Neuigkeiten:

Wiki * German blog * Problems? Please contact info at psiram dot com

Main Menu

Psychologie überflüssig? Oder doch nicht?

Postings reflect the private opinion of posters and are not official positions of Psiram - Foreneinträge sind private Meinungen der Forenmitglieder und entsprechen nicht unbedingt der Auffassung von Psiram

Begonnen von Ratiomania, 19. April 2011, 12:16:08

« vorheriges - nächstes »

Graumagier

Zitat von: Ratiomania am 05. Mai 2011, 22:27:27Demnach und imho darf man (moderne) Psychologie eher als Teilgebiet der Biologie betrachten.
Und Biologie ist auch nur ein Teilbereich der Physik, oder wie?

Manolo

Zitat von: Ratiomania am 05. Mai 2011, 22:27:27
Demnach und imho darf man (moderne) Psychologie eher als Teilgebiet der Biologie betrachten.

Oder gibt es Konzepte die recht weit weit weg liegen von jedweder Naturwissenschaftlichen(biologischen) Betrachtungsweise.


Sorry, aber wenn der Horizont so klein ist, dass die Phantasie gerade bis zu dem Punkt reicht, sich einen biologischen Betrachtungsrahmen
als der Weisheit letzter Schluss vorzustellen, kann ich Dir auch nicht mehr helfen.
Wie gesagt: Die logische Schlussfolgerung dieser reduktionistischen Sichtweise wäre es ebenso, die Biologie als Gegenstandsloses "Geschwurbele"
aufzufassen - wozu hat man schließlich die Physik? Die erklärt alles gleich mit. Praktisch, nicht wahr? Oder vielleicht doch nicht?
Und selbst dort gibt es noch Steigerungspotential. Man kann ja auch noch die Betrachtungsweisen ausschließen, die nicht rein quantenmechanisch
fundiert sind. Ist also das Paarungsverhalten von Paradiesvögeln oder das Sozialverhalten von uns Menschen am besten auf der Ebene der Quarks
zu verstehen?
Ich meine, wie sehr muss man eine Scheuklappenperspektive haben, um in diese Richtung zu tendieren.
Aber natürlich ist es mir nicht unbekannt, was viele Naturwissenschaftler über die Psychologie denken.
Und ganz kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass der Threadersteller auch ganz schön von seinem Professor angespitzt wurde, bei
den dummen Psychos mal auf den Busch zu klopfen. So Sprüche wie "naja, die Psychos mit ihren Teetassen.....  .....seht Euch die Vorlesung mal an und
lacht einfach darüber, ernstzunehmende Wissenschaft ist das ja nicht" sind mir auch nicht unbekannt. Die leuchtenden Augen der Studenten, wissend
etwas "besseres" zu sein, auch nicht.

By the way, der Witz an der Sache ist, dass Reduktionismus nicht nur in seinem Konsequenzen völlig undurchdacht ist, sondern erkenntnistheoretisch betrachtet durch die strenge Fixierung auf empirische
Prinzipien ein Wahrheitsanspruch erhoben wird, der gänzlich auf dogmatischen Kausalitätsannahmen beruht.
Es ist also ein Treppenwitz der akademischen Welt, dass gerade diejenigen, die ihre Hochnäsigkeit mit der Begründung rechtfertigen, einer absolut intuitiv evidenten und trivialen Erkenntnis zu folgen, die wissenschaftlichen Prinzipien am meisten Verwässern.
Wer braucht schließlich dieses erkenntnistheoretische "Geschwurbel". Alle anderen schwurbeln, nur man selber natürlich nicht. Arm. Sehr, sehr arm.


Manolo

Das hat jetzt schon was unfreiwillig komisches.

Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber der positivistische Versuch, derartige Hierarchien aufzubauen zeugt davon, dass man kein Vorwissen im Bereich der Erkenntnistheorie/Wissenschaftstheorie verfügt und sich nicht im Klaren darüber ist, dass der Gegenstand der Forschung erheblichen Einfluss darauf hat, welchen Zugang man wählt, bzw., welche Arten von Erklärungen man anstrebt.
Genau diese haben erheblichen Einfluss darauf, was überhaupt in Betracht kommt, wissenschaftliche Fragestellung zu werden, wie wir Probleme einordnen und welche Wirklichkeitseinschätzungen wir vornehmen.
Das hat immense Auswirkungen darauf, was für ein Weltbild wir haben und stellt letztlich eine Mentalitätsfrage dar.
Die sozialen Probleme an Hauptschulen kann man als soziologisches Problem auffassen, oder man kann sich dem Irrweg verschreiben, das Verhältnis von Zellpopulationen (die Schüler) zu untersuchen.
Was meinst Du, welche Herangehensweise trägt mehr Früchte?

