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Darf man den Placeboeffekt duch Aufklärung schwächen?

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Begonnen von grim, 03. Mai 2009, 18:37:06

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grim

Hallo erstmal, ich bin neu hier und ziemlich von eurer Website angetan.


Ich habe eine eher moralische Frage zu sog. "alternativen Medizin" in allen ihren Auswüchsen.
Im Grunde stimme ich nämlich auch völlig mit dem Konsens hier im Forum überein, das is so ziemlich alles Schwachsinn und Betrug.
Aber in der Diskussion mit Freunden hat sich doch eine interessante Frage gestellt, die ich so nicht beantworten konnte. Die meisten alternativmedizinischen Verfahren beruhen ja auf der Wirksamkeit des  Placeboeffekts. Dies is ja nichts anderes als die Aktivierung von Selbsheilungskräften duch bewusste oder unbewusste Einbildung. Aber, egal ob eine Heilung nun duch tatsächlich wirksame chemische Substanzen oder oder duch den Körper alleine erfolgt, das Ergebnis ist das gleiche, und darauf kommt es ja wohl an.

Wenn also Jemand an allgemeinen Zivilisationswehwechen leidet, Dinge wie Rückenschmerzen, Schlafbeschwerden, Hautausschläge, Migräne usw., gegen welche die Schulmedizin kaum bzw. nur nebenwirkungsreich vorgehen kann; und wenn dieser Jemand in irgend einer esoterischen oder alternativen Therapie eine Hilfe gefunden hat und an die Wirksamkeit glaubt; ist es dann wirklich fair ihn darüber zu informieren, dass er einem Betrug aufgesessen ist? Oder sollte man denjenigen lieber im Glauben lassen?

Die Frage ist übrigens nicht rein theoretisch, meine Freundin probiert grade TCM aus und es fällt mir schwer ihr nicht gründlich die Meinung über ihre Chi- und Ying- Schwäche zu sagen. Oder über ihren Neigung zur Homöopathie. Wobei ich damit wahrscheinlich Erfolg hätte wenn ich versuchen würde sie davon abzubringen, nur obs ihr gut tut...

Daraus ergibt sich dann eigentlich noch eine zweite Frage: gibt es irgend eine Art die volle Wirksamkeit des Placeboeffekts auszukosten ohne den eigenen Verstand zu betrügen? Vll. auch irgendwo in der westlichen Medizin oder ein nicht-esoterisches Alternativheil(unterstüzungs)verfahren?

EsoTypo

Aus meiner Sicht sollte immer, auch über den Placeboeffekt an sich, aufgeklärt und nachgedacht werden. Wenn Leute bei kleinen Wehwehchen mit AM "Erfolge" haben, dann ist es recht wahrscheinlich, dass sie die dann auch bei ernsteren Sachen nutzen werden. Und einen Schaden gibt es immer, nämlich mindestens den für den Geldbeutel...

Noch zum PE. Ich als absoluter Amateur versuche es mal:
-Die sogenannten Selbstheilungskräfte sind wohl auch eher ein Mythos. Der Körper hat das Immunsystem und kann viele Regenerierungen/Reparaturen selbst bewerkstelligen. Dafür braucht er allerdings oft Zeit, die er bei schweren Verletzungen nicht hat, weil er vorher schon tot ist...  >:(
Aber das da etwas Zusätzliches ist, das aktiviert werden kann, ist wohl eher nicht so.

Der PE aktiviert da also auch nichts, sondern sorgt dafür, dass man mit den Schmerzen, dem Wehwehchen anders umgeht bzw. anders wahrnimmt. Das ist wie mit dem halbvollen/leeren Glas.
Der PE hilft also dabei, Dinge leichter zu ertragen, positiver zu sehen.

Wichtig ist bei Medizin aber, dass sie reproduzierbar wirkt. "Immer wirken" ist schwer, denn es kommt ja auf die Umstände an. Manchmal wirkt etwas, aber es reicht nicht mehr aus. Oder die Wirkung wird durch etwas neutralisiert. Deshalb muss eine Wirkung über den PM hinausgehen, denn sie soll ja verlässlich sein.

