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Welt Artikel "Die großen Aufklärer waren oft Judenhasser"

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Begonnen von G5, 25. August 2012, 17:51:08

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bayle

Zitat von: P.Stibbons am 26. August 2012, 13:48:24

Mein Gegenargument war: es ist in den Urtexten (von denen hier ja auch nur die ehrwürdige Luther-Übersetzung vorliegt - Quelle: Vulgata - auch kein "Urtext", sondern lateinische Übersetzung...) nie vorgesehen gewesen, David auf einen heiligen Sockel zu stellen.

Insofern trifft auf Bayle zu, dass er ein im Nachhinein verzerrtes (katholisches oder anglikanisches) theologisches Bild von David wieder zurecht gerückt hat - dies richtete sich aber dann primär gegen die christliche Übermalung und Überhöhung

Einspruch. Was die Intention der ,,Urtexte" war, ist nur aus den Umständen her zu verstehen, unter denen sie entstanden sind. Es liegt mir fern, mich als Bibel-Gelehrten aufspielen zu wollen, aber die Moral des AT, speziell der Geschichtsbücher, ist im Großen und Ganzen inkompatibel mit heutigen Moralvorstellungen. Jahwe war ein lokaler Kriegsgott, der den Völkermord an allen Nicht-Israeliten befohlen hat (Was dem HERRN, d. h. der israelitischen Priesterkaste, an David missfallen hat, war ein Unrecht gegen einen Stammesgenossen).  Es deshalb nicht plausibel, dass Bayle nur den ursprünglichen Sinn des Urtextes von christlichen Verformungen befreit habe.

Zitat
Eine Quelle, in der "über" biblische Texte geschrieben wird, ist aus theologisch-literaturwissenschaftlicher Sicht nie "Primärliteratur", sondern Rezeption

Es steht mir aber frei, die Bibel als ein archaisches Textkonvolut anzusehen und die ,,theologisch-literaturwissenschaftliche" Sicht abzulehnen, nach der die Bibel letztlich sakrosankt ist und es nur darum gehen könne, ihren wahren Sinn, in dem sich das Göttliche Gebot offenbart, freizulegen – m. a. W., den Gegebenheiten der jeweiligen Jetztzeit anzupassen. Reformtheologie.

Zitat
Na ja - mein Tip: selbst nachlesen statt ungeprüft zu übernehmen, was einem jemand erzählt.

Meinst Du damit wirklich Hans Küng? Der wäre ja nach Deiner Definition Tertiärliteratur und ist der Reformtheologe par excellence (,,Katholizismus mit ökumenischem Antlitz"). Dann schon lieber die Quartärliteratur: Hans Albert, ,,Das Elend der Theologie".


P.Stibbons

ZitatWas die Intention der ,,Urtexte" war, ist nur aus den Umständen her zu verstehen, unter denen sie entstanden sind. Es liegt mir fern, mich als Bibel-Gelehrten aufspielen zu wollen, aber die Moral des AT, speziell der Geschichtsbücher, ist im Großen und Ganzen inkompatibel mit heutigen Moralvorstellungen.

Du sagst es.
Das heißt aber, dass man sie primär nicht mit heutigen Moralvorstellungen vergleichen darf, sondern in ihrem historischen Kontext beurteilen muss.

Außerdem muss man wissen, mit welcher Intention diese Texte entstanden sind (das ist Aufgabe der Theologie, gemeinsam mit Sprachforschern, Altertumsforschern, Historikern etc)
Damit dies wissenschaftlich "sauber" geschieht und nicht irgendetwas hineininterpretiert wird, was gar nicht gemeint war, ist akademische Theologie nötig (unabhängig von kirchlicher Weisung...)

Das Alte Testament ist eine Sammlung von "historischen Erzählungen" (wie damals eben üblich, aus mündlicher Tradition aufgeschrieben und mit schmückendem Beiwerk versehen), aus Stammbäumen, Gesetzestexten, Gebeten, philosophischen Betrachtungen (Hiob), Liebeslyrik (Hohes Lied), Sinnsprüchen etc.

Man muss sehr genau wissen, was man von einem Text "zu erwarten" hat.

ZitatJahwe war ein lokaler Kriegsgott, der den Völkermord an allen Nicht-Israeliten befohlen hat (Was dem HERRN, d. h. der israelischen Priesterkaste, an David missfallen hat, war ein Unrecht gegen einen Stammesgenossen).

Das ist ein Aspekt und als solcher im Vergleich zu den Nachbarvölkern nicht ungewöhnlich; allerdings ist es falsch, dies zu verallgemeinern oder daraus gar abzuleiten, das sei die eigentliche Kernaussage.

