie er "Anti-Hebräer" ist.

Autor: bayle
« am: 26. August 2012, 20:39:01 »

 

Also: was willst du?

Habe bitte den Arsch in der Hose, selbst eindeutig Stellung zu beziehen!

Wenn Hitchens tatsächlich - und ich habe hierfür dein Wort! - "Anti-Christ" ist, dann fühle ich mich davon betroffen.
Dazu muss ich nicht dem WELT-Artikel auf den Leim gehen: es reicht, dich beim Wort zu nehmen.
Zitat
Was willst Du noch zu Deschner wissen? Du hast nicht die Spur einer Ahnung, ob seine Kritik am Christentum gerechtfertigt ist.

Du selbst hast etwas zu Deschner gesagt, worauf ich (im Konjunktiv-den du mir vorwirfst...) referenziert habe.

Was ich wissen will, ist:

stehst du zu der Aussage, die du über Deschner gemacht hast?

Zitat
Autor: bayle
« am: 26. August 2012, 15:57:29 »

...Diese Entschärfung des Textes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ebenso in anderen deutschsprachigen, in den englischen Versionen und auch in der Vulgata. Deschner liegt also falsch, wenn er den Opportunismus der Kirche Deutschlands dafür verantwortlich macht. Aber: es bleibt Reformtheologie.

Dreh mir bitte nicht das Wort im Munde um, denn ich habe mit Bedacht den Konjunktiv verwendet und dich gefragt, ob ich das richtig verstanden habe.
Von daher erübrigen sich solche rhetorischen Kapriolen:
Zitat
und dann weißt Du schon, sie kann nur "undifferenziert", "Falschaussage" oder sonstwas sein.

Ist das nun deine Interpretation von Deschner, oder was genau hat er gesagt?
Darauf hast du mir trotz Nachfragen keine Antwort gegeben.
   


Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Abe81 am 26. August 2012, 22:24:31
Man verzeihe mir, wenn ich nicht in die laufende Debatte einsteige, die erscheint mir zu verworren, als daß das noch ginge.

Oben wurde bereits das sog. "Cherry-Picking" erwähnt, das mir bei diesem Welt-Artikel zuzutreffen scheint.

Was er - der Artikel - nicht leistet ist, zum einen zwischen Werk und Autor zu unterscheiden. Beim Beispiel von Kant: Das Zitat mag zutreffen (leider ist keine Quelle dafür angegeben), aber wenn man sich die Mühe macht, die zentralen Werke Kants anzusehen, muss man zu dem Schluss kommen, daß zwangsläufig auch Juden nicht aus der Menschheit ausgeschlossen werden sollen/können (wie es das Zitat, das Stein von Kant wiedergibt, nahelegt), da auch sie vernunftbegabt sind. Mit dieser basalen Kategorie der KrV kann man auch jenen Hanseln kommen, die das gesamte Werk Kants mit dessen randständigen anthropologischen Schriften erledigen wollen. Aber diese Werke beziehen sich nunmal nicht aufeinander. Die schlechten anthropologischen Werke, die zurecht heute keine Rolle mehr spielen, affizieren den Argumentationsgang in der Kritik der reinen Vernunft nicht.

Ich sehe zum anderen im Text auch kein einziges Argument dafür, warum die Aufklärung den Judenhass mit Notwendigkeit (oder zumindest: Kontingenz) aus sich heraus produziere. Denn das scheint mir die implizite These des Artikels zu sein. Mit der weniger brachialen Auslegung, daß auch Aufklärer Antisemiten sein können, gehe ich gerne konform.

Eine gute Argumentation, warum die Aufklärung dennoch die Möglichkeit des Antisemitismus in sich trägt und auch mit gewisser Notwendigkeit gebiert, haben Adorno und Horkheimer schon vor langer Zeit gegeben (wen es interessiert: klick (http://www.copyriot.com/sinistra/reading/agnado/adorno01.html)). Die ignoriert Stein natürlich, das wäre ihm und wohl seinen Lesern ein wenig zu 'hoch'
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 22:31:43
ZitatEine gute Argumentation, warum die Aufklärung dennoch die Möglichkeit des Antisemitismus in sich trägt und auch mit gewisser Notwendigkeit gebiert, haben Adorno und Horkheimer schon vor langer Zeit gegeben (wen es interessiert: klick). Die ignoriert Stein natürlich, das wäre ihm und wohl seinen Lesern ein wenig zu 'hoch'

Vielen Dank für den wichtigen Hinweis!

Ja, der Artikel selbst ist von eher beklagenswertem Niveau.
Dennoch offenbart die "verworrene Debatte" zwischen bayle und mir, dass der Autor wohl intuitiv nicht ganz daneben lag...
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Abe81 am 26. August 2012, 22:38:49
Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 22:31:43Dennoch offenbart die "verworrene Debatte" zwischen bayle und mir, dass der Autor wohl intuitiv nicht ganz daneben lag...

Was genau meinst du damit?

Soweit ich eure etwas privat gehaltene Debatte überflogen habe, scheint mir euer Problem ein ähnliches zu sein, daß Hitchens mit seinen zig Debattengegnern hatte. Ab einem bestimmten Punkt wird es inkommensurabel - d.h. die beiden Debattengegner haben keinen gemeinsamen Boden mehr, auf dem es sich debattieren ließe. Ich selber bin ein großer Fan von Hitchens - wenn ich das mal so verdinglicht schreiben darf -, aber man muss ihm leider attestieren, daß er keine Ahnung von Theologie i.S. einer vernunftbasierten Vermittlung von Glaube hatte, als radikaler Empirist (der ziemlich oft mechanisch-materialistische Züge annahm) steht seine Ablehnung des Metaphysischen schlechthin auf sehr tönernen Füßen*. Ihr seid in eurer Diskussion auch an Aporien gestoßen, die nicht nur eure sind, sondern mir Allgemeine der Metaphysik zu sein scheinen.

*) Entschuldigt, wenn ich ein wenig autoritär und schlaumeierisch Textempfehlungen droppe, aber wer eine Ahnung davon haben möchte, warum man, wie Adorno es formulierte, mit der Metaphysik im Moment ihres Falls solidarisch sein muß, der sollte von Karl Heinz Haag "Metaphysik als Forderung rationaler Weltauffassung" lesen.

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 26. August 2012, 22:57:24
Eigentlich ging es nur darum, wie die (sehr schlampig formulierte) These des WELT-Artikel-Autors aufzufassen sei, dass der verborgene Stachel des Antisemitismus einige große Aufklärer quasi als unaufgearbeiteter Schatten begleitet.

Warum bayle mich nun so ins Kreuzfeuer genommen hat und mir Aussagen unterstellte, die ich so nie getätigt habe... keine Ahnung, was ihn geritten hat. ??

Für mich passen Aufklärung und Intoleranz nicht zusammen - ob letztere antisemitisch oder anti-christlich daherkommt, ist mir schnuppe.

(Im Unterschied zu früher haben Christen zumeist aus den Vorkommnissen unter Hitler gelernt und  auch inzwischen die jüdischen Wurzeln ihrer Theologie schätzen gelernt...von daher gibt es da schnell eine früher nicht vorhandene Solidarität)

* Und von Metaphysik war ja gar nicht die Rede - ich habe verweigert, mich auf eine solche Ebene zu begeben und bin bewusst auf der Ebene der Alltagsethik geblieben.
Vermutlich war das der Frustpunkt...
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 27. August 2012, 14:59:48
Zitat von: bayle am 26. August 2012, 07:18:27
Ich meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen.

Ees geht wohl gegen die Selbstgerechtigkeit derer, die sich in ihrer Tradition sehen.

Zitat von: bayle am 26. August 2012, 07:18:27
Hitchens ist antireligiös, aber definitiv nicht antisemitisch. Das Schema ist nicht neu: der katholische Publizist Alexander Kissler hat 2008 Richard Dawkins als ,,antisemitisch" denunziert, wofür er von kamenin in dessem blog elegant zerlegt worden ist (leider heute nicht mehr online). Auch bei Schmidt-Salomon's atheistischen "Drei kleinen Ferkelchen" hat man den absurden, unehrlichen Versuch unternommen, sie mit dem Antisemitismus-Vorwurf juristisch zu erledigen.

MSS Ferkelchen ist ein unsäglich dämliches Hetzbuch und damit alles andere als aufklärerisch. Ob es deshalb gleich antisemitisch und nicht primär dämlich ist, darüber kann man sich streiten. Absurd und unehrlich (was weist du eigentlich immer über die geheime Motivation?) ist der Vorwurf deshalb nicht. Genauso wenig bei Dawkins, der sich zu der Aussage verstiegen hat, die Juden würden die amerikanische Aussenpolitik kontrollieren. Klassisch antisemitischer Verschwörungsunfug, ganz ohne Anführungszeichen. Auch Hitchens hat Formulierungen benutzt, die man in die Richtung verstehen kann - meist blieb es aber bei mässig sachlicher Kritik an Israel und am Zionismus.

http://www.haaretz.com/news/features/despite-criticism-of-israel-hitchens-was-ardent-foe-of-anti-semitism-1.402015

Deschner wird von nicht wenigen Fans in Deutschland auch für einen Aufklärer gehalten. Nicht nur sein Hass seinen Mitmenschen gegenüber passt dazu schlecht,  wenn es um die Amerikaner, die Juden und die Deutschen geht, findet man sich mitten im braunen Sumpf wieder:

http://www.antiveganforum.com/wiki/Karlheinz_Deschner
http://www.antiveganforum.com/antisemit-karlheinz-deschner/

Das ist eine andere Klasse als die drei oben genannten, die sich vielleicht nur unglücklich ausgedrückt haben, das ist ein geschlossen rechtsradikales Weltbild.

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Maxi am 27. August 2012, 16:26:17
Alles ist mit allem verbunden  ;D
Auch unsere Freunde von der gbs mit Karl-Heinz Deschner, die haben sich quasi überhaupt erst wegen dem gegründet:

Zitathttp://www.giordano-bruno-stiftung.de/vorstand/steffen-herbert

Maxi

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 27. August 2012, 16:30:46
@P. Stibbons

Ponder, Deine Posts sind einfach zu lang. Nicht immer verstehe ich Deinen roten Faden. Ich könnte zu jedem Halbsatz was sagen. Ich versuch mal zusammenzufassen. Wie fing es an?

#7
Zitat,,Ich denke, wir sind alle angehalten, unsere Stereotypien kritisch zu hinterfragen."

Das ist Pastoralstil, mit dem im allgemeinen nicht ,,wir", sondern ,,ihr" gemeint ist. Erst am Schluss des Posts wird klarer, dass Du vielleicht wirklich Dich selbst einschließt, aber da ist der Tonfall schon vorgegeben.

Zitat,,Luther auf seinen antisemitischen "Sündenfall" zu reduzieren ... ist genau so einseitig und falsch wie der Grundtenor dieses Zeitungsartikels."

Niemand hat Luther auf seinen Sündenfall reduziert. Glücklicherweise haben wir uns da nicht verbissen.

   
Zitat,,Das zeugt von unzureichender Kenntnis biblischer Texte ..."

Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass du damit Bayle meinen könntest. (Das ist einfach zu absurd. Bayle lebte im 17. Jhd – da gab es niemanden, der die Bibel nicht kannte, und, nochmals, ,,his erudition was second to none"). Ich habe dem entnommen, Du meintest mich, und später scheinst Du da ja auch in diese Richtung umgeschaltet zu haben (#11: ,,Dazu müsstest du dir aber die Mühe machen, die AT-Texte selbst zu lesen"). Aber auch das ist ein Irrtum. Ich lese die Bibel, aber ich lese sie natürlich anders als Du. Das hoffe ich zumindest klar gemacht zu haben. Nebenbei: Bayle ist der Protagonist der Toleranz schlechthin:

http://www.zeit.de/2006/50/Das_Gesetz_der_Toleranz

Die eigentliche, zugegeben rhetorische, Frage, ob Bayle wegen seiner AT-Kritik Antisemit war, hast Du vollständig übersehen.

   
Zitat,,sollte man sich daher umfassend über ihr [der Aufklärer] Leben und Werk informieren, statt ungeprüft Stereotypien zu übernehmen"

Welche Stereotypen meinst Du, und wen meinst Du mit ,,man"? ,,Die" Atheisten? Diejenigen, die die Kritik an der Aufklärung für vorgeschoben halten? Ich bin Atheist, aber ich halte dennoch Sam Harris für unerträglich – nicht wegen seines Antisemitismus, den ich so nicht gefunden habe, sondern wegen vieler anderer Ansichten. Reicht Dir das?

Den Komplex ,,Theologie", ,,Reform-Theologie", ,,Primär – bis Quartärliteratur" und ,,Küng" (,,Jedenfalls ist er einer der herausragendsten Theologen und Denker der Gegenwart"), ,,Christ ohne Dogma" und ,,Gretchenfrage" möchte ich nicht noch einmal aufrollen, wenn es Dir recht ist, obwohl es mich in den Fingern juckt.

#27
ZitatIst Hitchens, so wie du mir nahe bringen wolltest, auch aktiver Christenbekämpfer?
Darf ich mich zu Recht gegen diese Art undifferenzierte Bashing-Polemik wehren?
Habe bitte den Arsch in der Hose, selbst eindeutig Stellung zu beziehen!

Du brauchst nicht zu schreien :grins2:. Natürlich darfst Du dich wehren, aber mit Argumenten und nicht mit Beschimpfungen. Wenn Du meinst, Hitchens bekämpfe Christen, dann ist das falsch. Er hält den Einfluss der christlichen, wie auch der islamischen und der jüdischen Religion für insgesamt verderblich. Ich denke schon, dass das etwas anderes ist.

Zitat,,stehst du zu der Aussage, die du über Deschner gemacht hast?"

Ich kann keinen Grund erkennen, sie zu revidieren. Das ist eine Stelle, die ich nicht ganz verstehe. Was regt Dich da auf? Ich habe Ihn nur zitiert, weil ich ansonsten trotz eifriger Suche keine andere Erklärung für die spezielle Bibelredaktion gefunden habe (die im Übrigen nicht sehr bedeutsam ist). Es gibt eine einzige Bibeledition in englischer Sprache, wo es in der Fußnote heißt, die Stelle sei umstritten (ich habe vergessen wo). Ich halte Deschners ,,Kriminalgeschichte des Christentums" für so unzuverlässig, dass man sie ständig gegenlesen muss, noch ganz abgesehen von dem sonstigen Müll, den er von sich gegeben hat. Du aber stützt Dein Urteil über ihn auf Kolportagen aus zweiter Hand – nämlich aus meiner.

@Ridcully

Zitat,,Dawkins, der sich zu der Aussage verstiegen hat, die Juden würden die amerikanische Aussenpolitik kontrollieren. Klassisch antisemitischer Verschwörungsunfug, ganz ohne Anführungszeichen"

Quelle bitte. Vielleicht revidiere ich dann meine Ansicht über ihn – aber erst dann.

Zitat,,MSS Ferkelchen ist ein unsäglich dämliches Hetzbuch und damit alles andere als aufklärerisch. Ob es deshalb gleich antisemitisch und nicht primär dämlich ist, darüber kann man sich streiten. Absurd und unehrlich (was weist du eigentlich immer über die geheime Motivation?) ist der Vorwurf deshalb nicht.

Vielleicht kannst Du ja, wenn Du schon dabei bist, kurz mal sagen, was Du konkret mit ,,unsäglich dämlich" meinst. Ich zitiere aus den ,,Materialien zur Verteidigung". Ich mag ja Broder nicht besonders, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen:

Zitat,,Wir schließen uns der Position des jüdischen Schriftstellers und Journalisten Henryk M. Broder an, der am 8.2.2008 in Deutschlandradio Kultur erklärte, dass der Indizierungsantrag des Familienministeriums ,,lächerlich" und das Buch auf ,,keinen Fall antisemitisch" sei ..."

Gut, ich hätte vielleicht statt ,,absurd" ,,lächerlich" sagen sollen, aber ,,unehrlich" kann stehen bleiben.













Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 27. August 2012, 16:45:40
Eine hochwertige Diskussion, danke dafür! Für mich liegt bayle argumentativ gerade vorne.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 27. August 2012, 16:52:32
Ich war schon ganz verzweifelt ... ;)
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Abe81 am 27. August 2012, 17:08:28
Zitat von: Ridcully am 27. August 2012, 14:59:48MSS Ferkelchen ist ein unsäglich dämliches Hetzbuch und damit alles andere als aufklärerisch. [...] Auch Hitchens hat Formulierungen benutzt, die man in die Richtung verstehen kann - meist blieb es aber bei mässig sachlicher Kritik an Israel und am Zionismus.

Könntest du ausführen, warum die dieses Buch vom Ferkelchen einem 'Hetzbuch' gleichkomme. Ich halte es für naiv bezüglich seiner monokausalen Botschaft, die Religion selbst trage alles Schlechte in die Welt und wäre ohne sie harmonisch, aber eine Hetze kann ich beim besten Willen nicht erkennen.

Hitchens erliegt erlag der gleichen Reduktion - Religion sei der Ursprung allen Übels - aber meiner Erfahrung nach, die sich auf zig Debatten (die man auf youtube sehen kann), Artikel und die Lektüre seines Magnus Opum stützt, kann ich auch nicht behaupten, daß seine antizionistischen Positionen systematisch antisemitisch sind (und diese Amalgamierung von Antizionismus und Antisemitismus ist m.E. ansonsten die Regel). Im Gegenteil hat er in Debatten oft erkannt, daß der Verweis von Islamapologeten auf Israel ("... aber die Zionisten haben doch auch Atombomben..." etc.) eine Ablenkung und Relativierung der eigenen, widerlichen Umtriebe darstellt.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 28. August 2012, 15:33:53
Zitat von: bayle am 27. August 2012, 16:30:46Quelle bitte.

http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3457718,00.html

Zitat von: bayle am 27. August 2012, 16:30:46Vielleicht kannst Du ja, wenn Du schon dabei bist, kurz mal sagen, was Du konkret mit ,,unsäglich dämlich" meinst.

Unsäglich dämlich ist die inhaltliche Darstellung der Religionen. Das geht über eine billige Polemik nicht hinaus. Die Darstellung des Judentums ist ausserdem von antijüdischen Klischees durchzogen. Ich verweis der Einfachheit halber mal auf die Ausführungen hier in der Mitte unter "Ein Kinderbuch", denn ich mich anschliessen kann: http://jungle-world.com/artikel/2008/24/22011.html

Zitat von: bayle am 27. August 2012, 16:30:46
Ich zitiere aus den ,,Materialien zur Verteidigung". Ich mag ja Broder nicht besonders, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen:

Ob Broder etwas für antisemitisch hält oder nicht ist erst mal irrelevant, der hat das nicht per jüdischem Gen im Blut, das zu entscheiden. Deshalb ist es auch immer so peinlich, wenn bei solchen Gelegenheiten irgendein Alibijude als Zeuge aufgerufen wird. Broder selbst schafft es ja, andere Juden des Antisemitismus zu beschuldigen und sich darüber mit ihnen vor Gericht zu streiten - da geht es dann um Kritik an Israel, die er für gelinde gesagt zu weitgehend hält. Verglichen damit hat die Ansicht, die nicht gerade freundliche, klischeehafte und inhaltlich grob fehlerhafte Darstellung des Judentum im Ferkelbuch sei antisemitisch, schon mehr für sich.

Ich fand den Indizierungsantrag auch albern, allerdings eher deshalb, weil Antisemitismus an sich in Deutschland nicht verboten und so was von allgegenwärtig ist, dass der Aufstand um dieses eine Büchlein tatsächlich lächerlich war. Aber eben nicht, weil die inhaltliche Kritik so daneben lag.

Zitat von: bayle am 27. August 2012, 16:30:46
Gut, ich hätte vielleicht statt ,,absurd" ,,lächerlich" sagen sollen, aber ,,unehrlich" kann stehen bleiben.

Warum? Du unterstellst, die hätten selbst nicht an das geglaubt, was sie in ihrem Antrag geschrieben haben, sondern eigentlich ganz andere Gründe gehabt. Woher weisst du das bitte?


@ Abe81: Nun Hetze, meinetwegen auch nur unsäglich dämlich.

Hitchens schafft es tatsächlich meist, selbst bei völlig unsachlicher Israel-/ Zionismuskritik noch irgendwie die Kurve zu kriegen. Das mag auch daran liegen, das sowohl seine Frau als auch seine Eltern Juden sind/waren. Auch z.B. Chomsky und Finkelstein ziehen bei aller Schärfe der Kritik dann doch irgendwann die Notbremse, wenn ihre Fans zu widerlich werden. Die Leute von der Israelboykottkampagne waren ja zuletzt ziemlich angefressen, als Finkelstein ihnen die Mitarbeit aufgekündigt hat.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 28. August 2012, 18:37:35
@Ridcully

   
ZitatUnsäglich dämlich ist die inhaltliche Darstellung der Religionen

Bitte am Textbefund erläutern.

ZitatIch verweis der Einfachheit halber mal auf die Ausführungen hier in der Mitte unter "Ein Kinderbuch", den[e]n ich mich anschliessen kann

Einem solchen Schriftsatz, der aus den unterschiedlichsten Autoren mit den unterschiedlichsten Ansichten eine einzige braune Soße macht, schließt Du dich an?

   
Zitatirgendein Alibijude als Zeuge aufgerufen

Ich habe noch einen anderen Alibi-Juden:

ZitatDer Zentralrat der Juden in Deutschland hielt das Buch nicht für antisemitisch, da es ,,gleichermaßen alle drei großen monotheistischen Religionen verleumde."
http://de.wikipedia.org/wiki/Wo_bitte_geht%E2%80%99s_zu_Gott%3F_fragte_das_kleine_Ferkel

Es wird Dich nicht überraschen, dass ich mich in der Diskussion eher auf säkularen Seite wiederfinde. Ich bleibe bei ,,unehrlich".

ZitatHitchens schafft es tatsächlich meist, selbst bei völlig unsachlicher Israel-/ Zionismuskritik noch irgendwie die Kurve zu kriegen

Die Überschrift des von Dir oben verlinkten Artikels aus Haaretz klingt da irgendwie anders: "Despite criticism of Israel, Hitchens was ardent foe of anti-Semitism"

Dein Dawkins-Hinweis ist nicht vergessen, ich nehme ihn aufmerksam zur Kenntnis. Ich kann mich aber noch nicht in den Chor der Verurteiler einreihen, weil es sich um ein Zeitungszitat eines Zeitungszitats handelt. Wer jemals, sagen wir, einen SPIEGEL-Artikel zu einem Thema gelesen hat, von dem er zufällig selbst etwas versteht, wird verstehen, warum nicht.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 28. August 2012, 19:42:33
Nachtrag zu Dawkins

Die angegebene Quelle Ynet gibt Dawkins offenbar korrekt wieder. Für diese Äußerung wird er auch von Orac von Scienceblogs ausführlich kritisiert.
http://scienceblogs.com/insolence/2007/10/07/dawkins-walked-right-into-that-one/

The Atheist Jew sagt dazu:
ZitatI am not saying Dawkins is anti-semitic (he is not known for any other anti-semitic slurs), but what he said was anti-semitic
http://baconeatingatheistjew.blogspot.de/2007/10/my-500th-post-dawkins-anti-semitic.html
Die Sache ist jetzt 5 Jahre her, und solange es dazu keine neuen, in ähnliche Richtung deutenden Äußerungen von Dawkins gibt, scheint es mir gerechtfertigt, mich der Meinung des atheistischen Juden anzuschließen. Der Punkt geht an Dich, Ridcully
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Abe81 am 28. August 2012, 22:12:45
Ich antworte lieber in einem zusammenhängenden Text als so fragmentarisch durch Brocken-Zitiererei des Mitdiskutanten. Man möge mir das verzeihen, aber das gestaltet sich einfacher, als auf diese ineinander verschachtelten Gesprächsschnipsel einzugehen.

Ad Peter Bierl, Broder, Alibijuden etc.:

Diese Methode des Heranziehens von 'Alibijuden' halte ich auch für zweifelhaft, die Methode des nimmermüden Antifa-Rechercheurs Bierl (der Autor des o.g. Jungle-Artikels)- am besten mit guilty by association zu bezeichen -   ist aber nicht minder schlimm. Erstere ist mir zu subjektivistisch, letztere zu assoziativ. 

