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Wie ich gerade noch ...

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Begonnen von duester, 18. Juli 2015, 18:31:45

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Groucho

Ich kürze mal einiges raus, wird unübersichtlich.

Zitat von: TV am 26. Juli 2015, 17:19:06
"In welcher Weise erlauben die Kommunikationsmittel des Internets einen Wechsel der Ebenen, wie er in der pers. Kommunikation möglich ist? Und falls sie es gar nicht erlauben: Was für mittelfristige Konsequenzen hat das, wenn das soziale Miteinander irgendwann noch stärker vom Netz dominiert wird, als es aktuell der Fall ist?" [/i]

Ich hab zwar genörgelt, aber mir fällt auch nix besseres ein, die Frage ist schon ok, und mich interessiert's. Meine These: Eine Kommunikation über das Netz ist nahezu gleichwertig möglich wie in einem persönlichen Gespräch, dort, wo sie nicht ganz ran kommt, bietet sie zusätzliche Möglichkeiten, so dass am Schluss eine mehr oder weniger gleichwertige Situation vorhanden ist. Soweit die Theorie, die Praxis bietet gar viele Fehlermöglichkeiten, und es fehlt allerorten (ich schließe mich nicht aus) an Kompetenz, damit umzugehen. Zudem gibt es viele Kanäle, Chat, Mail, Mailinglisten, Newsgroups, Foren, Kommentarspalten, für die jeweils andere Regeln gelten, und, nicht zu vergessen, sich je nach Community zusätzlich unterscheiden.

Wenn es also kommunikative Probleme gibt, liegt das einfach meist an einer falschen "Kalibrierung" der Gesprächspartner. Nur ein Beispiel: E-Mail. Inzwischen hat sich eine Art Standard gebildet, aber noch vor kurzer Zeit war das schwierig, weil es wohl völlig verschiedene Ansichten gab, wie dieses Medium zu betrachten sei. Ich sah sie immer als Äquivalent zum klassischen Brief, manche eher wie einen Notzizzettel. Die Komplikationsmöglichkeiten sind dann oft lustiger oder auch schlimmer Art  :grins2: Man kann einen Schreiber für einen respektlosen Rotzlöffel oder einen überkandidelten Schnösel halten, obwohl letztlich in Wirklichkeit nichts davon stimmt. Oder wenn jemand mit MfG sich verabschiedet, empfinde ich das als unhöflich (Wer in Zeiten von Textbausteinen nicht die Zeit hat, einen einzufügen und für seine Freundlichkeit gerade mal drei Buchstaben übrig hat, zeigt eigentlich das Gegenteil.). Ich weiß aber, Vielen ist sowas völlig unklar und sie halten das für üblich und normal. Mich stört es auch nicht mehr.

Alles in allem wächst da gerade eine Kultur heran, die sich erst entwickeln, der Teilnehmer ein Gefühl dafür entwickeln muss. 

Innerhalb einer Forengemeinschaft kann sich so ein gegenseitiges Verständnis entwickeln, wenn man die Teilnehmer länger kennt. Man muss dann z.B. Ironie nicht mehr allzu deutlich kennzeichnen, man weiß, wie es gemeint ist. Dieses Niveau ist sicher dann Voraussetzung, um unfallfrei die Ebenen wechseln zu können.


ZitatEin anderes, evtl. auch für dich mögliches Destillat (auch wenn es banal erscheint): "Frage jemanden, der sich in der Esoterik o.ä. verstrickt hat, nicht nach seiner familiären Herkunft und evtl. daraus abgeleiteten Problematiken wie dem Religiösen. Es wird ihn tendenziell in seinen kognitiven Verzerrungen festhalten. Frage ihn stattdessen nach den konkreten Bezügen, die sein Leben zu den jeweiligen größeren Zusammenhängen der Zeit und Gesellschaft hat(te). Diese lassen sich nämlich oft nicht mehr so leicht mit den esoterischen Denkmustern beschreiben, so dass das verzerrende Denken zumindest kurzfristig aufgegeben werden muss."

Das ist dann die Rubrik "Wie diskutiere ich mit Esoterikern, ohne Wahnsinnig zu werden."   :grins2: Haben wir hier auch schon einiges. Ist nach wie vor interessant und wäre dann in einem Extrafaden besser aufgehoben.