Die Geschichte aus 2. Samuel zeigt m.E. sogar sehr gut, dass der König David, der den Hals offenbar nicht voll kriegen konnte und sich als wirkliches Charakterschwein entpuppte, scharf zur Verantwortung gezogen wird, gerade weil er sich (als "Vertreter Gottes" ) als schlechtes Vorbild und Willkürherrscher erwiesen hat.

Leider werden im Rahmen der einseitigen Information über die Inhalte des AT die anderen Aspekte des jüdischen Gottesbildes völlig unterschlagen.
Im Gegensatz zu den umgebenden religiösen Strömungen ist nämlich ein sehr ungewöhnliches neues sanftes und geradezu menschliches Gottesbild an einigen Stellen des AT emergent - an dieses knüpft letztlich der Jude Jesus an und verstärkt diese neue Strömung.
Insofern erachte ich es als bewusste sehr einseitige Verzerrung, wenn Hitchens formuliert "Der Herr ist KEIN Hirte" - und daraus könnte man in der Tat eine antisemitische Grundeinstellung ableiten, weil daraus nämlich ein neues Feindbild herauf beschworen werden kann.

Wenn man die Geschichte Israels ansieht, erkennt man auch schnell, dass es zwar zur Zeit der Landnahme diese aggressiven Exzesse gegeben hat, dass aber aufs Ganze gesehen die Kräfteverhältnisse deutlich auf der gegnerischen Seite waren.
Selbst die "starke" Zeit unter David und Salomo war ja nur von kurzer Dauer; bald danach zerfiel das Königreich in zwei Teile, und dann waren schnell die Großmächte aus dem Osten zur Stelle.

Zitat
Es steht mir aber frei, die Bibel als ein archaisches Textkonvolut anzusehen und die ,,theologisch-literaturwissenschaftliche" Sicht abzulehnen, nach der die Bibel letztlich sakrosankt ist

Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.
Aus Sicht evangelischer Theologen war die Bibel seit ca 200 Jahren nicht sakrosankt, und die historisch-kritische Forschung stammt nicht aus der Nachkriegszeit.
Zu dem "archaischen Textkonvolut" habe ich ja schon weiter oben kommentiert.

Beispiele richtungsweisender evangelischer Theologen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts:

http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Barth#Theologische_Ausbildung_im_Gefolge_der_liberalen_Theologie

http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Bultmann

Besonders wichtig sind nach meiner Einschätzung die jüdischen Gelehrten des jüdisch-christlichen Dialogs:

http://de.wikipedia.org/wiki/Schalom_Ben-Chorin

http://de.wikipedia.org/wiki/Pinchas_Lapide

Man kommt heutzutage nicht mehr drum herum, sich mit der jüdischen Sicht auf Jesus und das Urchristentum auseinander zu setzen, wenn man diesem Thema auch nur annähernd gerecht werden will.
Zitat
Meinst Du damit wirklich Hans Küng? Der wäre ja nach Deiner Definition Tertiärliteratur
[/quote]

Hans Küng hat den großen Vorteil, dass er in seinen Fachbüchern geradezu erschütternd viele Quellen von Urtexten bis quer durch die gesamte Kirchengeschichte verarbeitet hat und gleichzeitig sehr gut verständlich schreibt.

Ja, er ist "Tertiärliteratur" (im Vergleich zum Urtext), aber wenn er (wie es üblich ist) die Bibelstellen angibt, auf die er sich bezieht, dann kann man das ja jederzeit selbst nachprüfen. Jedenfalls ist er einer der herausragendsten Theologen und Denker der Gegenwart

Ich habe nie behauptet, dass Sekundär-oder Tertiärliteratur schlecht sei - im Gegenteil, sie ist sehr notwendig, vor allem wenn man selbst nicht den nötigen sachkundigen Horizont mitbringt (indem man z.B. Urtext lesen kann).

Aber man sollte sich in diesen Dingen nicht kritiklos der Rezeption von einzelnen Meinungen überlassen - dazu ist die Angelegenheit zu komplex.
Zitat
und ist der Reformtheologe par excellence (,,Katholizismus mit ökumenischem Antlitz"

Spricht das gegen ihn?
Ich würde auch Dietrich Bonhoeffer empfehlen und auch Befreiungstheologen

Es gibt eben eine ganze Palette sehr unterschiedlicher theologischer Strömungen, und wenn man zum Christentum (und Judentum) etwas Fundiertes sagen und gerne auch kritisieren will, dann muss man sich mit diesen verschiedenen Interpretationen auseinander setzen statt irgendwelche unreflektierten Allgemeinplätze zu vertreten

bayle

@ P. Stibbons

Zitat
Zitat
Es steht mir aber frei, die Bibel als ein archaisches Textkonvolut anzusehen und die „theologisch-literaturwissenschaftliche“ Sicht abzulehnen, nach der die Bibel letztlich sakrosankt ist

Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.
Aus Sicht evangelischer Theologen war die Bibel seit ca 200 Jahren nicht sakrosankt, und die historisch-kritische Forschung stammt nicht aus der Nachkriegszeit.