Bezüglich 'Alibijude': Es muss doch für oder gegen eine Position Argumente in der Sache geben, die außerhalb des 'Sprechorts' liegen . D.h. die Identität desjenigen, der dieses oder jenes kritisiert oder verteidigt, sagt erstmal nicht viel darüber aus, ob der Inhalt des Gesagten auch richtig ist.
In diesem speziellen Fall - dem Ferkelbuch - muss ich bayle aber zugestehen, daß seine 'Alibijuden' nicht nur als solche fungieren, d.h. der hier zitierte Broder ist nicht nur dekoratives Beiwerk, sondern beansprucht für sich, einiges vom Antisemitismus verstanden zu haben. Die übliche Funktion des sog. 'Alibijuden' ist es ja eher, dem Antisemiten zu bestätigen, er sei keiner, weil man ja schon so lange befreunde sei. Aber man hätte ja auch zitieren können, warum es lt. Broder nicht antisemitisch sei, sonst hat das den Beigeschmack eines Autoritätsargumentes.

Bezüglich Bierls guilty by association: Es ist ebenso möglich, wahre Aussagen zu tätigen, unabhängig davon, welche Ähnlichkeit die Aussage, die Person X tätigt, mit der bösen Person Y hat und überhaupt, mit wem Person X schon hier und dort auf dem Podium saß oder gemeinsam publizierte. Es ist ja z.B. auch nicht so, daß der völlig durchgeknallte Deschner, dessen ganze Weltsicht in der Priestertrugstheorie aufgeht, mit vielen Fakten in seiner Kriminalgeschichte des Christentums unrecht hätte.

bayle trifft es da schon ganz richtig, wenn er über Bierls Text schreibt "... der aus den unterschiedlichsten Autoren mit den unterschiedlichsten Ansichten eine einzige braune Soße macht...", denn hier fehlt eindeutig die Vermittlung.

Ich halte es da lieber mit Hannes Gießler (http://www.conne-island.de/nf/153/3.html)
Zitat
,,Es geht insbesondere um die Darstellung des Rabbiners. Wenn Sie da den ,Stürmer` (ein Hetzblatt der Nationalsozialisten, H.G.) daneben legen, erkennen Sie durchaus Parallelen", behauptete Thomas Broch, der Sprecher des Bistums Stuttgart-Rottenburg. Der Rabbiner würde stereotyp dargestellt. Völliger Nonsens! In der Karikatur des Rabbiners in dem Ferkelbuch ist der Antisemitismus nur insofern präsent, als dass an ihr die peinlich genaue Vermeidung aller antisemitischen Stereotype ins Auge sticht. Der Rabbiner nimmt wirklich nur deswegen eine exponierte Stellung in dem Buch ein, als er die am normalsten aussehende Figur ist.

Mal interessehalber gefragt: Habt ihr das Buch eigentlich 'gelesen'? Ich habe es mal meinem Neffen geschenkt und war dann sehr überrascht, als auf einmal dieser kalkulierte Skandal der Indizierung seine Runde machte.

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Ad Dawkins, Hitchens, Chomsky, Finkelstein

Ich würde mich bei Dawkins nicht nur auf diesen einen Satz einschießen.  M.E. entspringt das fast mit Notwendigkeit seiner Art von Theoriebildung. Wer Religion auch als Priestertrug auffast, der muss natürlich auch auf politischer Ebene immer die Manipulationsthese aus dem Hut Zaubern, wenn es darum geht, Gesellschaftliches zu beurteilen - und überhaupt gingen die Sphären des Gesellschaftlichen und des Religiösen ineinander auf, seien quasi identisch. Wer ebenfalls - und auch recht widersprüchlich - behauptet, eine Gesellschaft (wie auch ihr Produkt Religion) sei durch 'Meme' konstituiert (vgl. gleichnamiges Kapitel in "God Delusion"), der verkürzt Ideengeschichte auf einen plumpen Strukturalismus; Geschichte ist hier immer nur als naturgeschichtlicher Prozess zu verstehen. Das sieht man auch an der Dokumentation "Root of all evil"; hier sind ganz totalitarismustheoretisch Nachts alle Katzen grau: z.B. ein jüdischer Anwalt, der qua juristischer Auseinandersetzung bestimmte Gebiete in Jerusalem für sich beanspruchen möchte (dessen evil root ihn also dazu gebracht hat, ein naiver Rechtspositivist zu sein) wird einem in Israel lebenden(!), konvertierten Islam-Maniac gegenübergestellt, der sich nicht entblödet, direkt in die Kamera zu sagen, daß er gerne früher als später eine automatische Waffe in die Hand nähme, um damit das Problem auf seine Art zu lösen. Es werden natürlich auch eine Menge IDF-Soldaten gezeigt, mit sinister klingender Musik unterlegt. Warum diese dort stehen, wird nicht erklärt, im Gegenteil, erklärt sich ja von selbst: Religiöser Konflikt wird militaristisch ausgetragen.
Edit: Ich habe gerade nochmal einen Blick in meine Ausgabe von "The God Delusion" geguckt, weil mir das bekannt vorkam; dort wird auf S. 4 und 44 auch von einer "einflussreichen, jüdischen Lobby" schwadroniert:  " Jews...  who are notoriously one of the most effective political lobbies in the United States!" & "As I said in the Preface, American atheists far outnumber religious Jews, yet the Jewish lobby is notoriously one of the most formidably influential in Washington." (Natürlich gibt es Lobbyismus in der Politik und das ist bei weitem kein Alleinstellungsmerkmal amerikanischer Politik, aber die wird hier ja gar nicht ihrer Funktion und Geltung nach erläutert, sondern es wird eine direkte, nicht ganz koschere Einflussnahme unterstellt - dessen Implikation genuin antisemitisch ist)

[Anders herum gedacht: Es muss ja auch möglich sein, jemanden des Antisemitismus zu bezichtigen, ohne daß dies gleich abgelehnt würde, weil die inkriminierte Person sich sonst im Alltag nicht gerade als Judenhasser hervorgetan habe. Es geht ja darum, daß Gesagte seinem Gehalt nach zu beurteilen und nicht, ob die Person ihrem ganzen Wesen nach Antisemit sei.]

Hitchens ist mir da lieber, weil er gerade den Widerspruch aushalten konnte, einerseits zu behaupten, alles Übel entspringe der Religion (also auch als quasi-naturgeschichtlicher Prozess bzw. eine Totalitarismustheorie der Religion behauptete; am stärksten wird diese These m.E. in "God is not great" aufgestellt), aber sich dennoch darin verstand, das jeweilige Übel in seiner spezifisch historischen und gesellschaftlichen Ausformung zu begreifen. D.h. es galt dem 'Islamofaschismus' als schlimmster Erscheinung dieses Übels die Stirn zu bieten, nicht ein paar lustig gekleideten Siedlern im Westjordanland. Der Autor des oben erwähnten Haaretz-Artikels (http://anonym.to/?http://www.haaretz.com/news/features/despite-criticism-of-israel-hitchens-was-ardent-foe-of-anti-semitism-1.402015) schlägt vor, sich Hitchens Gedenkrede zum Tode Daniel Pearls (https://www.youtube.com/watch?v=7a7T0Zs4tkY) anzusehen, um sich ein Urteil über Hitchens Position zu Israel/zum Zionismus zu machen - das kann ich nur sekundieren. Im Gegensatz zu den völlig jenseitigen Antisemiten Chomsky und Finkelstein hat Hitchens sich nämlich sowohl realhistorisch als auch theoriegeschichtlich mit dem Zionismus auseinandergesetzt und sich einen Begriff von ihm gemacht, d.h. er weiß beides miteinander zu vermitteln. Bei ersteren gibt es keine 'Notbremse' (Ridcully) mehr, die rasen ungebremst in jeden Misthaufen, den sie ansteuern. Finkelstein z.B. lehnt den BDS mit seinen Boykottforderungen ja nicht ab, weil es ihm moralisch fragwürdig erschiene, sondern weil die Boykott-Initiatoren ihm - ganz instrumentell und verschwörungstheoretisch gedacht - nicht geschickt genug vorgingen und in ihrer Radikalität verkennen, daß die Zionisten nunmal die Medienkontrolle hätten und man da mitspielen müsse, um gehört zu werden. (Hier das Interview (https://www.youtube.com/watch?v=ASIBGSSw4lI), auf das du, Ridicully, dich wohl oben beziehst[?])

Um nochmal einen Bogen zum Ausgangsthema zu schlagen: Hitchens und Dawkins verstehen/verstanden sich ja m.E. als moderne Aufklärer und man kann auch bei diesen beiden zeigen, wie Aufklärung in ihr Gegenteil umschlägt. Nur leider macht das der Artikel von Hannes Stein mit keinem Satz, es bleibt beim kusorischen Zitate-Aneinanderreihen, den Zusammenhang ergänzt sich der Leser dann schon selbst: Aufklärer = Antisemiten, multikulturalistischer Liberalismus münde automatisch in Säkularismus.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Truhe am 29. August 2012, 11:45:36
Zitat von: Dr. Ici Wenn am 27. August 2012, 16:45:40
Eine hochwertige Diskussion, danke dafür! Für mich liegt bayle argumentativ gerade vorne.

Du hast es gut. Du verstehst wenigstens, wovon die da reden. ;D
Oder Du glaubst es nur. :P
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 29. August 2012, 11:51:33
Zitat von: Truhe am 29. August 2012, 11:45:36
Du hast es gut. Du verstehst wenigstens, wovon die da reden. ;D
Oder Du glaubst es nur. :P

Das könnte auch möglich sein  ;D
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 29. August 2012, 15:29:36
Es wird die Frage gestellt, ob das alles noch verständlich ist. Da die andere Fraktion gerade eine hoffentlich schöpferische Pause hat, will ich die Gelegenheit nutzen, den harten Boden des empirisch Überprüfbaren etwas verlassen und mal was zum Hintergrund der Debatte sagen, so wie er sich mir darstellt.

Da Naturwissenschaft und Logik den Spielraum für Religion zunehmend eingeengt haben, stellt die Frage nach der Moral heute den Kernpunkt der Gottesbeweise dar (Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt). Hitler und Stalin haben Massenmord begangen, weil sie von Gott verlassen waren (vor dem 20. Jhd. hatte der Terreur der Französischen Revolution diese Funktion). Wenn der Glaube zusammenbricht, so glaubt man, dann bricht auch die soziale Ordnung zusammen. Atheismus ist einfach a priori moralisch anrüchig, und es kommt nur darauf an, ihm das nachzuweisen.

Atheismus ist aber keine Religion, sondern einfach nur Atheismus. Atheisten haben ansonsten kein gemeinsames Merkmal, und so ist die Aufklärung nicht die Maske oder das trojanische Pferd des Antisemitismus. Nebenbei wäre es vermutlich auch weder fair noch würde es als konstruktiv empfunden, wenn ich P. Stibbons oder Ridcully die mittelalterlichen Absonderlichkeiten des Heiligen Vaters vorhalten würde.

So gut wie jeder hat etwas an Dawkins auszusetzen, natürlich auch viele Atheisten (ich auch, und in zentralen Punkten). In seiner Darstellung der Evolution als natürlichen Prozess ist er aber unschlagbar. Er zieht Zorn auf sich, weil er über weite Strecken einfach spritzig und kaum widerlegbar ist. Ich kenne bisher keine Rezension, die ihm umfassend gerecht geworden ist. Ich denke aber, dass die Überlegungen von Abe81 in eine solche Rezension hineingehören würden.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Abe81 am 30. August 2012, 14:11:57
Entschuldigt wieder diesen Roman. Ich habe mich schon sehr zusammengerissen, nicht noch mehr zu schreiben und auch nicht zu kompliziert. Ich gelobe Besserung, fürchte aber, daß das bei diesem Thema nur schwer geht.

ZitatEs wird die Frage gestellt, ob das alles noch verständlich ist.

Das hier geraunte 'Nicht-Verstehen' liegt natürlich auch daran, daß mit einer Menge Lektüre und Quellen um sich geworfen wird, die man gelesen haben muss/sollte; das ist natürlich voraussetzungsreich und damit potentiell unverständlich für viele. Aber die Kehrseite wäre leider eine Verflachung, die ebenso die 'Schlagkraft' der Argumente verflachen würde. Ich für meinen Teil könnte mich bemühen die (zugegeben) häufig gedroppten großen Begriffe (z.B. Ideengeschichte, Totalitarismustheorie...)  mit einem Link auf eine Seite zu versehen, die den Begriff prägnant zusammenfasst, ohne dabei allzu viel an seinem Gehalt zu eskamotieren (http://www.enzyklo.de/Begriff/eskamotieren) - der Referer über anonym.to löscht leider auch immer die Anker in den Links, d.h. man wird nur auf die Seite weitergeleitet, aber nicht in den Seitenbereich, den ich verlinke... ärgerlich.

Ich finde das Thema hier auch gerade spannend, weil es gerade auch die Diskussion um die epistemiologische (http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89pist%C3%A9mologie) Schwachstellen der modernen Atheisten befeuert, die m.E. zentraler Kern dieser Diskussion ist/sein sollte. Wer klärt die Aufklärer auf? Sie sich selbst, wenn sie denn nicht das Kind mit dem Bade ausschütten; oder wie Adorno es in der Minima Moralia formuliert "Der Gedanke, der den Wunsch, seinen Vater, tötet (http://www.open-mindwork.org/foren/omspace/forum.php?req=thread&id=371#1492), wird von der Rache der Dummheit ereilt"

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ZitatDa Naturwissenschaft und Logik den Spielraum für Religion zunehmend eingeengt haben...
[Hervorh. Abe]

Das würde ich bestreiten. Mit Kant könnte man eher sagen "das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu haben" (http://www.daniel-von-der-helm.com/kant/kant-philosophie.html#4). Das heißt nämlich, daß man mit dem Wissen auch gleichzeitig die Grenzen dieses Wissens aufzeigen kann (Meta-Wissen i.S. von Erkenntnistheorie).  Der Spielraum der Religion wurde vielleicht dahingehend 'eingeengt', als solche Formen von Religiösität wie Animismus, Totemismus etc. verschwanden. Hier wurde der Grund des Religiösen von der Erkenntnis über die Natur zurückgedrängt. Man muss keinem Regengott mehr frönen, weil man weiß, wie Regen zustande kommt. Diese Naturentzauberung hat aber ihre Erkenntnisgrenzen.

Logik ist erstmal nur eine Erkenntnisform, die nichts damit zu tun hat, von wem sie angewendet wird, sie ist universal. Wer sich mal ein Werk zum katholischen Dogmatismus vorgenommen hat und sich mit (Aussagen-)Logik ein wenig auskennt, wird erstaunt sein, wie konsistent (http://de.wikipedia.org/wiki/Konsistenz) das alles argumentiert ist. Die können das in sich auch so konsistent tun, da sie einen Allgemein- und Letztbegriff haben, nämlich Gott. Eine Prämisse, mit der alles steht oder fällt.

Insofern könnte man auch behaupteten, daß die Religion eine Brutstätte der Vernunft ist und die Theologie (i.S. von gedachter Religion, also Vermittlung der Vernunft mit den Geboten) als das trojanische Pferd, das die Aufklärung in sich trug, bezeichnen.

Eine steile These, die sich vielleicht in diesem Zusammenhang diskutieren lässt: die Geschichte der monotheistischen Religionen ist eine Verfallsgeschichte. Ihre Vermittlung über Vernunft ist im Judentum am stärksten ausgeprägt, im Protestantismus verkehrt sich das schon in eine Flucht in die Innerlichkeit, im Islam ist es nur noch Handlungsanleitung für den Alltag* und ein politisches System. Die modernen Atheisten möchten allerdings das Kind mit dem Bade ausschütten und damit auch der Welt die Vernunft austreiben.

*) als Zuspitzung dieses Prinzips ein amüsante Zitat von Khomeini, das in seiner Skurrilität wirklich nicht sein komischstes ist, sondern eher extrem repräsentativ: ,,Der Mann, der beim Koitus mit einer Frau ejakuliert hat, die nicht seine eigene ist, und der erneut beim Koitus mit seiner eigenen Frau ejakuliert, darf seine Gebete nicht sprechen, wenn er voll Schweiß ist; aber wenn er zuerst mit seiner Ehefrau und dann mit einer außerehelichen Frau koitiert, darf er seine Gebete sprechen, auch wenn er voller Schweiß ist." (Khomeini, Ruhollah Musavi: Meine Worte. Weisheiten, Warnungen, Weisungen; München, 1980)

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ZitatAtheismus ist aber keine Religion, sondern einfach nur Atheismus. Atheisten haben ansonsten kein gemeinsames Merkmal, und so ist die Aufklärung nicht die Maske oder das trojanische Pferd des Antisemitismus.

Obwohl das hier ja der eigentliche Grund des Threads war, würde das m.E. extrem ausufern, dieses Fass aufzumachen. Ich kann nur nochmal auf die oben bereits verlinkte Dialektik der Aufklärung (DDA) hinweisen, die argumentiert, "warum die Menschheit anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt." und was das mit gewisser Notwendigkeit mit der Aufklärung zu tun hat; es wird behauptet Aufklärung sei ihrer Intention nach Befreiung, führe aber in ihrer Geltung (also das was in der Idee zur Wirksamkeit kommt) nur zur Ausweitung von Herrschaft. Wenn du möchtest, können wir das diskutieren, aber ich finde den Diskussionsstrang über die Neuen Atheisten spannender, der hat sich ja auch bereits 'entfaltet'.  By the way: Der 'Philosoph' MSS hat ja auch eine Rezeption der DDA in seinem Traktat zum evolutionären Humanismus (http://www.giordano-bruno-stiftung.de/buecher/manifest-des-evolutionaeren-humanismus); das ist so ziemlich die dümmlichste Rezeption, die ich jemals gelesen habe. Dazu müsste man die DDA wirklich mal ausführlich gegen solche Liebhaber verteidigen.

Zitatdie Frage nach der Moral heute den Kernpunkt der Gottesbeweise dar (Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt). Hitler und Stalin haben Massenmord begangen, weil sie von Gott verlassen waren (vor dem 20. Jhd. hatte der Terreur der Französischen Revolution diese Funktion). Wenn der Glaube zusammenbricht, so glaubt man, dann bricht auch die soziale Ordnung zusammen. Atheismus ist einfach a priori moralisch anrüchig, und es kommt nur darauf an, ihm das nachzuweisen.

Das ist einer der zentralen Punkte, in der die modernen Aufklärer einen Kategorienfehler begehen (bzw. auch ihre dummen Kritiker). Nämlich den von moralischer Handlung/moralischer Mensch sein auf der einen Seite und moralischer Begründung auf der anderen Seite. Letzteres ist die Bedingung der Möglichkeit für ein Urteil(!) über ersteres.
An einem Beispiel erklärt: Als der Papst auf Staatsbesuch in England war, wurde Dawkins auf einer Gegendemo als Sprecher eingeladen. Er hat davon geredet, den Papst sei ein "enemy of humanity" (klick (http://www.youtube.com/watch?v=P2sOqFVPit8)) und nahm an einer Kampagne teil, die forderte, ihn - den Papst - wegen "crimes against humanity" anzuzeigen (klick (http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/8614232.stm)). Ob das rechtspositivistisch (http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtspositivismus) standhält, will ich hier gar nicht diskutieren, sondern über die Voraussetzungen einer solchen Forderung, also ihre metaphysischen Grundlagen. Humanity übersetzt sich in diesem Kontext ins Deutsche mit "die Menschlichkeit" oder "die Menschheit" (http://de.wikipedia.org/wiki/Verbrechen_gegen_die_Menschlichkeit). Menschlichkeit/Menschheit kann aber kein empirisch gegenwärtiger Gegenstand sein, also keine begriffliche Abstraktion von allen existierenden Menschen. Aus letzterer Bezeichnung (Menschheit als Summe aller empirischen Menschen) lässt sich kein Aussschluss als Verbrechen begründen; der praktische Ausschluss durch z.B. Mord hätte unter dieser empiristischen (http://de.wikipedia.org/wiki/Empirismus) Betrachtung zur Folge, daß diese einfach nicht mehr zur Summe gezählt werden. Fertig. Mehr nicht. Die Frage, welchen Status der Begriff der Menschheit hat, ist also nicht nur eine emprische/theoretische Frage, sondern dem Ankläger der "crimes against humanity" aufgenötigt, weil dieser Status vom Angeklagten zur Disposition gestellt wird (dafür möchte man sie ja anklagen, für den grausamen Ausschluss von Menschen aus der Menschheit). So kann Menschheit sinnvollerweise nicht anders als emphatische Idee gedacht werden - also als etwas, das (moralischen) Bedeutungsgehalt hat, über die reine Summe der Mitglieder der Menschheit hinaus. Das heißt wiederum, irgendwas muß ja dem Begriff der Menschheit/Menschlichkeit Geltung verleihen - also diesen Bedeutungsüberschuss geben, der über die rein empirische Summe hinausweist. Ironischerweise hat die katholische Kirche, die hier angeklagt wird, die Begründung für eine Geltung parat, die steckt nämlich in der theologischen Bindung der Menscheit an den Allgemeinbegriff 'Gott', vermittelt über andere Kategorien, wie 'Erbsünde', 'Jesus' etc. Aber diese Prämissen und auch die Kategorien teilen die Ankläger ja nicht mit der Kirche, im Gegenteil, sie bestreiten deren Existenz. Auf welcher Grundlage lässt sich dann aber anklagen? Solche Forderungen ("crimes against humanity") können nicht aufgelöst werden in empirischer Immanenz (http://de.wikipedia.org/wiki/Immanenz), wenn man solche großen Begriffe wie Freiheit, Vernunft, Moral etc. noch denkbar machen und ihnen eine Geltung verleihen möchte.

In diesem Kontext, weil du, bayle, es ja auch erwähntest: Theologie schützt zumindest, dieser Ideengeschichte (http://de.wikipedia.org/wiki/Ideengeschichte) nach, vor gewissen anderen Weltanschauungen - man ist sozusagen auf eine abonniert und versucht sich idealerweise auch daran zu halten; man hat als gläubiger Katholik,  ab einer gewissen historischen Stufe der Theologie(!), also eine gewisse Resistenz gegen andere Ideen.  So konnte, im Umkehrschluss, Stalin Massenmörder werden, weil er es weder besonders mit Marx, noch mit der Religion hielt. Er hatte  die wahnhafte Idee von einer Weltgesellschaft, die von jedem empirischen/individuellen Menschen abstrahieren kann, Hauptsache sie setzt sich durch, wie es seine Geschichtsphilosophie (http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsphilosophie) prophezeit. D.h. man könnte ihm religiöses Denken ankreiden, wie es Dawkins und Hitchens ja auch machen, aber eben kein theologisches, denn letzteres ist vermittelt mit der Vernunft. Und der transzendente Vernunftgebrauch ist eben die Voraussetzung für Kritik der Wirklichkeit; man muß sich ja analytisch/gedanklich außerhalb der Wirklichkeit setzen können, um sie zu kritisieren. Und das wäre ein weiterer Vorwurf an die neuen Aufklärer: Ihre Rede von der Religion als allem Übel bzw. dessen Ursache, die aus empiristischer Immanenz geboren ist, verhindert einen kritischen Blick auf die Gesellschaft, der die Religion entsprungen ist. Religion ist ihnen sozusagen die Erbsünde/ ein Letztbegriff, dessen historische und gesellschaftliche Genese für ihre Abschaffung nicht hinterfragt werden muss.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Truhe am 30. August 2012, 15:02:58
Zitat von: Abe81 am 30. August 2012, 14:11:57
Entschuldigt wieder diesen Roman. Ich habe mich schon sehr zusammengerissen, nicht noch mehr zu schreiben und auch nicht zu kompliziert. Ich gelobe Besserung, fürchte aber, daß das bei diesem Thema nur schwer geht.

ZitatEs wird die Frage gestellt, ob das alles noch verständlich ist.

Das hier geraunte 'Nicht-Verstehen' liegt natürlich auch daran, daß mit einer Menge Lektüre und Quellen um sich geworfen wird, die man gelesen haben muss/sollte; das ist natürlich voraussetzungsreich und damit potentiell unverständlich für viele. Aber die Kehrseite wäre leider eine Verflachung, die ebenso die 'Schlagkraft' der Argumente verflachen würde.