Zitat
Und meine Erfahrung ist: solche Menschen wehren sich instinktiv gegen das Reflektieren des eigenen Denkens, bis hin zu Mauern oder gar offener Aggression. Die Sachdiskussion ist also ein schlechter Ansatzpunkt. Wann immer es aber gelingt, mit ihnen über deren eigenes Leben zu reden (also persönlich zu bleiben) und zugleich die jeweiligen äußeren Kontexte mit zu bereden, die über das jeweilige Modell (Familienstellen, Schutzengel, Naturgeister,...) nicht abgebildet werden können, dann wird das Denken kurzfristig gezwungen, andere Schaltkreise zu aktivieren und vielleicht zu trainieren. (Naja, ist vielleicht auch mehr eine Hoffnung, als eine echte Erfahrung. ;) )

Kritisiert man eine kleine Sache oder stellt die in Frage, wird das eben oft als Angriff auf das gesamte Weltbild verstanden, zurecht sogar. Stellt man einen Menschen mit seiner ganzen Art, Dinge zu sehen in Frage, erzeugt das gerne mal Aggression, ist irgendwie logisch und verständlich. Auch das ein eigentlich riesiges Thema ...

Zitat
Die Ironie im Schriftlichen zu erkennen, fällt mir noch schwer. Dabei mag ich sie eigentlich. Naja, wird schon.

Die ist sogar im RL oft nicht einfach zu erkennen  ;D

Zitat
"Forensische Kommunikation" ist Klasse! :rofl2
Ich habe tatsächlich recht umfangreiche Forenerfahrung, und auf manches davon passt diese Formulierung, durchaus im Wortlaut. Kann sein, dass das, was du als "Mimosik" wahrgenommen hast, in derlei alten Erfahrungen wurzelt.

Kann man gleich ein Institut gründen  :D Ist ja wirklich so, Wenn sich manchmal Leute kloppen, fragt man sich kopfkratzend, was da denn jetzt schief gegangen ist, ohne eine rechte Antwort zu haben.

Zitat
Im Moment weiß ich noch nicht, wieviel Zeit ich in den nächsten Wochen fürs Netz haben werde. Unterbrechungen meinerseits sollten nicht als Missmut o.ä. gedeutet werden. Wenn ich nicht mehr mag, lösche ich meinen Account.

Jo, klar. Jeder, wie er mag und Zeit hat. Wird sicher nicht falsch verstanden.

duester

Zitat von: TV am 18. Juli 2015, 23:48:31

Mein "Köder" war die Traumdeutung via Internet, ohne da jetzt ins Detail zu gehen. Will sagen: ich war über das Populärpsychologische ansprechbar.


@TV: Danke für deine offene Antwort. Ich hab deine Schilderung interessiert gelesen und für mich einen erheblichen Nutzen daraus gezogen. Ich hab' mich schon vorher gefragt, wo mein "blinder Fleck" sein könnte. Im Zusammenhang mit dem Blog zu der HP-Behandlung bei Krebs habe ich erstmal das vermutet: Bei einer schweren Erkrankung könnte bei mir das Bedürfnis zu leugnen durchschlagen und damit eine gewisse Leichtgläubigkeit gegenüber denjenigen, die mir das Leugnen erlauben. NLP könnte eine andere Baustelle sein, das ganze "du schaffst deine eigene Realität" (ich hab' gerne die Kontrolle). Und schließlich wahrscheinlich so Sachen wie Großgruppenseminare (TSCHAKA!) und Familienstellen - einfache Lösungen für komplexe Probleme, alles mit so ein bisschen Plausibilität begründet, das hat einen gewissen Appeal. Aber - zu meiner Ehrenrettung, damit nicht der Eindruck entsteht, dass ich allem auf den Leim gehen würde - je größer der Glaubensanteil, desto weniger wahrscheinlich könnte ich das in meine bisherigen Überzeugungen einordnen: Keine Kristalle, keine Pyramiden, keine laminierten Plastikkärtchen zum Benzinsparen.

Eigentlich mal eine ganz interessante Übung, sich als "Möchtegern-Esoteriker" zu verorten.  ;D

TV

Ich antworte mal auf duester und Groucho in 2 einzelnen Posts (die Antwort an Groucho verschiebe ich auf morgen):

Zitat von: duester am 28. Juli 2015, 11:40:13
@TV: Danke für deine offene Antwort. Ich hab deine Schilderung interessiert gelesen und für mich einen erheblichen Nutzen daraus gezogen.