Dann brauchst Du nur noch den zweiten Teil meines Satzes zu lesen: " ... und es nur darum gehen könne, ihren wahren Sinn, in dem sich das Göttliche Gebot offenbart, freizulegen – m. a. W., den Gegebenheiten der jeweiligen Jetztzeit anzupassen." Du umgehst dieses unlösbare Grundproblem der Theologie sorgfältig, vor dem natürlich Barth, Bultmann, Bonhoeffer und alle anderen genauso stehen: Die Bibel ist für den Theologen letztlich immer Gottes Wort, dies ist einfach eine unüberschreitbare Schranke. Du kannst natürlich sagen, das ist für Dich keine Schranke, aber es bleibt eine Schranke der Erkenntnis. Die Bibel ist doch nicht relevant, weil sie eine lange mündlich tradierte Geschichtslegende und Mythensammlung ist, sondern weil der Christ noch immer moralische Orientierung aus ihr ziehen will. Dafür ist heute in der Tat Theologie nötig, denn 60% des Textes sind in dieser Hinsicht in den Skat zu drücken, und für den Rest braucht man eine Gebrauchsanweisung. Dein Favorit Küng sagt, die Bibel werde vom Vatikan als Steinbruch missbraucht, aber nun mal im Ernst - anders ginge es doch gar nicht, alles andere ist Illusion. "Wer den heutigen Katholizismus nicht mag, sollte austreten und Protestant oder Atheist werden, statt ihn durch alberne Reformen zu verderben", sagt Paul Feyerabend ("The church had never such a writer; A shame he hath not got a mitre!", könnte man nun wieder mit Swift dazu sagen).

Du kannst gerne gegen Hitchens sein, aber dann bitte aus den "richtigen" Gründen. Er ist ebenso "Anti-Christ" und "Anti-Moslem", wie er "Anti-Hebräer" ist. Natürlich komme ich darum herum, mich mit "der jüdischen Sicht auf Jesus und das Urchristentum auseinanderzusetzen", weil das für mich als Atheisten keine Relevanz hat. Du kannst gern versuchen, die Aufklärer zu entlarven (besser wäre auch hier, sie in ihrem historischen Kontext zu verstehen), aber mach Dir Deine Motive klar. Es geht Dir, so scheint es mir, nicht um den Antisemitismus, sondern um die Religiosität. Wär schön, wenn ich mich irre, denn in vielen anderen Punkten liegen unsere Ansichten nahe beieinander.

Ratiomania

Zitat von: bayle am 26. August 2012, 12:57:29

Ich finde aber, das führt uns weit vom Ausgangspunkt weg: Ist der Antisemitismus-Vorwurf an die Aufklärung berechtigt, oder wird er instrumentalisiert, um andere Aspekte der Aufklärung zu diskreditieren?

Man kann nicht wegidiskutieren das viele Aufklärer durch die Bank Antisemiten, Sexisten und Rassisten waren.

Aber erstens, waren die Hauptteile ihrer Werke eben nicht antisemitisch. Zweitens diskretiert diese Tatsache eben nicht ihre Ideen und ihre sonstigen Leistungen.

P.Stibbons

ZitatDu umgehst dieses unlösbare Grundproblem der Theologie sorgfältig, vor dem natürlich Barth, Bultmann, Bonhoeffer und alle anderen genauso stehen: Die Bibel ist für den Theologen letztlich immer Gottes Wort, dies ist einfach eine unüberschreitbare Schranke.

Ein Blick auf die verlinkten Wikipediaseiten hätte dir gezeigt, dass das nicht zutrifft: die Auseinandersetzung und Reibung mit diesen biblischenTexten kann und soll durchaus zu unterschiedlichen Positionen führen - allein schon wegen der erwünschten immer neu zu erarbeitenden kontextabhängigen Aktualisierung (nicht zu verwechseln mit Dogma)

Zitat
Natürlich komme ich darum herum, mich mit "der jüdischen Sicht auf Jesus und das Urchristentum auseinanderzusetzen", weil das für mich als Atheisten keine Relevanz hat.

Das steht jedem frei, nur sollte man sich dann am besten überhaupt nicht inhaltlich zu Dingen äußern, die man nur vom Hörensagen kennt.
Hier liegt  (wenn überhaupt) meine kritische Anfrage.
Du hast ja selbst weiter oben zugegeben, dass Deschner (kannte ich bisher gar nicht - ist das ein Theologe?) mit einer Aussage falsch liegt.
Weiß er es nicht besser, oder ist es ihm egal, solange es seinem Zweck dienlich ist - das ist doch die Frage.
Falls letzteres zutrifft, ist es schlicht Stimmungsmache und daher intellektuell unredlich.