So und jetzt die Experten: Bitte korrigieren.  ;D

Heinz-Rüdiger

EIn Placeboeffekt kommt ja nicht nur durch Betrug zustande. Auch ein Arzt im weißen Kittel kann durch vertrauenerweckende Erscheinung einen Placeboeffekt verursachen, daß hat mit Betrug nichts zu tun!

Das Problem bei der Scharlatanerie ist ja, daß das Vertrauen der Menschen in die wissenschaftliche Medizin systematisch durch Panikmache und Lügen untergraben wird. Dann ist es natürlich leicht, die Patienten mit Globuli zu bescheissen...

Deceptor

Hallo Grim !

Interessante Frage ! Möglicherweise hatten auch Psychoanalytiker wie Freud zu Beginn andere Erfolge als heutige Psychoanalytiker, ganz einfach desshalb weil damals niemand von einer Psychoanalyse oder dem Unbewussten oder ES je etwas gehört hatte. Vielleicht liesse sich das heute noch in Papua-Neuguinea bei Menschen nachprüfen, die nie Kontakt zu uns hatten. Die Frage ob das Entlarven und die nackte Beschreibung einer Methode, die nur auf Placeboeffekten (Paradebeispiel Homöopathie: durch Zuwendung, Therapeuten-Gehabe, Geldausgabe, Wartezeit im Wartezimmer, täglicher Erinnerung durch die Glaubuli-Einnahme, aufgeblasener Beipackzettel in denen die Substanzen die am wenigsten vorkommen zuerst erwähnt werden, ausführlicher Pseudoanamnese usw) ihre Wirkungen herabsetzt oder nicht, ist auch die Frage ob eine neutrale Beschreibung die bekannten Nocebo-Effekte und Nocebo-Aktivitäten einer solchen Methode (böse Chemie, materialistischer Arzt, Verteufelung der Anwendung einer ''Apparatemedizin'') nicht ebenso betrifft. Wenn also Skepsis und distanzierte Neugierde durchaus gewünschte Placeboeffekte schwächen sollte, dürften wohl auch analoge Verschwörungstheorien und bashings genauso drunter leiden.

Bis auf wenige Ausnahmen würden aber Alternativtherapeuten eine mögliche Schwächung ihrer Fähigkeiten durch Skeptiker nicht auf eine Schwächung des Placeboeffekts zurückführen. Sondern hier wären dann schnell Vorwürfe wie: Interessen der Pharmaindustrie, Schwarzte Magie, Dunkle Mächte usw zu hören. Alternativtherapeuten würden so etwas wohl nie zugestehen wollen - falls es derartige Effekte gäbe.

Falls es solche Effekte gäbe (liesse sich in Experimenten herausfinden), dann würde niemand niemanden daran hindern wollen Placebomedizin als solche zu betreiben und auch so zu nennen und zu erklären. (Siehe das Placebo-Medikament Obecalp, das nach Placebo rückwärts benannt wurde).
Auch der Homöopath Vithoulkas verheimlicht ja Placebowirkungen der eigenen Homöopathie nicht.
Eine Placebomedizin wäre auch keine Pseudomedizin, sie wäre eine ehrliche Form einer Alternativ/Komplementärmedizin für ein bestimmtes Klientel/Patientenkollektiv. Gefahren würden sich nur aus einer gleichzeitigen Ablehnung effektiver anderer Methoden ergeben, die ggf lebensrettend wären oder erwiesenermaßen schädliche Folgen verhindern können.

Ohne jetzt in Büchern oder Studien zu wühlen: ich glaube dass es so einen Effekt tatsächlich gibt, wenn auch schwach. Die allermeisten Ziel-Personen wird er nicht betreffen.

In der wissenschaftlichen Medizin wird ein möglicher Schaden durch eine Therapie gegen die Vorteile der Therapie abgewogen. Überwiegt vorausichtlich oder nachgewiesenermaßen der Schaden (so wie Du es ansprichst), dann kann man das Verfahren nicht anwenden. Bei schweren Krankheiten steigt allerdings auch die Bereitschaft Risiken einzugehen. Eine Therapie, die nur Nebenwirkungen hätte und keine positiven Wirkungen wäre ein Fall für den Rechtsanwalt oder Staatsanwalt.