Nö nö, macht mal ruhig auf gehobenem Niveau weiter. Das passt schon, zumal die "Streit"kultur sehr gepflegt ist. Ich finde das spannend.  :police:
Insbesondere, da ich aus oben genannten Gründen oftmals vieles plausibel finde. Solange bis die Gegenargumente kommen und die wiederum plausibel sind. Dann komme ich mir doof vor, weil a) es mir nicht selbst aufgefallen ist und b) ich wieder merke, wie wenig ich weiß.  >:(

Ich staune nur, wieviel manch einer so weiß und gelesen hat. Das könnte ich mir beim besten Willen nicht merken. Die ganzen Leute, die ganzen Ismen...  :o :o
Hoffentlich bleibt vom Mitlesen wenigstens ein Hauch im Kopf hängen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: PaulPanter am 30. August 2012, 15:13:04
ZitatHoffentlich bleibt vom Mitlesen wenigstens ein Hauch im Kopf hängen.
Bei sonne Textwand höre ich auf zu lesen. Bei der Ausdrucksweise sowieso.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 30. August 2012, 15:22:43
Ich finde nicht, dass das Rincewind'sche Law schon gilt. Ich kann dem noch gut folgen und finde es recht konsistent geschrieben. Sind auch einige wirklich gute Änsätze dabei. Ich lese die Diskussion gerne weiter.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Truhe am 30. August 2012, 15:29:29
Zitat von: Dr. Ici Wenn am 30. August 2012, 15:22:43
Ich finde nicht, dass das Rincewind'sche Law schon gilt. Ich kann dem noch gut folgen und finde es recht konsistent geschrieben. Sind auch einige wirklich gute Änsätze dabei. Ich lese die Diskussion gerne weiter.
Dito, habe es trotz Textwand gelesen. Hat einen roten Faden und nachvollziehbare Gedanken. Kein Vergleich zu z.B. Kristall-Andi...
Für den Service der Linksetzung an der Stelle mal einen Dank. Das erleichtert das Mitlernen. Falls Links komische Zeichen enthalten (insb. '#') dann markieren und das "Hyperlink"-Icon klicken (oder vorn "url" und hinten "/url" in eckigen Klammern rumschreiben). Dann funzen die besser.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 30. August 2012, 20:33:24
@Abe81
Ich bin zum Ausgleich wieder etwas kürzer und bleibe bei meinem Hackstück-Stil. Der hat auch seine Vorteile.

ZitatDa Naturwissenschaft und Logik den Spielraum für Religion zunehmend eingeengt haben...
Das würde ich bestreiten.

Wie, die Entwicklung der Geologie, der Biologie (Evolution), der Physik haben den Spielraum für Religion nicht eingeengt?

ZitatWer sich mal ein Werk zum katholischen Dogmatismus vorgenommen hat und sich mit (Aussagen-)Logik ein wenig auskennt, wird erstaunt sein, wie konsistent das alles argumentiert ist. Die können das in sich auch so konsistent tun, da sie einen Allgemein- und Letztbegriff haben, nämlich Gott. Eine Prämisse, mit der alles steht oder fällt.

Nein, die theologische Logik (hier verstanden im allgemeinen üblichen Sinn), von Augustinus über Pasqual, Newman, Swinburne bis zu Ratzinger und Küng, ist gescheitert. Einzelheiten auf Nachfrage, ausführliche Zusammenfassung z. B. bei John Leslie Mackie, Das Wunder des Theismus, preiswert bei Reclam. Auch die Logik der Religionskritik hat sich entwickelt, von Lukrez über Locke, Hume und Kant, Feuerbach und Marx, Freud, Hans Albert, Dawkins und Hitchens. Wenn beides zusammen den Spielraum der Religion nicht eingeengt hat, welche Erklärung gibt es dann überhaupt für den Säkularismus?

Und selbst wenn das mit der formalen Logik korrekt wäre, so wäre doch der Punkt, dass Gott selbst nicht bewiesen werden kann, nicht völlig unerheblich: 
"Sätze von Systemen hängen aneinander wie Mitglieder von Verbrecherbanden. Einzeln überwältigt man sie leichter. Man muß sie also voneinander trennen. Man muß sie einzeln der Wirklichkeit gegenüber stellen, damit sie erkannt werden. ... Der Satz ,Der Regen fällt von unten nach oben' paßt zu vielen Sätzen (etwa zu dem Satz ,Die Frucht kommt vor der Blüte'), aber nicht zum Regen" (Bertolt Brecht)

Zitat... die Religion eine Brutstätte der Vernunft ...

Ja, eine, aber bei weitem nicht die wichtigste. Vernunft kann sich allenfalls als Reibung am Dogma entwickeln. Walter Brandmüller, Chefhistoriker des Vatikans und inzwischen Kardinal, meint (ich verkürze), dass eigentlich die Inquisition die Bedingungen für die wissenschaftliche Bedeutung Galileis geschaffen habe. Auf diese höchst dialektische Weise ist auch Adenauer am Bau der Berliner Mauer schuld. Außerdem springt die Religion als Brutstätte der Unvernunft ebenso ins Auge.

Zitat... die Geschichte der monotheistischen Religionen ist eine Verfallsgeschichte. Ihre Vermittlung über Vernunft ist im Judentum am stärksten ausgeprägt, im Protestantismus verkehrt sich das schon in eine Flucht in die Innerlichkeit ...

Das würde ich mir aber als Protestant verbitten. P. Stibbons, übernehmen Sie. Wieso sollte protestantischer Mystizismus gegenüber dem Katholischen Mystizismus ein Verfall sein? Über den jüdischen Mystizismus maße ich mir kein Urteil an, vermute aber, dass es ihn gab und gibt. Wieso überhaupt ist die weltabgewandte Innerlichkeit ein Verfall gegenüber dem äußerlichen Regelkorsett der Tora (Leviticus, = 3. Buch Mose)?

   
ZitatDialektik der Aufklärung (DDA)

Ich habe versucht, mich mit Deinem verlinkten Text anzufreunden, aber es ist mir nicht gelungen. Auch ich meine, dass diese Diskussion nicht allgemein interessant wäre und weit weg führen würde.

ZitatDas ist einer der zentralen Punkte, in der die modernen Aufklärer einen Kategorienfehler begehen

[Ich krieg das leider mit diesen geschachtelten Zitaten nicht so gut hin, ich hätte gern noch meinen Satz davor; bitte nochmal oben nachlesen.] Ich habe das Gefühl, nicht richtig verstanden worden zu sein.  Was ich hier referiere, ist die der Glaubensverteidigung zugrunde liegende Position. Sie findet sich mehr oder minder explizit in vielen Stellungnahmen von kirchlicher Seite. Mehr Einzelheiten auf Nachfrage. Nur die Darstellung in nuce ist von mir. Sie hat mit der Position der Aufklärung zunächst nichts zu tun.
   
ZitatTheologie schützt zumindest, dieser Ideengeschichte nach, vor gewissen anderen Weltanschauungen

Noch ganz abgesehen davon, dass es ja wohl verwegen wäre, die katholische Religion in ihrer Geschichte als Antidot für Antisemitismus zu begreifen: Die Ideengeschichte der Menschheit lässt sich nicht isoliert als Ideengeschichte erklären. Bereits Edward Gibbon (1737-1794) hat den untrennbaren Zusammenhang (man ist fast geneigt zu sagen, die Determiniertheit) der frühen Konzilsbeschlüsse mit der jeweiligen politischen Gemengelage schlagend nachgewiesen.  Die Selbststilisierung der Kirche als Hort der Toleranz muss nicht ernstgenommen werden, "relative Milde ist hier nur bei relativer Ohnmacht zu erwarten" (H. Albert). Die häufig beklagten Verzögerungen des "mea culpa" der Kirche hängen einzig an der normativen Kraft des Faktischen.

ZitatSo konnte, im Umkehrschluss, Stalin Massenmörder werden, weil er es weder besonders mit Marx, noch mit der Religion hielt.

Stalin konnte Massenmörder werden, weil er an seine persönliche Allmacht (also seine Gottesebenbildlichkeit) glaubte und im Besitz einer alleinseligmachenden Ideologie war, deren Wahrheit füglich nicht bezweifelt werden konnte.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 30. August 2012, 21:29:40
Mein grundsätzliches Problem mit der Befürwortung der Religion (durch Nichtreligiöse) ist: wer immer sich für sie ausspricht (z. B. Habermas, Paulskirchenrede) - ist er nun Bekenner oder nur lauwarmer Sympathisant? Ist er - als Sympathisant - zu erhaben und zu klug, selbst an den lieben Gott zu glauben, aber hält an der Notwendigkeit des Glaubens für das einfache Volk fest, um es im Zaum zu halten? Ist das dann nicht doch ... so etwas ... wie Betrug?

ZitatDie verschiedenen Formen der Anbetung, die in der Römischen Welt vorkamen, wurden vom Volk als gleichermaßen wahr, vom Philosophen als gleichermaßen falsch und von den Magistraten als gleichermaßen nützlich angesehen. (Edward Gibbon)

Entscheidend ist letztlich die Frage nach den praktischen Schlussfolgerungen. Vor wenigen Jahren wurde in Israel das Hirntodprotokoll auf ultra-orthodoxen Druck hin verschärft, mit der Folge eines drastischen Rückgangs der Organtransplantation.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22594371
Tantum religio potuit suadere malorum, so viel Übles hat Glauben anzuraten vermocht (Lukrez).
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 31. August 2012, 11:34:47
Zitat von: bayle am 28. August 2012, 18:37:35
Bitte am Textbefund erläutern.

Tschuldigung, aber da hab ich keine Lust zu. Wenn du nicht von alleine erkennst, dass die Darstellung von Glauben im allgemeinen und der einzelnen Religionen in den  Buch platte Propaganda ist, dann werde ich dich davon wohl auch nicht überzeugen können.

Zitat von: bayle am 28. August 2012, 18:37:35Einem solchen Schriftsatz, der aus den unterschiedlichsten Autoren mit den unterschiedlichsten Ansichten eine einzige braune Soße macht, schließt Du dich an?

Ich hab mich den Aussagen speziell zum Ferkelbuch angeschlossen, dass er vorher und nachher recht problematisch argumentiert, was bräunliche Tendenzen im organisierten Atheismus angeht, ist richtig, tut insoweit aber nichts zur Sache.

Zitat von: bayle am 28. August 2012, 18:37:35Ich habe noch einen anderen Alibi-Juden:

Anders als Broder bringt der Zentralrat auch ein inhaltliches Argument und dient daher nicht als Autorität durch Judentum: alle drei Religionen würden genauso schlecht wegkommen. D

Zitat von: bayle am 28. August 2012, 18:37:35
Es wird Dich nicht überraschen, dass ich mich in der Diskussion eher auf säkularen Seite wiederfinde. Ich bleibe bei ,,unehrlich".

Diese seltsame Lagerdenken ist auch so was, was mir unangenehm aufstösst. Was um alles in der Welt ist die säkulare Seite? Bin ich jetzt automatisch auf der religiösen Seite, nur weil ich das Ferkelbuch dämlich finde, MSS für einen philosophisch unbegabten Demagogen, Dawkins für jemanden, der bei seinen Leisten bleiben sollte usw.?

Zitat von: bayle am 28. August 2012, 18:37:35
ZitatHitchens schafft es tatsächlich meist, selbst bei völlig unsachlicher Israel-/ Zionismuskritik noch irgendwie die Kurve zu kriegen

Die Überschrift des von Dir oben verlinkten Artikels aus Haaretz klingt da irgendwie anders: "Despite criticism of Israel, Hitchens was ardent foe of anti-Semitism"

Wieso, da steht genau das was ich sage: radikaler Antizionist, trotzdem (anders als viele) kein Antisemit.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 31. August 2012, 12:17:31
Zitat von: Abe81 am 28. August 2012, 22:12:45Diese Methode des Heranziehens von 'Alibijuden' halte ich auch für zweifelhaft, die Methode des nimmermüden Antifa-Rechercheurs Bierl (der Autor des o.g. Jungle-Artikels)- am besten mit guilty by association zu bezeichen -   ist aber nicht minder schlimm. Erstere ist mir zu subjektivistisch, letztere zu assoziativ. 

Korrekt.

Zitat von: Abe81 am 28. August 2012, 22:12:45
In diesem speziellen Fall - dem Ferkelbuch - muss ich bayle aber zugestehen, daß seine 'Alibijuden' nicht nur als solche fungieren, d.h. der hier zitierte Broder ist nicht nur dekoratives Beiwerk, sondern beansprucht für sich, einiges vom Antisemitismus verstanden zu haben. Die übliche Funktion des sog. 'Alibijuden' ist es ja eher, dem Antisemiten zu bestätigen, er sei keiner, weil man ja schon so lange befreunde sei. Aber man hätte ja auch zitieren können, warum es lt. Broder nicht antisemitisch sei, sonst hat das den Beigeschmack eines Autoritätsargumentes.

Eben, der Alibijude ist ja eine Form des Autoritätsargumentes. So gehe ich davon aus, dass Broder nicht weiter argumentiert hat.

Zitat von: Abe81 am 28. August 2012, 22:12:45
Ich halte es da lieber mit Hannes Gießler (http://www.conne-island.de/nf/153/3.html)

Bei dem wird auch klar, was Broder eventuell an dem Buch findet: Der Islam kommt vielleicht noch schlechter weg, da wütet gleich der ganze Mob und nicht nur Rabbi/Pfaffe.

Zitat von: Abe81 am 28. August 2012, 22:12:45
Mal interessehalber gefragt: Habt ihr das Buch eigentlich 'gelesen'? Ich habe es mal meinem Neffen geschenkt und war dann sehr überrascht, als auf einmal dieser kalkulierte Skandal der Indizierung seine Runde machte.

Ja. Und ich hab mich doppelt fremdgeschämt: erst für die beiden Autoren, dann für die Möchtegerzensoren.

Zitat von: Abe81 am 28. August 2012, 22:12:45Ich würde mich bei Dawkins nicht nur auf diesen einen Satz einschießen.  M.E. entspringt das fast mit Notwendigkeit seiner Art von Theoriebildung. Wer Religion auch als Priestertrug auffast, der muss natürlich auch auf politischer Ebene immer die Manipulationsthese aus dem Hut Zaubern, wenn es darum geht, Gesellschaftliches zu beurteilen - und überhaupt gingen die Sphären des Gesellschaftlichen und des Religiösen ineinander auf, seien quasi identisch. Wer ebenfalls - und auch recht widersprüchlich - behauptet, eine Gesellschaft (wie auch ihr Produkt Religion) sei durch 'Meme' konstituiert (vgl. gleichnamiges Kapitel in "God Delusion"), der verkürzt Ideengeschichte auf einen plumpen Strukturalismus; Geschichte ist hier immer nur als naturgeschichtlicher Prozess zu verstehen.

Wie gesagt, er sollte einfach bei der Biologie bleiben. Was er zu gesellschaftlichen Themen verzapft, ist einfach nur peinlicher Biologismus.

Zitat von: Abe81 am 28. August 2012, 22:12:45Finkelstein z.B. lehnt den BDS mit seinen Boykottforderungen ja nicht ab, weil es ihm moralisch fragwürdig erschiene, sondern weil die Boykott-Initiatoren ihm - ganz instrumentell und verschwörungstheoretisch gedacht - nicht geschickt genug vorgingen und in ihrer Radikalität verkennen, daß die Zionisten nunmal die Medienkontrolle hätten und man da mitspielen müsse, um gehört zu werden. (Hier das Interview (https://www.youtube.com/watch?v=ASIBGSSw4lI), auf das du, Ridicully, dich wohl oben beziehst[?])

Also ich hab da nichts in der Richtung gehört. Er sagt die Boykottbewegung rede immer vom internationalen Recht, wolle aber tatsächlich Israel zerstören, was internationalem Recht widerspreche. Die israelische Propaganda habe da völlig recht. Die Forderung nach einem unbegrenzten Rückkehrrecht sei die Forderung nach der Zerstörung Israels. Er finde die Methoden von BDS völlig richtig, aber ohne Anerkennung Israels würden sie nie irgendwohin kommen. BDS habe immer eine neue Ausrede, Israel nicht anzuerkennen. Und er redet immer von "international public", und nicht etwa zionistisch kontrollierten Medien. Er macht einen äusserst genervten Eindruck.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 31. August 2012, 12:20:30
Zitat von: bayle am 29. August 2012, 15:29:36Nebenbei wäre es vermutlich auch weder fair noch würde es als konstruktiv empfunden, wenn ich P. Stibbons oder Ridcully die mittelalterlichen Absonderlichkeiten des Heiligen Vaters vorhalten würde.

Jetzt bin ich schon vom Religiösen zum Katholiken befördert worden. *hier augenverdrehsmilie einsetzen*
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 31. August 2012, 12:34:56
Zitat von: Abe81 am 30. August 2012, 14:11:57Menschlichkeit/Menschheit kann aber kein empirisch gegenwärtiger Gegenstand sein, also keine begriffliche Abstraktion von allen existierenden Menschen.

Wieso nicht? Genau so ist es doch gemeint: das Verbrechen ist so groß und furchtbar, dass es nicht als Tat gegen die einzelnen Opfer, sondern die Menschheit als ganzes angesehen und verfolgt wird. Diese "Menschheit" ist nicht konkret, sondern so was wie z.B. Nation (oder vielleich auch Gott?), auch wenn sie sich natürlich auf die konkret existierenden Menschen bezieht.

Das Vertuschen der Sexualdelikte ihrer Angestellten durch die katholische Kirche als Verbrechen an der Menschheit gewertet sehen zu wollen, ist aber auch wieder so ein hysterisches Geschrei, welches bei mir Fremdscham erzeugt.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 31. August 2012, 12:45:21
Zitat von: bayle am 30. August 2012, 20:33:24Auch die Logik der Religionskritik hat sich entwickelt, von Lukrez über Locke, Hume und Kant, Feuerbach und Marx, Freud, Hans Albert, Dawkins und Hitchens.

Also wirklich, willst du nicht vielleicht noch MSS einsetzen?

Zitat von: bayle am 30. August 2012, 20:33:24
Auf diese höchst dialektische Weise ist auch Adenauer am Bau der Berliner Mauer schuld.

Das ist er ganz objektiv auch. Hätte die BRD die DDR nicht als ihr eigenes Staatsgebiet behandelt und ihre Staatsbürger nicht als die ihrigen, hätte die DDR ihre Staatsbürger nicht einsperren müssen. Dann hätte die BRD sie nämlich ausgesperrt, wie sie es sonst bei Ausländern auch ganz gut kann.

Zitat von: bayle am 30. August 2012, 20:33:24Stalin konnte Massenmörder werden, weil er an seine persönliche Allmacht (also seine Gottesebenbildlichkeit) glaubte und im Besitz einer alleinseligmachenden Ideologie war, deren Wahrheit füglich nicht bezweifelt werden konnte.

Er war in der UDSSR tatsächlich praktisch allmächtig, für Gott hat er sich deshalb wohl nicht gehalten. Und der Wahrheitsanspruch des ML war kein religiöser, sondern ein wissenschaftlicher. Auch der Stalinismus war ein Kind der Aufklärung. Ebenso übrigens zumindest in Teilbereichen, gerade was den Rassismus angeht, der NS.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 31. August 2012, 13:15:38
Zitat von: bayle am 30. August 2012, 21:29:40
Mein grundsätzliches Problem mit der Befürwortung der Religion (durch Nichtreligiöse) ist: wer immer sich für sie ausspricht (z. B. Habermas, Paulskirchenrede) - ist er nun Bekenner oder nur lauwarmer Sympathisant? Ist er - als Sympathisant - zu erhaben und zu klug, selbst an den lieben Gott zu glauben, aber hält an der Notwendigkeit des Glaubens für das einfache Volk fest, um es im Zaum zu halten? Ist das dann nicht doch ... so etwas ... wie Betrug?

Soweit ich mich erinnern kann, ging es Habermans um Toleranz zwischen Religiösen und Säkularen und eine verbesserte Kommunikation zwischen ihnen, die am Umverständnis der säkularen gegenüber religiösen Begründungen leide. Wer sich für Toleranz gegenüber religiösen Menschen, Ansichten, Handlungsweisen ausspricht, befürwortet deshalb noch lange nicht Religion. Toleranz ist das zu dulden, was man eben gerade nicht befürwortet. Sonst bräuchte es keine Toleranz.

Zitat von: bayle am 30. August 2012, 21:29:40
Entscheidend ist letztlich die Frage nach den praktischen Schlussfolgerungen. Vor wenigen Jahren wurde in Israel das Hirntodprotokoll auf ultra-orthodoxen Druck hin verschärft, mit der Folge eines drastischen Rückgangs der Organtransplantation.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22594371

Der "drastische Rückgang" drückt sich in 21.9 (2007-2009) auf 20.5 (2011) aus. Und es waren nicht die "ultra-orthodoxen", sondern das Oberrabinat. Das sind die Orthodoxen, die vertreten die überwiegende Mehrheit der israelischen Juden.

Das fand ich auch bei MMS Reaktion auf die Kritik am Ferkelbuch unangenehm: da wurde dann plötzlich die Synagoge (im Buch ausdrücklich so genannt) nachträglich zum Tempel erklärt, da richtete sich die wenig sympathische Darstellung des Rabbiners nur gegen die Ultraorthodoxen, während die große Mehrheit der Juden ja total säkulär und entspannt seien. Und dann verlinken die zur Illustration der Ultraorthodoxen auch noch ausgerechnet auf diese antizionistische Sekte aus New York, die selbst unter den ultraorthodoxen zu den Freaks gehören. Wenn das ihr Bild des Judentums ist, muss man sich über die Darstellung um Ferkelbuch freilich nicht wundern. Allerdings finde ich das doch durchaus ein stark verzerrtes und negativ besetztes Klischee, welches man durchaus antisemitisch nennen kann. Vor allem, da diese Fundis im Umkehrschluss für die Autoren doch offensichtlich repräsentativ für die religiösen Juden sind.


Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Abe81 am 31. August 2012, 13:45:06
Zitat von: Ridcully am 31. August 2012, 12:34:56
Zitat von: Abe81 am 30. August 2012, 14:11:57Menschlichkeit/Menschheit kann aber kein empirisch gegenwärtiger Gegenstand sein, also keine begriffliche Abstraktion von allen existierenden Menschen.

Wieso nicht? Genau so ist es doch gemeint: das Verbrechen ist so groß und furchtbar, dass es nicht als Tat gegen die einzelnen Opfer, sondern die Menschheit als ganzes angesehen und verfolgt wird. Diese "Menschheit" ist nicht konkret, sondern so was wie z.B. Nation (oder vielleich auch Gott?), auch wenn sie sich natürlich auf die konkret existierenden Menschen bezieht.

Wenn "Menschheit = Summe der Menschen", dann ist Genozid nichts weiter als die Formel "[Summe der Menschen] - [Anzahl ermordete Menschen]=[Neue Summe der Menschen]".  D.h. im Begriff "Menschheit" der juristisch kodifizierten "crimes against humanity", auf die Dawkins sich bezieht, steckt ein moralischer Überschuss.

@bayle: Ich schreibe bereits. Es wäre nett, noch kurz zu warten, sonst ginge das Ganze als Privatgespräch 1 (Abe & bayle), Privatgespräch 2 (Ridicully & bayle) aneinander vorbei, anstatt sich aufeinander zu beziehen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 31. August 2012, 14:08:58
Verstehe ich nicht. Der Begriff "crimes against humanity" soll doch rechtfertigen, warum diese Taten überall auf der Welt verfolgt werden können, und nicht allein nach dem positiv vor Ort jeweils geltendem Recht von den lokal zuständigen Behörden, die dazu nicht in der Lage oder meist eher nicht Willens dazu sind. Es ist eine Frage der Betroffenheit, sie gehen nämlich uns alle an, die gesamte Menschheit. Was du da für einen moralischen Überschuss reindeuten zu meinen musst (und wozu), ist mir nicht klar.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Abe81 am 31. August 2012, 14:59:06
Man verzeihe mir mal wieder die vielen 'Ismen' und 'Fremdwörter'. Ich habe heute leider nicht die Zeit, entsprechende Links zu suchen. Kann man z.B. bei Firefox nicht mittlerweile ein Wort makieren und im Kontextmenü "Google-Suche nach..." auswählen? Bei manchen hole ich das per Edit-Funktion noch nach.

