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Is Matter Conscious?

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Begonnen von celsus, 25. März 2019, 12:38:57

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celsus

Länglicher Artikel, bei dem ich nicht sicher bin, ob das Radikaler Konstruktivismus oder (Geistes-)Wissenschaft ist.

ZitatThe possibility that consciousness is the real concrete stuff of reality, the fundamental hardware that implements the software of our physical theories, is a radical idea. It completely inverts our ordinary picture of reality in a way that can be difficult to fully grasp. But it may solve two of the hardest problems in science and philosophy at once.

http://nautil.us/issue/47/consciousness/is-matter-conscious
The best thing about science is that it works - even if you don't believe in it.

Peiresc

Ich geh einfach mal unsystematisch durch und schreibe meine unfertigen Gedanken drunter:

ZitatThe nature of consciousness seems to be unique among scientific puzzles. Not only do neuroscientists have no fundamental explanation for how it arises from physical states of the brain, we are not even sure whether we ever will.
Warum? Jedes wissenschaftlich ungeklärte Problem ist einzigartig. Man muss da nicht unbedingt von ,,Rätsel" sprechen: das setzt gleich mal den Ton.

ZitatOur first-person experience, on the other hand, lies beyond the traditional methods of science.
Auch hier: warum? Meine eigene "first person experience", von mir allein und isoliert betrachtet, mag außerhalb der Reichweite von Wissenschaft liegen, aber die Charakteristika der ,,Bewusstheiten" (oder wie man das jetzt nennen will) anderer sind keineswegs unerkennbar. Man nennt die Wissenschaften, die sich mit ihnen befassen, übrigens Psychologie, Neuropsychologie und Psychiatrie.

ZitatWhat is physical matter in and of itself, behind the mathematical structure described by physics? This problem, too, seems to lie beyond the traditional methods of science, because all we can observe is what matter does, not what it is in itself
Die Materie, die real existierenden Objekte, ohne jede (direkt oder indirekt beobachtbare oder erschließbare) Eigenschaft? Die Ursubstanz? Das Kantsche Ding-an-sich? Es besteht, jenseits der Denkmöglichkeiten, keine Notwendigkeit anzunehmen, dass es so etwas gibt. Kein Ding ohne Eigenschaft, und keine Eigenschaft ohne Ding, behaupte ich jetzt mal (als Bungianer, der ich momentan bin).

ZitatThis problem [der Entstehung von Bewusstsein] is distinctively hard because its solution cannot be determined by means of experiment and observation alone.
Aber auch das gilt für alle Probleme. Der Empirismus allein kann sie sämtlich nicht lösen. Man braucht auch noch eine Theorie, einen Rahmen.

ZitatHow and why does a system that integrates information, broadcasts a message, or oscillates at 40 hertz feel pain or delight? The appearance of consciousness from mere physical complexity seems equally mysterious no matter what precise form the complexity takes.
Ich denke, eine solche Frage muss man in viele Teilschritte zerlegen, dann verliert sich das Mysteriöse.

ZitatWhy couldn't we have just the physical process, but no consciousness?
Öhm, wer im Koma ist, hat "just the physical process", aber kein Bewusstsein. Können wir also doch! ;)

ZitatIn general, it seems all fundamental physical properties can be described mathematically. Galileo, the father of modern science, famously professed that the great book of nature is written in the language of mathematics. Yet mathematics is a language with distinct limitations. It can only describe abstract structures and relations.
Gewiss:
ZitatFormalwissenschaften – die semantisch neutral sind, d. h. keine Aussage über die Welt machen (dazu müssen sie erst interpretiert, das heißt angewendet, ihre Formelzeichen mit einer konkreten Bedeutung ausgestattet werden)
https://blog.psiram.com/2018/12/lesereise-4-wahrheit-semantik-erkenntnistheorie/
Aber was folgt daraus jetzt für die Natur der Dinge? Ist das eine Erkenntnisschranke?

ZitatThe most common monistic view is physicalism (also known as materialism), the view that everything is made of physical stuff, which only has one aspect, the one revealed by physics. This is the predominant view among philosophers and scientists today. According to physicalism, a complete, purely physical description of reality leaves nothing out.
Die schlichte Antwort darauf ist: Natürlich ist die Physik allein nicht in der Lage, die Welt in ihrer Komplexität zu beschreiben. Systeme haben Eigenschaften, die ihre Komponenten nicht haben. Die Behauptung einer Identität von Materialismus und Physikalismus ist irreführend.