ZitatDu kannst gern versuchen, die Aufklärer zu entlarven (besser wäre auch hier, sie in ihrem historischen Kontext zu verstehen), aber mach Dir Deine Motive klar. Es geht Dir, so scheint es mir, nicht um den Antisemitismus, sondern um die Religiosität. Wär schön, wenn ich mich irre, denn in vielen anderen Punkten liegen unsere Ansichten nahe beieinander.

Ich glaube, du erliegst der Projektion, dass ich mir die Auffassung des Autors zu eigen mache (um den es ja in diesem Faden geht)
Es sollte in meinem ersten Beitrag deutlich geworden sein, dass dem keineswegs so ist
Ich habe lediglich versucht zu erklären, worin meiner Ansicht nach eine Gefahr liegt  - weil du die Frage (nach Antisemitismus) expressis verbis gestellt hast.

Ich will niemanden "entlarven", aber genau so wenig möchte ich mich (als Christ, der ich bin, wenn auch ohne Kirchenbindung oder spezielles Dogma) auf eine einseitige und verzerrte Sichtweise festlegen lassen, wie Hitchens (den ich nicht kenne) sie offenbar vertritt - (falls der Autor das richtig wiedergegeben hat...) Dagegen grenze ich mich deutlich ab.
Da wir in einer pluralistischen Gesellschaft mit vom Grundgesetz garantierter Religionsfreiheit leben, muss sich ja nun keiner dafür rechtfertigen, wenn er sich zu einer bestimmten Glaubensrichtung bekennt.

Mir wäre lieber - und ich würde es für wesentlich überzeugender halten - wenn sich Atheisten wie etwa Schmidt-Salomon nicht hauptsächlich dadurch profilieren, indem sie Andersdenkende als Negativ-Kontrastfläche missbrauchen, sondern wenn es gelänge, eine positiv formulierte überzeugende eigenständige Ethik zu formulieren und vor allem auch umzusetzen (siehe unsere zwei Blogs zur GBS...)

Meine Kernaussage war (s.o.), dass die Aufklärer sich - wie die Kirchen - eben auch mit ihrem eigenen Schatten aktiv auseinandersetzen müssten:

ZitatMan kann nicht wegidiskutieren das viele Aufklärer durch die Bank Antisemiten, Sexisten und Rassisten waren.

besonders wenn sie sich mit einem klaren ethischen Anspruch eigenständig gegenüber den (ohnehin zumeist abgewirtschafteten) Kirchen in der Gesellschaft präsentieren, ist da eine kritische Beschäftigung mit eigenen Irrtümern doch nur förderlich.

Mehr wollte ich eigentlich gar nicht sagen - außer dass dem natürlich zuzustimmen ist:

ZitatAber erstens, waren die Hauptteile ihrer Werke eben nicht antisemitisch. Zweitens diskretiert diese Tatsache eben nicht ihre Ideen und ihre sonstigen Leistungen.

Und nicht alle Aufklärer waren Atheisten.

bayle

Zitat
nur sollte man sich dann am besten überhaupt nicht inhaltlich zu Dingen äußern, die man nur vom Hörensagen kennt.

Wo habe ich mich zum Urchristentum und zu Jesus Christus geäußert? aber da berührt es doch seltsam, dass Du über Hitchens eine Meinung entwickelst, den Du gar nicht gelesen hast. Ich empfehle ihn, zur Abhärtung. Und Du vermutest bei Deschner intellektuelle Unredlichkeit, obwohl Du ihn noch nicht mal dem Namen nach kennst:

Zitat
Du hast ja selbst weiter oben zugegeben, dass Deschner (kannte ich bisher gar nicht - ist das ein Theologe?) mit einer Aussage falsch liegt ... schlicht Stimmungsmache und daher intellektuell unredlich.

Red' dich nicht auf den Konjunktiv raus.

Was meinst Du mit "zugeben"? Karlheinz Deschner ist ein bekannter Kirchenkritiker und später militanter Vegetarier, er hätte damit durchaus einen Eintrag im Wiki verdient.
Was meinst Du mit "Christ ohne spezielles Dogma"? Ist Jesus Christus, der Gottessohn, für Dich auferstanden oder ist das eine Legende, die sich nach seinem Tod entwickelt hat? Das ist die Grenze, die die (christliche) Theologie nicht überschreiten kann.