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Meine Motivation, warum ich den ganzen Klimbim hier schreibe, ist die, daß ich den sog. Neuen Atheismus (NA) größtenteils für philosophisch unterbestimmt und naiv halte und er somit z.T. hinter dem zurückfällt, was er kritisiert. Das ich gegen die simple Kritik der NA die reifere Philosophie bestimmter Theologien ausspiele, hat logisch keine "Befürwortung der Religion" zur Folge. Deine Anklage an mich, bayle: "Verteidigung der Religion als Atheist" zeugt von Dogmatismus: Man klagt Abweichlertum an. Für jemanden, der sich Rationalität als höchstes Gut auf die Fahnen geschrieben hat und die Religion aufgrund ihrer Irrationalität und der Geltung dieser bekämpft, sollte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und die aufzubewahrende Rationalität der Theologie zugunsten eines naiven logischen Empirismus der NA mitausschütten - das wäre sozusagen mein Kernvorwurf an die NA. Dieses "Lagerdenken" (Ridcully hat das gut erkannt) führt zu allerlei Inkommensurablen (http://de.wiktionary.org/wiki/Inkommensurabilit%C3%A4t). Wie aus einem Steinbruch schlägt man sich eklektizistisch (http://de.wikipedia.org/wiki/Eklektizismus) die Denker heraus, die einem ins Lager passen. Ob man überhaupt alle für sich in Anschlag bringen kann, ist eine andere Frage, die man aber ignoriert zugunsten des 'Lagers'. Z.B. die von dir aufgezählten Locke, Hume,  Kant, Feuerbach,  Marx, Freud, Hans Albert sind inkonsummerabel. Als Beispiel: Du kannst nicht auf der einen Seite mit Marx materialistisch religionskritisch argumentieren* und gleichzeitig kritisch-rationalistisch religionskritisch mit Albert. Den bei ersterem fußt die Argumentation darauf, daß hinter dem Bedürfnis nach Religion das einer besser eingerichteten Welt steht, bei letzterem, daß man lediglich das noch uninformierte Denken in die richtigen Bahnen lenken müsse - das ist auch ungefähr die Konfliktlinie, den der sog. Positivismusstreit in der Soziologie (http://de.wikipedia.org/wiki/Positivismusstreit) hatte (an dem Albert ja beteiligt war) und das scheint mir auch unsere wirkliche Differenz zu sein.

*) In meinem vorherigen Beitrag (#45 dieses Threads) reiße ich das auch kurz an und argumentiere wie Marx, d.h. wir haben einen inner-atheistischen Streit:

ZitatVorwurf an die neuen Aufklärer: Ihre Rede von der Religion als allem Übel bzw. dessen Ursache, die aus empiristischer Immanenz geboren ist, verhindert einen kritischen Blick auf die Gesellschaft, der die Religion entsprungen ist. Religion ist ihnen sozusagen die Erbsünde/ ein Letztbegriff, dessen historische und gesellschaftliche Genese für ihre Abschaffung nicht hinterfragt werden muss.

D.h. im Gegensatz zu Marx oder Freud stellen die Neuen Atheisten gar nicht mehr die entscheidende Frage, auf welche gesellschaftlichen Probleme Religion die falsche, weil mystifizierende Antwort sein will, sondern begreifen Religion als das Problem selbst.

D.h. meine Motivation in Konsequenz: Ich bringe nur das Dilemma des Atheismus in pragmatischer Absicht auf den Punkt. Wer z.B. Moral 'naturalistisch entzaubert' , indem er behauptet, es sei mit "biologische[n], soziologische[n], psychologische[n) Theorien" ausreichend erklärbar (vgl. Mackie "Das Wunder des Theismus", S. 189) der kann Religion auch nicht mehr als falsches(!) Bewußtsein entzaubern. Wenn Inder Witwen oder Kenianer 'Hexen' verbrennen (ersteres ist eher selten geworden, 2008 zuletzt geschehen, letzteres ist fast ein alltägliches Phänomen), sei das halt deren common sense. Verurteilbar sei das nicht. Wenn man mit diesen drei Faktoren (Biologie, Soziologie und Psychologie) Moral erklären will, hat man nur eine deskriptive Erklärung für das Handeln, aber keine normative (http://de.wikipedia.org/wiki/Normativ). Wie kann man den Kenianern klar machen, das das, was sie tun, grausam und falsch ist, wenn ihre 'normative Ansprechbarkeit' (http://www.cobocards.com/pool/en/card/2529657/online-karteikarten-was-ist-die-normative-ansprechbarkeit-was-ergibt-sich-aus-ihr-/) ( eine zentrale Grundlegung für Verurteilbarkeit im juristischen Sinne), also ihr 'moralischer Kompass', wunderbar funktioniert, nur eben nach ihren eigenen sozial-psychologischen Maßstäben? Der Kulturalist (http://de.wikipedia.org/wiki/Kulturalismus) lehnt sich da gemütlich zurück und sagt "Ha, die arroganten Westler wollen ihre universalen Werte allen aufoktroyieren" - dem Lager will sich hier hoffentlich keiner zuordnen, denn (das ist ebenso hoffentlich Konsens, sonst könnten wir das auch noch diskutieren, aber dann vielleicht in einem anderen Thread),die Aufklärer, auf die sich hier affirmativ (http://de.wikipedia.org/wiki/Affirmation) bezogen wird, waren größtenteils Universalisten (http://de.wikipedia.org/wiki/Universalismus_%28Philosophie%29) (wie auch bestimmte Religionen universalistisch sind (http://de.wikipedia.org/wiki/Universalismus_%28Religionswissenschaft%29)). Sie hatten einen emphatischen Begriff von "der Menschheit" (s.o) und eben nicht 'den verschiedenen Kulturen / Rassen / Ethnien...'. So nachlesen kann man das in apologetischehr Absicht in Hitchens "God is not great"

Zitat
ZitatWer sich mal ein Werk zum katholischen Dogmatismus vorgenommen hat und sich mit (Aussagen-)Logik ein wenig auskennt, wird erstaunt sein, wie konsistent das alles argumentiert ist. Die können das in sich auch so konsistent tun, da sie einen Allgemein- und Letztbegriff haben, nämlich Gott. Eine Prämisse, mit der alles steht oder fällt.

Nein, die theologische Logik (hier verstanden im allgemeinen üblichen Sinn), von Augustinus über Pasqual, Newman, Swinburne bis zu Ratzinger und Küng, ist gescheitert. Einzelheiten auf Nachfrage, ausführliche Zusammenfassung z. B. bei John Leslie Mackie, Das Wunder des Theismus, preiswert bei Reclam. Auch die Logik der Religionskritik hat sich entwickelt, von Lukrez über Locke, Hume und Kant, Feuerbach und Marx, Freud, Hans Albert, Dawkins und Hitchens. Wenn beides zusammen den Spielraum der Religion nicht eingeengt hat, welche Erklärung gibt es dann überhaupt für den Säkularismus?

Und selbst wenn das mit der formalen Logik korrekt wäre, so wäre doch der Punkt, dass Gott selbst nicht bewiesen werden kann, nicht völlig unerheblich

By the way: Ich finde es etwas unlauter von dir, einfach nur eine Menge Namen aneinanderzureihen und dann zu meinen, etwas damit ausgesagt zu haben. Name Dropping (http://de.wikipedia.org/wiki/Namedropping) als Autoritätsargument: man führt vermeintliche Autoritäten an (bei dir: die Aufklärer) und dekretiert einfach, diese haben die 'dümmeren' Autoritäten (bei dir in der Aufzählung die Theologen) widerlegt. Du verweist noch kusorisch auf Mackie, bei dem sich das Geheimnis der Widerlegung verstecke und du es auf Nachfrage gerne lüften würdest. Über Mackie können wir gerne Debattieren, er steht in meinem Regal und ich habe ihn als braver Atheist natürlich auch gelesen. Aber bitte nicht einfach ein Verweis droppen, das den magischen Macht des bessern Arguments beinhaltet, du es aber nicht ausführst. Dann lieber nicht erwähnen.

Um auf das Logik-Problem zu kommen: Ich habe ja selbst bereits geschrieben, daß Gott die Prämisse sei, mit der alles stehe und falle. Setzt man Gott aber als Prämisse, ist das binnenlogisch(!) sehr konsistent. Und dieser komische Gott ist ja nicht nur aus reinem Hokusposkus (Animismus) oder Manipulation (Priestertrugtheorie) so aktuell (das behaupten nämlich die NA, alles sei nur Trug und Manipulation), sondern beinhaltet das oben angerissene Dilemma, das man für Rationalität einen Letztbegriff oder Allgemeinbegriff braucht. Und da trumpft die Kirche auf und behauptet ganz abgeklärt: "Ha, seht ihr, in unserem System der Weltauffassung sind alle Widersprüche eleminiert. Damit können wir dann auch Böses verurteilen, ihr atheistischen Deppen." Das muss man sich erstmal gefallen lassen, aber kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß eben die Welt voller Widersprüche ist und die Theologie diese in der Theorie nur glättet, aber nicht in Wirklichkeit. D.h. der Atheist sollte ein "Paradies auf Erden" wollen (im Gegensatz zur Position der Religion: erst im Jenseits) und nicht gar nichts wollen! Daraus ließe sich moralische Sprengkraft als Ersatz für universale Geltung speisen (so mein Vorschlag, von Marx geklaut). Also meine Vorwurf an die NA (oder an dich, sofern du dich darunter subsumierst): Anstatt nichts zu wollen (was auch faktisch nicht wahr ist, sie behaupten es nur), muss man als Atheist expressiv verbis (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_lateinischer_Phrasen/E#Expressis)(!)eine bessere Welt wollen.

Kant - den du ganz generös unter 'Aufklärer' verbuchst, anstatt Protestant der er war (= darin bestätigt sich in deinen Ausführungen geschickt meine These: Aufklärung steckt schon in der Theologie!) - versuchte diesem Dilemma zu entkommen und landete stattdessen bei Aporien (http://de.wikipedia.org/wiki/Aporie). Also nur einen Quantensprung weiter; aber das in der Doppeldeutung von "Quantensprung", d.h. erkenntnistheoretisch war es sowohl ein riesen Wurf, als auch nur ein kleiner Schritt zur Lösung der Probleme. Gott ist bei Kant nämlich keine letzte Kategorie, sondern eine sog. "regulative Idee". Gott ist kein Ding sondern Ursache von Dingen - er ist unbedingbar... soweit so crazy. Mackie übrigens, rezipziert m.E. Kant falsch: Er behauptet, Gott wäre für Kant ein Wesen i.S. eines Dings i.S. selbst eine argumentative Kategorie zu sein (S. 169-177).

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ZitatWie, die Entwicklung der Geologie, der Biologie (Evolution), der Physik haben den Spielraum für Religion nicht eingeengt?

Ja, haben sie, aber wie oben beschrieben. Was ich nur betonen wollte: Diese einengende Bewegung hat ihre Grenzen. Deswegen habe ich auch Kant eingeschoben, weil der die Erkenntnisgrenzen dieser "Einengung" aufzeigt.

Es ist Kategorienfehler, diese Einengung als kategorische zu sehen, also unendlich erweiterbar, bis alles natürlich aufgeklärt sei und nichts 'Übernatürliches' mehr bleibe. Dieser Konsequenz, die im Gedanken der "Einengung" steckt, wollte ich widersprechen.
Der Kategorienfehler bsteht nämlich in der Vermengung von Funktion und Ursprung. Ich zitiere mal den schon erwähnten K.H. Haag (aus "Metaphysik als Forderung rationaler Weltauffassung): "Positiv bestimmbar an stofflichen Dingen [als Gegenstand der Naturwissenschaften] ist einzig ihr funktionales Verhalten - aber nicht das, worin sie ontologisch gründen: das Prinzip ihrer Genesis. Als die gestaltende Form stofflicher Dinge gehört es einer anderen Dimension an: dem für menschliches Erkennen begrifflich nicht fixierbaren Bereich des intelligiblen[sic!] Ansichseins der Welt"

und

"Physikalische Gesetze sind Gesetze von Sektoren der Natur: Einzelgesetze. Keines von ihnen hat den Charakter eines universalen wie fundamentalen Prinzips, das konstitutiv dafür sein könnte, welche partikulären Gesetze bei der Weltgenese zusammenwirken. Weil sie genötigt ist zu isolierenden Eingriffen in kosmische Prozesse, ist der naturwissenschaftlichen Methode die Erkenntnis eines solchen Prinzips grundsätzlich versagt. Einzig negativ ließe es sich bestimmen: als die physikalisch nicht fixierbare Voraussetzung jeglicher Evolution."

Auf Dawkins bezogen: "Like nothing else, evolution really does provide an explanation for the existenceof entities whose improbability would otherwise, for practical purposes, rule them out." (aus "God Delusion" S. 61)

Dawkins muss für das Wirken der Gesetze der Evolution wie der natürlichen Selektion bzw. der biologischen Anpassung (deren Existenz ja niemand bestreitet, auch Haag nicht) immer schon voraussetzen, was er zu erklären beanspruch: die Existenz von Entitäten.

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ZitatWas ich hier referiere, ist die der Glaubensverteidigung zugrunde liegende Position. Sie findet sich mehr oder minder explizit in vielen Stellungnahmen von kirchlicher Seite

Du 'referierst' aber in kritischer Absicht, sozusagen Kritik durch Darstellung, denn du referierst ja nicht willkürlich, sondern meinst in dem speziell referierten Teil liege der Hund begraben und willst ihn ausgraben. D.h. auch dein "Referieren" hat natürlich, wie jedes rationale Vorgehen, Vorannahmen und Methode, über die man sich im klaren sein muss - explizieren muss. Das habe ich mit meinem Beispiel/Exkurs zu Dawkins Kritik am Papst zu erklären versucht, wie hier Vorannahmen nicht reflektiert oder verborgen werden (je nach Auslegung). Wie willst du anklagen/verurteilen (moralisch), wenn es kein 'kodifiziertes Recht' (->universale Ethik) gibt? Diese Aporie löst auch Mackie nicht auf, sondern verlängert - bzw. spezifischer: verschleiert - sie nur naturalistisch.

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Zitat
Zitat... die Geschichte der monotheistischen Religionen ist eine Verfallsgeschichte. Ihre Vermittlung über Vernunft ist im Judentum am stärksten ausgeprägt, im Protestantismus verkehrt sich das schon in eine Flucht in die Innerlichkeit ...

Wieso sollte protestantischer Mystizismus gegenüber dem Katholischen Mystizismus ein Verfall sein? [...]  Wieso überhaupt ist die weltabgewandte Innerlichkeit ein Verfall gegenüber dem äußerlichen Regelkorsett der Tora (Leviticus, = 3. Buch Mose)?

Was mir in deiner Aussage implizit zu stecken scheint: Protestantische Innerlichkeit ist 'besser' (säkular betrachtet), da der Glaube im Inneren, sozusagen im Privaten verschwunden ist. Korrigiere ich mich, wenn ich das falsch interpretiert habe.

Ich führe meine (zugegeben) steile These ein wenig aus: An dem sogenannten Dogma, das ja für sich beansprucht, logisch konsistent zu sein, kann man sich eben "reiben" (wie du das nennst). Dieses Reiben kann man auch Theologie nennen -> Vermittlung des Glaubens durch Vernunft. Unvernünftiges wird nicht geglaubt, historisch aktualisiert, fallen gelassen. Luther wurde nicht müde, von der "Hure Vernunft" zu sprechen, d.h. er entzog dem Glauben die Vermittlung durch Vernunft und damit jeglicher Rationalität. Das ist - zugespitzt formuliert - auch der Kern der Esoterik. Wie sicherlich bekannt, kann man der Esoterik auch nicht mir Rationalität kommen, sie lässt sich binnentheoretisch und erst recht nicht durch Verweis auf die Wirklichkeit 'widerlegen' . Du hast geschrieben, daß Gibbon gezeigt habe, daß Konzile immer  Ausdruck der die Kirche umgebenden Lebenswelt/Gesellschaft waren. Exakt, das ist ja auch mein Punkt und führte mich auch zu der - ebenfalls zugespitzten Formulierung: die Theologie als rationale Methode trüge die Aufklärung in sich - also auch den Grund ihrer eigenen Abschaffung (deswegen passte auch die ursprünglich von dir verwendete Metapher des trojanischen Pferdes). Der Protestantismus ist diesem trojanischen Pferd geschickt entkommen, indem es dem Glauben den Primat zugeordnet hat, nicht der Vernunft. Gott ist, was du draus machst. Damit entziehen sie sich den Zumutungen der rationalen Vermittlung (wieder eine Zuspitzung von mir: Kants Programm in der Kritik der reinen Vernunft "Platz für Glauben zu schaffen" war ein rational argumentierter Kniff (nämlich die Grenzen der Erkenntnis aufzuzeigen) Rationalität aus dem Glauben zu bannen).

Die Behauptung, deswegen sei die (jüdische und katholische) Theologie Brutstätte der Vernunft, ist damit nicht 'dialektisch' (wie du behauptest), sondern folgelogisch (soviel Liebe zur Logik muss sein, du hälst sie doch hoch). Was du allerdings insinuierst: mein Beispiel mit der Aufklärung in der Theologie wäre das gleiche wie dein Beispiel: Wenn man behauptet, etwas anerkannt Grausames (Inquisition) sei der Vorbereiter von etwas anerkannt Guten/Wahrem (Galilei), dann ist das nämlich nicht folgelogisch, sondern erstmal nur ein krasser Widerspruch und kann dialektisch dennoch wahr sein, da müsste man sich die Argumentation anschauen. Du würdest ja auch nicht bestreiten wollen, daß gute Ideen böse Folgen haben können, warum also nicht auch vice versa? Natürlich war das von dem Pfaffen, den du da zitierst, instrumentell gedacht, aber es geht ja um den Wahrheitsgehalt der Aussage, unabhängig vom Motiv des Sprechers.


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Nur als Tipp für jene, die diese Art von Debatte interessiert; ich fand die Artikel sehr interessant: Ein Zweiteiler zur "Metakritik von Religion und Religionskritik" von Lars Quadfasel: "Gottes Spektakel"
1. Teil: Aspekte des ungeglaubten Glaubens, oder: Der heilige Schein des Kapitals (http://www.extrablatt-online.net/archiv/ausgabe-4/lars-quadfasel-gottes-spektakel-teil-1.html)
2. Teil: Liquidation Gottes, Rettung der Theologie (http://www.extrablatt-online.net/archiv/ausgabe-5/lars-quadfasel-gottes-spektakel-teil2.html)


Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Abe81 am 31. August 2012, 15:31:15
Zitat von: Ridcully am 31. August 2012, 14:08:58
Verstehe ich nicht. Der Begriff "crimes against humanity" soll doch rechtfertigen, warum diese Taten überall auf der Welt verfolgt werden können, und nicht allein nach dem positiv vor Ort jeweils geltendem Recht von den lokal zuständigen Behörden, die dazu nicht in der Lage oder meist eher nicht Willens dazu sind. Es ist eine Frage der Betroffenheit, sie gehen nämlich uns alle an, die gesamte Menschheit. Was du da für einen moralischen Überschuss reindeuten zu meinen musst (und wozu), ist mir nicht klar.

Das kann ich dir rekursiv erklären:
- Wenn du etwas über lokalem/staatlichem Recht verankern willst, benötigst du - rechtspositivistisch gedacht - einen Souverän der Welt; den gibt es aber dummerweise nicht. Wer die Institutionen, die die "crimes" kodifizieren dafür anführt, muss auch erklären, warum das Verbrechen sind, das erklärt sich aus der Sachlogik "Menschheit" = "Menge aller Menschen" nicht.

D.h. in deiner Begründung sind zwei Sachen erklärungsbedürftig / alles andere als selbstevident:
- Warum geht es denn alle an? Hat es für deinen Alltag etwas geändert, daß in Rwanda Hunderttausende abgeschlachtet worden sind?
- Wovon bist du Betroffen? Betroffenheit klingt für mich wie eine moralische Aussage: Es verstößt gegen die Sittlichkeit, deswegen trifft es dich.

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Wer als Atheist behauptet, sowas werde schon konsensual festgelegt, d.h. die "Völker aller Länder" einigen sich, das best. Sachen Verbrechen seien und andere nicht, wird hoffentlich nicht eines Tages für "Diffamierung der Religionen" (http://hpd.de/node/8265) angeklagt, weil die List der Vernunft (http://de.wikipedia.org/wiki/List_der_Vernunft) nicht aufgepasst hat und das Konzept der Religionsdiffamierung verrechtlicht wurde. Es ist auch extrem gruselig, das ausgerechnet die größten 'Violator' der Menschenrechte im UN-Menschenrechtsrat sitzen und Stimmrecht haben (klick (https://www.youtube.com/watch?v=uhWgZu6tcZU&feature=relmfu))
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 31. August 2012, 17:52:15
Mann, hier is ja richtich wat los!
@Ridcully

Zitat von: Ridcully am 31. August 2012, 11:34:47
Zitat von: bayle am 28. August 2012, 18:37:35
Bitte am Textbefund erläutern.

Tschuldigung, aber da hab ich keine Lust zu. Wenn du nicht von alleine erkennst, dass die Darstellung von Glauben im allgemeinen und der einzelnen Religionen in den  Buch platte Propaganda ist, dann werde ich dich davon wohl auch nicht überzeugen können.
Dann können wir das Thema ja fallen lassen. Ich halte mal fest: Das Buch ist nicht antisemitisch, aber der Indizierungsversuch wurde mit dem Antisemitismusvorwurf begründet. Unehrlichkeit.

ZitatHitchens schafft es tatsächlich meist, selbst bei völlig unsachlicher Israel-/ Zionismuskritik noch irgendwie die Kurve zu kriegen
Die Überschrift des von Dir oben verlinkten Artikels aus Haaretz klingt da irgendwie anders: "Despite criticism of Israel, Hitchens was ardent foe of anti-Semitism"
Wieso, da steht genau das was ich sage: radikaler Antizionist, trotzdem (anders als viele) kein Antisemit.
[Denkt euch die Verschachtelung dazu]
Es ist ein Unterschied, ob jemand ein glühender Feind von etwas ist oder sich nur bemüht, nicht in ein Fettnäpfchen zu treten.

Zitat von: Ridcully am 31. August 2012, 12:20:30
Zitat von: bayle am 29. August 2012, 15:29:36Nebenbei wäre es vermutlich auch weder fair noch würde es als konstruktiv empfunden, wenn ich P. Stibbons oder Ridcully die mittelalterlichen Absonderlichkeiten des Heiligen Vaters vorhalten würde.

Jetzt bin ich schon vom Religiösen zum Katholiken befördert worden. *hier augenverdrehsmilie einsetzen*
Fein, dass Du das für unsinnig hältst. Dann bin ich ja auch von der Aufgabe befreit, die PR-Gags von Richard Dawkins kommentieren zu müssen.

Zitat von: Ridcully am 31. August 2012, 12:45:21
Zitat von: bayle am 30. August 2012, 20:33:24Auch die Logik der Religionskritik hat sich entwickelt, von Lukrez über Locke, Hume und Kant, Feuerbach und Marx, Freud, Hans Albert, Dawkins und Hitchens.

Also wirklich, willst du nicht vielleicht noch MSS einsetzen?
Nein, aber Spinoza, Hobbes, Bertrand Russell, Mark Twain habe ich vergessen.
@Abe81
Ich komme nochmal drauf zurück.

Zitatder Wahrheitsanspruch des ML war kein religiöser, sondern ein wissenschaftlicher.
Letztlich handelt es sich beim Marxismus/Leninismus/Stalinismus ebenso wie beim christlichen Glauben mit seiner geoffenbarten Wahrheit um ein selbstreferentielles System; und die jeweiligen Orthodoxien waren sich strukturell weit ähnlicher, als es beiden Seiten lieb gewesen sein konnte. Durfte der Kommunist an Stalin zweifeln, oder war er dann nicht ein Revisionist, ein Agent des Klassenfeinds, ein Spion des Imperialismus, kurz: ein vom Dämon Besessener, ein Häretiker?

ZitatSoweit ich mich erinnern kann, ging es Habermans um Toleranz zwischen Religiösen und Säkularen und eine verbesserte Kommunikation zwischen ihnen
Ich habe noch mal nachgelesen. Habermas ist einfach nebelhafter, als ich es ihm unterstellt habe. Ich war einer religiösen Sekundärquelle aufgesessen, die ihn für sich in Beschlag genommen hatte. Eine Erinnerungsfälschung.

ZitatDer "drastische Rückgang" drückt sich in 21.9 (2007-2009) auf 20.5 (2011) aus. Und es waren nicht die "ultra-orthodoxen", sondern das Oberrabinat
Der Rückgang war nicht auf 20.5, sondern auf 16.0, d.i. ein Viertel, ein drastischer Rückgang. Der Wieder-Anstieg in 2011 ist auf die Einführung einer neuen Diagnosetechnik zurückzuführen.
Da der Volltext nicht über Google erreichbar ist, erlaube ich mir mal, ausführlich zu zitieren (mach ich ungern):
ZitatIn this regard, the Chief Rabbinate, a body made up of two Chief Rabbis who are selected by a body comprising members from both the secular (mainly politicians) as well as religious communities, issued a religious decree in 1986 accepting brain death as a valid determination of death. Despite this, religious parties opposed recognizing brain death in Israel and dissuaded the public from donating organs for transplantation until further requirements were met. ...
The main reason for nondetermination [des Hirntods] was related to the requirement for obtaining information regarding a patient's views on brain death. This was introduced to take into consideration the strong negative views held by the ultra-orthodox Jewish community regarding brain death. ...
The intention of the law may well have been to decrease the number of BDDs [Hirntoderklärungen] among a sector of the population, that is, ultraorthodox, whose values do not support it and who would refuse organ donation if approached. ...
The final obstacle was related to the requirement that physicians performing BDD undergo a training course, which includes medical, ethical and religious aspects and under the auspices of both the Medical Council and the Rabbinate. Many physicians have refused to participate in these courses, both because they reject elements of the new Act  [gesetzl. Festlegung zur Hirntodbestimmung] and because the Rabbinate is seen to have influence over a purely medical decision, that is, the declaration of death. For this reason, the number of  physicians available to perform BDD has decreased, resulting in delays in determination and possible deterioration in the condition of potential organ donors. ...
Rather the formulation of the new Act was the result of a public discussion including the ultra-orthodox minority with an attempt to include all the criteria required by the Jewish minority groups. This compromise was intended to unify these minorities regarding the definition of death. The law is supposed to reflect negotiation between the different parties and once approved with a majority vote, should apply to all citizens.
In conclusion, changes made to the BDD required by the religious authorities in Israel were introduced with under appreciation of their consequences. Thus, instead of providing increased opportunities, practical obstacles negatively affected the ability to perform BDD.

