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Warum sind Ärzte für Paramedizin anfällig

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Begonnen von bayle, 21. September 2012, 16:18:14

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P.Stibbons

Die Kunst, eine klare Ichbotschaft von einem x-beliebigen Statement zu unterscheiden, liegt ja nicht jedem.
Kann man aber trainieren - als Arzt sollte man diese Kunst beherrschen.

Mit Moral hat das aber schon gar nichts zu tun, eher mit Gesprächskompetenz

bayle

ZitatNa ja, du bist mir bislang v.a. durch Zynismus aufgefallen

War das nun eine "klare Ich-Botschaft" oder ein "x-beliebiges Statement"? Ich kann das wirklich nicht unterscheiden.

The Doctrix

Okay, den aktuellen Fred habe ich wohl mit zu verantworten, dann kann ich hier auch gleich mal meine Geschichte erzählen (Warnung! Das wird "etwas" umfangreicher!)

Ich hole mal aus:

Eigentlich war ich nie ein "dummer" Mensch. Mit 9 Jahren wurde mein IQ mit 162 getestet, mit Mitte 20 dann nochmal mit 157. In der Schule hatte ich nie viel Mühe, bis ich in der 9. Klasse irgendwie einbrach. In der Oberstufe habe ich mich ebenfalls nie so recht angestrengt, nachdem ich wusste, dass für die medizinischen Studiengänge die Studienplätze aufgrund des TMS ("Test für Medizinische Studiengänge") vergeben wurden. Ich habe den TMS mit 128 Punkten absolviert, d.h. ich gehörte zu den 0.2% Besten des Jahrgangs in Deutschland. So konnte ich mir auch eine 2.7 im Abi problemlos erlauben.

An der Uni habe ich dann dort weitergemacht, wo ich in der Schule aufgehört hatte. Vorlesungen habe ich regelmässig geschwänzt, die Hauptsache war, die Kurse und Seminare am Nachmittag zu bestehen. Meine Kommilitonen im Anatomiekurs haben mich regelmässig dafür gehasst, mit wie wenig Wissen ich durch die wöchentlichen Testate gekommen bin. Und auch in den anderen Fächern kam ich immer irgendwie durch - einzig in Biochemie im 3. und 4. Semester musse ich in 2 von 6 Zwischentestaten in die 2. Runde.

Im Physikum habe ich dann eine 5 geschrieben - aber in der mündlichen Prüfung mit einer 2 souverän ausgeglichen (habe ich eigentlich schon angemerkt, dass ich ein Talent darin habe, andere Menschen zu "belabern"?).

Im "klinischen Studienabschnitt" wurde es dann schon schwieriger. Die Prüfung in Mikrobiologie (mündlich) habe ich erst im 4. Anlauf bestanden (dafür allerdings die gefürchteten Klausuren in allgemeiner Pathologie und allg. Pharmakologie im 1. Versuch). Das erste Staatsexamen bestand ich dann mit Hängen und Würgen im 3. Anlauf (danach wäre ich sonst 'raus gewesen!).

Auch in der Folgezeit konnte ich mich auf mein "Laberpotential" verlassen. Im 7.-10. Semester bin ich durch alle Testate problemlos durchgegangen. Das 2. Staatsexamen bestand ich mit einer schriftlichen 4 und einer mündlichen 2. Das 3. Staatsexamen schliesslich mit einer mündlichen 3.

Aber schon lange vorher hatte ich beschlossen, der somatischen Medizin den Rücken zu kehren, um stattdessen Psychiater zu werden. Warum? Weil man dafür nur wenig Ahnung von körperlichen Leiden haben musste - der ganze Psychokram erschien mir recht überschaubar. Und ich hatte infolhe meiner Prüfungsschwierigkeiten Angstz vor der somatischen Medizin.

So begann ich meine Berufslaufbahn folgerichtig in der Psychiatrie. Aber die letzten 2 Jahre des Studiums waren nicht so ganz spurlos an mir vorübergegangen - ich hatte mir die Unart vieler Psychiater zu Drogen-Selbstexperimenten angeeignet. Das schadete mir allerdings zunächst gar nicht, im Gegenteil: ich war dermassen offen, dass ich mich schnell in einigen sog. "Patienten-Selbsthilfegruppen" engagierte. Ohne zu merken, dass diese zum Teil extrem esoterisch und pseudowissenschaftlcih unterwandert waren (in einem Fall sogar von "Scientology"). Allerdings litt ich in den ersten 2 Jahren nach meinem Studium auch unter extremem Mobbing am Arbeitsplatz, was mich irgendwann dazu brachte, meine Fachgebietswahl zu überdenken.

In den folgenden Jahren geisterte ich durch diverse Fachgebiete, bis ich irgendwann feststellte, dass meine Angst (die mich schlussendlich in die Psychiatrie getrieben hatte, und die nur durch meine schlechten Examensnoten genährt worden war), in der somatischen Medizin zu versagen, völlig unbegründet gewesen war. Ich habe immer häufiger die Erfahrung gemacht, im Ernstfall eben doch das entscheidende Stückchen Wissens völlig unverhofft aus den Tiefen meines Gedächtnisses hervorkramen zu können. Und so beschloss ich irgendwann, in die Hausarztmedizin zu wechseln.

