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Phytotherapie

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Begonnen von Lonicerus, 06. Oktober 2015, 21:54:10

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Lonicerus

Der Artikel wurde zwar in der jüngeren Vergangenheit etwas verbessert, ist aber weiterhin ein Graus.
Das betrifft sowohl die Bequellung, die Struktur und nicht zuletzt auch den Stil.

Inhaltlich wäre zu ergänzen:
Wie ist die Phytotherapie vor gut 100 Jahren aus der traditionellen Pflanzenheilkunde entstanden und wie sind diese voneinander abzugrenzen?
Seit wann gibt es standardisierte Phytopharmaka?
Wie ist der rechtliche Status von Phytopharmaka in der EU und wie sind diese bspw. von pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln abzugrenzen?
Was sind die Stärken der Phytotherapie (typische Anwendungsgebiete) und wo sind Phytopharmaka isolierten oder (teil-)synthetischen Wirkstoffen überlegen?

Vergleiche hierzu den wesentlich besseren und sachlicheren Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pflanzenheilkunde

Groucho

Hallo Lonicerus,

wilkommen hier!

Zitat von: Lonicerus am 06. Oktober 2015, 21:54:10
Der Artikel wurde zwar in der jüngeren Vergangenheit etwas verbessert, ist aber weiterhin ein Graus.
Das betrifft sowohl die Bequellung, die Struktur und nicht zuletzt auch den Stil.

Ohne da noch eine Meinung zu Deiner Aussage zu haben: Mag sein. Wir kümmern uns hauptsächlich um Dinge, zu denen nicht offensichtlich gute Infos im Netz zu finden sind, und solch allgemeine Artikel durchaus nicht der Hit sind. Wie wäre es, wenn Du konkrete Verbesserungsvorschläge machst? Bisschen Unterstützung ist immer willkommen.

pelacani

Guten Morgen Lonicerus,

Zitat von: Lonicerus am 06. Oktober 2015, 21:54:10
Inhaltlich wäre zu ergänzen: [...]
Das sehe ich jetzt nicht so wirklich. Wer das wissen will, kann ja bei Wikipedia nachsehen.

Zitat von: Lonicerus am 06. Oktober 2015, 21:54:10
Was sind die Stärken der Phytotherapie (typische Anwendungsgebiete)
Zunächst ist ,,Stärke" nicht dasselbe wie ,,typisches Anwendungsgebiet". Letzteres wäre in den entwickelten Ländern: jegliche Krankheit/Unpässlichkeit, die entweder von selber weggeht oder für die keine geprüfte Therapie zur Verfügung steht. Meinst Du so etwas?
Über den Rest der Welt würde ich auch noch was sagen, falls Du da Aufklärungsbedarf hast.

Zitat von: Lonicerus am 06. Oktober 2015, 21:54:10und wo sind Phytopharmaka isolierten oder (teil-)synthetischen Wirkstoffen überlegen?
Das würde mich jetzt auch mal interessieren.

Conina

Zitat von: Pelacani am 07. Oktober 2015, 06:09:25
Zitat von: Lonicerus am 06. Oktober 2015, 21:54:10und wo sind Phytopharmaka isolierten oder (teil-)synthetischen Wirkstoffen überlegen?

Das würde mich jetzt auch mal interessieren.

Da, wo es keine reinen Wirkstoffpräparate gibt, bei Gicht zum Beispiel.
http://www.apotheken-umschau.de/do/extern/medfinder/medikament-arzneimittel-information-Colchysat-Buerger-Tropfen-AADHZU.html
Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber nicht machen, dass es trinkt.

pelacani

Zitat von: Conina am 07. Oktober 2015, 07:22:38
Da, wo es keine reinen Wirkstoffpräparate gibt, bei Gicht zum Beispiel.
http://www.apotheken-umschau.de/do/extern/medfinder/medikament-arzneimittel-information-Colchysat-Buerger-Tropfen-AADHZU.html
In manchen Fällen sind sie also klar besser als nichts.