Freut mich. :D

Zitat von: duester
Im Zusammenhang mit dem Blog zu der HP-Behandlung bei Krebs habe ich erstmal das vermutet: Bei einer schweren Erkrankung könnte bei mir das Bedürfnis zu leugnen durchschlagen und damit eine gewisse Leichtgläubigkeit gegenüber denjenigen, die mir das Leugnen erlauben.

Ich glaube, um diesen blinden Fleck brauchst du dir keine Sorgen zu machen. :grins Eigentlich finde ich dies spontane Leugnungsbedürfnis ziemlich natürlich. Das gibt es wohl bei allen schockierenden Lebenserfahrungen (Trennung, Tod Nahestehender, ...). Und klar, dann ist man leichtgläubig gegenüber allem und jedem, das oder der Hilfe anbietet. Dazu gehören bei den meisten immer noch an erster Stelle Ärzte. Wer direkt zum Alternativo-Heilmittel o.ä. greift, hat schon vorher ein irrationales Denksystem verinnerlicht. (Meine These.) Also eigentlich keine echte Gefahr auf Dauer an dieser Stelle, denn:

Normalerweise bleibt die Psyche nicht in dieser Leugnung hängen und findet ihr ausgewogenes Maß an Vertrauen und Skepsis wieder. Als nächstes kommt das "Warum?" bei solchen Schockerlebnissen, also das Suchen nach äußeren Ursachen. Ein weiteres Einfallstor für Verirrungen. Evtl. das gefährlichste: ohne Antwort auf das "Warum?" können Menschen nur schwer leben, müssen es aber halt ab und zu und lernen das auch, wenn sie nicht daran gehindert werden:

Pseudopsycho-Ansätze und esoterische Modelle suggerieren Antworten auf das Warum? und damit Hoffnung auf Beseitigung der Ursachen. Dann beginnen die Erkrankten oder sonstwie vom Schicksal Getroffenen ihren Kampf gegen Windmühlen, nämlich gegen die suggerierten Ursachen, anstatt sich auf die Behandlung der realen Jetzt-Situation zu konzentrieren. Ab hier werden die Irrationalismen richtig gefährlich. Irgendwann scheitern diese Angänge natürlich, aber bei manchen Krankheiten wie z.B. Krebs  kommt es halt auch auf die Zeit an.

In beiden Phasen (Leugnung, Ursachensuche) wirkt der "Delegationswunsch", zu dem ich vor ein paar Tagen hier was schrieb.

Zitat von: duester
NLP könnte eine andere Baustelle sein, das ganze "du schaffst deine eigene Realität" (ich hab' gerne die Kontrolle).

Na ja, bei NLP geht es nicht einfach nur um "irgendwas Unbewiesenes". Vielmehr verbirgt sich dahinter eine Facette der grundlegenden philosophischen Diskussionen unserer Zeit. (Philosophischer Konstruktivismus vs. Realismus vs. (ggf.) Naturalismus.) Ich müsste das aber auch erst nachlesen. Was ich damit nur sagen will: "Ich schaffe mir meine eigene Realität" ist nicht einfach nur spinnertes Zeugs, das man wegschmeißen sollte. Dahinter steht der Versuch, die Subjektivität als real wirksame Kraft anzuerkennen. Vielmehr sollte man also - wenn man gründlich ist  - sich überlegen, wie und an welchen Stellen man die Subjektivität sinnvoll in die eigenen Vorstellungen und Modelle integrieren kann und wo sie halt nichts verloren hat.

NLP ist in der Zeit seiner Entstehung glaube ich so etwas wie ein "Begeisterungsschnellschuss" gewesen, weil man etwas Neues (die Wirksamkeit der Subjektivität in manchen Kontexten) gefunden hatte.

Zitat von: duesterAber - zu meiner Ehrenrettung, damit nicht der Eindruck entsteht, dass ich allem auf den Leim gehen würde - je größer der Glaubensanteil, desto weniger wahrscheinlich könnte ich das in meine bisherigen Überzeugungen einordnen: Keine Kristalle, keine Pyramiden, keine laminierten Plastikkärtchen zum Benzinsparen.