Problematisch war nur: ich hatte meine privaten Drogenexperimente nach meinem Ausstieg aus der Psychiatrie nicht wirklich reduziert. Ausserdem hatte ich in der Zwischenzeit ein paar Leute aus der Szene der "Neo-Paganen" (sog. "Neuzeit-Hexen") kennengelernt. Und ich war auf deren Veranstaltungen und Stammtischen mittlerweile Stammgast.

So nimmt es wohl kaum Wunder, dass ich auch in den Kliniken, in denen ich in der Folgezeit als Assistenzarzt arbeitete, fast jeden Schwachfug ungeprüft übernahm. So lernte ich in einer orthopädischen Klinik die "Magnetfeldtherapie" kennen - und weil der Chefarzt ein grosser Fan dieser "Behandlung" war, verordnete ich diese in der Folgezeit auch fleissig meinen Patienten. Später war ich Assi in einer onkologischen Rehaklinik. Der dortige leitende Oberarzt wandte oft die "Misteltherapie" an - ich folgte ihm selbstverständlich blind.

Und selbst in meinem Privatleben versuchte ich weiter, die "Alternativmedizin" zu verteidigen: ich erinnere mich, mit meiner Frau eine Reportage gesehen zu haben, wie Luc Montangier im Beisein von James Randi (in der Londoner Königlichen Akademie der Wissenschaften) versuchte, die Wirksamkeit der Homöopathie anhand von Experimenten mit Gewebekulturen zu beweisen. Das Experiment scheiterte bekanntermassen grandios. Aber mir fiel sofort eine "Lücke" im Design des Experiments auf: die verschiedenen Kulturen (Verum und Placebo) waren unter denselben Abzügen im Labor verarbeitet worden - wenn Informationen auf Wasser übertragbar waren, musste dies doch auch über die Luftfeuchtigkeit möglich sein! Ich habe sogar dem entsprechenden Forschungslabor in Paris sofort eine entsprechende eMail geschrieben - allerdings nie eine Antwort erhalten...

Mich selber versuchte ich zunehmend in "arkanen Künsten" weiterzubilden - ich übte mit dem Tarot, zusammen mit meiner Frau an telepathischer Kommunikation, oder auch mit Handauflegen (sowohl zur Therapie, als auch zur Diagnostik). Zufällige Erfolgserlebnisse blies ich immer wieder grandios auf, die überwiegenden Versager ignorierte ich kosequent. Und ich war guter Kunde eines privaten "Institutes für komplementäre Medizin", besuchte Seminare in Klangschalentherapie, hawaiianischer Feuerlauftherapie uvm.

Und dann kam der Tag, im Sommer 2008, wo ich (in einer neuen Klinik als Assistenzarzt) mal ein 2jähriges Kind mit einer Maserninfektion als Patientin hatte. Ich hatte mir darüber früher wenige Gedanken gemacht, hatte den Wunsch einiger Eltern auf Impfverzicht auch stets respektiert. Aber hier war ich plötzlich als Arzt gefragt (ich hatte bis dato eher wenig Erfahrung mit pädiatrischen Fragestellungen) - und geriet sofort ins Schwimmen, was ich denn nun tun sollte. Unter einem Vorwand brachte ich Mutter und Kind aus meinem Arztzimmer und studierte erst einmal meine Bücher. Und geriet immer mehr ins Schwimmen. Weil dort so absolut nicht das stand, was ich erwartet hatte.

Ich rief schliesslich meinen Chefarzt hinzu, der einfach nur eine Salbe verordnete (später habe ich herausgefunden, dass er ebenfalls ein Impfskeptiker war). Aber das Erlebte liess mir keine Ruhe. Und so verbrachte ich die nächsten Abende im Internet. Zuerst fand ich mit der Google-Suche nach "Impfen" sehr viele Impfgegnerseiten, die schon fast meine bisherige Meinung bestätigt hätten. Aber zufällig traf ich auch auf einen Wissenschaftsblog, der etwas völlig anderes zu berichten hatte. Und irgendwie - ich weiss bis heute nicht, wie - sprach mich dieser Blog an. Und ich fing an, mir Gedanken zu machen . Und ich recherchierte weiter, fand umfangreiche Studien zum Impfen. Und plötzlich schämte ich mich.

Nach ein paar Tagen war ich unversehends vom Impfskeptiker zum Impfbefürworter geworden. Aber noch mehr: der besagte Blog hatte mir über diverse Verlinkungen die Augen zu noch ganz anderen ("alternativ"-)medizinischen Themen geöffnet.

Und so bin ich schliesslich aufgewacht! Der Rest ist eine andere Geschichte und soll hier und heute nicht erzählt werden... :aetsch:


Uff, das war jetzt ein langer Text - und reichlich anstrengend. Vielen Dank an jeden, der bis hierhin durchgehalten hat. Ich bin sehr gespannt auf Eure Kommentare und/oder Angregungen.
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

The Doctrix

Zitat von: P.Stibbons am 21. September 2012, 18:56:42
Mein Hausarzt, den ich sehr schätze, kann kaum von seiner Tätigkeit leben, weil er ständig mit wahnsinnigen Regressforderungen überzogen wird.
Ich halte ihn für einen hochkorrekten, kompetenten und bescheidenen Kollegen, der seine spartanisch eingerichtete Praxis gut organisiert hat.