Zitat
Und nicht alle Aufklärer waren Atheisten

Nein, viele waren Deisten. Der entscheidende Punkt ist letztlich, ob sie an einen personalen Gott geglaubt haben, der noch in das Weltgeschehen eingreift. Es dürfte doch schwerhalten, einen orthodoxen Christen unter ihnen zu finden - das wäre der Widerspruch in sich.

P.Stibbons

@ bayle:
Zitat
da berührt es doch seltsam, dass Du über Hitchens eine Meinung entwickelst, den Du gar nicht gelesen hast.

Ich beziehe mich lediglich auf die Zitate im WELT-Artikel, sowohl bei Hitchens als auch bei Deschner (der Konjunktiv, falls er von mir in diesem Zshg verwendet wurde, weil ich nicht überprüft habe, ob der Autor richtig zitiert)

Zu letzterem  - Deschner - schriebst du hier:

ZitatDiese Entschärfung des Textes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ebenso in anderen deutschsprachigen, in den englischen Versionen und auch in der Vulgata. Deschner liegt also falsch, wenn er den Opportunismus der Kirche Deutschlands dafür verantwortlich macht. Aber: es bleibt Reformtheologie.

Daraus geht hervor, dass du selbst findest, dass Deschner - den du ja offenbar kennst, und das soll in diesem Zshg genügen - "also falsch liegt".

Weiterhin sagst du, dass er "den Opportunismus der Kirche Deutschlands" verantwortlich macht.
Das ist vor dem Hintergrund dessen, dass er nach deiner Aussage falsch liegt, also eine Zuschreibung, die  Deschner aufgrund einer Fehlinterpretation tätigt.
Meine Anmerkung dazu im Wortlaut:
Zitat
Weiß er es nicht besser, oder ist es ihm egal, solange es seinem Zweck dienlich ist - das ist doch die Frage.
Falls letzteres zutrifft, ist es schlicht Stimmungsmache und daher intellektuell unredlich.

Falls er also seine Falschaussage wider besseren Wissens getätigt haben sollte - was ich nicht beurteilen kann, aber du, denn du scheinst dich mit ihm näher befasst zu haben -, dann hat er diese Falschaussage für seine Kirchenkritik instrumentalisiert.
Oder wie sollte eine solche Bemerkung sonst zu verstehen sein.

Zu fragen wäre dann weiterhin, wen er mit "die Kirche Deutschlands" meint, oder ob das auch nur ein Allgemeinplatz war.
Hier kämen wir dann auf spannendes Terrain - vor allem hinsichtlich der beiden von mir verlinkten Theologen Barth und Bonhoeffer, die beide nicht zu den gleichgeschalteten "Deutschen Christen" gehörten, sondern zur "Bekennenden Kirche", also dem Widerstand.

Daraus ergäbe sich die Frage an Herrn Deschner - die du ihm vielleicht stellen kannst, falls du ihn persönlich kennen solltest - , warum er hier nicht genauer differenziert hat.

ZitatWo habe ich mich zum Urchristentum und zu Jesus Christus geäußert?

Nee, du hast dich auf Bayle berufen und das Beispiel von David gebracht.
Da habe ich gemerkt, dass du die Texte und Hintergründe gar nicht kennst, und deshalb meine Anmerkung:

Zitatnur sollte man sich dann am besten überhaupt nicht inhaltlich zu Dingen äußern, die man nur vom Hörensagen kennt.

Das könnte ich auch zu Deschner und seinem undifferenzierten pauschalisierenden Kirchenkritik-Satz sagen (falls er das so pauschal gesagt hat)

ZitatRed' dich nicht auf den Konjunktiv raus.

Wie bitte? - Worauf bezieht sich das?

Zitat
Was meinst Du mit "Christ ohne spezielles Dogma"? Ist Jesus Christus, der Gottessohn, für Dich auferstanden oder ist das eine Legende, die sich nach seinem Tod entwickelt hat? Das ist die Grenze, die die (christliche) Theologie nicht überschreiten kann.

Ist hier meine ganz persönliche Sicht relevant?
Entscheidend ist doch lediglich, was "dabei rüberkommt".

Nach dem Motto "An den Früchten werdet ihr sie erkennen"

D.h. z.B. eine Haltung der Versöhnlichkeit und der Verantwortlichkeit für die Menschen, mit denen man zu tun hat.
Kongruenz zwischen Reden und Tun; zu dem stehen, was man versiebt hat... nicht primär das eigene Wohlergehen suchen sondern das des anderen im Blick behalten.
Verzeihen können und wissen, dass man selbst auf Verzeihung/Vergebung angewiesen ist, weil man sich irren kann und weil dieses Leben so geartet ist, dass man trotz bester Vorsätze derbe ins Klo greifen kann.

Für mich speist sich diese Haltung - die mir auch nicht immer gelingt - aus meinem (wie immer gearteten )Glauben.
Natürlich kann man in einer solchen Haltung auch als nicht gläubiger Mensch leben.