Ich denke, du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen, esoterikgefährdet zu sein. :D Selbst, wenn du Spaß am Spielen mit Kristallen hättest.



duester

Zitat von: TV am 28. Juli 2015, 23:17:31
Dazu gehören bei den meisten immer noch an erster Stelle Ärzte. Wer direkt zum Alternativo-Heilmittel o.ä. greift, hat schon vorher ein irrationales Denksystem verinnerlicht. (Meine These.)

Ich würde da eine andere These entgegenhalten: Esoteriker stellen sich ja nun mal leider nicht mit "Hallo, ich bin der Torben und ich bin größenwahnsinniger Heilpraktiker vor!". Ich hatte letztens eine ähnliche Diskussion mit einem Bekannten über die Gefahr, in einer Sekte zu landen. Er hat Stein und Bein geschworen, dass ihm das niemalsnicht passieren könnte, während ich da wesentlich weniger überzeugt war. Im Gespräch kristallisierte sich dann heraus, dass er ein sehr festgelegtes Bild vom Erscheinungsbild und der Funktionsweise von Sekten hat und wahrscheinlich nicht Gefahr laufen würde, Scientology oder Hare Krishna auf den Leim zu gehen. Aber wie sieht mit einer kleinen Psychogruppe aus, wie z.B. http://www.aeon.de/default.aspx ? Wenn man sich dort auf eine Stelle bewirbt, teilen die einem wahrscheinlich nicht mit, dass sie der Auffassung sind, dass die Ehefrau eines Mitinhabers gerne mal direkt mit Gott ("Alterchen") kommuniziert und deswegen viel besser als du selbst weißt, wie du dein Leben zu leben hast. Und wenn man dann mehrere Faktoren zusammennimmt (z.B. emotionale Belastung durch Arbeitslosigkeit, finanzieller Druck, Selbstwertprobleme), dann kann es passieren, dass man schon mittendrin ist, bevor man überhaupt realisiert, dass man sich in ein irrationales (Arbeits-)Umfeld begeben hat. Genauso bei alternativmedizinischen Behandlungsformen: Im Zusammenhang mit dem "Diagnoseschock" ist kühles, rationales Denken wahrscheinlich sowieso unmöglich. Man kann Glück haben und ein verantwortungsbewusstes Umfeld haben. Und man kann Pech haben und z.B. auf einen Arzt treffen, der die schuldmedizinische Behandlung "verrät" ("Also, das ist halt so Standard, aber ich würd's ja nicht machen, ... ."). Ärzte können die reinsten Ego-Monster sein (nix für ungut, liebe Mitleser), da kann's schon mal passieren, dass der HausarztTM (dem werten Leser als Verteiler von Broschüren zur "individuellen Impfentscheidung" bekannt) meint, es wesentlich besser zu wissen, als der Onkologe (der vielleicht fachlich versiert ist, aber menschlich eher schwierig ist). Und dann könnte ich mir vorstellen, dass man doch noch mal alles neu bewertet und sich komplett von vorangegangenen Überzeugungen löst. Um bei dem Krebsbeispiel zu bleiben: Irgendwann habe ich in Medien mal von einer zuckerfreien Diät gehört, mit dem Gedanken, dass man den Tumor nicht füttern sollte. Klang plausibel und machbar und für eine Millisekunde habe ich überlegt, ob ich nicht meine komplette Ernährung umstellen sollte, um Tumoren erst gar keine Chance zu geben - da trafen so ein Glaubensangebot und eine persönliche Macke von mir (ein ständiges schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht so bewusst ernähre, wie der Zeitgeist es eigentlich vorschreibt) auf ungute Art und Weise zusammen. Dann habe ich mir eine große Packung Schokoküsse gekauft.  ;D 

