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Lesenswert: Kommunismus-Debatte Utopie und Terror

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Begonnen von cohen, 11. Januar 2011, 21:00:45

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zwingenberger

Kategoriefehler, Belbo! In der Demokratie geht es im Gegensatz zum Kommunismus nicht um einen bestimmten Inhalt, sndern um einen Prozess, mit dem man Inhalte erzeugt. Und vor allem: es gibt hier nicht die Annahme, Geschichte könne einmal ein Ende haben, in dem ein Weltgeist sich selbst erkennt.

Conni

Zitat von: Ridcully am 12. Januar 2011, 23:48:53
Zitat von: Conni am 12. Januar 2011, 22:43:03
ZitatAusserdem wäre in diesem Zusammenhang zu klären, ob ein kommunistischen Utopie einen solchen Wahrheitsanspruch begrifflich voraussetzt. Ich denken nicht....

Erklärst Du mir das mal bitte näher - ohne mich auch "Arschloch" zu nennen?  ;)

Gerne, wenn du mich dafür nicht Stalinist oder so nennst.

Habe ich das jemals getan?

Belbo

Das Problem auf das ich hinweisen möchte ist, dass im Verständnis vieler Befürworter der Begriff Kommunismus einzig eine bestimmte Verteilung des Geldes ( bzw. der Produktionsmittel) bedeutet, und eben nicht Klassenkampf, Diktatur des Proletariats, Gulag und stalinistische Säuberung. Diesen Verteilungszustand glauben Sie auch mit demokratischen Mitteln (einer Mehrheitsbildung für diese Umverteilung durch Argumentation) erreichen zu können. Ob das in Anbetracht des menschlichen Wesens blauäugig ist oder nicht ist disskutierbar. Ich gehe mal davon aus, dass alle die hier den Kommunismus verteidigen das so sehen und keine Revolution und Diktatur starten wollen. Und ich gehe mal davon aus dass alle die auf den Kommunismus losgehen die Diktatur meinen, und nicht die die der Meinung sind dass die derzeitigen Verhältnisse auf der welt ziemlich ungerecht sind, vorallem wenn man etwas wie einen Gleichheitsgrundsatz ( nicht des Wesens aber der Chancen) zu Grunde legt. Ich persönlich glaube, dass der ausgewogene Umgang mit dem Spannungsverhältnis zwischen menschlichem Egoismus (letztlich durch den Drang seine eigenen Gene zu reproduzieren) und seiner sozialen Seite (durch die Prägung als Hordentier) die politisch- philosophische Fragestellung ist, und das wie meistens,  eine dogmatische Lösung die nur eine Seite zu ihrem Recht kommen lässt zum Scheitern verurteilt ist, und eben genau in Ausbeutung und Diktatur mündet.

lg
Belbo

Belbo

....gilt eigentlich noch der Kinderspruch.....wers sagt ist es?  ;)

lg
Belbo

heterodyne

Zitat von: zwingenberger am 13. Januar 2011, 09:05:44
Der Kommunismus wird von seinen Anhängern als Endzweck der Geschichte verstanden. Etwas besseres kann es per definitionem nicht geben. Jegliche Änderung wäre ein Rückschritt und muss also unterbunden werden. Das schließt Pluralismus und Suche nach Weiterentwicklung automatisch aus. Direkte Folge: Repression. Der real existierende Sozialismus, auf dessen Unvollkommenheit sich die Apologeten des Kommnismus herauszureden versuchen, leidet aber an demselben Punkt: auf dem Weg zum Kommunismus darf es natürlich auch keine Rückschritte geben, weil sie sich - per definitionem - von dem angestrebten Endzweck entfernen. Direkte Folge: Repression. Man kann es also drehen und wenden wie man will.

Der Punkt, an dem Repression beginnt, befindet sich ganz am Anfang, und er wirkt bis ganz ans Ende. Es ist die Definition eines Endzwecks von Geschichte und gesellschaftlicher Entwicklung. Daran ist prinzipiell nichts heilbar, es ist der Geburtsfehler des Kommunismus und aller Wege dorthin.

Scheiß Hegel...
Das ist aber nicht immanent dem Kommunismus sondern ein Problem einer jeden Ideologie, bzw deren fanatischer Vertretung.

Ridcully

Zitat von: zwingenberger am 13. Januar 2011, 09:05:44
Der Kommunismus wird von seinen Anhängern als Endzweck der Geschichte verstanden.

Zumindest ein populärer Vertreter sah das ganz anders:

Zitat von: MarxDer Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.

Insofern wäre für Marx schon die Frage der Konferenz "Wege zum Kommunismus" falsch gestellt. Marx & Engels haben sich nicht umsonst vom "utopischen Kommunismus" distanziert, der eine erdachte Utopie anstrebt, ohne sich um die tatsächlichen Verhältnisse zu kümmern.

Zitat von: zwingenberger am 13. Januar 2011, 09:05:44Etwas besseres kann es per definitionem nicht geben.  Jegliche Änderung wäre ein Rückschritt und muss also unterbunden werden. Das schließt Pluralismus und Suche nach Weiterentwicklung automatisch aus. Direkte Folge: Repression.