Aber was hat das mit dem Thema des Fadens zu tun?

Ich habe mein persönliches Christsein nur ins Spiel gebracht, weil ich mich gegen Pauschalisierungen von der Art abgrenze, wie der Autor sie Hitchens in den Mund gelegt hat. Ob er damit Recht hat, kann ich nicht beurteilen.
Anscheinend liegt das nicht so fern, denn du hast mir geraten:

ZitatDu kannst gerne gegen Hitchens sein, aber dann bitte aus den "richtigen" Gründen. Er ist ebenso "Anti-Christ" und "Anti-Moslem", wie er "Anti-Hebräer" ist

Also darf ich mich von seiner Anti-Haltung auch angesprochen fühlen?
Dann habe ich es doch richtig verstanden.


bayle

Zitat
Nee, du hast dich auf Bayle berufen und das Beispiel von David gebracht.
Da habe ich gemerkt, dass du die Texte und Hintergründe gar nicht kennst, ...

Also entschuldige mal, das ist doch wohl nicht Dein Ernst. Was hat David mit dem Urchristentum zu tun? Wir haben uns hier nur so verästelt, weil Du mir unterstellst, ich wüsste nicht, was ich zitiere. Es gibt hier jemanden, der nicht versteht, was ich zitiere, aber das bin nicht ich.

Zitat
Falls er also seine Falschaussage wider besseren Wissens getätigt haben sollte - was ich nicht beurteilen kann, aber du, denn du scheinst dich mit ihm näher befasst zu haben -, dann hat er diese Falschaussage für seine Kirchenkritik instrumentalisiert

Genau das meinte ich mit Konjunktiv, auf den Du Dich nun doch rausredest.

Wenn Du einverstanden bist, sollten wir an dieser Stelle abbrechen. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir noch einen Erkenntnisgewinn für wen auch immer herauskitzeln  :grins2:

P.Stibbons

ZitatGenau das meinte ich mit Konjunktiv, auf den Du Dich nun doch rausredest.

Ich benutze den Konjunktiv, weil ich hier von verschiedenen ungeprüften Voraussetzungen ausgehe.
Ich habe nur die Aussagen des WELT-Artikels sowie deine Aussagen/Interpretationen zu Hitchens und Deschner.

Das ist mir zu wenig, um auf den Konjunktiv zu verzichten - ich will ihnen ja nichts andichten, was sie vielleicht gar nicht so gemeint haben.
Nach derzeitiger Sachlage habe ich die obigen Schlussfolgerungen getätigt - mit der beschriebenen Einschränkung.
Ist das problematisch oder verkehrt?
Korrigier mich bitte, wenn ich da was falsch verstanden habe.

Bevor du dich aus der Diskussion verabschiedest, wüsste ich gern noch, warum du mir unterstellst, dass ich mich irgendwo rausrede.
Das ist immerhin ein Vorwurf, der aus meiner Sicht Aufklärung verdient.

ZitatWir haben uns hier nur so verästelt, weil Du mir unterstellst, ich wüsste nicht, was ich zitiere.

Wir haben uns verästelt, weil ich deine Aussage zu Bayle (den du gleich am Anfang von dir aus ins Spiel gebracht hast) so nicht stehen lassen konnte, sondern richtig gestellt habe.
Alles weitere ergibt sich daraus.

bayle

Du hast überhaupt nichts richtig gestellt. Der klassische Text ist Pierre Bayle, Historisches und kritisches Wörterbuch, Artikel "David", in der Meiner-Ausgabe Hamburg 2003, S. 42-67. Ich kann leider nicht französisch, wenn Du das kannst, findest du das auch online.
Auf Englisch, in leicht abgekürzter Form, und etwas schwierig zu handhaben, hier ab S. 363:
http://archive.org/details/anhistoricaland00baylgoog


P.Stibbons

Na komm, bayle, du windest dich.
Erst nimmst du mich ins Kreuzverhör bis hin zur Gretchen-Frage, die mein grundgesetzlich anerkanntes Privatvergnügen ist, und dann kneifst du selbst.  ;)

Also:

Ist Hitchens, so wie du mir nahe bringen wolltest, auch aktiver Christenbekämpfer?
Darf ich mich zu Recht gegen diese Art undifferenzierte Bashing-Polemik wehren?

Habe ich deine Referenz  auf Deschner falsch verstanden?

Was sagt uns das alles im Blick auf den WELT-Artikel?

bayle

Also, unsere Wahrnehmung der bisherigen Debatte unterscheidet sich doch sehr. Ich könnte nun alle Bemerkungen wiederholen, deren Bezug zum Thema du entweder nicht erkannt hast oder zu denen Du es vorgezogen hast, Dich nicht zu äußern, aber was soll das bringen?