Davon ab hast Du in Deiner - sorry - doch äußerst naiven Einschätzung etwas sehr bedeutsames übersehen: Die Autarkie der Disziplinen ermöglicht es erst, dauerhaft wissenschaftliche Theoriegebäude zu finden.
In einem hierarchischen System kracht nämlich zwangsläufig alles zusammen, wenn bei den tragenden Disziplinen eine Erkenntnis revidiert werden muss.
Davon ab täuscht eine hierarchische Einordnung eine notwendige Lückenlosigkeit vor, die überhaupt nirgends vorhanden ist.
Dass das ganz schnell zum Erliegen kommt, zeigt direkt die Neurobiologie. Sehen wir uns mal die bildgebenden Verfahren an. Das Wissen, was da notwendiger Weise gesammelt werden kann, ist äußerst rudimentär.
Typischer Weise kommen die Erklärungen nie weiter als über "there's some activity in the frontal lobe" und dergleichen hinaus. Zu Deutsch übersetzt: "Da ist was". Oder hübscher ausgedrückt: "es finden Verarbeitungsprozesse statt". Das ist, als wenn ich mich Ingenieur nenne, aber beim Anblick eines Autos nicht mehr über die inneren Vorgänge aussagen kann, als festzustellen "vorne brummt's".
Zugleich machen die Neurobiologen das bestmögliche aus den Gegebenheiten - entscheidend ist nur, wie weit man sich aus dem Fenster lehnt. Erst recht, wenn man den Stellenwert einer Wissenschaft einschätzen will.
Man hat also in der Praxis akzeptiert, dass bildgebende Verfahren einen Teilaspekt widerspiegeln.
Zusammen mit anderen Perspektiven auf das selbe Phänomen ergibt sich erst die notwendige Möglichkeit das zu erreichen, was man als konvergierende Evidenz bezeichnet, also das Folgern aus den verschiedenen Indizien heraus.
Es gäbe noch sehr, sehr viel zu dieser Thematik zu sagen, aber ich habe etwas den Eindruck, dass Du Dich da in eine Sache verrannt hast, deren Tragweite Du im Moment völlig falsch einschätzt und vor allem unterschätzt.

rincewind

Zu dem Schaubild und mit einfachen Worten zu Manolo ergänzend (man kann sich da wirklich verrennen):

Das Bild zeigt eigentlich nur einen trivialen Zusammenhang: Gäbe es keine physikalische Welt, gäbe es auch keine chemische, biologische, psychologische. Es ist eine banale logische Kette. Der Fehler ist nun zu meinen, dass sich daraus eine Hierarchie ableiten ließe, nur weil das eine die Grundlage für die Existenz des anderen wäre.
Es sind doch hauptsächlich die Verschiedenen Zugänge zum Forschungsthema, welche den Unterschied ausmachen. Wie wollte man etwa per Physik auf eine Evolutionstheorie kommen? 

cohen

Das mit der Evolution hatte ich auch schon auf der Tastatur, unterdrückte aber gestern mein SIWOTI-Syndrom erfolgreich.  ;D

Ratiomania

Die Kritik ist berechtigt und ich stimme ihr zu.

Nur zum Thema "Hierarchie":

Ich denke, eine Anmerkung hätte wirklich nicht geschadet.

Die "Betrachtungsebene" darf den äußereren nicht widersprechen, erweitert aber die Betrachtung auf "komplexere"/"emergentere" Strukturen...?

Bsp:

Die Zelltheorie widerspricht nicht der Atomtheorie.


Manolo

Zitat von: Ratiomania am 07. Mai 2011, 15:45:19

Die Zelltheorie widerspricht nicht der Atomtheorie.

Aber da hast Du ja genau diese Autarkie. Du müsstest ja sonst die Zytologie direkt über die Teilchenphysik erklären.
Das tut man aber höchstens in Teilbereichen (Membranpotential), aber es kann keine Rede davon sein, dass die Zytologie ein Teilbereich der Teilchenphysik ist.
Du verwechselst an dieser Stelle das Objekt und die Perspektive. Die Wissenschaft als Perspektive ist keineswegs mit dem Objekt gleichzusetzen.

Jetzt kommst Du zusätzlich in vielen Bereichen, die gar nicht mehr, also beim besten Willen nicht, mehr in eine wie auch immer geartete Hierarchie einzustufen sind.
Dann rufen die Positivisten laut "Scheinproblem" und glauben, das Problem sei gelöst. Zur Abwechslung wird auch lauthals Postuliert, dass das Problem sicher eines Tages
gelöst werden wird. Es wird einfach so gesagt.
Ich spreche im Bereich der Psychologie vor allem Themen wie das Qualia-Problem an, das man nicht so einfach wegdiskutieren kann. Das ist eine harte Nuss, an der sich
die Philosophie seit 2000 Jahren die Zähne ausbeisst und viele, die aus den Naturwissenschaften groß die Klappe aufgerissen haben, sind inzwischen wieder sang- und klanglos
in der Versenkung verschwunden.

rincewind

Zitat von: Manolo am 07. Mai 2011, 19:34:13
Ich spreche im Bereich der Psychologie vor allem Themen wie das Qualia-Problem an, das man nicht so einfach wegdiskutieren kann. Das ist eine harte Nuss, an der sich
die Philosophie seit 2000 Jahren die Zähne ausbeisst und viele, die aus den Naturwissenschaften groß die Klappe aufgerissen haben, sind inzwischen wieder sang- und klanglos
in der Versenkung verschwunden.