Zitat
Na ja, bei NLP geht es nicht einfach nur um "irgendwas Unbewiesenes". Vielmehr verbirgt sich dahinter eine Facette der grundlegenden philosophischen Diskussionen unserer Zeit. (Philosophischer Konstruktivismus vs. Realismus vs. (ggf.) Naturalismus.) Ich müsste das aber auch erst nachlesen. Was ich damit nur sagen will: "Ich schaffe mir meine eigene Realität" ist nicht einfach nur spinnertes Zeugs, das man wegschmeißen sollte. Dahinter steht der Versuch, die Subjektivität als real wirksame Kraft anzuerkennen. Vielmehr sollte man also - wenn man gründlich ist  - sich überlegen, wie und an welchen Stellen man die Subjektivität sinnvoll in die eigenen Vorstellungen und Modelle integrieren kann und wo sie halt nichts verloren hat.
Es ist vermutlich alles eine Frage des Maßes. Natürlich spielt es eine Rolle, wie ich eine Situation bewerte und ich kann ein zufriedeneres Leben führen, wenn es mir gelingt, Dinge die ich als bedrückend oder bedrohlich empfinde, so zu bewerten, dass sie als bewältigbar entscheiden (für mich hat das z.B. für Prüfungssituationen ganz gut geklappt: ich konnte sie als positive Herausforderung sehen statt als Momente wahrscheinlichen Versagens - und so ist mir das Lernen leichter gefallen). Sogar in den Foren derjenigen, die die Sache wirklich auf die Spitze getrieben haben ("The Secret", "Wünsche ans Universum") habe ich Elemente aus diesem Denken gesehen, die durchaus sinnvoll sind (z.B. die Empfehlung, sich in/nach einer havarierten Beziehung auf sich selbst zu konzentrieren). Aber auch da gibt es einfach eine Grenze: Dinge, die sich der eigenen Kontrolle entziehen, obwohl man der festen Überzeugungen, dass es sich um den höchsteigenen Einflussbereich handelt (z.B. ein Tumor, der im eigenen Körper wuchert). Und wenn man so etwas besser mit beißendem Sarkasmus und ständiger Schwarzmalerei übersteht, hilft dieses Schuldgefühl, dass man mental nicht in der bestmöglichen Verfassung ist, nicht weiter.

pelacani

Zitat von: TV am 28. Juli 2015, 23:17:31
Eigentlich finde ich dies spontane Leugnungsbedürfnis ziemlich natürlich. Das gibt es wohl bei allen schockierenden Lebenserfahrungen (Trennung, Tod Nahestehender, ...). Und klar, dann ist man leichtgläubig gegenüber allem und jedem, das oder der Hilfe anbietet.
...
Normalerweise bleibt die Psyche nicht in dieser Leugnung hängen und findet ihr ausgewogenes Maß an Vertrauen und Skepsis wieder. Als nächstes kommt das "Warum?" bei solchen Schockerlebnissen, also das Suchen nach äußeren Ursachen. Ein weiteres Einfallstor für Verirrungen. Evtl. das gefährlichste: ohne Antwort auf das "Warum?" können Menschen nur schwer leben, müssen es aber halt ab und zu und lernen das auch
Vgl. z. B. die Phasen des Sterbens von Kübler-Ross. Auch wenn das sicher nicht so linear abläuft wie von ihr vorgestellt und K-R den Drang ins Übernatürliche hat (near-death-experience): einen gewissen heuristischen Wert hat das Konzept. Jedenfalls lassen sich solche Reaktionen regelhaft antreffen, meine ich.

Zitat von: duester am 29. Juli 2015, 08:40:48
Und man kann Pech haben und z.B. auf einen Arzt treffen, der die schuldmedizinische Behandlung "verrät" ("Also, das ist halt so Standard, aber ich würd's ja nicht machen, ... ."). Ärzte können die reinsten Ego-Monster sein (nix für ungut, liebe Mitleser), da kann's schon mal passieren, dass der HausarztTM (dem werten Leser als Verteiler von Broschüren zur "individuellen Impfentscheidung" bekannt) meint, es wesentlich besser zu wissen, als der Onkologe (der vielleicht fachlich versiert ist, aber menschlich eher schwierig ist).
Aspekte dieses Themas hatten wir kürzlich länglich ventiliert, hier:
https://forum.psiram.com/index.php?topic=13401.0 und hier:
https://forum.psiram.com/index.php?topic=13042.0

Zitat von: duester am 29. Juli 2015, 08:40:48
Um bei dem Krebsbeispiel zu bleiben: Irgendwann habe ich in Medien mal von einer zuckerfreien Diät gehört, mit dem Gedanken, dass man den Tumor nicht füttern sollte. Klang plausibel und machbar und für eine Millisekunde habe ich überlegt, ob ich nicht meine komplette Ernährung umstellen sollte, um Tumoren erst gar keine Chance zu geben - da trafen so ein Glaubensangebot und eine persönliche Macke von mir (ein ständiges schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht so bewusst ernähre, wie der Zeitgeist es eigentlich vorschreibt) auf ungute Art und Weise zusammen.
Zucker und Krebs: s. a. hier
https://forum.psiram.com/index.php?topic=10297.msg122248#msg122248
(Der polemische Tonfall damals hat eine lange Vorgeschichte.)  :teufel

TV

So, jetzt meine Antwort an Groucho:

Zitat von: Groucho am 27. Juli 2015, 12:49:50
Ich kürze mal einiges raus, wird unübersichtlich.