Bleiben wir nur bei Deiner letzten Bemerkung. Noch hast Du keine Zeile von Hitchens gelesen, aber schon gehst Du der WELT auf den Leim und nennst ihn einen "aktiven Christenbekämpfer", gegen dessen "undifferenziertes Bashing" Du Dich wehren müsstest? Was willst Du noch zu Deschner wissen? Du hast nicht die Spur einer Ahnung, ob seine Kritik am Christentum gerechtfertigt ist. Dir genügt es zu erfahren, dass er Kritik äußert, die jemand anders für nicht im vollen Umfang gerechtfertigt hält, und dann weißt Du schon, sie kann nur "undifferenziert", "Falschaussage" oder sonstwas sein. Und Du selbst bringst mal eben kurz 1000 Jahre Menschheitsgeschichte durcheinander (David und das Urchristentum), was Dich aber nicht daran hindert, mir zu unterstellen, ich wüsste nicht wovon ich rede.

Glaub nicht, dass ich Angst bekommen habe, ich halte es nur für fruchtlos, so weiterzumachen.

P.Stibbons

ZitatBleiben wir nur bei Deiner letzten Bemerkung. Noch hast Du keine Zeile von Hitchens gelesen, aber schon gehst Du der WELT auf den Leim und nennst ihn einen "aktiven Christenbekämpfer", gegen dessen "undifferenziertes Bashing" Du Dich wehren müsstest?

bayle, deine Rabulistik ist schon bemerkenswert!

Ich habe bislang auf jede deiner Fragen aufrichtig Antwort gegeben und habe dir sogar erklärt, warum es m.E. auf deine immerhin sehr persönliche Frage (die in diesem Rahmen übrigens völlig deplaziert wirkt...)

ZitatIst Jesus Christus, der Gottessohn, für Dich auferstanden oder ist das eine Legende, die sich nach seinem Tod entwickelt hat?

zwar eine aufrichtige Antwort geben kann:

ZitatIst hier meine ganz persönliche Sicht relevant?
Entscheidend ist doch lediglich, was "dabei rüberkommt".

Nach dem Motto "An den Früchten werdet ihr sie erkennen"

D.h. z.B. eine Haltung der Versöhnlichkeit und der Verantwortlichkeit für die Menschen, mit denen man zu tun hat.
Kongruenz zwischen Reden und Tun; zu dem stehen, was man versiebt hat... nicht primär das eigene Wohlergehen suchen sondern das des anderen im Blick behalten.
Verzeihen können und wissen, dass man selbst auf Verzeihung/Vergebung angewiesen ist, weil man sich irren kann und weil dieses Leben so geartet ist, dass man trotz bester Vorsätze derbe ins Klo greifen kann.

Für mich speist sich diese Haltung - die mir auch nicht immer gelingt - aus meinem (wie immer gearteten )Glauben.
Natürlich kann man in einer solchen Haltung auch als nicht gläubiger Mensch leben.

- dass aber meine persönliche Glaubensbeziehung zu Jesus in diesem Zusammenhang irrelevant ist.

Du hingegen meinst, mich ständig weiter befragen zu müssen bis hin zu eigenwilligen Interpretationen meiner Aussagen:

ZitatBleiben wir nur bei Deiner letzten Bemerkung. Noch hast Du keine Zeile von Hitchens gelesen, aber schon gehst Du der WELT auf den Leim und nennst ihn einen "aktiven Christenbekämpfer", gegen dessen "undifferenziertes Bashing" Du Dich wehren müsstest?

So weit ich es erkennen kann, hast du mir bisher auf keine meiner Fragen eine klare Antwort gegeben.

Ich habe dich gefragt - und erst nachdem du mich darauf aufmerksam gemacht hast, dass ich Herrn Hitchens wenn, dann doch bitte aus den "richtigen Motiven" ablehnen möge - :

ZitatIst Hitchens, so wie du mir nahe bringen wolltest, auch aktiver Christenbekämpfer?
Darf ich mich zu Recht gegen diese Art undifferenzierte Bashing-Polemik wehren?

Du hingegen schreibst:
Zitat
Noch hast Du keine Zeile von Hitchens gelesen, aber schon gehst Du der WELT auf den Leim und nennst ihn einen "aktiven Christenbekämpfer", gegen dessen "undifferenziertes Bashing" Du Dich wehren müsstest

Unmittelbar vorher beschuldigst du mich, mich mit dem Konjunktiv rauszureden, obwohl ich den Konjunktiv benutzt habe, um zum Ausdruck zu bringen "sollte Deschner... Hitchens... tatsächlich gesagt haben..."