Erweise ihm viel Ehre. Er hat sie verdient!   :anbeten: :anbeten: :anbeten: :anbeten: :anbeten:
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

The Doctrix

Zitat von: bayle am 21. September 2012, 19:02:03
Klappern gehört zum Handwerk.
Der Sinn der Regressforderung ist eigentlich ein anderer: Man muss nicht alle Ketzer verbrennen, einer genügt. Dann kuschen die anderen. Kann man deutlich am Verordnungsverhalten mancher Kollegen erkennen.

Das ist jetzt so typisch deutsch... "Wir können nicht alle kriegen - also hetzen wir zumindest einen zu Tode!"
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

Dr. Ici Wenn

@The Doctor: Danke für diese ungewöhliche Offenheit.

The Doctrix

Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

Dr. Ici Wenn

Zitat von: The Doctor am 21. September 2012, 22:39:18
Es war nötig.

Jeder hat irgendwo seine "Erweckungsgeschichte". Und wie wohl hier Konsens ist, hat das alles weniger mit Intelligenz zu tun. Es sind wohl vielmehr Erlebnisse, die das persönliche Konstrukt der Abbildung der Welt erschüttern. Und da steht man dann vor einer Weiche. Kompensationen von erkannten eigenen Irrtümern können ja sowohl in Fanatismus, als auch einer Bescheidenheit bez der eigenen Erkenntnisfähigkeit münden. Verrückt eigentlich, aber dieses Switchen ist durchaus wiederum eine bemerkenswerte Eigenschaft unseres Hirns. Verstehen tu ich das nicht.

The Doctrix

Zitat von: Dr. Ici Wenn am 21. September 2012, 23:11:07
Zitat von: The Doctor am 21. September 2012, 22:39:18
Es war nötig.

Jeder hat irgendwo seine "Erweckungsgeschichte". Und wie wohl hier Konsens ist, hat das alles weniger mit Intelligenz zu tun. Es sind wohl vielmehr Erlebnisse, die das persönliche Konstrukt der Abbildung der Welt erschüttern. Und da steht man dann vor einer Weiche. Kompensationen von erkannten eigenen Irrtümern können ja sowohl in Fanatismus, als auch einer Bescheidenheit bez der eigenen Erkenntnisfähigkeit münden. Verrückt eigentlich, aber dieses Switchen ist durchaus wiederum eine bemerkenswerte Eigenschaft unseres Hirns. Verstehen tu ich das nicht.

Das tut, glaube ich zumindest, keiner. Aber vielen Dank für Deine warmen Worte - sie tun sehr gut!   :D
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

The Doctrix

Ich habe übrigens auch schon länger mit dem Gedanken gespielt, meine eigene Geschichte offenzulegen. Gelegenheit dazu wäre (auf diversen Foren und Blogs) schon öfters gewesen. Aber erst heute wusste ich, dass es Zeit dazu war. Nehmt diese Aussage meinethalben, wie Ihr wollt...   manchmal muss man eben doch einfach seiner Intuition folgen...
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

Binky

Es ist schon ok, aber Du weißt, daß nun JEDER das lesen kann. Aber ich denke, Du bist nicht der einzige mit solchen Wandlungen.

The Doctrix

Zitat von: Binky am 21. September 2012, 23:20:50
Es ist schon ok, aber Du weißt, daß nun JEDER das lesen kann. Aber ich denke, Du bist nicht der einzige mit solchen Wandlungen.

Ich habe es genau deshalb hier platziert, weil es hier jeder lesen kann. Das ist kein Zufall!
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

Binky

Zitat von: The Doctor am 21. September 2012, 23:27:25
Zitat von: Binky am 21. September 2012, 23:20:50
Es ist schon ok, aber Du weißt, daß nun JEDER das lesen kann. Aber ich denke, Du bist nicht der einzige mit solchen Wandlungen.

Ich habe es genau deshalb hier platziert, weil es hier jeder lesen kann. Das ist kein Zufall!

War je nur eine Frage. Dann kann ich ja in Ruhe meinen Schönheitsschlaf antreten.

The Doctrix

Zitat von: Binky am 21. September 2012, 23:31:49
War je nur eine Frage. Dann kann ich ja in Ruhe meinen Schönheitsschlaf antreten.

Gute Nacht! Ich folge bald.
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

Lord Ahriman

Zitat von: Dr. Ici Wenn am 21. September 2012, 22:35:08
@The Doctor: Danke für diese ungewöhliche Offenheit.

+1

Zu Deiner Geschichte fällt mir dieser Satz ein:

The same spiritual fulfillment
That people find in religion
Can be found in science
By coming to know, if you will, the mind of God
( Carolyn Porco )

www.youtube.com/watch?v=1PT90dAA49Q