Ts, ts! Dabei habe ich doch schon die Religion rausdiskutiert und einen Teil der Medizinantworten in einen anderen Thread gestellt. :grins

Im Ernst: ich erlaube mir mal, die Straffung noch weiter zu treiben und für diesen Teil des Threads ("Kommunikation via Internet") einen neuen Thread aufzumachen:
https://forum.psiram.com/index.php?topic=14335.msg187394#msg187394

mossmann

Meine Erfahrung:

Man sollte nicht vergessen, dass sich nicht jeder intensiv mit der Materie beschäftigt.
Als leidgeprüfter Neurodermitiker habe ich damals auch vieles ausprobiert: Akupunktur / Homöopathie / Schüssler-Salze / Basen-Therapie ...
Man ist halt frustriert, hat die üblichen Behandlungen durch und dann kommen Freunde / Bekannte und empfehlen: "Hey, geh' doch mal zu dem ... große Erfolge ... einen Versuch ist es wert ..."
Ich hatte  es damals genau so gemacht, nach dem Motto: einfach ausprobieren. Eine Recherche vorab fand in keinem Falle statt.

Man kommt also auch zur Esoterik, weil man Dinge zunächst mal gar nicht dahin verortet.
Viele Leute denken bestimmt auch z.B., dass Bachblüten kein esoterisches Konzept sind, sondern eben einfach eine Phytotherapie, die auf Blüten basiert, die am Bach wachsen.

(eventuell wurde das oder so ähnlich oben bereits erwähnt, ich habe jetzt aus Zeitmangel nicht alles durchgelesen  ::) )
Offizieller Sprecher des gemäßigten Flügels der Psiram-Jugend

TV

Zitat von: mossmann am 29. Juli 2015, 13:50:29
Man ist halt frustriert, hat die üblichen Behandlungen durch und dann kommen Freunde / Bekannte und empfehlen: "Hey, geh' doch mal zu dem ... große Erfolge ... einen Versuch ist es wert ..."
Ich hatte  es damals genau so gemacht, nach dem Motto: einfach ausprobieren. Eine Recherche vorab fand in keinem Falle statt.

Man kommt also auch zur Esoterik, weil man Dinge zunächst mal gar nicht dahin verortet.
Viele Leute denken bestimmt auch z.B., dass Bachblüten kein esoterisches Konzept sind, sondern eben einfach eine Phytotherapie, die auf Blüten basiert, die am Bach wachsen.

Das ist nicht wirklich schlimm. Die Placebo-Wirkung ist eine reale Wirkung, und wenn Placebos helfen, soll man sie ruhig nehmen. :grins2: Der Anfang meiner folgenden Antwort an duester ist auch eine Antwort an dein Posting:

Zitat von: duester am 29. Juli 2015, 08:40:48
Ich würde da eine andere These entgegenhalten: Esoteriker stellen sich ja nun mal leider nicht mit "Hallo, ich bin der Torben und ich bin größenwahnsinniger Heilpraktiker vor!". ... Aber wie sieht mit einer kleinen Psychogruppe aus, wie z.B. http://www.aeon.de/default.aspx ? Wenn man sich dort auf eine Stelle bewirbt, teilen die einem wahrscheinlich nicht mit, dass sie der Auffassung sind, dass die Ehefrau eines Mitinhabers gerne mal direkt mit Gott ("Alterchen") kommuniziert und deswegen viel besser als du selbst weißt, wie du dein Leben zu leben hast. Und wenn man dann mehrere Faktoren zusammennimmt (z.B. emotionale Belastung durch Arbeitslosigkeit, finanzieller Druck, Selbstwertprobleme), dann kann es passieren, dass man schon mittendrin ist, bevor man überhaupt realisiert, dass man sich in ein irrationales (Arbeits-)Umfeld begeben hat.