ZitatBut according to the hard problem of consciousness, any purely physical description of a conscious system such as the brain at least appears to leave something out: It could never fully capture what it is like to be that system. That is to say, it captures the objective but not the subjective aspects of consciousness: the brain function, but not our inner mental life.
Diese Frage geht auf Thomas Nagel zurück: "what is it like to be a bat". Das Problem damit ist: sie ist so unscharf, dass keine Antwort möglich ist. Eric Lormand [The Philosophical Review, 113 (2004); 303-357] hat versucht, sie logisch zu analysieren: das war ziemlich komplex (ich habe es nicht alles gerafft) und führt in ein einziges Kuddelmuddel. Lormand schließt mit:
ZitatWe can deduce the existence of conscious experience from certain scientifically explicable facts. If one innerly perceives a mental state as being some way, if this inner perception binds with the state, and if this inner perception is centrally available, then it follows, as a matter of conceptual necessity, that there is something it is like for one to have the state. Given a general theory of semantic content, we can also deduce what in particular it is like to have the mental states. There is no explanatory gap between nonphenomenal material and phenomenal feels.

Was ist zu tun?
Zitat[Bertrand] Russell's dual-aspect monism tries to fill in this deficiency. It accepts that the brain is a material system that behaves in accordance with the laws of physics. But it adds another, intrinsic aspect to matter which is hidden from the extrinsic, third-person perspective of physics and which therefore cannot be captured by any purely physical description. But although this intrinsic aspect eludes our physical theories, it does not elude our inner observations.
Wenn es keine Defizienz gibt, dann muss auch keine gefüllt werden. Schon gar nicht von denkenden Elektronen.

ZitatBut many find this unconvincing. Perhaps it is just a matter of time, though. The original hard problem, in one form or another, has been pondered by philosophers for centuries. The combination problem has received much less attention, which gives more hope for a yet undiscovered solution.
Ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Die meisten Probleme sind durch Nachdenken allein nicht zu lösen – sonst wären sie es längst.
:teufel

Zitat von: celsus am 25. März 2019, 12:38:57bei dem ich nicht sicher bin, ob das Radikaler Konstruktivismus oder (Geistes-)Wissenschaft ist.
Für meine Begriffe: am ehesten gemäßigter Konstruktivismus.

celsus

Mein erster Eindruck war, dass hier etwas für unerklärlich erklärt wird, um es nicht erklären zu müssen. Mir kam natürlich gleich der Computer in den Sinn: Ist es die Hardware, die rechnet? Oder sind es die Elektronen, die rechnen? Das ist ebenfalls keine Entwederoder-Frage, sondern nur das Zusammenspiel führt zum gewünschten Ergebnis. Oder ist das zu einfach gedacht?
The best thing about science is that it works - even if you don't believe in it.

Schwuppdiwupp

Vielleicht.

Aber die Sache wird dann interessant (und möglicherweise brisant), wenn Computer Dank künstlicher Intelligenz an einem noch zu bestimmenden Punkt ein eigenes Bewusstsein entwickeln.
Ach, was weiß denn ich ...

Peiresc

Nochmal zum ,,harten Problem des Bewusstseins". Ich zitiere aus dem WP-Artikel von David Chalmers
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Chalmers#Das_schwierige_Problem_des_Bewusstseins
ZitatMit Hilfe von bildgebenden Verfahren können wir sogar herausfinden, welche Prozesse im Gehirn ablaufen, wenn wir Schmerzen im Finger erleben. Nur, so Chalmers, wir haben dennoch nicht die geringste Ahnung, warum es dabei weh tut! Warum passieren all diese Prozesse nicht, ohne dass dabei auch nur ein Funken Bewusstsein entsteht? Dies ist das harte Problem des Bewusstseins und auch das klassische Qualiaproblem, wie es von Thomas Nagel, Frank Cameron Jackson und Joseph Levine formuliert wurde.
Das begreife ich nicht. Auch der Komatöse verspürt Schmerz, ohne dass dabei auch nur ein Funken Bewusstsein entstehen muss. Das ist geradezu die Definition des Komas: auch auf Schmerzreize hin keine Erweckbarkeit. Selbstverständlich kann (muss) der Komatöse auf Schmerzreize reagieren; mit Grimassieren und einer gezielten oder - tieferes Koma - ungezielten Abwehrbewegung. Auf andere Reize hin reagiert er auch, aber anders. Ebenso der apallische Patient mit erloschenen Bewusstseinsinhalt aber erhaltener Wachheit. Nicht zu reden von Tieren: haben sie ein Bewusstsein?