Für fast alle Krankheiten die man so il Leben erleidet, reichen körpereigene Mechanismen zur Abwehr und Heilung aus. Da braucht es auch keines zusätzlichen Placebos oder einer Medizin. Aber das Problem liegt in den restlichen vielleicht 20% aller Krankheiten und in ihrer rechtzeitigen Erkennung durch den Experten.

Sandrine

Zitat von: Kröte am 03. Mai 2009, 20:31:25
Eine der Lehrerinnen der Schule meines Kindes nimmt auf die Klassenfahrt "Heimweh"-Tropfen mit, die den Kindern gegeben wird, wenn diese Heimweh bekommen (Typ: Placebo).

Das nervt mich.

Das ist widerwärtigst.

Eine Lehrerin darf den Kindern keine Medikamente geben.Was bildet die sich ein?

Machen Sie eine Beschwerde beim Schulamt.

Conni

Man soll sogar über den Placeboeffekt aufklären. Denn dann weiß man über die Mechanismen der "Selbstheilung" Bescheid, über Betrugs- und Manipulationsmöglichkeiten, aber auch über das Gegenteil, den Nocebo-Effekt.

Und selbst wenn man Bescheid weiß, ich denke, die Placebowirkung verschwindet deswegen keineswegs, nur tritt sie evtl. an den richtigen Stellen auf, und nicht beim Quacksalber.

EsoTypo

Zitat von: Kröte am 03. Mai 2009, 20:31:25
Eine der Lehrerinnen der Schule meines Kindes nimmt auf die Klassenfahrt "Heimweh"-Tropfen mit, die den Kindern gegeben wird, wenn diese Heimweh bekommen (Typ: Placebo).

Das nervt mich.

Ich fand das eigentlich bisher OK, wenn es dabei bleibt. Kindern kann das Heimweh mächtig zu schaffen machen. Zumal hier für die Erwachsenen klar ist, dass sie mit Placebo arbeiten. Bei unseren Fahrten gab es immer etwas selbst zusammengemixtes (aus einfachen Lebensmitteln) was eher nicht lecker schmeckt.
Aber vielleicht muss ich da umdenken ???

Richtig schlimm ist es aber, wenn so eine Eso-Mutti samt homöopathischer Reiseapotheke mitfährt...  >:( >:( >:(

Conni

Das würde ich auch so ähnlich einordnen, wie das Gummibärchen beim Kinderarzt nach der Impfung. Hat sicher auch eine Trost- und Placebowirkung. Oder das Pflaster auf dem aufgeschlagenen Knie, wenn das Kind gestürzt ist.

Conni

Jein, das ist nicht so einseitig zu sehen. Egal, ob Weihnachtsmann oder Heinwehtropfen, es sollte irgendwann klar sein, was dahinter steckt und was nicht.

Aber als Trösterchen ist es doch ok. Auch ich habe als Kind ähnliches bekommen und neige absolut nicht zu Homöopathie. Dazu, denke ich, braucht es noch mehr.

Kinder brauchen Märchen und Kinder brauchen später eine gute Erinnerung daran als Ausdruck der Geborgenheit der Kindheit.

Conni

Es kommt darauf an, wie man das handhabt. Mangels Fenistil habe ich meiner Großen auch schon Mückenstiche mit Hautcreme "kuriert". Weil es so grässlich juckte.

Creme war da Kühlung + Ablenkung + Fürsorge. Hat geholfen.


EsoTypo

Zitat von: Kröte am 03. Mai 2009, 23:05:36
...
Ich finde das jedenfalls nicht gut. So erziehen wir uns doch eien Generation, die an homeopathie glaubt.

Ich verstehe genau, was Dich da bewegt.
Aber Heimweh ist nicht unbedingt ein Erziehungsthema. Das lässt sich nicht wegbefehlen oder wegerziehen durch die Eltern. Ich habe bisher auch noch kein Kind gesehen, dass nach der Heimweh-Medizin gefragt hat (deshalb soll die ja auch unangenehm schmecken  ;D).
Und na klar, parallel zum Placebo gibt es noch jede Menge Motivation, Aufmunterung und gute Worte durch den Lehrer/Erzieher.
Letztlich geht es auch darum, dass die Kinder die Klassenfahrt nicht abbrechen und mit einem positiven Erfolgserlebnis beenden: Ich habe es geschafft.