In manchen anderen Fällen sind sie aber auch klar schlechter als nichts.
http://www.aerzteblatt.de/archiv/24313/Urothelkarzinom-durch-chinesische-Heilkraeuter

Conina

Überraschung: es kommt drauf an.  ;D ;D ;D

Chinesische Heilkräuter würde ich nun nicht gerade als rationale Phytotherapie ansehen.
Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber nicht machen, dass es trinkt.

pelacani

Zitat von: Conina am 07. Oktober 2015, 07:59:15
Chinesische Heilkräuter würde ich nun nicht gerade als rationale Phytotherapie ansehen.

Wieso nicht? Nobelpreisverdächtig.  ;)

Typee

Zitat von: Conina am 07. Oktober 2015, 07:59:15
Überraschung: es kommt drauf an.  ;D ;D ;D

Chinesische Heilkräuter würde ich nun nicht gerade als rationale Phytotherapie ansehen.

Das ist doch einer der Fälle, die immer wieder beschworen werden: findet man etwas wirksames unter den alten Methoden, dann wird das Medizin. Die Grenzlinie, und das müsste man viel deutlicher machen, verläuft nicht zwischen synthetisch/natürlich oder neu/alt, östlich/westlich oder wie auch immer - sie verläuft zwischen evidenzbasiert und glaubensbasiert.

Ein Heilkraut ist nicht deshalb irrational, weil es im alten China gebräuchlich war, sondern wenn und soweit es sein Wirksamkeit nicht valide belegen kann.
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Conina

Klar, da passt Tim Minchin wieder mal.

You know what they call alternative medicine
That's been proved to work?
Medicine.

http://www.lyricsmania.com/storm_lyrics_tim_minchin.html


Die chinesische Kräuterheilkunde ist aber ein abergläubiger Gemischtwarenladen voller Verunreinigungen und Fälschungen.
Die hatte ich gemeint.
Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber nicht machen, dass es trinkt.

Lonicerus

Vielstoffgemische haben in der Regel den Vorteil, dass sie weniger Nebenwirkungen verursachen als Einzelwirkstoffe. Ebenso ist die Gefahr von Resistenzen nicht so groß.
Wenn schon der Nobelpreis erwähnt wurde: Artemisinin ist hochwirksam bei Malaria, es gibt jedoch bereits Resistenzen in einem halben Dutzend Ländern. Hier wird erfolgreich ein Vielstoffgemisch eingesetzt, das zwar weiterhin Artemisinin enthält, daneben aber auch andere Inhaltsstoffe aus Artemisia annua. Eine Kombination aus Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel hilft gleichermaßen gegen Viren, Bakterien und Pilzen, ohne dass bislang Resistenzen beobachtet werden konnten.

Nachteilig bei Vielstoffgemischen ist ggf. die langsamere Entfaltung der Wirkung. So muss Salicin aus der Weidenrinde oder dem Mädesüß erst zu Salicylsäure verstoffwechselt werden. ASS wirkt schneller. Ebenso ist das Wechselwirkungspotenzial größer, wenn auch andere Arzneimittel eingenommen werden. Bei nur fünf Enzymen, die fast alle lebergängigen Arzneimittel verstoffwechseln, dürfte das der wichtigste Grund sein, warum Ärzte gerne panische Angst vor Phytopharmaka haben. (Es könnte aber auch daran liegen, dass sie im Studium so gut wie nichts darüber hören...)

In der Phytotherapie werden Arzneimittel üblicherweise auf einen oder wenige Wirkstoffe standardisiert, so dass von einer Droge auch verschiedene Präparate mit unterschiedlichen Indikationen erhältlich sein können. Selbst bei Silibinin, dem Standardarzneimittel bei Knollenblätterpilzvergiftungen, sind noch weitere Stoffe aus den Mariendistelfrüchten enthalten. Thymol wiederum gilt als einer der wirkungsvollsten Stoffe bei bestimmten Atemwegserkrankungen, wird aber eher selten isoliert eingesetzt.