Wenn es das Rabbinat allein gewesen wäre, wäre alles noch schlimmer. Ich hätte nicht gezögert, zu sagen "auf religiösen Druck hin". Allerdings muss ich zur Sicherheit noch eine Korrektur nachschieben: es geht hier nicht um die Organtransplantation, sondern zunächst um den Hirntod.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 31. August 2012, 18:43:21
Zitat von: Abe81 am 30. August 2012, 14:11:57
Ich finde das Thema hier auch gerade spannend, weil es gerade auch die Diskussion um die epistemiologische (http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89pist%C3%A9mologie) Schwachstellen der modernen Atheisten befeuert, die m.E. zentraler Kern dieser Diskussion ist/sein sollte. Wer klärt die Aufklärer auf? Sie sich selbst, wenn sie denn nicht das Kind mit dem Bade ausschütten; oder wie Adorno es in der Minima Moralia formuliert "Der Gedanke, der den Wunsch, seinen Vater, tötet (http://www.open-mindwork.org/foren/omspace/forum.php?req=thread&id=371#1492), wird von der Rache der Dummheit ereilt"
Habt Ihr mal geguckt, wo der Link hingeht, der unter ,,Vater, tötet," liegt?
http://www.open-mindwork.org/foren/omspace/forum.php?req=thread&id=371
zu Andreas Giesen, unserem Walach-Verteidiger. Das ist dann wohl genau der Richtige, die Aufklärer über ihre epistemiologischen Schwachstellen aufzuklären (Service für @abe81: schau Dir mal den thread
http://forum.psiram.com/index.php?topic=5306.0 an)

Eigentlich wollte ich ja im Zusammenhang antworten, aber das war einfach zu köstlich, das musste ich vorweg schicken.
:laugh:
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 31. August 2012, 20:02:17
@Abe81. Ich möchte Dich nicht zu sehr in die Irre jagen. Der Part mit Andreas Giesen geht ab Seite 9, Post #130, los:
http://forum.psiram.com/index.php?topic=5306.120
Viel Spaß! :grins2:
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 31. August 2012, 22:11:03
@abe81

Zitatdaß ich den sog. Neuen Atheismus (NA) größtenteils für philosophisch unterbestimmt und naiv halte

Kannste, musste aber nicht. Wenn ich Dich richtig verstehe, ist das die Duhem-Quine-These, die stark vergröbert sagt: sowieso egal, welche Theorie ich vertrete, überprüfen kann das eh keiner, weil ich mir immer was ausdenken kann, um meine Theorie nachträglich zu schützen.

Ich bin nicht dieser Ansicht. Nicht alle Tatsachen lassen sich wegdiskutieren. Oder, auf schlau: ,,Durch beliebige Ad-hoc-Hypothesen oder Ad-hoc-Modifikationen können reproduzierbare Effekte nicht erklärt werden" (Gunnar Andersson; Kritik und Wissenschaftsgeschichte, Tübingen 1988).

Zitat"Verteidigung der Religion als Atheist" zeugt von Dogmatismus: Man klagt Abweichlertum an.

Ich habe nicht den Eindruck, dass das eine Antwort auf die Frage nach dem Widerspruch zwischen eigener Überzeugung und der Empfehlung für Andere ist.

Zitatund die aufzubewahrende Rationalität der Theologie zugunsten eines naiven logischen Empirismus der NA mitausschütten

Später sagst Du dann ja auch sehr schön, dass mein ,,Referieren" Vorannahmen habe, die expliziert werden müssten. Wenn das Deine Explikation ist, so zeigt Deine Wortwahl, dass schon die Voraussetzungen, das Begriffsystem, nicht soweit übereinstimmen, dass ich Dir auch noch einen Satz weiter folgen würde. Du nennst das ,,Inkommensurabilität" und meinst, dass das auch für die von mir angeführten Autoren untereinander gelte. Ich kenne sie übrigens gerade gut genug, um bei meinem Satz bleiben zu können.

Der Begriff der Inkommensurabilität geht auf Thomas Kuhn zurück. Ich halte ihn für inhaltsleer, weil ich seine Wissenschaftstheorie im Grundsatz für nicht ausreichend tragfähig halte. Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Der Begriff der ,,Realität" wie auch der Begriff der ,,wissenschaftlichen Wahrheit" werden von Kuhn in uneindeutiger Weise verwendet (sofern sie überhaupt vorkommen); in einem Satz bedeuten sie dies, im nächsten jenes. Alle Theorien sind letztlich kommensurabel: in ihrem Bezug zur Realität. Hier können wir gleich noch Deine Verfallsthese der monotheistischen Religion abhandeln: sie hat keinen. Sie ist also kommensurabel mit dem katholischen, evangelischen und muslimischen Mystizismus, welche ich im Übrigen weder für Verfalls- noch für Aufstiegssymptome halte, sondern für Irrwege des Denkens. Man kann für meine Ansicht natürlich auch einen anderen Namen finden, halt, Du hast ihn schon: naiver Empirismus.

ZitatDu kannst nicht auf der einen Seite mit Marx materialistisch religionskritisch argumentieren und gleichzeitig kritisch-rationalistisch religionskritisch mit Albert.

Doch, selbstverständlich kann ich nach materiellen Ursachen (im Marxschen Sinn) für Religion Ausschau halten und zugleich mit Albert ihre Immunisierungsstrategien untersuchen. Ich glaube nicht, dass jemals eine vollständige Erklärung des Phänomens Religion möglich sein wird, aber es ist überhaupt kein Grund erkennbar, nicht zu versuchen, sich dieser Erklärung anzunähern - und die Beiträge, die die verschiedenen Autoren dazu leisten, zur Kenntnis zu nehmen.

Zitatdas ist auch ungefähr die Konfliktlinie, den der sog. Positivismusstreit in der Soziologie hatte (an dem Albert ja beteiligt war) und das scheint mir auch unsere wirkliche Differenz zu sein.

Ich bin der gleichen Ansicht.

ZitatD.h. im Gegensatz zu Marx oder Freud stellen die Neuen Atheisten gar nicht mehr die entscheidende Frage, auf welche gesellschaftlichen Probleme Religion die falsche, weil mystifizierende Antwort sein will, sondern begreifen Religion als das Problem selbst.

Ich bin da nicht so sicher. Ich meine sogar, dass auch Marx und Freud nur Teilaspekte der Wirklichkeit erfassen. Und ich lehne mich mal aus dem Fenster: es dürfte schwerhalten, bei irgendeinem der neuen Atheisten irgendwo die These explizit formuliert zu finden, mit dem Verschwinden der Religion wären die Menschheitsprobleme gelöst. Ich lass mich gern informieren.

ZitatWer z.B. Moral 'naturalistisch entzaubert' , indem er behauptet, es sei mit "biologische[n], soziologische[n], psychologische[n) Theorien" ausreichend erklärbar (vgl. Mackie "Das Wunder des Theismus", S. 189) der kann Religion auch nicht mehr als falsches(!) Bewußtsein entzaubern.

Muss er auch gar nicht. Es gibt mehr oder minder erfolgreiche Strategien des Denkens, je nachdem, woran man Erfolg misst. ,,Unter dem Krummstab des Dogmas mag gut leben, gut essen und trinken sein, aber gut denken ist nicht unter ihm." (Feuerbach). Bei dieser Gelegenheit: mir scheinen die rationalen Theologen, von denen die Aufklärer noch was lernen können, in der Öffentlichkeit ein bisschen zu kurz zu kommen. In der katholischen Enzyklopädie übrigens, in der sie doch versammelt sein sollten, finden sich lobende Worte über die Inquisition (wenn auch nicht diejenigen Brandmüllers). Zu diesem Thema und zur Frage der Dialektik nur: schön, dass so alles mit allem zusammenhängt (hatten wir schon bei der Berliner Mauer).

   
ZitatSetzt man Gott aber als Prämisse, ist das binnenlogisch(!) sehr konsistent

Was ist konsistent? Die Erklärung der Theodizee? Das Wunder der Transsubstantiation? Die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel? Welche Art von christlicher Moral? Die des schwedischen Protestanten oder die des koptischen Christen?

Ich bin schlicht zeitlich (und vom Interesse her) nicht in der Lage, Deinen Post, in dem Du alle Welträtsel berührst, abzuarbeiten, und für Quadfasel (bitte entschuldige mein entstellendes Grinsen) habe ich leider auch keine Zeit. Ich greife nur noch einen Punkt heraus, der, da scheinen wir uns einig zu sein, ein zentraler ist:

ZitatWie willst du anklagen/verurteilen (moralisch), wenn es kein 'kodifiziertes Recht' (->universale Ethik) gibt?

Kodifiziertes Recht gibt es überall, wahrscheinlich sogar in Somalia, auch wenn es damit in der Geschichte zu Zeiten und in Gegenden nicht weit her war. Völlig anders ist das dagegen mit der universalen Ethik. Die gibt es nun gar nicht, weder mit noch ohne Religion.
Die Regeln der Moral, die im AT gelten, können im Großen und Ganzen kaum anders als seltsam berühren. In der Antike war Kindesaussetzung nichts Anrüchiges. Die griechischen Philosophen rechtfertigten die Sklaverei, und die römischen noch dazu die Gladiatorenkämpfe (oder verurteilten sie zumindest nicht). Bei genauer Lektüre erweist sich die Bergpredigt in der vorliegenden Fassung als nicht unterschriftsreif. Die Scharia ist das Rechtssystem eines Nomadenvolks, welches keine Gefängnisse hatte und deshalb Körperstrafen favorisiert. Es wäre ein leichtes, aus mittelalterlichen Synodalbeschlüssen einen Horrorkatalog inhumaner Absurditäten herauszufiltern. Auch in jüngerer Zeit ist die Moral beständigen Änderungen unterworfen. Die marxistische Moral leitet sich aus den Bedürfnissen des Kampfes der Arbeiterklasse her. Und schließlich: schauen wir doch nur einmal auf den eigentlichen Anlass unserer Debatte: er ist Ausdruck eines aktuell stattfindenden Wertewandels.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 01. September 2012, 06:54:59
@abe81, Teil II und (wahrscheinlich) Schluss
ZitatWie kann man den Kenianern klar machen, dass das, was sie tun, grausam und falsch ist
Das weiß ich auch nicht. Indem man Ihnen aus der Bibel oder aus Adorno vorliest?

ZitatAlso mein Vorwurf an die NA (oder an dich, sofern du dich darunter subsumierst): Anstatt nichts zu wollen (was auch faktisch nicht wahr ist, sie behaupten es nur), muss man als Atheist expressiv verbis (!) eine bessere Welt wollen.
Will ich nun etwas, und wenn ja was? Da hast Du mich jetzt ertappt: die Tatsache, dass ich in diesem Forum mitschreibe, zeigt schon, dass ich etwas will. Jemand in diesem Forum hat als ,,Wappenspruch" – ,,Die schlimmste Idee ist die einer besseren Welt". Also ich könnte daraus nicht ablesen, dass er an den lieben Gott glaubt, ich hätte da eher an eine Nähe zu Popper gedacht. Und die Religiösen wollen auf dieser Welt gar nichts? Denkbar wäre das: ,,Aus Sicht des Heiligen Stuhls ist es ein ketzerisches Hirngespinst zu verkünden, die Religion sei auch in dieser Welt von Nutzen" (Stendhal, Wanderungen in Rom).

ZitatKant - den du ganz generös unter 'Aufklärer' verbuchst, anstatt Protestant der er war (= darin bestätigt sich in deinen Ausführungen geschickt meine These: Aufklärung steckt schon in der Theologie!)
Applaus, Applaus. Auf diese Weise wird es dir schließlich gelingen, Theologen zu finden, deren Binnenlogik unwiderlegbar ist. Mach doch einfach noch ein bisschen mehr name dropping.

ZitatWas ich nur betonen wollte: Diese einengende Bewegung [der Naturwissenschaften] hat ihre Grenzen. Deswegen habe ich auch Kant eingeschoben, weil der die Erkenntnisgrenzen dieser "Einengung" aufzeigt.
Es ist Kategorienfehler, diese Einengung als kategorische zu sehen, also unendlich erweiterbar, bis alles natürlich aufgeklärt sei und nichts 'Übernatürliches' mehr bleibe.
Deine Vorannahmen stecken schon in dem Wort Bewegung, denn es war von Entwicklung die Rede. Einfach gesagt: ich halte es für falsch, vom ,,Nicht Erklärbaren" statt vom ,,Nicht Erklärten" zu sprechen. Wir werden uns der Wahrheit annähern, aber wir werden sie nicht erreichen. Popper hat übrigens darauf hingewiesen, dass schon Lenin das Verhältnis von relativer zu absoluter Wahrheit richtig erfasst hat (Materialismus und Empiriokritizismus, Kap. II.5, Werke Bd 14). Das Übernatürliche hat darin keinen Platz. Dies muss Popper hoch angerechnet werden, da ihm Lenin als Autor sonst zutiefst suspekt ist. Die Kritische Theorie dagegen ist offenbar bei der Suspektheit stehen geblieben.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Dr. Ici Wenn am 01. September 2012, 13:21:54
Zitat von: bayle am 01. September 2012, 06:54:59
Jemand in diesem Forum hat als ,,Wappenspruch" – ,,Die schlimmste Idee ist die einer besseren Welt". Also ich könnte daraus nicht ablesen, dass er an den lieben Gott glaubt, ich hätte da eher an eine Nähe zu Popper gedacht.

Gut gedacht. Beides stimmt.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: hellesköpfle am 01. September 2012, 23:47:12
Ich finde die Diskussion gemein :'( Ich kenne keine Judinnen und Juden :'(
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 02. September 2012, 06:40:24
@SusanneL.
Ich habe über Deine Bemerkung nachgedacht, aber ich verstehe sie nicht. Gib mal einen weiteren Hinweis ...  :grins2:
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 02. September 2012, 17:11:17
Gut, das mit Quadfasel nehm ich zurück, das war wirklich ein wenig fies :-[, da konnt ich einfach nicht widerstehen.
Ansonsten: ein bisschen morbide Freude an Polemik gehört schon dazu. Ist doch aber spannender als nur ein "Du bist doof" - "Nein Du". (noch etwas name dropping: das wäre eine sog. symmetrische Interaktion i. S. von Watzlawik)
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 05. September 2012, 21:06:38
@ Abe81: den Souverän gibt es rudimentär, der nennt sich UNO. Und das es "uns alle" angeht bedeutet nicht, dass es mich persönlich was angeht. Das ist eine individualistische Sichtweise, die du gegen jegliche kollektive Formen vorbringen kannst. Der Nationalstaat mit starker Staatsgewalt und einer liberalen, das Individuum betonenden Staatsideologie ist nicht die einzige denkbare Form menschlicher Gesellschaft und von Rechtsetzung. Aber natürlich gibt es keinerlei Garantie dafür, dass die sich tatsächlich durchsetzen Vorstellungen von weltweit zu geltendem Recht mit den Wünschen von Dawkins übereinstimmen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 05. September 2012, 21:22:43
Zitat von: bayle am 31. August 2012, 17:52:15
Dann können wir das Thema ja fallen lassen. Ich halte mal fest: Das Buch ist nicht antisemitisch, aber der Indizierungsversuch wurde mit dem Antisemitismusvorwurf begründet. Unehrlichkeit.

Du bist echt lernresistent. Nur weil ich kein Bock hab, nach Jahren noch mal das Ferkelbuch mit dir durchzukauen, obwohl du dich offensichtlich mit der Kritik nie ernsthaft auseinandergesetzt hast, bedeutet das noch lange nicht, dass du im Recht bist. Und vor allem, und das ist für mich Grundvorraussetzung jeder Diskussion, bedeutet das nicht, dass die Kritiker selbst nicht an ihre Kritik glauben sondern die nur vorschieben. Es mag dir schwer fallen das zu akzeptieren, aber man kann unterschiedlicher Meinung sein.

ZitatEs ist ein Unterschied, ob jemand ein glühender Feind von etwas ist oder sich nur bemüht, nicht in ein Fettnäpfchen zu treten.

Ich wiederhole mich: Hitchens war ein glühender Antizionist und trotzdem nicht Antisemit. Was kapierst du daran nicht?

ZitatFein, dass Du das für unsinnig hältst. Dann bin ich ja auch von der Aufgabe befreit, die PR-Gags von Richard Dawkins kommentieren zu müssen.

Da zwingt dich doch niemand zu. Ausser du willst ihn verteidigen, den Schuh ziehst du dir dann aber selbst an.

ZitatNein, aber Spinoza, Hobbes, Bertrand Russell, Mark Twain habe ich vergessen.

Wenn du jetzt noch Spinoza zum Religionskritiker ernennst, kannst du gleich noch Mohammed, Jesus und Buddha dazu nehmen. Das ist doch wirklich albern.

ZitatLetztlich handelt es sich beim Marxismus/Leninismus/Stalinismus ebenso wie beim christlichen Glauben mit seiner geoffenbarten Wahrheit um ein selbstreferentielles System; und die jeweiligen Orthodoxien waren sich strukturell weit ähnlicher, als es beiden Seiten lieb gewesen sein konnte. Durfte der Kommunist an Stalin zweifeln, oder war er dann nicht ein Revisionist, ein Agent des Klassenfeinds, ein Spion des Imperialismus, kurz: ein vom Dämon Besessener, ein Häretiker?

Das gleiche kannst du auch von allen möglichen anderen dogmatisierten Ideologien sagen. Das macht sie noch lange nicht zu Religionen. Du scheidest hier alles Irrationale aus dem Säkularen aus und schiebst es den Religiösen zu, das ist eine Immunisierungsstrategie wie Popper sie beschreibt.

Und zum Hirntod und Transplantation in Israel: du pickst dir ein Jahr raus und unterschlägst, dass die Zahlen im nächsten Jahr schon wieder praktisch identisch waren.  Unehrlich. Ups.


Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Erhard am 06. September 2012, 01:26:52
Zitat von: Ridcully am 05. September 2012, 21:22:43
Wenn du jetzt noch Spinoza zum Religionskritiker ernennst, kannst du gleich noch Mohammed, Jesus und Buddha dazu nehmen. Das ist doch wirklich albern.

Wieso ist das albern?
Indem Spinoza seinen Gott als "natura naturans" definiert, als schöpfende Substanz, die für ihn zwar die Grundlage alles Seienden ist, der er aber alle Entscheidungsfreiheit abspricht - die Schöpfung entspricht der Notwendigkeit und unterliegt nicht der Entscheidung der natura naturans - entzieht er der Religion doch ihre Basis, auch wenn er das eigentlich gar nicht beabsichigt.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Erhard am 06. September 2012, 01:49:37
Es ist sogar noch schlimmer:
Indem Spinoza die natura naturans ontologisch begründet und seine Ethik daraus ableitet, entzieht er m.E. sogar der Ethik - jedenfalls seiner Ethik - jede Basis.

Ich gehe nämlich hier mit Kant konform. dass jeder ontologische Gottesbeweis auf einem Kategorienfehler beruht. Der ontologische Gottesbeweis erfordert, dass das Sein an sich ein positive(*) Eigenschaft des Seienden ist. Dies ist aber nach logischen Gesichtspunkten gar nicht möglich, da das Sein gar nicht die Kategorie einer Eigenschaft hat.

(*) Vorsicht: Positiv bedeutet in diesem Zusammenhang nicht wünschenswert, sonder eher notwendig oder unverzichtbar.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 06. September 2012, 11:17:25
@ridcully
ZitatNur weil ich kein Bock hab, nach Jahren noch mal das Ferkelbuch mit dir durchzukauen
Dann bleibt Dir tatsächlich nichts, als Deine völlig evidenzfreien und z. T. schon widerlegten Ansichten (guck noch mal bei Abe81, Post #41)  zu wiederholen. Ganz nebenbei: natürlich hat auch Broder seine Ansicht begründet. Ich hatte angenommen, Du würdest die Verteidigung kennen. Das scheint nicht der Fall zu sein, deshalb: http://www.ferkelbuch.de/Verteidigung.pdf , S. 4
Zitatoffensichtlich mit der Kritik nie ernsthaft auseinandergesetzt
Hallo? Versuche Dir unseren Dawkins-Antisemitismus-Teil ins Gedächtnis zu rufen (Post #39 und #40)
Deine groteske Bemerkung zu Spinoza kommentiert sich selbst.
Zitatdu pickst dir ein Jahr raus und unterschlägst, dass die Zahlen im nächsten Jahr schon wieder praktisch identisch waren.  Unehrlich. Ups. .. .
Jetzt bitte nochmal feste die Augen zukneifen :
Zitat von: bayle am 31. August 2012, 17:52:15
Der Wieder-Anstieg in 2011 ist auf die Einführung einer neuen Diagnosetechnik zurückzuführen.
Eins noch:
ZitatDu scheidest hier alles Irrationale aus dem Säkularen aus und schiebst es den Religiösen zu
Zum Nebenkriegsschauplatz Marxismus will ich nur noch anmerken, dass die Parallelen zur Religion noch viel zahlreicher und tiefgehender sind. Ich lasse es bei der Feststellung von Hitchens, dass den entkommenen Nordkoreanern die Vorstellung von einem Erlöser derart bekannt vorkommt, dass christliche Missionierungsversuche bei ihnen auf Schwierigkeiten stoßen.  Ich denke, das wäre ein anderer Thread, nicht uninteressant, aber Geschichte. Die häufigste Immunisierungsstrategie ist übrigens: ,,Ignore contradicting evidence", wovon wir in Deinem Post ein lebhaftes Beispiel haben.
ZitatDu bist echt lernresistent.  ... Was kapierst du daran nicht? ...
Bitte mehr Neurotransmitter in das kognitive System ausschütten und weniger Adrenalin in die Blutbahn.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 06. September 2012, 12:27:51
@ all:

Ich verfolge die Diskussion mit Interesse, habe aber grad keine Zeit, mich aktiv zu beteiligen.

Als hilfreich würde ich empfinden, wenn (so auch die Anregung von abe81) nicht mit Pauschalreferenzierungen gearbeitet würde, sondern möglichst anhand von konkretem Zitatbeispiel.

Mir erschließt sich immer noch nicht, wie differenziert die Theologiekritik von atheistischer Seite tatsächlich betrieben wird:

1. katholische Theologie neigt sicher mehr zu zentralistisch-hierarchisch, von der "Glaubenskongregation" überwachten und festgelegten Positionen

bayle, du ordnest Küng als Reformtheologen ein, aber Küng hat die katholisch-kirchliche Lehrbefugnis schon vor ca 30 Jahren entzogen bekommen: er ist also von daher gar nicht als Vertreter der offiziellen katholischen Lehre zu betrachten...das nur als Beispiel

2. Evangelische Theologie ist gar nicht auf einen einheitlichen Nenner zu bringen und extrem kontext - bzw gesellschaftsabhängig.

In Deutschland (einer Hochburg der protestantischen Theologie aller Schattierungen) gab es durch die Einflüsse der historisch-kritischen Forschung und als Nachwirkung der ethischen Katastrophe des Hitlerregimes (von deutschen evangelischen Kirchenleitungen zum größeren Teil mitverschuldet...  :( ) in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine tiefe existenzielle Krise der akademischen protestantischen Theologie (siehe u.a. Bultmann und Schüler), die man unter dem populistischen Schlagwort "Gott-ist-tot-Theologie"  (http://de.wikipedia.org/wiki/Gott-ist-tot-Theologie) ( u.a. Sölle) zusammenfassen kann.

Diese Krise ist überwunden - man müsste untersuchen, wie die Entwicklung vonstatten ging, denn eine billige Rückkehr zum "Bewährten" war angesichts der Existenzialität der Infragestellung gar nicht möglich.