Wer in schwierigen Lebenssituationen steckt, ist meiner Meinung nach in Bezug auf alle Risiken in einer gefährdeteren Situation, als jemand in ruhigen, zufriedenen Lebensphasen. (Ich habe z.B. in den Monaten nach dem Diagnoseschock so viele Parkpfosten-Beulen in mein Auto gefahren, wie in den Jahrzehnten zuvor nicht. :grins )

Will sagen: man sollte sich von der Illusion frei machen, dass es so etwas wie ein völlig gesichertes, ungefährdetes Leben gibt. Esoterik und schädliche Therapien sind eine gesellschaftliche Realität, wie die leidigen Metallbügel im Gebüsch neben dem Parkplatz. :grins2: Man kann und sollte versuchen, beizeiten über die Existenz solcher Risiken aufzuklären, doch wenn es dann wirklich zur Kollision kommt, ist es in den meisten Fällen kein Drama. Meiner Erfahrung nach üben eine Reihe von Alternativ-Therapeuten keinen weltanschaulichen Druck aus, sondern lassen einen wieder gehen, wenn man sagt: "Passt nicht zu mir" o.ä.. Fies wird es dort, wo die Schwächung des Klienten/Patienten ausgenutzt wird, indem man ihm oder ihr zusätzliche Angst, Schuldgefühle oder Bedrohungen unterjubelt oder ihn gar an wirksamen Hilfen hindert. Bei solchen Angeboten sollte man selbstredend deutlich intervenieren. Doch ich finde es auch nicht gut, wenn (unbeabsichtigt) zusätzliche Angst geschürt wird, indem man meint, "trainieren" zu müssen, sich vor allem und jedem, das nicht wissenschaftlich belegt ist zu schützen. (Die Sache mit dem Kind und der heißen Herdplatte, also weniger platt: allzu viel Fehlerfreiheit hindert am Lernen.)

Meiner Ansicht nach sollten Menschen, v.a. jüngere, viel mehr lernen, wie man mit schwierigen Lebenssituationen umgehen kann, also Werkzeuge zur Selbsthilfe trainieren, anstatt sich nur auf die Frage zu fokussieren: "Wie kann ich mich vor 'bösen Scharlatanen' schützen?" Unbedingt gehört zu diesen Selbsthilfewerkzeugen natürlich das reflektierende Denken. Aber auch zu lernen, dass gegenseitige Alltagsunterstützung im sog. Kleinen zum zwischenmenschlichen Miteinander gehört, dass man für Hilfe eben nicht gleich irgendwas Pseudoprofessionelles braucht. Oft hat man viel Zeit im Leben, um sich dieses soziale Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung und Stabilisierung aufzubauen, bevor man in eine Situation kommt, in der es wirklich kritisch wird. Für den Einzelnen ist das ein recht wirksamer Schutz: denn da liest im Falle von z.B. Arbeitslosigkeit auch ein weniger gestresster Freund die skurrilen Aeon-Anzeigen und kann das ausbremsen. Oder ein Freund, eine Freundin fängt den Seelenschmerz und die Tränenflut auf, sodass man wieder stabiler ist und die "esoterischen Parkpfosten" nüchterner beurteilen kann.

Allerdings - und das ist ein Berührungspunkt zu der Diskussion über virtuelle Kommunikation - funktionieren solche "Unterstützungsnetzwerke" nur im RL. (Das auszuführen wird mir jetzt zu lang.)

Zitat von: duesterGenauso bei alternativmedizinischen Behandlungsformen: Im Zusammenhang mit dem "Diagnoseschock" ist kühles, rationales Denken wahrscheinlich sowieso unmöglich. Man kann Glück haben und ein verantwortungsbewusstes Umfeld haben. Und man kann Pech haben und z.B. auf einen Arzt treffen, der die schuldmedizinische Behandlung "verrät"

Es ist eben nicht einfach nur eine Frage von Glück oder Pech. Denn das eigene "Umfeld" ist nichts Zufälliges, sondern etwas, das man in Jahren selbst mitgestaltet, in dem man vielleicht selber lange Zeit die Rolle des Unterstützenden eingenommen hat, bevor man selbst in eine wie auch immer geartete Notsituation kommt. Der "Profi", der sich natürlich auch bescheuert verhalten kann, ist halt nur ein kleiner Teil des Umfelds. Ärzte sind Menschen und klar gibt es auch unter ihnen diejenigen, welche zu den Angstmachern und Schuldzuweisern gehören.