Ne nette Qualia-Diskussion hat hier eigentlich schon immer gefehlt. Würde die allerdings eher lesend als teilnehmend mit verfolgen, man genießt ja still am Besten :D

T-M

Zitat von: rincewind am 07. Mai 2011, 21:13:44
Ne nette Qualia-Diskussion hat hier eigentlich schon immer gefehlt.

Huch? Gab es noch keine Diskussion zu dem Thema? Ich dachte, das wäre bestimmt schon vor ewigen Zeiten dran gewesen oder so. Ist immerhin ein interessantes Thema.

rincewind

Zitat von: T-M am 08. Mai 2011, 00:02:53
Huch? Gab es noch keine Diskussion zu dem Thema? Ich dachte, das wäre bestimmt schon vor ewigen Zeiten dran gewesen oder so. Ist immerhin ein interessantes Thema.

Naja, Diskussion, das waren höchstens 50 Beiträge oder so, fals ich mich recht erinnere  ;D

Aber kannst Dich ja schon mal einlesen:
http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/philosophie/siebert-carsten/HTML/

Ratiomania

Zitat von: Manolo am 07. Mai 2011, 19:34:13
[...]
die Philosophie seit 2000 Jahren die Zähne ausbeisst und viele, die aus den Naturwissenschaften groß die Klappe aufgerissen haben, sind inzwischen wieder sang- und klanglos
in der Versenkung verschwunden.

Mag sein. Bedeutet dass jetzt das es da "draußen" noch mehr geben muss als das naturalistische Weltbild uns vordiktiert?

Keine Ahnung.

Wobei ich aber wetten würde, dass man auf altbewerte Weise nen Modell zusammenbastelt und misst, was es zu messen gibt.

So wie eigentlich immer.

Wenn das Modell irgendwann den Qualia entspricht, gut, wenn nicht auch gut. Nur eben kein Kreuzes und Scheideweg einer wie auch immer gearteten "Wissenschaftlichen Revolution".


NuEM

Natürlich ist so gesehn alles Physik. Die Trennung beruht auf unserer Beschränktheit und Unfähigkeit, aus der Quantenmechanik oder was auch immer z.B. direkt menschliches Verhalten ableiten zu können. Da aber der Sinn der Wissenschaft darin besteht, unserer Verständnis von der Welt zu verbessern, ist es sinnvoll und notwendig, das ganze über verschiedenen Abstraktionsebenen anzugehen.

Manolo

Ratiomania, Dein Optimismus steht auf tönernen Füßen. Und es ist jetzt wirklich schwer, im Rahmen dieses Forums meine Einschätzung zu erklären, weil das Thema erschlagend groß ist und sich immens viele Möglichkeiten ergeben, voreilige Schlussfolgerungen zu begehen.
Es erschöpft sich eben nicht im "Messen und Modell zusammenbasteln", was auch immer das im konkreten Fall bedeuten soll.
Ich kann Dir nur raten, Dich etwas in die Thematik und die unterschiedlichen Positionen einzulesen.
Als Lesetip kann ich Dir Hans Gollers "Das Rätsel von Körper und Geist. Eine philosophische Deutung" empfehlen. Kannst es Dir ja mal in Deiner Uni-Bib ausleihen, wenn es Dich interessiert. Es ist sehr verständlich geschrieben und locker herunterzulesen und beileibe nicht so trocken wie Beckermanns "Analytische Einführung in die Phiosophie des Geistes", bei dem man auch Spaß an Formallogik zwingend mitbringen muss.

Manolo

Zitat von: NuEM am 08. Mai 2011, 17:37:06
Natürlich ist so gesehn alles Physik.

Selbst bodenständigste Neurowissenschaftler, so z.B. Vilayanur Ramachandran, haben bereits eingeräumt, dass die Frage, ob alles Physische nicht in letzter Konsequenz nur Geistiges ist, noch nicht abschließend geklärt werden kann.
Was ist mit diesem Mann? Etwa ein Spinner? Ein metaphysischer Träumer?
Nein, vielmehr jemand, dem die erkenntnistheoretischen Rahmenbedingungen geläufig sind und somit die Annahmen des Konstruktivismus nicht unvertraut sind.