Der Punkt ist nur, dass auch wenn man unter "Kommunismus" so einen theoretischen Endzustand versteht, niemand weiss, wie der genau aussieht. Also muss man sich weiter drüber streiten.

Zitat von: zwingenberger am 13. Januar 2011, 09:05:44Der real existierende Sozialismus, auf dessen Unvollkommenheit sich die Apologeten des Kommnismus herauszureden versuchen, leidet aber an demselben Punkt: auf dem Weg zum Kommunismus darf es natürlich auch keine Rückschritte geben, weil sie sich - per definitionem - von dem angestrebten Endzweck entfernen. Direkte Folge: Repression. Man kann es also drehen und wenden wie man will.

Auch hier wieder der Knackpunkt: dafür muss man sich sicher sein, den allein richtigen Weg zu kennen und zu beschreiten. Das war bei den Stalinisten der Fall. Aber schon wer nach "Wegen zum Kommunismus" fragt, ist sich offenbar nicht so sicher.

Zitat von: zwingenberger am 13. Januar 2011, 09:05:44Der Punkt, an dem Repression beginnt, befindet sich ganz am Anfang, und er wirkt bis ganz ans Ende. Es ist die Definition eines Endzwecks von Geschichte und gesellschaftlicher Entwicklung. Daran ist prinzipiell nichts heilbar, es ist der Geburtsfehler des Kommunismus und aller Wege dorthin.

Scheiß Hegel...

Da kommen wir wieder zur Geschichtsphilosophie . Ich sehe nicht, wieso die Vorstellung einer gesetzmäßig auf einen bestimmten Endpunkt hin verlaufende Geschichte zwingend zu kommunistischen Vorstellungen gehört. Schon Marx schwächt Hegels Weltgeist zu blossen gesellschaftlichen Zwängen und daraus resultierenden Entwicklungstendenzen ab. Die ganzen großen kommunistischen Experimente haben Marx Geschichtsphilosophie dann ignoriert und wollten gleich von der Agrargesellschaft unter Umgehung des Kapitalismus in ihr kommunistische Utopia kommen. Tatsächlich haben sie den Kapitalismus eingeführt, was man wenn man will als Bestätigung marxscher Geschichtsphilosophie sehen kann.

Vom Ende der Geschichte habe zuletzt andere geredet, auch die globale Durchsetzung von freiem Markt + repräsentativer Demokratie wird von nicht wenigen als idealer Endzustand der Geschichte geredet. Ich würde die deshalb nicht zu totalitären Feinden der Freiheit erklären, nur weil es ihnen an Phantasie mangelt.


Zitat von: Conni am 13. Januar 2011, 09:58:28Habe ich das jemals getan?

Nein und deshalb nenn ich dich auch nicht Arschloch. Aber wie wäre es mit einer Präzisierung deiner oben gestellten Frage?


glatzkopf


wenn ich mir das (politische/wirtschafliche) Leben in unserer Gesellschaft
so anschaue, dann frage ich mich immer schon, ob das wirklich schon das
Ende der sozialen Menschlichen Entwicklung sein soll. Wie lange wird der
Exportweltmeister noch auf Kosten der Importeure leben können? Wie lange
wird speziell hier in Deutschland - in anderen Ländern kenne ich mich noch
weniger aus - das ewige Umverteilen von unten nach oben noch funktionieren?
Wann gibt es bei uns das erste Tunesien, wann kommen die Leuts aus den
Pariser Vororten in das Ruhrgebiet?

Demokratie ist die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit.

Ridcully

Was für reaktionäre Deppen sich auf der Konferenz rumtrieben, kann man übrigens zum Beispiel bei der Fragerunde zu Moshe Zuckermann Vortrag sehen. Israel der von den USA ferngesteuerte koloniale Rüpel, eine Gefahr für den Weltfrieden, die Hamas hingegen gehört anscheinend zu den "progressiven Kräften" und ganz zum Schluss kommt sogar noch die zionistischen Lobby in den USA zu Ehren, das wird dann auch Zuckermann zuviel.


Zitat von: glatzkopf am 13. Januar 2011, 12:39:57Demokratie ist die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit.

Da kann man sich drüber streiten, ob das noch Demokratie ist oder nicht auch ein starker Schutz der Minderheiten dazugehört. Kann man gerade in der Schweiz bewundern, wie eine reine Mehrheitsdiktatur aussieht.

Conni

ZitatAber wie wäre es mit einer Präzisierung deiner oben gestellten Frage?