Dazu müsste man sich jedoch die Mühe machen, tatsächlich für eine Weile Quellenstudium zu betreiben - also aktuelle protestantisch-theologische Texte zu lesen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Bonhoeffer#Religionsloses_Christentum

Ich habe meine Zweifel, ob ein Dawkins oder Hitchens tatsächlich namhafte deutsche evangelische Theologen gelesen haben (können)
Von einer ernsthaften geisteswissenschaftlichen atheistischen Auseinandersetzung mit diesen würde ich mir erwarten, dass - wie in den Naturwissenschaften auch - mit Quellenangaben, Zitaten und (Text)analysen gearbeitet wird. Dafür hat mir bislang ein nachvollziehbarer Beleg gefehlt.

Es macht demzufolge auch wenig Sinn, wenn man sich - im Bemühen, atheistische Theologiekritik zu üben - hier in Deutschland auf Positionen von atheistischen Denkern des englischen oder amerikanischen Umfeldes bezieht (es sei denn, diese hätten sich dezidiert mit deutschsprachigen protestantischen Theologen auseinander gesetzt)

Eine solche Kritik trifft das Ziel nicht.

Daran krankt meiner Meinung nach auch die Diskussion hier bzw erschöpft sich schnell in Allgemeinplätzen und Polemik - was schade ist und die Sache unerfreulich macht.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 06. September 2012, 13:34:29
Nachtrag:

Einen recht guten Einblick in die Vorgehensweise der historisch-kritischen Methode der (evangelischen) Theologie bietet Wikipedia:

http://de.wikipedia.org/wiki/Historisch-kritische_Methode

Ebenso zu den komplexen Fragestellungen der Exegese:

http://de.wikipedia.org/wiki/Biblische_Exegese

Nimmt man allein die Ausführungen zur  biblischen Hermeneutik (http://de.wikipedia.org/wiki/Biblische_Hermeneutik) zur Kenntnis, wird deutlich, dass dies

ZitatNein, die theologische Logik (hier verstanden im allgemeinen üblichen Sinn), von Augustinus über Pasqual, Newman, Swinburne bis zu Ratzinger und Küng, ist gescheitert. Einzelheiten auf Nachfrage, ausführliche Zusammenfassung z. B. bei John Leslie Mackie, Das Wunder des Theismus, preiswert bei Reclam.

http://forum.psiram.com/index.php?topic=9420.msg106673#msg106673

eine unzulässige Verkürzung darstellt.

Ohnehin erscheint es mir, als richten sich die geäußerten Kritikpunkte primär gegen katholische Theologie.

Und es wird nicht deutlich, was dieses "hier verstanden im allgemein üblichen Sinn" beinhalten soll.
Genau darum geht es doch: es wird etwas als "allgemein üblicher Sinn" dargestellt, was es bei genauerem Hinsehen womöglich nicht gibt - in der evangelischen Theologie ganz gewiss nicht, und wohl auch in den unterschiedlichen Ausprägungen des Judentums nicht.

Und wenn Küng vom Vatikan die Lehrbefugnis entzogen bekam, dann sicher nicht, weil er in seiner Theologie die Positionen der katholischen Theologie "im allgemein üblichen Sinn" vertritt.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 06. September 2012, 14:35:13
Zitat von: Erhard am 06. September 2012, 01:26:52
Wieso ist das albern?
Indem Spinoza seinen Gott als "natura naturans" definiert, als schöpfende Substanz, die für ihn zwar die Grundlage alles Seienden ist, der er aber alle Entscheidungsfreiheit abspricht - die Schöpfung entspricht der Notwendigkeit und unterliegt nicht der Entscheidung der natura naturans - entzieht er der Religion doch ihre Basis, auch wenn er das eigentlich gar nicht beabsichigt.

Es ist albern, weil er das jedenfalls anders sieht. Du machst dir hier die christliche und jüdische Kritik an Spinoza zu eigen. Natürlich sind seine Ansichten nicht mit deren Gottesvorstellung vereinbar, aber das bedeutet doch nicht, dass sie mit jeder Religion unvereinbar sind und vor allem nicht, dass Spinoza das selbst so sah. Meines Erachtens vertritt er irgendwas zwischen Deismus und Pantheismus, jedenfalls durchaus eine religiöse Sicht der Welt. Nur weil man meint, er habe eigentlich Atheist sein müssen, war er noch keiner. Auch da geht es wieder darum, die Meinungen anderer ernst zu nehmen und sich nicht so zurechtzulegen, wie sie einem in den Kram passen.




Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 06. September 2012, 14:57:38
Zitat von: bayle am 06. September 2012, 11:17:25
Dann bleibt Dir tatsächlich nichts, als Deine völlig evidenzfreien und z. T. schon widerlegten Ansichten (guck noch mal bei Abe81, Post #41)  zu wiederholen.

Du nimmst doch gar nicht wahr, was meine Ansichten sind. Ich schrieb, "ob es deshalb antisemitisch ist, darüber kann man streiten". Du verlangt jetzt von mir zu beweisen, dass es antisemitisch ist. Wieso sollte ich das? Ich bin nur der Ansicht, dass entsprechende Interpretationen nicht völlig abwegig sind. Während du entsprechende Meinungen nicht ernst nimmst, sondern als "unehrlich" abstempelst, wofür du wiederum keinerlei Begründung lieferst (was Evidenz in dem Zusammenhang bedeuten soll, ist mir eh schleierhaft).

Zitat von: bayle am 06. September 2012, 11:17:25Ganz nebenbei: natürlich hat auch Broder seine Ansicht begründet. Ich hatte angenommen, Du würdest die Verteidigung kennen. Das scheint nicht der Fall zu sein, deshalb: http://www.ferkelbuch.de/Verteidigung.pdf , S. 4

Das ist ein paar Jahre her, entschuldige vielmals, wenn ich das nicht mehr alles im Kopf hab.

Zitat von: bayle am 06. September 2012, 11:17:25
Zitatoffensichtlich mit der Kritik nie ernsthaft auseinandergesetzt
Hallo? Versuche Dir unseren Dawkins-Antisemitismus-Teil ins Gedächtnis zu rufen (Post #39 und #40)

Was hat das jetzt mit dem Ferkelbuch zu tun?

Zitat von: bayle am 06. September 2012, 11:17:25
Deine groteske Bemerkung zu Spinoza kommentiert sich selbst.

Na wenn du meinst.

Zitat von: bayle am 06. September 2012, 11:17:25
Zitatdu pickst dir ein Jahr raus und unterschlägst, dass die Zahlen im nächsten Jahr schon wieder praktisch identisch waren.  Unehrlich. Ups. .. .
Jetzt bitte nochmal feste die Augen zukneifen :
Zitat von: bayle am 31. August 2012, 17:52:15
Der Wieder-Anstieg in 2011 ist auf die Einführung einer neuen Diagnosetechnik zurückzuführen.

Welche mit den religiösen Vorschriften natürlich rein gar nichts zu tun hatten. Und nachdem ich darauf hingewiesen habe. Ich bleibe dabei: unehrlich. :P

Zitat von: bayle am 06. September 2012, 11:17:25
Eins noch:
ZitatDu scheidest hier alles Irrationale aus dem Säkularen aus und schiebst es den Religiösen zu
Zum Nebenkriegsschauplatz Marxismus will ich nur noch anmerken, dass die Parallelen zur Religion noch viel zahlreicher und tiefgehender sind. Ich lasse es bei der Feststellung von Hitchens, dass den entkommenen Nordkoreanern die Vorstellung von einem Erlöser derart bekannt vorkommt, dass christliche Missionierungsversuche bei ihnen auf Schwierigkeiten stoßen.  Ich denke, das wäre ein anderer Thread, nicht uninteressant, aber Geschichte. Die häufigste Immunisierungsstrategie ist übrigens: ,,Ignore contradicting evidence", wovon wir in Deinem Post ein lebhaftes Beispiel haben.

Gähn. Selber.

Zitat
ZitatDu bist echt lernresistent.  ... Was kapierst du daran nicht? ...
Bitte mehr Neurotransmitter in das kognitive System ausschütten und weniger Adrenalin in die Blutbahn.

Das ist keine Antwort auf meine Frage. Was ist der Grund für dein hier dauernd an den Tag gelegtes gefühltes Textverständnis? Mein Verdacht: Diskussionstaktik. Also: unehrlich. :P
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 06. September 2012, 16:27:58
@ridcully
ZitatEinführung einer neuen Diagnosetechnik ... Welche mit den religiösen Vorschriften natürlich rein gar nichts zu tun hatten.
Ach, Du meinst, das Oberrabbinat habe die Einführung der Radionuklid-Angiografie (SPECT) angeordnet? Texte auch zu lesen, über die Du schwafelst redest, scheint ja nicht Deine Spezialität zu sein. Die Bitte, den Text zu übermitteln, falls Du da nicht einfach ran kommst, könnte man ansonsten auch klarer formulieren.
Zu deinem übrigen Post lasse ich Dir gern das letzte Wort
ZitatGähn. Selber
Es sei denn, Du möchtest dieses Niveau wieder verlassen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 06. September 2012, 16:35:01
Sie haben es natürlich nicht angeordnet, aber ohne die von ihnen angestossene Gesetzesänderung wäre die Methode zur Feststellung des Hirntodes nicht nötig gewesen. Die angewandte Technik wurde also angepasst.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 06. September 2012, 17:25:11
Quark. In anderen Ländern, z. B. in Deutschland, wurde die Methode auch eingeführt, ohne dass es einer religiösen Verschärfung des Hirntodprotokolls bedurft hätte.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 06. September 2012, 19:06:37
@P. Stibbons
Ich hatte ja vorgeschlagen, dieses Thema ruhen zu lassen, aber schön.
Zitatbayle, du ordnest Küng als Reformtheologen ein, aber Küng hat die katholisch-kirchliche Lehrbefugnis schon vor ca 30 Jahren entzogen bekommen: er ist also von daher gar nicht als Vertreter der offiziellen katholischen Lehre zu betrachten...das nur als Beispiel
Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 13:48:24
...zumindest die Theologen, die ich schätze - allen voran Hans Küng
Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 16:13:06
Jedenfalls ist er einer der herausragendsten Theologen und Denker der Gegenwart
...
Zitat...und ist der Reformtheologe par excellence (,,Katholizismus mit ökumenischem Antlitz")
Spricht das gegen ihn?

ZitatEvangelische Theologie ist gar nicht auf einen einheitlichen Nenner zu bringen und extrem kontext - bzw gesellschaftsabhängig.
Bei allen Unterschieden, es gibt einen gemeinsamen Nenner der Theologie:
Zitat von: bayle am 26. August 2012, 19:09:32
Ist Jesus Christus, der Gottessohn, ... auferstanden oder ist das eine Legende, die sich nach seinem Tod entwickelt hat? Das ist die Grenze, die die (christliche) Theologie nicht überschreiten kann.

ZitatMir erschließt sich immer noch nicht, wie differenziert die Theologiekritik von atheistischer Seite tatsächlich betrieben wird ....
Ich habe meine Zweifel, ob ein Dawkins oder Hitchens tatsächlich namhafte deutsche evangelische Theologen gelesen haben (können).
Von einer ernsthaften geisteswissenschaftlichen atheistischen Auseinandersetzung mit diesen würde ich mir erwarten, dass - wie in den Naturwissenschaften auch - mit Quellenangaben, Zitaten und (Text)analysen gearbeitet wird. Dafür hat mir bislang ein nachvollziehbarer Beleg gefehlt.
Ausführliche atheistische Auseinandersetzungen mit Theologie (selbstredend mit allen Quellenangaben) findest Du z. B. bei dem erwähnten Mackie, Wunder des Theismus, Schnädelbach: Religion in der modernen Welt, Albert: Das Elend der Theologie (ausschließlich über Küng) u. v. a. m., von den älteren klassischen Texten nicht zu reden, mehr Bibliographie auf Anfrage ;). Für tagesaktuelle Theologie vgl. die Zeitschrift ,,Aufklärung & Kritik". Da steht ne Menge Unsinn drin, aber auch ein Haufen lesenswerter, tiefschürfender Beiträge.

Allerdings sind Hitchens und Dawkins dafür in der Tat nicht die richtige Adresse. Warum auch. Dawkins zitiert in seiner 2. Auflage die "Antwort eines Höflings" (http://rationalwiki.org/wiki/Courtier's_Reply)  von P. Z. Myers (Gotteswahn 2. Aufl. 2007, S. 524):
ZitatIch habe die schamlosen Anschuldigungen von Mr. Dawkins betrachtet und war empört darüber, dass es ihm an ernsthafter Fachkenntnis mangelt. Er hat offensichtlich nicht die detaillierten Ausführungen des Grafen Rodrigo von Sevilla über das exquisite exotische Leder der kaiserlichen Stiefel gelesen, und ebenso berücksichtigt er nicht im Mindesten Bellinis Meisterwerk Über das Leuchten des kaiserlichen Federhutes. Ganze Denkschulen haben sich der Aufgabe gewidmet, gelehrte Abhandlungen über die schönen Gewänder des Kaisers zu schreiben, und jede größere Zeitung enthält eine Kolumne über die Mode am Kaiserhof ... Dawkins ignoriert in seiner Arroganz alle diese zutiefst philosophischen Gedanken und beschuldigt den Kaiser auf grausame Weise der Nacktheit ... Solange Dawkins sich nicht in den Boutiquen von Paris und Mailand weitergebildet hat, solange er nicht gelernt hat, den Unterschied zwischen einem Rüschenvolant und einer Pumphose zu erkennen, sollten wir alle so tun, als habe er nie etwas gegen den Geschmack des Kaisers gesagt. Seine Ausbildung als Biologe mag ihn in die Lage versetzen, herabhängende Geschlechtsteile zu erkennen, wenn er sie sieht, aber sie hat ihn nicht gelehrt, Imaginärstoffe richtig zu bewerten.

Die Metapher wird in der Blogosphäre schäumend kommentiert. Sofern es sich nicht um bloße Invektiven handelt, ist der Tenor in etwa: "... argument from incredulity, the only argument they [die Atheisten] ever make. It says "I refuse to believe, therefore, it cant' be true. ... That is nothing but circular reasoning. Of course atheists do this because they can't cope with modern theology." Ja, und wer kann das schon. Es gilt nicht die Nicht-Existenz, sondern die Existenz von etwas zu beweisen, soviel zur Logik.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 06. September 2012, 20:20:53
ZitatEs gilt nicht die Nicht-Existenz, sondern die Existenz von etwas zu beweisen, soviel zur Logik.


Meine Auffassung ist eher, dass es eine Grenze der Erkenntnisfähigkeit gibt, die man eingestehen sollte, wenn man sich nicht logisch "überheben" will.

In dieser Grauzone und Spannung leben wir - das macht auch nichts, finde ich.

Wir beobachten, analysieren, philosophieren sozusagen innerhalb dieses Erkenntnishorizonts, über den hinaus wir keine zuverlässigen Aussagen treffen können.

Der Standpunkt: "Darüber hinaus ist nichts" ist ebenso wenig verifizierbar wie der Standpunkt: "Dahinter/darüber hinaus scheint doch etwas zu sein".
Der erstgenannte Standpunkt erfüllt das Kriterium "hinlänglich" ; der zweite sagt "hinlänglich - aber möglicherweise nicht ausreichend"

Was sagst du zu der praktischen Theologie von Bonhoeffer, bayle?

Mit Katholizismus habe ich nichts am Hut und auch null Erfahrung.
Küng schätze ich als theologischen Denker, weil er trotz Drangsalierung durch seine Oberen incl. seines Studienkollegen aus Tübinger Zeiten, Ratzinger, den Bettel noch nicht hingeschmissen hat.
Er hätte seiner maroden Truppe schon längst den Stinkefinger zeigen können.

Allein das bewundere ich an ihm: eine gewisse renitente Zähigkeit und Stringenz.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 06. September 2012, 21:23:56
@P. Stibbons

ZitatMeine Auffassung ist eher, dass es eine Grenze der Erkenntnisfähigkeit gibt, die man eingestehen sollte, wenn man sich nicht logisch "überheben" will.

Meine Auffassung hierzu habe ich hier schon breitgetreten:
ZitatEinfach gesagt: ich halte es für falsch, vom ,,Nicht Erklärbaren" statt vom ,,Nicht Erklärten" zu sprechen. Wir werden uns der Wahrheit annähern, aber wir werden sie nicht erreichen. Popper hat übrigens darauf hingewiesen, dass schon Lenin das Verhältnis von relativer zu absoluter Wahrheit richtig erfasst hat (Materialismus und Empiriokritizismus, Kap. II.5, Werke Bd 14). Das Übernatürliche hat darin keinen Platz. Dies muss Popper hoch angerechnet werden, da ihm Lenin als Autor sonst zutiefst suspekt ist.

ZitatDer Standpunkt: "Darüber hinaus ist nichts" ist ebenso wenig verifizierbar wie der Standpunkt: "Dahinter/darüber hinaus scheint doch etwas zu sein".

Das mag sein, aber das hat auch etwas mit Ockhams Rasiermesser, Russellscher Teekanne (http://de.wikipedia.org/wiki/Russells_Teekanne) und dem Garten-Zitat von Douglas Adams zu tun: ,,Genügt es nicht zu sehen, dass ein Garten schön ist, ohne dass man auch noch glauben müsste, dass Feen darin wohnen?"

   
ZitatWas sagst du zu der praktischen Theologie von Bonhoeffer, bayle?

Gar nichts, denn ich kenne sie nicht. Verstehe das bitte nicht so, als würde ich in Abrede stellen, dass er viele kluge Dinge gesagt haben könnte. Noch weniger zweifle ich an seiner moralischen Integrität. Aber wenn ich Welträtselschmerz habe, werde ich keinen Theologen befragen.

Die Konsequenz Küngs, so sehr man da mitfühlen mag, ist, von außen gesehen, nicht ganz so einleuchtend. Hans Albert schreibt (ich bitte um Nachsicht mit der Länge des Zitats, es ist ja eigentlich nur ein Nebenaspekt):
ZitatFür Außenstehende ist es nicht uninteressant zu sehen, wie der ,,Angeklagte" hier seine vorgesetzte Glaubensbehörde schon dadurch in Schwierigkeiten bringt, daß er ihr – naiverweise – unterstellt, es könne ihr um die "Findung der Wahrheit" gehen statt um die Disziplinierung eines Abweichlers durch Leute, die sich im Besitz der Wahrheit wissen. Auch Küng bemüht sich aber, wie er sagt, ,,um eine wissenschaftliche Klärung der anstehenden Probleme aus katholischer Glaubensüberzeugung heraus", a.a.O., S. 33, für jemanden, der nur die unvoreingenommene Wahrheitssuche für wissenschaftlich hält, ein ohnehin paradox klingender Satz. Auch der Tübinger Theologe ist dadurch, daß er unbedingt ein loyaler Katholik bleiben will, zu Kompromissen gezwungen, die sich bestenfalls diplomatisch rechtfertigen lassen; vgl. dazu das Angebot des ,,grundlegenden Bleibens der Kirche in der Wahrheit" anstelle der ,,Unfehlbarkeit" in seinem Buch: Unfehlbar? eine Anfrage (1970) [...]. Küng verlangt von der Kirche Argumente in Fragen, die durch kirchliche Autoritäten längst entschieden wurden, und zwar angeblich unfehlbar entschieden. Was sollen diese Leute da denn tun? Wenn man solchen Forderungen nachgeben wollte, dann könnte doch das ganze Dogmengebäude zusammenstürzen, das de facto ja einem Fossil aus der Spätantike gleichkommt. Und wenn Küng selbst ein Lehramt über sich prinzipiell anerkennt: Wozu sollte denn ein solches Lehramt da sein, wenn es nicht autoritative Entscheidungen treffen könnte? Was hilft da die Aufdeckung historischer Zusammenhänge, z.B. hinsichtlich der Entstehung des Unfehlbarkeitsdogmas? Wie kann man annehmen, daß diese Kirche an derartigen bloß historischen Wahrheiten überhaupt interessiert ist? Die Zuversicht, mit der Küng da an ein Wahrheitsinteresse appelliert, ist in der Tat rührend. [Die Wissenschaft und die Fehlbarkeit der Vernunft, S. 184; die Hervorhebungen habe ich weggelassen, weil die Formatierung zu mühsam ist]
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 06. September 2012, 21:38:30
bayle, so sehr ich dich schätze, langweilt es mich etwas, dass du scheinbar immer eine andere Autorität benötigst, um deine Auffassung zu legitimieren, und sei es Popper, der sich auf Lenin bezieht.

Zitatdass schon Lenin das Verhältnis von relativer zu absoluter Wahrheit richtig erfasst hat (Materialismus und Empiriokritizismus, Kap. II.5, Werke Bd 14). Das Übernatürliche hat darin keinen Platz. Dies muss Popper hoch angerechnet werden, da ihm Lenin als Autor sonst zutiefst suspekt ist.

So lange wir "innerhalb des Systems" beobachten, können wir keine Aussage darüber machen, ob es "außerhalb" etwas gibt.
Wenn wir damit nicht zufrieden sind bzw abstreiten, dass hier die Grenze unserer Erkenntnisfähigkeit erreicht ist, begeben wir uns in den Bereich der Spekulation und damit der Esoterik.

Hier genau setzt z.B. Bonhoeffer an (das ist eben das Bemerkenswerte an ihm)- auch wenn du dich mit ihm (aus Gründen, die dir freigestellt sind) nicht befassen magst.

ZitatAber wenn ich Welträtselschmerz habe, werde ich keinen Theologen befragen.

Nur solltest du dann darauf verzichten, dich in pauschalisierenden Bemerkungen zur Theologie "im allgemein üblichen Sinn" (Zitat bayle) zu ergehen.

Mir wäre lieber, du würdest zunächst authentisch deine eigene Diktion finden, so wie ich es auch versuche.
Du hast mir irgendwo die "Gretchenfrage" gestellt unter Hinweis auf


ZitatZitat von: bayle am 26. August 2012, 22:09:32

    Ist Jesus Christus, der Gottessohn, ... auferstanden oder ist das eine Legende, die sich nach seinem Tod entwickelt hat? Das ist die Grenze, die die (christliche) Theologie nicht überschreiten kann.

Darauf gibt Bonhoeffer eine spezielle Antwort (die er mit seinem Leben bezahlt hat), und in dieser Theologie finde ich mich wieder.

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 07. September 2012, 07:02:43
@P. Stibbons
Zitatbayle, so sehr ich dich schätze, langweilt es mich etwas, dass du scheinbar immer eine andere Autorität benötigst, um deine Auffassung zu legitimieren, und sei es Popper, der sich auf Lenin bezieht.
Ich kenne niemanden, der in der Lage ist, das Fahrrad neu zu erfinden. Wenn jemand eine in meinen Augen schlagende, treffende Formulierung für ein Problem gefunden hat, dann werde ich nicht zögern, sie zu verwenden. Die Qualifizierung als Autoritätsbeweis ist ein Ausweichen. Es geht um die Inhalte, nicht (zumindest nicht in erster Linie) darum, wer was gesagt hat. Es wäre doch sicher kein guter Stil, wenn ich keine Quellen angeben würde.

ZitatSo lange wir "innerhalb des Systems" beobachten, können wir keine Aussage darüber machen, ob es "außerhalb" etwas gibt.
Der grundlegende Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen Glaube und Vernunft ist, dass Wissenschaft in diesem Sinne eben kein System ist. Die ,,Binnenlogik" hatten wir schon. Sie erinnert den Mediziner nicht zufällig an die ,,Binnenanerkennung", mit der die Quacksalberei gerechtfertigt wird. Nicht dass ich um weitere Autoritäten verlegen bin: ,,Die schlagendste Widerlegung dieser wie aller anderen philosophischen Schrullen ist die Praxis" (Engels, aus dem Gedächtnis zitiert). Ich weiß, dass H. Albert da andere Akzente setzt. Solange wir nicht an einem Außenkriterium, der realen Welt, messen, kann es in der Tat keine wissenschaftliche Wahrheit geben, sondern nur Glaubens-,,Tatsachen". Die Beurteilung, ob meine Diktion authentisch ist, sollten wir unbeteiligten Sachkennern überlassen.

   
Zitat... und in dieser Theologie finde ich mich wieder
Das ist dein gutes Recht, selbstverständlich. Dennoch kritisiere ich Deine Logik, mit und ohne Unterstützung durch Autoritäten.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 07. September 2012, 10:00:55
@ bayle:

ZitatIch kenne niemanden, der in der Lage ist, das Fahrrad neu zu erfinden. Wenn jemand eine in meinen Augen schlagende, treffende Formulierung für ein Problem gefunden hat, dann werde ich nicht zögern, sie zu verwenden.