Der Artikel macht schon im ersten, etwas ungelenken Satz mit dem Begriff "Pseudomedizin" auf. Phytopharmaka sind Arzneimittel, die in der EU einer Zulassung durch die EMA bedürfen. Dafür muss Wirkung und Unbedenklichkeit nachgewiesen werden. Es gelten die gleichen Richtlinien wie für andere Arzneimittel auch (Ausnahme: Anthroposophie und Homöopathie). Davon abzugrenzen sind pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel, die unter das Lebensmittelrecht fallen. Das sollte im Artikel deutlich herausgestellt werden.

pelacani

Zitat von: Lonicerus am 07. Oktober 2015, 11:06:25
Vielstoffgemische haben in der Regel den Vorteil, dass sie weniger Nebenwirkungen verursachen als Einzelwirkstoffe. Ebenso ist die Gefahr von Resistenzen nicht so groß.
Das stelle ich jetzt einfach mal völlig in Abrede, zumindest in dieser globalen Formulierung. Es ist nicht einmal plausibel, denn die möglichen Interaktionen sind unüberschaubar. Wenn man sich nicht bemüht, die Wirkprinzipien zu erfassen, dann bleibt es beim empirischen Kuddelmuddel. Darf es durchaus geben, aber kann ja wohl nicht der Weisheit letzter Schluss bleiben. Der wirkliche Fortschritt in Kerngebieten der Medizin wird auf diese Weise inzwischen kaum noch zu erzielen sein, dazu benötigt man doch etwas klarere Vorstellungen von Pathogenese.

Zitat von: Lonicerus am 07. Oktober 2015, 11:06:25
Bei nur fünf Enzymen, die fast alle lebergängigen Arzneimittel verstoffwechseln, dürfte das der wichtigste Grund sein, warum Ärzte gerne panische Angst vor Phytopharmaka haben. (Es könnte aber auch daran liegen, dass sie im Studium so gut wie nichts darüber hören...)
Man hört immer so viel von den vielen tausend Toten jährlich, die durch Arzneimittel verursacht werden. Du meinst, wenn die Ärzte nicht mehr so panisch auf Wechselwirkungen schauen, dann werden auch diese Meldungen dereinst der Vergangenheit angehören?

Im Ernst: Ich zweifle daran, dass ,,Ärzte gerne panische Angst vor Phytopharmaka" haben. Kein Arzt wird Colchysat gegen den Gichtanfall ablehnen, weil es ein Pflanzenextrakt ist. Bei den vernünftigen Ärzten haben aber Pflanzen und ihre Teile keinen Bonus, nur weil sie aus der ,,Natur" stammen. Wenn es überzeugende Wirksamkeitsnachweise gibt, wäre es ja bescheuert, solche Sachen nicht einzusetzen. Da wären wir doch gleich beim Thema:
Zitat von: Lonicerus am 07. Oktober 2015, 11:06:25Thymol wiederum gilt als einer der wirkungsvollsten Stoffe bei bestimmten Atemwegserkrankungen
Welche Atemwegserkrankungen? Bronchialkarzinom? Mukoviszidose? Asthma bronchiale? Oder Husten und Schnupfen? Kannst Du mal den Evidenzlevel des ,,Wirksamkeitsnachweises" schildern? Gibt's da RCT's?

Zitat von: Lonicerus am 07. Oktober 2015, 11:06:25
Phytopharmaka sind Arzneimittel, die in der EU einer Zulassung durch die EMA bedürfen.
Was ist denn nun das ,,Besondere" der Phytopharmakotherapie, das sie von anderer Pharmakotherapie unterscheidet – abgesehen von ihrem ideologischen Ballast?

Lonicerus

Konkretes Beispiel: Präparate mit Hypericin im Vergleich zu Sertralin. In Vergleichsstudien wurde gezeigt, dass Hypericin ebenso gut wirken kann wie Sertralin. Die Liste der Nebenwirkungen von Sertralin ist sehr umfangreich, bis hin zu Suizid. Hypericin wird, wie ein Großteil der lebergängigen Arzneimittel, über CYP3A4 verstoffwechselt. Hier gibt es also ein großes Wechselwirkungspotenzial, das man vor der Gabe abklären muss. Das ist eine Kernaufgabe des Therapeuten. Ähnliche Interaktionen kann man aber auch mit dem Konsum von Grapefruit hervorrufen, das ist also kein exklusives Problem von Hypericin. Es wäre daher töricht, Präparate mit Hypericin pauschal auszuschließen, weil es Phytotherapie ist. Vielmehr sollte eine Nutzen-Risiko-Bewertung stattfinden und der Patient das für ihn beste Mittel bekommen. Das findet in der Praxis oft nicht statt.