Deine eigene Aussage war aber:
Zitat
Du kannst gerne gegen Hitchens sein, aber dann bitte aus den "richtigen" Gründen. Er ist ebenso "Anti-Christ" und "Anti-Moslem", wie er "Anti-Hebräer" ist.

Autor: bayle
« am: 26. August 2012, 20:39:01 »

 

Also: was willst du?

Habe bitte den Arsch in der Hose, selbst eindeutig Stellung zu beziehen!

Wenn Hitchens tatsächlich - und ich habe hierfür dein Wort! - "Anti-Christ" ist, dann fühle ich mich davon betroffen.
Dazu muss ich nicht dem WELT-Artikel auf den Leim gehen: es reicht, dich beim Wort zu nehmen.
Zitat
Was willst Du noch zu Deschner wissen? Du hast nicht die Spur einer Ahnung, ob seine Kritik am Christentum gerechtfertigt ist.

Du selbst hast etwas zu Deschner gesagt, worauf ich (im Konjunktiv-den du mir vorwirfst...) referenziert habe.

Was ich wissen will, ist:

stehst du zu der Aussage, die du über Deschner gemacht hast?

Zitat
Autor: bayle
« am: 26. August 2012, 15:57:29 »

...Diese Entschärfung des Textes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ebenso in anderen deutschsprachigen, in den englischen Versionen und auch in der Vulgata. Deschner liegt also falsch, wenn er den Opportunismus der Kirche Deutschlands dafür verantwortlich macht. Aber: es bleibt Reformtheologie.

Dreh mir bitte nicht das Wort im Munde um, denn ich habe mit Bedacht den Konjunktiv verwendet und dich gefragt, ob ich das richtig verstanden habe.
Von daher erübrigen sich solche rhetorischen Kapriolen:
Zitat
und dann weißt Du schon, sie kann nur "undifferenziert", "Falschaussage" oder sonstwas sein.

Ist das nun deine Interpretation von Deschner, oder was genau hat er gesagt?
Darauf hast du mir trotz Nachfragen keine Antwort gegeben.
   



Abe81

Man verzeihe mir, wenn ich nicht in die laufende Debatte einsteige, die erscheint mir zu verworren, als daß das noch ginge.

Oben wurde bereits das sog. "Cherry-Picking" erwähnt, das mir bei diesem Welt-Artikel zuzutreffen scheint.

Was er - der Artikel - nicht leistet ist, zum einen zwischen Werk und Autor zu unterscheiden. Beim Beispiel von Kant: Das Zitat mag zutreffen (leider ist keine Quelle dafür angegeben), aber wenn man sich die Mühe macht, die zentralen Werke Kants anzusehen, muss man zu dem Schluss kommen, daß zwangsläufig auch Juden nicht aus der Menschheit ausgeschlossen werden sollen/können (wie es das Zitat, das Stein von Kant wiedergibt, nahelegt), da auch sie vernunftbegabt sind. Mit dieser basalen Kategorie der KrV kann man auch jenen Hanseln kommen, die das gesamte Werk Kants mit dessen randständigen anthropologischen Schriften erledigen wollen. Aber diese Werke beziehen sich nunmal nicht aufeinander. Die schlechten anthropologischen Werke, die zurecht heute keine Rolle mehr spielen, affizieren den Argumentationsgang in der Kritik der reinen Vernunft nicht.

Ich sehe zum anderen im Text auch kein einziges Argument dafür, warum die Aufklärung den Judenhass mit Notwendigkeit (oder zumindest: Kontingenz) aus sich heraus produziere. Denn das scheint mir die implizite These des Artikels zu sein. Mit der weniger brachialen Auslegung, daß auch Aufklärer Antisemiten sein können, gehe ich gerne konform.

Eine gute Argumentation, warum die Aufklärung dennoch die Möglichkeit des Antisemitismus in sich trägt und auch mit gewisser Notwendigkeit gebiert, haben Adorno und Horkheimer schon vor langer Zeit gegeben (wen es interessiert: klick). Die ignoriert Stein natürlich, das wäre ihm und wohl seinen Lesern ein wenig zu 'hoch'

P.Stibbons

ZitatEine gute Argumentation, warum die Aufklärung dennoch die Möglichkeit des Antisemitismus in sich trägt und auch mit gewisser Notwendigkeit gebiert, haben Adorno und Horkheimer schon vor langer Zeit gegeben (wen es interessiert: klick). Die ignoriert Stein natürlich, das wäre ihm und wohl seinen Lesern ein wenig zu 'hoch'

Vielen Dank für den wichtigen Hinweis!

Ja, der Artikel selbst ist von eher beklagenswertem Niveau.
Dennoch offenbart die "verworrene Debatte" zwischen bayle und mir, dass der Autor wohl intuitiv nicht ganz daneben lag...