Zitat von: duester...und eine persönliche Macke von mir (ein ständiges schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht so bewusst ernähre, wie der Zeitgeist es eigentlich vorschreibt) ...

Eben. Das Problem liegt gar nicht unbedingt immer in der Berufsgruppe (Arzt, HP, Alternativtherapeut). Sondern es liegt in der widerwärtigen, aber weit verbeiteten Suggestion von Schuldgefühlen. Wo immer man merkt, dass eine Lehre oder eine Person das tut, sollten m.E. ruhig die Fetzen der Konfrontation fliegen! Denn Verantwortung für eventuelle Fehler zu übernehmen, erzeugt kein schlechtes Gewissen, ist also etwas anderes. (An diese Stelle würde jetzt auch das Religionskritische greifen. Denn Schuldgefühle haben viel mit religiösem Denken im weitesten Sinne zu tun.)

Zitat von: duester
Um bei dem Krebsbeispiel zu bleiben: Irgendwann habe ich in Medien mal von einer zuckerfreien Diät gehört, mit dem Gedanken, dass man den Tumor nicht füttern sollte. Klang plausibel und machbar und für eine Millisekunde habe ich überlegt, ob ich nicht meine komplette Ernährung umstellen sollte, um Tumoren erst gar keine Chance zu geben ...

Es gibt i.W. zwei Bücher, auf welche diese Zucker-Krebs-Geschichte zurückgeht ("Krebszellen mögen keine Himbeeren" und "Krebszellen lieben Zucker - Patienten brauchen Fett"). Meine Meinung dazu: das erste davon unterstützt tatsächlich die eher haltlose Vorstellung, man könne sich durch kohlehydratarme Ernährung vor Krebs schützen. Das zweite hingegen beinhaltet im Theorieteil Überlegungen, die durchaus ernst zu nehmen sind. Die Autoren argumentieren für die ketogene (kohlehydratfreie) Ernährung von Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium, bei denen Auszehrung bereits begonnen hat oder kurz bevor steht. Man kann gegen derlei Überlegungen m.E. nicht einfach argumentieren, indem man sagt, dass es keine placebokontrollierten Doppelblindstudien o.ä. gibt. Denn es gibt Grenzen für die grundsätzliche Durchführbarkeit solcher Studien, welche für solche Thesen klar erreicht sind.

Hinzu kommt der Hinweis der Autoren darauf, dass es im Rahmen der Krebsforschung bei der Vergabe von Mitteln einen Interessenkonflikt zwischen Stoffwechselforschung und genetischer Forschung gibt, der oft zu Gunsten letzterer entschieden werde. Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt, halte es jedoch vor dem Hintergrund meiner persönlichen Kenntnisse des Wissenschaftsbetriebs für möglich.

Zitat von: Pelacani am 29. Juli 2015, 08:58:59
Vgl. z. B. die Phasen des Sterbens von Kübler-Ross. Auch wenn das sicher nicht so linear abläuft wie von ihr vorgestellt und K-R den Drang ins Übernatürliche hat (near-death-experience): einen gewissen heuristischen Wert hat das Konzept. Jedenfalls lassen sich solche Reaktionen regelhaft antreffen, meine ich.

Ich musste beim Schreiben auch an das Phasenmodell von E K-R denken, aber mit diesen near-death-experiences wird halt viel Schindluder getrieben. Wäre für mich ein eigenes Thema, wenn's das hier noch nicht gibt.

pelacani

Zitat von: TV am 30. Juli 2015, 12:42:37
Zitat von: Pelacani am 29. Juli 2015, 08:58:59
... und K-R den Drang ins Übernatürliche hat (near-death-experience) ...
... aber mit diesen near-death-experiences wird halt viel Schindluder getrieben. Wäre für mich ein eigenes Thema, wenn's das hier noch nicht gibt.
Hatten wir, glaub' ich, noch nicht. Aber halte ich auch nicht wirklich für spannend. Mach' einen neuen Faden auf; aber nur, wenn Du was daran findest.  :teufel