Darin sind wir uns ja einig.
Irritierend für mich ist nur, wenn eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage oder ein Gedächtniszitat ohne eindeutige Quellenangabe an Stelle eines ausformulierten Argumentes genügen soll.

Eine Referenz hat den Sinn, die eigene Aussage zu stützen, nicht sie zu ersetzen - so kenne und schätze ich das aus sauberer geisteswisenschaftlicher Praxis, ob Literaturwissenschaft oder Theologie.

Zumal ja gerade der Kontext eines Zitats Aufschluss darüber gibt, was der Zitierte wohl tatsächlich gemeint hat bzw was ihn bewegt hat, zu einer bestimmten Schlussfolgerung zu kommen.
Zitat
Es geht um die Inhalte, nicht (zumindest nicht in erster Linie) darum, wer was gesagt hat. Es wäre doch sicher kein guter Stil, wenn ich keine Quellen angeben würde.

Eben. Und da ist mein Kritikpunkt (gemeinsam mit abe81), dass in deiner Argumentation häufiger mal eine Reihe von Namen fällt (Rousseau hatten wir am Anfang, Spinoza erinnere ich - ohne dazu alle Kommentare hier eingehend gelesen zu haben), für die du ohne weitere Erläuterung einen bestimmten Zusammenhang postulierst (etwa Rousseau als "Aufklärer"), der zumindest in dieser Verkürzung hinterfragt werden muss.

Grundsätzlich finde ich das nicht schlimm,aber es führt zu einer Veroberflächlichung des Diskurses und endet in Schlagworten und Versatzstücken - abe81 sprach von names dropping.
Das unterstelle ich gar nicht, eher den etwas hilflosen Versuch, eine komplexe Thematik "mal eben schnell" zu systematisieren.
Das klappt aber nur, wenn Inhalt und Stellenwert der Referenz von den Diskutanten in ähnlicher Weise rezipiert werden: reines Wunschdenken, fürchte ich.
So kam - vermute ich - unsere ursprüngliche Reibung hinsichtlich  Pierre Bayle (http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bayle) zustande.
Und selbst wenn unter uns oberflächlich Einigkeit über die inhaltliche Bedeutung einer Referenz bestünde, hieße das noch lange nicht, dass der von uns Referenzierte mit unserer Interpretation glücklich wäre, selbst wenn wir ihm uneingeschränkt zustimmten - aus diesem Grund müssten wir (genau genommen) uns auch mit den Argumenten seiner schärfsten Kritiker auseinander setzen.

Das sprengt natürlich den Rahmen dieser Forumsdiskussion, weist aber in die Richtung meiner eigentlichen Kritik:

Man kann nicht Theologie- und Religionskritik quasi aus dritter Hand betreiben, sondern sollte sich mit den Inhalten dessen,was man kritisiert, doch zunächst möglichst vorurteilsfrei beschäftigen. Sonst geht die Kritik ins Leere und erntet nur Kopfschütteln.
Dieser selbstkritische inhaltliche Diskurs zieht sich übrigens durch die gesamte seriöse zeitgenössische evangelische Theologie bzw ist ihr akademischer "Sinn" - inclusive der Auseinandersetzung mit den jeweils aktuellen geistesgeschichtlichen Strömungen des umgebenden gesellschaftlichen Kontexts.

Dieser dialektische Zugang zu "den Schriften" ist auch ein wesentliches Qualitätsmerkmal des Judentums; aus diesem Grund gibt es  Jahrhunderte alte Kommentare zur Tora, in welchen diese Erörterungen dokumentiert sind und die von den Gelehrten ebenso akribisch studiert werden wie die Tora selbst. Diese beiden "Quellen" sind dann Grunflage für den Disput, wie die entsprechenden Texte heutzutage ausgelegt werden können.

In dieser Hinsicht ist die jüdische intellektuelle Tradition ein unmittelbarer Wegbereiter der Aufklärung bzw des heutigen wissenschaftlichen Diskurses.
Eine interessante ideengeschichtliche Fragestellung ist m.E., ob dieser dialektische Zugangsweg im Judentum genuin entstanden ist oder ob sich darin griechische Einflüsse spiegeln. Auch solche Fragen untersucht die Theologie gemeinsam mit den vergleichenden Religionswissenschaften und den Altertumsforschern. Auf alle Fälle kann gelten, dass über die im Judentum fest etablierte dialektische Tradition bis in unsere Gegenwart etwas lebendig ist, das wir aus den griechischen Schriften bzw deren Philosophen kennen.

Schon aus diesem Grund finde ich es bedauerlich - um den Bogen wieder zum eigentlichen Thema des Strangs zu schlagen - dass das in unserer Gesellschaft nach Jahrzehnten der Beinahe-Auslöschung wieder vorhandene Judentum im öffentlichen Bewusstsein nun auf dieses Beschneidungsthema reduziert wird. Ich halte das für eine (unbeabsichtigte) grobe Verzerrung und Einschränkung der Wahrnehmung - mit in der Folge nicht gerade günstigen Auswirkungen auf das friedliche Miteinander.

Und dies - ich referenziere auf mich selbst:
Zitat
Dieser dialektische Zugang zu "den Schriften" ist auch ein wesentliches Qualitätsmerkmal des Judentums; aus diesem Grund gibt es  Jahrhunderte alte Kommentare zur Tora, in welchen diese Erörterungen dokumentiert sind und die von den Gelehrten ebenso akribisch studiert werden wie die Tora selbst. Diese beiden "Quellen" sind dann Grunflage für den Disput, wie die entsprechenden Texte heutzutage ausgelegt werden können.

ist in der Tat die eigentlich spannende Frage in der aktuellen gesellschaftlichen Spannung um die religiöse Beschneidung:
wird dieser Impuls eine theologische Neureflexion innerhalb des Judentums auslösen und wie wird diese aussehen?

Die Beschneidung ist zwar "traditionell religiös" unverzichtbar - aber vor ca 2000 Jahren wurde dennoch aus theologischen Gründen schon einmal auf sie verzichtet: von einer kleinen "Reformbewegung" oder "Sekte" innerhalb des Diasporajudentums: von den frühen Christen... womöglich ein weiterer (halbbewusster) Grund, an der Tradition mit Entschiedenheit festzuhalten... ?
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 07. September 2012, 10:37:49
ZitatZitat

    ... und in dieser Theologie finde ich mich wieder

Das ist dein gutes Recht, selbstverständlich. Dennoch kritisiere ich Deine Logik, mit und ohne Unterstützung durch Autoritäten.

Ich habe auf Bonhoeffer mit gutem Grund (und Wikipedia-Link) referenziert, damit du bequem und relativ kontextbezogen nachprüfen kannst, dass deine Argumentation mit dem Binnenkonsens hier nicht greift. Dies wäre recht einfach zu bewerkstelligen - auf diese Weise habe ich mich auch mal kurz über Pierre Bayle, Rousseau und Spinoza geupdated...

Ich könnte auch - verkürzt und deshalb falsch - fragen:

Warum soll jemand, der sich in seiner lebenspraktischen Ethik auf Jesus von Nazareth bezieht, sich nicht Christ nennen dürfen? -  ohne sich sofort den Vorwurf von Unwissenschaftlichkeit (da ganz klar Binnenlegitimation!) gefallen lassen zu müssen - siehe hier:

ZitatDer grundlegende Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen Glaube und Vernunft ist, dass Wissenschaft in diesem Sinne eben kein System ist. Die ,,Binnenlogik" hatten wir schon. Sie erinnert den Mediziner nicht zufällig an die ,,Binnenanerkennung", mit der die Quacksalberei gerechtfertigt wird. Nicht dass ich um weitere Autoritäten verlegen bin: ,,Die schlagendste Widerlegung dieser wie aller anderen philosophischen Schrullen ist die Praxis" (Engels, aus dem Gedächtnis zitiert). Ich weiß, dass H. Albert da andere Akzente setzt. Solange wir nicht an einem Außenkriterium, der realen Welt, messen, kann es in der Tat keine wissenschaftliche Wahrheit geben, sondern nur Glaubens-,,Tatsachen". Die Beurteilung, ob meine Diktion authentisch ist, sollten wir unbeteiligten Sachkennern überlassen.

oder vor eine seltsam einengende Alternative gestellt zu werden: "Glaubst du, dass ... oder ist es eine Legende?"

Dazu habe ich dir mehrere Artikel zur theologischen good practice verlinkt - damit du erkennen kannst, dass es neben der von dir angesprochenen Kreuzes-und Erlösungstheologie auch eine Befreiungstheologie oder eine "Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" - Theologie, eine feministische Theologie und, und, und ... gibt.

Diese letztgenannten sind total im Diesseits verortet und beziehen allenfalls ihre dynamis, ihre unerschrockene Hoffnung, aus ihrem Glaubensleben - hier wäre dann auch Bonhoeffer einzuordnen, der in letzter Konsequenz den Tyrannenmord trotz biblischem Tötungsverbot für christlich legitimiert hielt und damit als einer von wenigen evangelischen Pfarrern Widerstand gegen das Hitlerregime leistete.

Und damit sind wir genau hier:

ZitatSolange wir nicht an einem Außenkriterium, der realen Welt, messen, kann es in der Tat keine wissenschaftliche Wahrheit geben, sondern nur Glaubens-,,Tatsachen".

Dazu Bonhoeffer:

Zitathttp://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Bonhoeffer#Religionsloses_Christentum
Religionsloses Christentum

Den Bezug der Theologie auf Diesseitigkeit und konkretes Handeln radikalisiert Bonhoeffer in der Haft in Tegel, zum ersten Mal dokumentiert in einem Brief an Eberhard Bethge vom 30. April 1944. Darin und in weiteren erhaltenen Briefen skizziert er das Programm einer nichtreligiösen Interpretation biblischer Begriffe und der weltlichen Rede von Gott.

Glauben an Gott gibt es, so Bonhoeffer, nur im Diesseits. Der pure ,,Jenseits-Gott" ist das Wesenskonstitutive der ,,Religion".
Die Bedeutung einer solchen Religion sieht er in seiner Zeit dramatisch schwinden und analysiert, die Zeit der Innerlichkeit, des Gewissens und der klassischen Metaphysik sei vorbei. Er beobachtet auch bei seinen Mitgefangenen, dass der Krieg im Gegensatz zu früheren keine große religiöse Reaktion hervorgerufen hat, den autonomen Menschen lehrt selbst Not nicht mehr beten. Allgemein habe es die Geschichte der Wissenschaft und menschlicher Emanzipation unredlich werden lassen, Gott als Lückenbüßer an den Grenzen der Erkenntnis, in menschlicher (aufzudeckender) Schwäche oder Sünde zu sehen. Bonhoeffer kritisiert es, diese Grenzen auszunutzen, um ängstlich Raum für Gott auszusparen. Ein solcher Gottesbegriff ist für den mündigen Menschen sinnlos geworden, und selbst Tod und Sünde sind keine echten Grenzen mehr oder sie werden nicht verstanden...

...

Und was hat die - dem seriösen Wissenschaftler sehr gut anstehende - Bescheidenheit einer Beschränkung auf "Wir können letztlich mit unseren Erkenntnismöglichkeiten keine bindenden Aussagen über ein eventuelles Darüber hinaus treffen" mit einer Binnenlogik der Quacksalber zu tun?
Ich fange ja nicht an, meine wissenschaftliche Sichtweise und Praxis mit meiner persönlichen - wie auch immer gearteten - Gottesvorstellung zu vermischen.

Im Gegenteil halte ich es sogar für aufrichtiger, mir über die Möglichkeiten von solchen Confoundings im Sinne ungewollter impliziter Prämissen Rechenschaft abzulegen statt  - wie ich es leider derzeit in krasser Form bei der GBS ansehen muss - vor lauter unkritischer und unreflektierter "humanistisch-aufklärerischer" Gesinnung diverse Ideologien (Transhumanismus, Sympathisieren mit rechtem Gedankengut a la Junker)  und Pseudowissenschaft (verstiegene evolutionsbiologisch begründete Diäten a la Paul)
unbemerkt (?) mit sich rumzutragen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 07. September 2012, 11:23:09
@P. Stibbons
Zitataus dem Zusammenhang gerissene Aussage ... an Stelle eines ausformulierten Argumentes ... die eigene Aussage zu stützen, nicht sie zu ersetzen ... du ohne weitere Erläuterung einen bestimmten Zusammenhang postulierst (etwa Rousseau als "Aufklärer") ... Schlagworten und Versatzstücken - abe81 sprach von names dropping. ... Das unterstelle ich gar nicht, eher den etwas hilflosen Versuch ... reines Wunschdenken ... So kam - vermute ich - unsere ursprüngliche Reibung hinsichtlich  Pierre Bayle zustande ...
Was Du für kleine Eisschollen hältst, sind in Wirklichkeit Spitzen von Eisbergen. Die Lektüre der Originalliteratur ersetzen die Zitate nicht. Das eigene Nachlesen kann man sich nicht ersparen, wenn man substanzielle Einwände vorbringen will – sonst bleibt es nur bei Verdächtigungen. Namen und Werke sind ja nun genug genannt worden. (Auch dieses Thema hatten wir schon, denken wir nur an die Grundierung Deiner Ansichten zu Hitchins und Deschner.) Der Name Rousseau ist nicht von mir. Du kannst mir getrost unterstellen, dass ich von Pierre Bayle mehr als einen Zeitungsartikel und einen Wikipedia-Eintrag kenne, wenn ich ihn nun schon zu meinem Namenspatron wähle. Deine Vermutung ist falsch.

Ich lege keinen gesteigerten Wert auf eine Weiterführung der Diskussion zu diesem Thema. Wenn das bei Dir anders ist, dann werd doch mal konkreter. Welches meiner Zitate ist ,,aus dem Zusammenhang gerissen" oder ,,sinnentstellend zitiert"? Aber fang nicht wieder mit König David an, bevor Du den Beitrag gelesen hast  ...

Zitat von: bayle am 26. August 2012, 20:48:46
Du hast überhaupt nichts richtig gestellt. Der klassische Text ist Pierre Bayle, Historisches und kritisches Wörterbuch, Artikel "David", in der Meiner-Ausgabe Hamburg 2003, S. 42-67. Ich kann leider nicht französisch, wenn Du das kannst, findest du das auch online.
Auf Englisch, in leicht abgekürzter Form, und etwas schwierig zu handhaben, hier ab S. 363:
http://archive.org/details/anhistoricaland00baylgoog

Übrigens hast Du noch immer nicht zur eigentlichen Frage Stellung genommen, ob Bayle Antisemit ist, weil er König David kritisiert.

Dass die Theologie für Dich eine größere Rolle spielt als für mich, ist nun hinlänglich klar. Für mich ist sie nur soweit interessant, wie sie sich mir mit ihren Deutungen in der Öffentlichkeit aufdrängt - und dann ist es weit seltener Bonhoeffer als es delirierende Bischöfe sind; und vgl. nochmal meinen obigen Post mit der Antwort des Höflings. Was die moralische Orientierung angeht, so habe ich andere Leitsterne als Jesus Christus. Die Diskussion dazu wäre jedoch uferlos.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 07. September 2012, 12:35:22
ZitatÜbrigens hast Du noch immer nicht zur eigentlichen Frage Stellung genommen, ob Bayle Antisemit ist, weil er König David kritisiert.

Dazu habe ich ganz am Anfang sogar sehr ausgiebig Stellung genommen - kann sein, dass das aus irgendwelchen Gründen bei dir nicht angekommen ist.

Zu Pierre Bayle finde ich in der Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bayle) Folgendes - korrigiere gern konkret und begründet, wenn du mit dem Artikel an bestimmten Punkten nicht übereinstimmst:
Zitat
1682 publizierte der Aufklärer sein erstes Buch: Lettre sur la comète de 1680 (,,Brief über den Kometen von 1680"), das 1683 erweitert als Pensées diverses sur la comète de 1680 (,,Verschiedene Gedanken über den Kometen von 1680") erschien. Hierin widerlegt Bayle zunächst die abergläubischen Vorstellungen, die man mit Kometen verband, und er wirbt für die Idee, dass alles Wissen ständig kritisch überprüft werden muss. Bayle verteidigt zwar verbal den christlichen Glauben gegen den in Mode geratenen Unglauben,[1] entwirft aber zugleich die Grundlagen einer nicht religiös bestimmten Moral bzw. Ethik, wobei er - was damals alles andere als selbstverständlich war - davon ausgeht, dass ein Atheist nicht zwangsläufig auch sittenlos sein und unmoralisch handeln müsse.[2]

Das nehme ich interessiert und zustimmend zur Kenntnis.
Mich interessiert natürlich - das würde hier den Rahmen sprengen - auch seine persönliche Biografie, die zweifelsohne seine kritische Rezeption der theologischen Strömungen seiner Zeit verständlicher macht... wie bekanntlich die eigenen Vorerfahrungen praktisch immer, wenn auch implizit, die Bewertung neuer Inhalte beeinflussen, und sei es nur mittels eines emotionalen "Primings" (hierin irrt ja auch ein Gerald Hüther nicht, nur dass er eben auch unredlich verkürzt und instrumentalisiert).

Hier erkenne ich, dass sich Bayle ausdrücklich auf christliche Prinzipien stützt, um die Toleranz Andersgläubigen und Atheisten gegenüber ethisch zu begründen:

Zitat Commentaire philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ ,,Contrains-les d'entrer" (,,Philosophischer Kommentar zu den Worten Christi 'Nötige sie hereinzukommen'", 1687), wo er Gewissensfreiheit fordert, auch für Andersgläubige und Atheisten, und zwar nicht nur als moralisches Prinzip, sondern als ein Gebot der Vernunft...

Ich gehe also davon aus, dass er zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Schrift tolerant auch gegenüber den andersgläubigen Juden war - einen Hinweis auf antisemitische Tendenzen kann ich im Wikipedia-Artikel auch sonst nirgendwo erkennen.

(NB:Auch Luther war über längere Zeit tolerant und einladend gegenüber Juden...bis es irgendwann leider bei ihm kippte...der Hinweis soll nur zeigen, dass man mit einer Einzelreferenz ohne Kontext nicht weiter kommt)

Jetzt kommt eine Passage, in der vermutlich dein Hinweis auf Bayles Beschäftigung mit "König David" anzusiedeln ist:

ZitatBayle beschränkte sich nicht auf eine Bestandsaufnahme des zeitgenössischen Wissens über historische Personen und Figuren (insbes. auch solche der Bibel), sondern er versuchte darüber hinaus und vor allem eine kritische Sichtung dieses Wissens.

Hierzu führte er als bahnbrechende Neuerung ein, dass er die eigentlichen Artikel kurz hielt und auf das Faktische beschränkte, ihnen aber ausführliche, teils mehrere Spalten lange Fußnoten beigab, in denen er Quellen und Autoritäten zitierte, und zwar häufig solche, die sich widersprechen, womit er den Leser zum Hinterfragen scheinbar verbriefter Tatbestände und zum eigenen Denken und Entscheiden zwang.
Bayle demonstrierte so, dass Geschichtsschreibung nicht, wie man zuvor meist stillschweigend annahm, im bloßen Sammeln und Darstellen der Fakten besteht, sondern die Fakten selbst schon problematisch sind und ihre kritische Rekonstruktion und Interpretation die Kernaufgabe historischer Forschung bildet

Das ist interesssant und beschreibt recht gut, was die historisch-kritische Bibelforschung auch tut, nur vermutlich auf der Grundlage einer besseren Quellenlage (nicht zuletzt die Entdeckung der Qmran-Rollen (http://de.wikipedia.org/wiki/Schriftrollen_vom_Toten_Meer)). Insofern kann man ihn als einen Mit-Wegbereiter dieser Vorgehensweise betrachten.
Schön der Hinweis auf die Fußnoten, Quellenbelege und Einbeziehung konträrer Meinungen ohne vorschnelle eigene Wertung: theologisch-methodisch, wie oben dargelegt, ganz in meinem Sinne  ;)

Dann finde ich - und hier kannst du sicher kritisch ergänzen:
Zitat
Die Möglichkeit, absolut wahrer Erkenntnis bestritt er, betonte aber seinen persönlichen Glauben an die letztlich unbegreifliche christliche Religion.

    Als Grundlage dieser dritten Klarstellung stelle ich zunächst diesen unbestreitbaren Grundsatz auf:
    Das Christentum gehört einer übernatürlichen Ordnung an, und sein Fundament ist die höchste Autorität Gottes, der uns Geheimnisse mitteilt, nicht damit wir sie begreifen, sondern damit wir sie in aller Demut glauben, die wir dem unendlichen Wesen schulden, das weder täuschen noch getäuscht werden kann.[3]


Auf dieser Grundlage stellte er fest:

    Daß ich niemals eine Lehre als meine persönliche Meinung vorbringe, die sich gegen die Artikel des Glaubensbekenntnisses der reformierten Kirche richtet, in der ich geboren bin und zu der ich mich bekenne.[4]

Ich stelle fest, dass Bayle mit dieser Selbstbeschreibung seiner Haltung zu den Bereichen des Wissens und des "Glaubens" offenbar dem recht nahe kommt, was ich über meine eigene Haltung weiter oben ausgesagt habe.
Damit ist er ein recht typischer Vertreter der evangelisch-reformierten Theologie, wie sie auch heute anzutreffen ist und wie sie mich in einem wichtigen Lebensabschnitt zweifellos geprägt hat.

Die Frage, ob man aus der historisch-kritischen Herangehensweise (zum Beispiel an David oder andere biblische Gestalten ) zwingend Antisemitismus ableiten muss, ist ohnehin zu verneinen - und ich habe sie ganz zu Anfang unseres Disputs begründet verneint:

Bayle setzt sich hier mit der ihm offenbar vertrauten christlichen Übermalung der Davids-Figur auseinander (die in einzelnen Aspekten eine "Messianische" Figur im Judentum wie im Christentum ist - eventuell ist dieser Aspekt damals in der Rezeption von Bayles' Umfeld besonders glorifiziert worden...)
Die eigentliche Überlieferung der alttestamentlichen Quellen gibt aber diese Glorifizierung gar nicht her - wie eingehend von mir ausgeführt - , sondern beschreibt sowohl die Licht-als auch die Schattenseiten eines Menschen, der als jüngster Sohn eines Viehzüchters zum politisch-religiösen Führer einer sehr heterogenen Stammes-/Stämmegemeinschaft avancierte.
Ich stelle ihn mir übrigens, auch vom Setting her, ganz ähnlich wie Massoud (http://de.wikipedia.org/wiki/Ahmad_Schah_Massoud) vor (meine rein subjektive Sicht...).

Kannst du mir bitte - nur für mein Verständnis - noch mal erläutern, warum du mir dieses Konstrukt "Wer David entmythologisiert hat, müsste nach deiner Logik also auch Antisemit sein" (oder wie du es ursprünglich formuliert hast) unbedingt unterschieben willst?
Ich habe allerhand Mühe darauf verwendet, darzulegen, warum ich es in keiner Weise für angebracht oder in der Sache dieses Fadens  irgendwie weiterführend halte.
Seltsam, dass du nun ausgerechnet darauf noch mal zurück kommst. Was motiviert dich dazu, dies sogar als "die eigentliche Frage" zu bezeichnen - siehe dein Zitat oben?

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 07. September 2012, 15:25:33
@P. Stibbons
ZitatDazu habe ich ganz am Anfang sogar sehr ausgiebig Stellung genommen
Ich kann mich nicht erinnern, dass Du vorher schon irgendwo explizit gesagt hast, dass Bayle kein Antisemit war. Vielleicht habe ich das überlesen, bitte noch mal den Post angeben. Du bist nur auf Reizworte wie "unmoralisch" und "heilig" abgefahren. Dazu gleich noch einmal, unten.

ZitatMich interessiert natürlich - das würde hier den Rahmen sprengen - auch seine persönliche Biografie
Findest Du z. B. bei Feuerbach, Pierre Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit, mehr die Werkgeschichte, oder bei Wilhelm Bolin (einem Feuerbachianer), Pierre Bayle. Sein Leben und seine Schriften, beides schon älter und daher auch komplett im Internet zu finden. Wahrscheinlich gibt es auch noch mehr.

Zitatbahnbrechende Neuerung  ... Fußnoten ... Quellen und Autoritäten zitierte, und zwar häufig solche, die sich widersprechen
Das ist interessant und beschreibt recht gut, was die historisch-kritische Bibelforschung auch tut
Sag' ich doch die ganze Zeit:
Zitat von: bayle am 26. August 2012, 11:36:47
... das ist eine heutige Reformtheologie, die erst durch und nach Bayle möglich geworden ist.