Heinz-Rüdiger

Zitat von: Kröte am 03. Mai 2009, 23:05:36
... anstelle auf die Kinder einzugehen, die Probleme mit der Distanz zum Elternhaus haben ... (davon ganz abgesehen, daß man mit den Eltern mal ein ernstes Wort sprechen sollte, wenn ihre Kinder so reagieren).

Entschuldige, aber das ist nun ziemlich albern. Wenn ein Kind Heimweh hat, dann hat es Heimweh. Was soll das bringen, mit den Eltern ein "ernstes Wort" zu reden? Solche Erziehungsratgebereien sind das letzte, sorry.

Schau-ma-amoi

Zitat von: grim am 03. Mai 2009, 18:37:06Ich habe eine eher moralische Frage zu sog. "alternativen Medizin" in allen ihren Auswüchsen.
Ich habe eine eher moralische Frage zu sog. "alternativen Medizin" in allen ihren Auswüchsen.

ZitatDies is ja nichts anderes als die Aktivierung von Selbsheilungskräften duch bewusste oder unbewusste Einbildung.
Die SelbstheilungsKRÄFTE sind chemische Prozesse, an denen das Immunsystem beteiligt ist.

ZitatAber, egal ob eine Heilung nun duch tatsächlich wirksame chemische Substanzen oder oder duch den Körper alleine erfolgt, das Ergebnis ist das gleiche, und darauf kommt es ja wohl an.
Placebobehandlung heilt nicht. Das ist der Unterschied.
Kranksein, Unwohlsein hat auch eine sehr starke subjektive Komponente. Der Faktor "Wahrnehmung" spielt hier eine bedeutende Rolle. Wenn du jahrelang wegen deiner höllischen Migräne zum Neuro marschierst und sie einfach nicht in den Griff bekommst und man schickt dich zum Nadelstecher, kann die Behandlung - zumindest in den ersten Monaten - durchaus erfolgversprechend sein, wenn du mit einer ausreichenden Erwartungshaltung hingehst.

Geheilt bist du aber nicht.

ZitatWenn also Jemand an allgemeinen Zivilisationswehwechen leidet, Dinge wie Rückenschmerzen, Schlafbeschwerden, Hautausschläge, Migräne usw., gegen welche die Schulmedizin kaum bzw. nur nebenwirkungsreich vorgehen kann
Diese Wehwechen, wie du sie nennst, können das Leben durchaus beschwerlich machen. Man soll das nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern eruieren, was dahinter steckt, dazu ist der Arzt da.

Zitatalternativen Therapie eine Hilfe gefunden hat und an die Wirksamkeit glaubt; ist es dann wirklich fair ihn darüber zu informieren, dass er einem Betrug aufgesessen ist?
Nein. Es muss festgestellt werden, welcher der Hintergrund dieser Beschwerden ist, völlig ganzheitlich. Irgendwann kommt dann leicht die böse Überraschung.

Zitatgibt es irgend eine Art die volle Wirksamkeit des Placeboeffekts auszukosten ohne den eigenen Verstand zu betrügen?
Wie schon erwähnt wurde, jeder weiße Mantel kann ein Placebo sein.

AnnaLena

Achter: In einem Alter, wo Klassenfahrten der psychosozialen Reife der Altersgruppe angemessen sind, ist Heimweh eher ein Produkt übermächtiger und klammernder Eltern. Da hilft ein erstes Wort mit den Eltern mehr, als das kind zu Hause lassen und noch mehr betüdeln.

Auch das Kind muss abnabeln lernen, und die Heimwehkinder werden dabei nicht angemessen unterstützt. Dem Kind muss sicher vermittelt werden, dass wegfahren und heimkommen normal, und auch erstrebenswert sein können. Es muss gerne wegfahren und gerne heimkommen. Weder zwanghaftes nesthocken noch Angst vorm heimkommen sind gesund. Und dass das nicht passiert, liegt in den ERziehungs"künsten" und dem Verantwortungsbereich der Eltern.

Schau-ma-amoi

Zitat von: Conni am 03. Mai 2009, 21:06:38
Man soll sogar über den Placeboeffekt aufklären.

Mit dem Nachteil, dass die Spinner die Effizienz der Pharmaka kleinreden, trotzdem, es sollte mal darüber gesprochen werden.