Eigentlich so wie es Zwingenberger ausgedrückt hat. Ich hab aber momentan keine Zeit f. Gesellschaftsphilisophien, da ich mit Dioxinen und Wikipedia beschäftigt bin.  :-\

( http://forum.psiram.com/index.php?topic=5496.msg61194#msg61194)

glatzkopf


ZitatKann man gerade in der Schweiz bewundern, wie eine reine Mehrheitsdiktatur aussieht.
als schönes Beispiel geht immer gut:
"Stimmen zwei Wölfe und ein Schaf über das nächste Mittagessen ab."

zwingenberger

@ glatzkopf:

Ein schönes Beispiel, das zeigt, dass es mit dem Demokratieprinzip alleine nicht getan ist. Das Grundgesetz stellt die notwendige Balance durch das konkurrierende Rechtsstaatsprinzip her. Das gibt in der Konkurrenz zum Demokratieprinzip, grob gesagt, an, dass man nicht über alles demokratisch verfügen darf.

Im Grunde bestätigt das etwas, was ich weiter ober schon mal angemerkt habe: Demokratie ist mangels Inhalten keine Ideologie, man kann sie mit allem möglichem auffüllen. Das Rechtsstaatsprinzip sagt aus, dass es eine Grenze der demokratischen Disposition gibt. Welches die Inhalte sind und wo die Grenze verläuft, ergibt sich aus diesen Prinzipien selbst aber nicht.

Deshalb ist es ganz falsch, Demokratie mit Kommunismus zu konfrontieren. Das einzige, was man sagen kann, ist, dass es im erträumten Zustande des Kommunismus kein Demokratie geben kann und dass das Rechtsstaatsprinzip überflüssig wäre.

Ridcully

Zitat von: zwingenberger am 14. Januar 2011, 09:33:50Ein schönes Beispiel, das zeigt, dass es mit dem Demokratieprinzip alleine nicht getan ist. Das Grundgesetz stellt die notwendige Balance durch das konkurrierende Rechtsstaatsprinzip her. Das gibt in der Konkurrenz zum Demokratieprinzip, grob gesagt, an, dass man nicht über alles demokratisch verfügen darf.

Doch wohl eher über die Grundrechte und die Unabänderbarkeit gewisser Grundprinzipien. Ein Rechtsstaat ist auch mit inhaltlich unbegrenztem Demokratieprinzip zu haben.

Zitat von: zwingenberger am 14. Januar 2011, 09:33:50Im Grunde bestätigt das etwas, was ich weiter ober schon mal angemerkt habe: Demokratie ist mangels Inhalten keine Ideologie, man kann sie mit allem möglichem auffüllen. Das Rechtsstaatsprinzip sagt aus, dass es eine Grenze der demokratischen Disposition gibt. Welches die Inhalte sind und wo die Grenze verläuft, ergibt sich aus diesen Prinzipien selbst aber nicht.

Die Legitimität der Herrschaft der Mehrheit selbst ist doch der Inhalt der demokratischen Ideologie. Die erscheint uns vielleicht nicht als solche, weil wir sie als selbstverständlich akzeptieren. Nur ist das geschichtlich eine eher neue Einstellung, davor war Demokratie über Jahrtausende als Herrschaft des Pöbels verschrien.

Zitat von: zwingenberger am 14. Januar 2011, 09:33:50Deshalb ist es ganz falsch, Demokratie mit Kommunismus zu konfrontieren.

Das hat Belbo auch nicht gemacht, er verglich die Argumentation der Anhänger von Demokratie/Kommunismus, es handele sich um den idealen Endzustand der Geschichte und jeder Rückschritt sei zu bekämpfen. Inhaltlich wäre es schon deshalb Unsinn, beide "zu konfrontieren", weil Kommunisten sich als Demokraten sehen. Man müsste also eher verschiedene Vorstellungen von Demokratie differenzieren und die Unterschiede herausarbeiten.

Zitat von: zwingenberger am 14. Januar 2011, 09:33:50Das einzige, was man sagen kann, ist, dass es im erträumten Zustande des Kommunismus kein Demokratie geben kann und dass das Rechtsstaatsprinzip überflüssig wäre.

Warum?

glatzkopf

ZitatEin Rechtsstaat ist auch mit inhaltlich unbegrenztem Demokratieprinzip zu haben.

es ist also Demokratie wenn die Starken Wölfe die Schwachen Schafe fressen?

Ridcully

Nein - wenn die Mehrheit (Wölfe) beschliessen kann, die Minderheit (Schafe) zu fressen. Oder wahrscheinlicher, die Mehrheit der Schafe die Minderheit der Wölfe zum Veganismus verurteilen kann. Mit Stärke hat das nichts zu tun, die Starken werden tendenziell eher in der Minderheit sein. Eben darauf bauen die Kommunisten.

NuEM

Eine interessante Diskussion. Schön, dass sie mal wieder geführt wird. Und schön, dass ein gewisses Niveau schließlich doch gehalten wurde. Ich möchte noch gerne einwerfen, dass es auch in Westdeutschland, speziell in den 50iger und 60iger Jahren, staatliches Unrecht, Beschneidung von Freiheiten, Überwachung, Berufsverbote etc. gab. Sicher nicht in dem Ausmaß wie in der DDR, und ich möchte auch keine neuen Vergleiche anfangen. Trotzdem hat es so etwas gegeben, und wird heute gerne mal unterschlagen und unter den Teppich gekehrt, die Opfer ignoriert und im Stich gelassen.