Wir müssen hier natürlich auch scharf zwischen Phytopharmaka und biogenen Arzneistoffen trennen und nicht nur zwischen traditioneller Pflanzenheilkunde und der rationalen Phytotherapie. Genau das macht der Artikel in der aktuellen Fassung in beiden Fällen nicht.

Conina

Für Johanniskraut gibt es wegen der ganzen Wechselwirkungen echt viele Kontraindikationen und photosensibilisierend ist das Zeug auch noch.

Wenn das nicht den Nimbus der Heilpflanze hätte, würde das wahrscheinlich kein Mensch freiwillig schlucken.

Es ist aber kein Quack und auch in Leitlinien aufgenommen.



Eigentlich ist es doch grob so, dass inzwischen bei den ganzen Granaten / Giftpflanzen der Hauptinhaltsstoff pur verwendet wird und bei den schwächer wirksamen Pflanzen blieb man beim Extrakt oder Tee. Sicher gelten pflanzliche Arzneimittel auch deswegen als nebenwirkungsarm und mild.

Der Herbstzeitlosenextrakt ist allerdings eine drastische (durchaus wörtlich zu verstehen) Ausnahme.  ;D
Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber nicht machen, dass es trinkt.

Lonicerus

Die Photosensibilisierung durch Hypericin wird gerne überschätzt. Beim Menschen ist lediglich ein einziger Fall dokumentiert und das war vor gut 20 Jahren. Bei Millionen Tagesdosen jährlich kann man hier also nicht wirklich von einer echten Gefahr sprechen. Das Hauptproblem ist CYP3A4.

Und wie ich schon dargelegt habe, wird der Hauptinhaltsstoff eben nicht immer pur verwendet. Silibinin, Hypericin und eben auch zumindest teils auch Artemisinin werden zwar standardisiert, aber nicht isoliert eingesetzt. Isolierte Stoffe findet man eher in der Chemotherapie, also bei den Antibiotika und den Zytostatika. Das sind dann keine Phytopharmaka, sondern biogene Arzneistoffe.

Was dem Artikel komplett abgeht, sind die wissenschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für Phytopharmaka in der EU.
Die EMA hat bislang mehr als 150 Drogen-Monographien erstellt und arbeitet derzeit an Dutzenden weiteren:
http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/herbal_search.jsp&mid=WC0b01ac058001fa1d

pelacani

Jetzt bin ich ein wenig verwirrt. Die Frage war:
Zitat von: Pelacani am 07. Oktober 2015, 12:16:33
Zitat von: Lonicerus am 07. Oktober 2015, 11:06:25Thymol wiederum gilt als einer der wirkungsvollsten Stoffe bei bestimmten Atemwegserkrankungen
Welche Atemwegserkrankungen? Bronchialkarzinom? Mukoviszidose? Asthma bronchiale? Oder Husten und Schnupfen? Kannst Du mal den Evidenzlevel des ,,Wirksamkeitsnachweises" schildern? Gibt's da RCT's?
Und die Antwort:
Zitat von: Lonicerus am 07. Oktober 2015, 12:44:32
Konkretes Beispiel: Präparate mit Hypericin im Vergleich zu Sertralin. In Vergleichsstudien wurde gezeigt, [...]
:gruebel

Die Frage war:
Zitat von: Pelacani am 07. Oktober 2015, 12:16:33
Zitat von: Lonicerus am 07. Oktober 2015, 11:06:25
Phytopharmaka sind Arzneimittel, die in der EU einer Zulassung durch die EMA bedürfen.
Was ist denn nun das ,,Besondere" der Phytopharmakotherapie, das sie von anderer Pharmakotherapie unterscheidet – abgesehen von ihrem ideologischen Ballast?
Und die Antwort:
Zitat von: Lonicerus am 07. Oktober 2015, 12:44:32
Wir müssen hier natürlich auch scharf zwischen Phytopharmaka und biogenen Arzneistoffen trennen und nicht nur zwischen traditioneller Pflanzenheilkunde und der rationalen Phytotherapie.
Warum sollten wir das trennen müssen? Sind Stoffgemische ein Wert an sich, an den andere klinische Maßstäbe anzulegen sind als an isolierte Wirkstoffe?