ZitatDaß ich niemals eine Lehre als meine persönliche Meinung vorbringe, die sich gegen die Artikel des Glaubensbekenntnisses der reformierten Kirche richtet, in der ich geboren bin und zu der ich mich bekenne
Einfach mal im Original nachlesen, die erste bis vierte Klarstellung. Wie Du dann leicht feststellen kannst, war Bayle wirklich der Meister der Aporie.

ZitatSeine größten Feinde sind gezwungen zuzugeben, daß in seinen Werken keine Zeile steht, die eine offenkundige Lästerung auf die christliche Religion ist; doch geben auch seine größten Verteidiger zu, daß in den Artikeln zum Glaubensstreit keine einzige Seite enthalten ist, die nicht den Leser zum Zweifel und häufig zur Ungläubigkeit hinlenkt. Man konnte ihm nicht nachweisen, daß er gottlos war, doch erschuf er Gottlose, indem er gegen unsere Dogmen Einwände erhob, und zwar mit so tagheller Klarheit, daß einem durchschnittlichen Glauben keine Möglichkeit blieb, nicht davon erschüttert zu werden.

Die Orthodoxie aller Zeiten und Länder hat natürlich versucht, sich mit der einen Seite dieser Aporien zu beruhigen, aber so ganz will das einfach nicht gelingen:

ZitatWhether Pierre Bayle was a dangerous friend or a disguised enemy [der christlichen Religion] is a moot point [br.: fraglich; am.: rein akademisch]. Popkin is undecided as to whether Bayle in his massive Dictionnaire historique et critique was trying to destroy reason for the sake of religion, or, rather, to destroy religion for the sake of reason.

Das eigentlich Verblüffende an ihm ist, dass es ebenso nicht gelingt, ihm Unehrlichkeit, Taktieren, Verfälschen oder sonst etwas vorzuwerfen (der einzige berechtigte Vorwurf ist der der Weitschweifigkeit). Nicht umsonst spricht die Stanford Encyclopedia of Philosophy vom ,,Bayle enigma". (Wegen name dropping sag' ich lieber nicht, von wem die einzelnen Zitate sind)

Nun zurück zur eigentlichen Frage, und warum sie mir wichtig ist. Ich stelle noch mal den Zusammenhang her:

Zitat von: bayle am 26. August 2012, 07:18:27
Ich meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen. Auch Spinoza und Moses Mendelssohn und Lessing gehören zu ihr. Wenn man ,,den Aufklärern" Antisemitismus unterstellt, dann kann man das auch bei Shakespeare tun. Der große Pierre Bayle  ;) hat nachgewiesen, dass König David, dieser heilige Monarch, nach allen menschlichen Begriffen zutiefst unmoralisch gehandelt hat; war Bayle also Antisemit?

Hitchens ist antireligiös, aber definitiv nicht antisemitisch. Das Schema ist nicht neu: der katholische Publizist Alexander Kissler hat 2008 Richard Dawkins als ,,antisemitisch" denunziert, wofür er von kamenin in dessem blog elegant zerlegt worden ist (leider heute nicht mehr online). Auch bei Schmidt-Salomon's atheistischen "Drei kleinen Ferkelchen" hat man den absurden, unehrlichen Versuch unternommen, sie mit dem Antisemitismus-Vorwurf juristisch zu erledigen.

Wirklicher Antisemitismus ist in der Gegenaufklärung viel verbreiteter, gar nicht zu reden von Papst Paul IV (Erfinder des Römischen Ghettos) oder Martin Luther.

In der ganzen seiten- und wochenlangen Diskussion habe ich keinen Einwand gehört, der mich dazu gebracht hätte, auch nur ein Komma zu ändern, obwohl ich von allen Seiten beschossen worden bin.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 07. September 2012, 15:34:37
Zitat von: bayle am 06. September 2012, 17:25:11In der ganzen seiten- und wochenlangen Diskussion habe ich keinen Einwand gehört, der mich dazu gebracht hätte, auch nur ein Komma zu ändern, obwohl ich von allen Seiten beschossen worden bin.

Das sagt allerdings viel über dich und deine Art zu diskutieren aus.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 07. September 2012, 15:39:25
Dass Du unzufrieden bist, kann ich schon verstehen.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: Ridcully am 07. September 2012, 15:49:47
Ach unzufrieden - du gehst mir nur schlicht auf den Keks.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 07. September 2012, 18:26:23
Zitat von: bayle am 26. August 2012, 07:18:27
Ich meine, die Aufklärung wird nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge angegriffen. Auch Spinoza und Moses Mendelssohn und Lessing gehören zu ihr. Wenn man ,,den Aufklärern" Antisemitismus unterstellt, dann kann man das auch bei Shakespeare tun. Der große Pierre Bayle  ;) hat nachgewiesen, dass König David, dieser heilige Monarch, nach allen menschlichen Begriffen zutiefst unmoralisch gehandelt hat; war Bayle also Antisemit?

Hitchens ist antireligiös, aber definitiv nicht antisemitisch. Das Schema ist nicht neu: der katholische Publizist Alexander Kissler hat 2008 Richard Dawkins als ,,antisemitisch" denunziert, wofür er von kamenin in dessem blog elegant zerlegt worden ist (leider heute nicht mehr online). Auch bei Schmidt-Salomon's atheistischen "Drei kleinen Ferkelchen" hat man den absurden, unehrlichen Versuch unternommen, sie mit dem Antisemitismus-Vorwurf juristisch zu erledigen.

Wirklicher Antisemitismus ist in der Gegenaufklärung viel verbreiteter, gar nicht zu reden von Papst Paul IV (Erfinder des Römischen Ghettos) oder Martin Luther.

Das war deine Konstruktion.

Und  ich habe daraufhin dargelegt, dass die Texte des AT eine solche Interpretation ohnehin gar nicht zulassen.
Es steht nirgendwo in der Tora ein derart einseitiges Bild von David oder anderen Figuren, dass man dies künstlich entmythologisieren müsste.
Entmythologisieren kann man höchstens die jeweiligen kontextbedingten Rezeptionen (messianische Überhöhung) - das hat u.a. Bayle getan: mit den Mitteln seiner theologischen Kenntnisse.

Allerdings hat er zeitbedingt (lt deiner Quelle) David als "christlichen" König bezeichnet.
Hier können zu Recht (!!) Juden protestieren und einwenden: "Ihr Christen habt euch eigenmächtig unsere Vorväter unter den Nagel gerissen inclusive der uns von Gott gegebenen Verheißung" - was in der Tat antisemitischen Vorstellungen christlicherseits Vorschub geleistet hat (hier käme Luther - in seiner Spätphase - mit ins Spiel, aber vermutlich schon die Bibelübersetzungen der ersten Jahrhunderte).

Bayles Beitrag ist  insofern nichts wirklich Ungewöhnliches, weil durch die reformatorischen Bibelübersetzungen (welche hat Bayle wohl verwendet? )ein eigenständiges Bibelstudium überhaupt erst möglich wurde - das haben die evangelischen Kirchen der katholischen Kirche um Jahrhunderte voraus.
Dieser Umstand hat stark dazu beigetragen, eine durch Dogmen verzerrte Rezeption immer wieder kritisch zu hinterfragen und einen frischen Zugang zu finden.

Mir erschließt sich - nach wie vor - nicht, warum du hier eine Parallele oder gar Conclusion von den Anfängen der historisch-kritischen Methode zu antisemitischen Positionen erkennen willst oder eventuell unterstellst, dass man auf einen solchen Gedanken überhaupt kommen könnte.

Diese Frage hast du immer noch nicht beantwortet.
Mir würde eine solche Idee in dem von dir dargelegten Zusammenhang nicht in den Sinn kommen - ich finde sie völlig an den Haaren herbei gezogen:
denn der biblische Text gibt es nicht her - er beschreibt lediglich ohne Beschönigung.
Wenn die Autoren eine Glorifizierung Davids im Sinn gehabt hätten, hätten sie ein Heldenepos geschrieben und auf die Peinlichkeiten verzichtet.
Die Juden hören und lesen diese Texte nach einem festgelegten Kanon - früher im Tempel und jetzt in den Synagogen - , das kehrt also immer wieder.
Ich behaupte, jeder gläubige Jude kennt sie mehr oder weniger auswendig.
Auch hier bewahrt das Hören der Überlieferung vor verstiegenen Überhöhungen dieser Figur (mag das auch eine zionistische Versuchung sein...darüber kann ich nur spekulieren.)

HIer also noch mal O-Ton:

Meine Antwort auf dein Bayle-Antisemitismus? -Dingens war:

http://forum.psiram.com/index.php?topic=9420.msg106323#msg106323

ZitatDas zeugt von unzureichender Kenntnis biblischer Texte, die keineswegs über "heilige" Menschen berichten bzw diese gar mit einem Nimbus umgeben wollen, sondern im Gegenteil die Irrungen und Wirrungen sterblicher und fehlbarer Menschen oft sehr schonungslos beschreiben, allen voran David (der einem seiner zuverlässigsten Offiziere nicht nur die Frau ausspannte, sondern diesen selbst in vorderster Reihe an die Front schickte, um ihn loszuwerden...), was ihm dann von seinem  "Persönlichen Berater" Samuel auch ohne Beschönigung ins Gesicht gesagt wird.

Damit meinte ich nicht Bayle, wie du offenbar angenommen hast, sondern deine wie auch immer motivierte Deduktion, "Bayle, ein Antisemit?" (die ich immer noch völlig unpassend finde)

worauf du antwortetest:

ZitatNein, das ist eine heutige Reformtheologie, die erst durch und nach Bayle möglich geworden ist. David ist natürlich in höchstem Maße gottgefällig; der "heilige Monarch" ist ein Zitat aus Bayle. Er ist der allerletzte, dem man böswillige Verzerrung kritisierter Ansichten oder Unkenntnis von Quellen vorwerfen könnte: "his erudition was second to none in his, or perhaps any, period", sagt die Stanford Encyclopedia of Philosophy.

Die von dir verlinkte Bayle-Quelle zeigt im Gegensatz zu dieser deiner Annahme jedoch recht deutlich, dass Bayle ganz im Sinne seiner durch und durch "gläubigen" Herangehensweise bemüht ist, den rezeptionsgeschichtlichen Ballast (der uns kontextuell nur angedeutet wird) zu entfernen und eine texttreue Lesart (nach damaligen Möglichkeiten) in den Mittelpunkt zu stellen.

Das reformatorische Erbe "sola scriptura" klingt hier durch: "Was sagt die Schrift?" - Das ist maßgeblicher als (katholische) Sonder-Überlieferungen (wie man sie z.B. in den verrenkten Bemühungen um Marias "unbefleckte Empfängnis" rücklaufend sogar zu ihrer (im NT nicht erwähnten) Mutter Anna (auch "unbefleckt") findet.

Bayles konkrete theologische Begründung einer wahrhaftigen Text-Rezeption im Fall David  finde ich besonders interessant.
Sie verdient eigentlich eine Extra-Würdigung... ein ander Mal  ;)

Leider enthält uns Bayle die Quelle vor, die er erörtert, oder ich habe sie nicht gefunden. Er bezieht sich auf ein im Text nicht näher spezifiziertes Bibellexikon, dem er selektives, überhöhendes Zitieren vorwirft.
Das wäre natürlich spannend zu lesen, um überhaupt abschätzen zu können, worauf seine Kritik im einzelnen zielt.
Auf den biblischen Text selbst eben nicht - das war der Kern meiner Ausführungen.

Und deine Einschätzung, heutige Reformtheologie mache eine "nüchterne" Lesart des Textes erst möglich, teile ich nicht, da der Text in seiner unverblümten "Nacktheit" seit Luther und Co in den jeweiligen Übersetzungen zugänglich war.
Dem entsprechend hat ihn auch Bayle gelesen und ist ganz selbstverständlich damit umgegangen, wie es auch damals schon in protestantischen Kreisen selbst unter Laien durchaus üblich war.
Welche Bibelübersetzung Bayle benutzt hat und ob er auch zum Vergleich die Vulgata oder gar hebräische Texte gelesen hat, weißt du vielleicht?

Fazit:

Vor diesem Hintergrund sind meine Exkurse in die Methodik der evangelischen Theologie zu betrachten:
sie erweist sich als ein wichtiges Instrument der Aufklärung, welche damit eben auch christlich-theologische Wurzeln hat, die man m.E. kennen und würdigen sollte. Damit wären wir wieder beim (leider miserabel kommunizierten) Kernanliegen des Zeitungsartikels...
Bayle ist ein hervorragendes Beispiel, wie gut sich aufklärerisches Denken und evangelische Theologie vertragen. Daran hat sich nach meiner Kenntnis und Einschätzung bis heute nichts geändert.

Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 07. September 2012, 18:45:52
Sag mal Ponder, bist Du wirklich unfähig, einen drei Sätze umfassenden Text korrekt wiederzugeben, den Du direkt vor der Nase hast?
ZitatAllerdings hat er zeitbedingt (lt deiner Quelle) David als "christlichen" König bezeichnet.
Es war von "heilig", nicht von "christlich" die Rede.

Wie sag ich's meinem Kinde:
Der Antisemitismus-Vorwurf an die Aufklärung ist unberechtigt. Er ist konstruiert, und wenn er zutreffen würde, so müsste, nach dem gleichen Schema, alle Welt antisemitisch sein.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 07. September 2012, 19:10:14
Ich beziehe mich auf S. 379 , Absatz 2, wo diskutiert wird:

"There are some rigid casuists who not think a  Christian Prince can lawfully engage in a war..." Anm: offenbar frühe Verfechter der Schwerter-zu Pflugscharen-Theologie... ;)

Bayle antwortet diesen Vertretern eines (wenn überhaupt) christlich-ethisch begründbaren reinen Defensivkriegs, dass David sehr wohl Angriffskriege geführt hat.
Hier nimmt Bayle also eine implizite Gleichsetzung eines jüdischen Königs mit einem "Christian Prince" in Kauf.

Dies ist ein Phänomen, welches weit in die Anfänge der (leider frühzeitig vom Judenchristentum distanzierten) christlichen Dogmatik zurück reicht: dass alle Aspekte des AT unkritisch christlich "eingeheimst" und umgedeutet wurden. Hierin besteht zu Recht einer der Hauptvorwürfe des Judentums an die Christen - welche in völliger Missachtung der klaren paulinischen Anweisungen in Römerbrief 9 ff (http://www.bibleserver.com/text/LUT/R%C3%B6mer9,1), insbesondere 11, 17 ff, gehandelt haben.

Bayle ist darin Kind seiner Zeit - den christlich-jüdischen Dialog haben wir ernsthaft erst in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Worauf beziehst wiederum du dich genau?

ZitatEs war von "heilig", nicht von "christlich" die Rede.

Deswegen ja mein Bestehen auf konkreten Quellen und Zitaten.
Wieviel Bayle sollte ich deiner Meinung nach lesen, bis ich die von dir gemeinte Stelle finde?
Die Stichwortsuche  "David" gab mir ungefähr 95 Textstellen an.

Ich wäre dir daher dankbar, wenn so was

ZitatSag mal Ponder, bist Du wirklich unfähig, einen drei Sätze umfassenden Text korrekt wiederzugeben?

künftig unterbleiben könnte.

edit:

zumal es einen Nebenaspekt berührt - auch daraus kann man Bayle aus oben dargelegten Gründen keinen Antisemitismusvorwurf machen - oder höchstens ihm als Teil der gesamten Christenheit


ZitatWie sag ich's meinem Kinde:
Der Antisemitismus-Vorwurf an die Aufklärung ist unberechtigt. Er ist konstruiert, und wenn er zutreffen würde, so müsste, nach dem gleichen Schema, alle Welt antisemitisch sein.

Nochmal zur Klarstellung:

Der WELT-Artikel formuliert diesen Vorwurf reißerisch mit Fragezeichen in der Headline.
Ich halte diese Formulierung und auch den größten Teil der Argumentation des Autors für ausgesprochen unbedarft bis dümmlich.

Meine Position zu dem Artikel - der einzige Grund, warum ich hier schreibe - ist:

es kann keinem schaden, sich auch mit noch unbewältigten dunklen  Anteilen der Aufklärung zu befassen.
Der Autor meint, da bestehe Nachholbedarf.
Dem stimme ich zu.



Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 07. September 2012, 20:01:36
Wirklich, ich habe viel Mühe mit Dir. Was meinst Du mit ,,lt deiner Quelle", wenn Du Dich nicht auf den gerade wiederholten Post beziehst, um den sich alles dreht? Im Nachhinein erkenne ich, dass Du die englische Übersetzung am Wickel hast. Nun, ich kann Dir nicht sagen, wie philologisch exakt diese Übersetzung ist und ob sie wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Ich zitiere die erwähnte deutsche Ausgabe, Bayle, Hist. u. Krit. WB., Hg Gawlik und Kreimendahl, Felix Meiner Hamburg 2003. Wenn Du nachrecherchierst, es gibt noch einen Teil II. Das andere ist nur gedacht als eine schnelle Hilfe für den Einstieg. Entschuldige meine ungeduldige Reaktion.  :-[

ZitatEr ist eine Sonne der Heiligkeit in der Kirche, er breitet durch seine Werke einen ungemeinen Glanz des Trostes und der Frömmigkeit über sie aus, den man nicht genug bewundern kann; aber er hat seine Fehler gehabt, und noch in seinen letzten Worten findet man die Unredlichkeiten der Politik ...
(S. 45)
Aber wenn allgemein gesprochen die Eroberungen dieses heiligen Monarchen zu seinem Ruhm beigetragen haben, ohne seine Gerechtigkeit zu beeinträchtigen, so wird es schwierig, an dieser Maxime festzuhalten, wenn man ins Detail geht. ...
(S. 61)
Und Bayle geht sehr ins Detail. Benutzt hat er hier die Genfer Bibel. Wenn Du wirklich herausfinden willst, welche Bibellexika er verwendet hat, dann wirst Du entweder Französisch lernen oder die Bayle-Forschung bemühen müssen; alle Übersetzungen, die ich kenne, sind gekürzt (wie ich schon sagte: Weitschweifigkeit war sein einziges Laster).

So, und jetzt lass' gut sein mit David, zumindest für diesen Thread.

ZitatDer Autor meint, da bestehe Nachholbedarf.
Dem stimme ich zu.

Ja, du stimmst zu, aber ich lass mir das nicht von einem WELT-Autor vorschreiben, der was ganz anderes im Sinn hat.

Jetzt sind wir wirklich einmal im Kreis rum und haben fast nix links liegen lassen. Uff.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 07. September 2012, 20:56:48
ZitatWas meinst Du mit ,,lt deiner Quelle", wenn Du Dich nicht auf den gerade wiederholten Post beziehst, um den sich alles dreht? Im Nachhinein erkenne ich, dass Du die englische Übersetzung am Wickel hast. Nun, ich kann Dir nicht sagen, wie philologisch exakt diese Übersetzung ist und ob Sie wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.

Das ist lediglich der (englische)Quellentext, für den du mir einen Link gegeben hast - ich war dankbar dafür.

Wenn du expressis verbis eine Stelle mit dem Wortlaut
Zitatdieses heiligen Monarchen
für deine Argumentation benutzt, dann ist es nur fair, sie auch im Zusammenhang zu zitieren, wie du es jetzt endlich mal tust.
Das gibt zumindest den Rahmen für eine brauchbare Textanalyse her und beendet Spekulationen darüber, was dieses Fragment denn tatsächlich in Bayle's theologischem Diskurs aussagen will

Nun sind wir also bei der allgemein üblichen good practice von seriöser evangelischer Theologie angelangt - das ist doch schön.

ZitatWirklich, ich habe viel Mühe mit Dir.

Ganz meinerseits...
Wo steht geschrieben (um einen etwas theatralischen Theologenfreund von mir zu zitieren), dass die Theologie ein einfaches Geschäft sei?

Aaalso:

ZitatEr ist eine Sonne der Heiligkeit in der Kirche, er breitet durch seine Werke einen ungemeinen Glanz des Trostes und der Frömmigkeit über sie aus, den man nicht genug bewundern kann; aber er hat seine Fehler gehabt, und noch in seinen letzten Worten findet man die Unredlichkeiten der Politik ...
(S. 45)
Aber wenn allgemein gesprochen die Eroberungen dieses heiligen Monarchen zu seinem Ruhm beigetragen haben, ohne seine Gerechtigkeit zu beeinträchtigen, so wird es schwierig, an dieser Maxime festzuhalten, wenn man ins Detail geht. ...
(S. 61)

Sinngemäß finde ich eine ähnliche Stelle zum Beispiel in der englischen Übersetzung S. 384, Abs. 2

ZitatDavid is doubtless a sun of holiness in the church; he there diffuses by his writings (Anm:Psalmen) a fruitful source of consolation; but the sun has its spots, and the scripture is relating them historically, everyone is at liberty to pay a judgement upon them.

Let us conclude with saying, that the history of David may comfort many crowned heads against the alarms, which rigid casuists may give them, in maintaining, that it is hardly possible for a king to be saved.

M.a. Worten:
"David kann vor allem als Exempel dafür dienen, dass sogar ein korrupter und skrupelloser Monarch Gnade in Gottes Augen finden kann."

Eine schöne Exegese und Predigt - vielleicht hatte er sogar jemand konkret vor Augen...  ;)

Der Kontext erschließt, dass vermutlich die andere Stelle "die Eroberungen dieses heiligen Monarchen " auch schon mit einem gewissen Unterton zu lesen ist...

Insgesamt finde ich mein Argument dir gegenüber bestätigt, dass Bayle hier eine bereits übliche protestantische Praxis im Umgang mit den Schriften anwendet:

"sola scriptura" - "zurück zu dem, was der biblische Text tatsächlich sagt und bilde dir daran selbst ein Urteil":

Zitatthe scripture is relating them historically, everyone is at liberty to pay a judgement upon them.
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: P.Stibbons am 07. September 2012, 21:06:13
Ist Bayle nun in deinen Augen primär ein Theologe oder ein Aufklärer (der leider zufällig Theologe ist...) ?
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 07. September 2012, 21:54:41
Encarta (1996): Philosoph
Britannica (1994-98): philosopher
Wilpert, Lexikon der Weltliteratur: Skept. Philosoph, irreligiöser Freigeist
Meyers Gr. Lex, 1905: einer der einflußreichsten philosophisch-theologischen und kritischen Schriftsteller Frankreichs, gewöhnlich als Skeptiker bezeichnet
Vorländer, Gesch. d. Philosophie, 1903: Skeptiker und Polyhistor
Stanford Encyclopedia of Philosophy: a French Protestant
dt. Wikipedia: französischer Schriftsteller und Philosoph
engl. Wikipedia: French philosopher and writer
Bayle himself: Protestant

Er war definitiv kein Theologe, obwohl das sicher Dein vorläufiger Eindruck ist. Der wird sich legen, wenn Du mehr von ihm kennst. 
Titel: Re: Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"
Beitrag von: bayle am 08. September 2012, 06:29:31
Zitatnur fair, sie auch im Zusammenhang zu zitieren, wie du es jetzt endlich mal tust
Wo steht geschrieben, dass die Theologie ein einfaches Geschäft sei? ...
Nun sind wir also bei der allgemein üblichen good practice von seriöser evangelischer Theologie angelangt - das ist doch schön.
Eine schöne Exegese und Predigt - vielleicht hatte er sogar jemand konkret vor Augen...
sola scriptura

Hast Du wirklich den Eindruck, Dein ,,hartnäckiges" Nachfragen hätte mich dazu gebracht, wissenschaftlicher zu werden? Ich kann es Dir einfach nicht recht machen. Zitiere ich, dann mache ich name dropping und habe keine authentische Diktion, und zitiere ich nicht, dann bin ich unfair und unwissenschaftlich. Das hier ist ein Thread und kein Fachjournal.
Der Unterschied zwischen Theologie und Philosophie besteht darin, dass an der Stelle, wo in der Theologie ,,Geheimnis" steht, in der Philosophie das Wort ,,Nonsens" verwendet wird, und für ,,Gnade" das Wort ,,Zufall".
Wenn Du Bayle für einen Prediger hältst, dann kann ich mir ein entstellendes Grinsen nicht verkneifen, und das werde ich nicht zurücknehmen müssen. Sag nicht, du seist nicht gewarnt worden.
Für die einen ist die Bibel eine gesetzte Wahrheit, die es mit wissenschaftlichen Mitteln von menschengemachten Entstellungen zu befreien gilt. Für die anderen ist sie nur interessant, weil sie verstehen wollen, warum ein archaisches, in sich und mit dem menschlichen Erkenntnisfortschritt völlig zerfallenes Textkonvolut ("Alte Weisheiten sind moderne Torheiten" - cave name dropping: Salman Rushdie) von einigen noch immer als moralische Anleitung, wenn nicht mehr, angesehen werden kann, und wie diese dann mit den unausweichlichen kognitiven Dissonanzen umgehen.