Mario Bunge meint:
Zitat"Is the "hard" problem soluble? Of course not if posed in cryptic terms. Kim (op. cit.: 223) and other philosophers of mind do not take this view. They claim that one thing is certain: Brain science cannot solve that problem. This would be because the concept of pain "does not even occur" in brain science. But it does: it occurs in cognitive neuroscience, neurology, anesthesiology, psycho-neuro-immunology, and psycho-neuro-pharmacology. To check this statement, just peruse any of the journals devoted to these sciences."

[Bunge, Matter and Mind]

Wieder WP:
ZitatDem schwierigen Problem stellt Chalmers ein ,,einfaches" (the easy problem of consciousness) Problem gegenüber. Dieses einfache Problem umfasst all die psychischen Phänomene, die nicht direkt von der Frage nach dem Erlebnisinhalt bzw. den Qualia abhängen. Also etwa Lernen, Gedächtnis, Denken oder Problemlösen.
So referiert, ergibt sich: wenn ,,Lernen, Gedächtnis, Denken oder Problemlösen" ein ,,einfaches", lösbares Problem sind – dann bleibt nur die begleitende Emotion als ,,schwieriges Problem" übrig. Es ist aber überhaupt kein Grund erkennbar, warum das schwieriger sein sollte. Emotion ist phylogenetisch älter, primitiver als Denken.

Peiresc

Zitat von: Schwuppdiwupp am 25. März 2019, 17:06:43
wenn Computer Dank künstlicher Intelligenz an einem noch zu bestimmenden Punkt ein eigenes Bewusstsein entwickeln.

Ich bin da unentschlossen. Es gibt eine Reihe von Einwänden, ich nenne zwei:
1) Das erste Problem ist, ein Problem als solches zu identifizieren. Dafür gibt es keinen Algorithmus (Bunge nennt das "inverses Problem"). Computerprogramme sind - meinetwegen komplexe - Algorithmen. Was tut der Computer, wenn er nicht "weiß", was er tun soll?
2) Im ZNS findet ein fortwährender Umbau der "Hardware" statt: Synapsen entstehen und vergehen, häufig benutzte Assoziationen werden gebahnt usw. Nennt sich Plastizität. Auch wenn das Gehirn nach außen hin gar nichts tut, ist es fortwährend mit sich beschäftigt. Dafür könnte man vielleicht noch eine Metapher, eine Analogie im Rechner finden: Wartungsschleifen, Updates und so. Aber das sind alles vorprogrammierte Ereignisse. Aber baut der Computer von allein seine Hardware um?

Das Denken ist nur ein winziger Anteil der Hirntätigkeit des Menschen, es ist aus ihr (bisher jedenfalls) nicht herauslösbar. Und wenn man sich mal anschaut, unter welchen sterilen, definierten Bedingungen Computer welche Fehler machen: es sieht nicht so aus, als hätten sie eine innere Repräsentanz äußerer Objekte.

Oder anders ausgedrückt: was ist komplexer: ein einzelliges Lebewesen, sagen wir ein Pantoffeltierchen, oder ein Supercomputer?

Schwuppdiwupp

Für meinen simplen Hausfrauenverstand ist das erste Problem kein Problem. Denn Schachprogramme entscheiden nachweislich immer. (Jedenfalls habe ich noch von keiner Unentschlossenheit gelesen, in der ein Schachcomputer wegen Zeitüberschreitung verloren hätte.)

Auch wenn es jetzt noch keine Algorithmen für die Selbstprogrammierung geben soll - es muss sie geben. Unser Gehirn funktioniert ja. Und ich ahne, dass die geforderte Platizität in einem komplexen, auf Silicium basierendem Netzwerk letzendlich viel einfache als bei einem neuronalen Netzwerk (Gehirn) umzusetzen ist. Die Evolution dauerte Milliarden Jahre. Die Siliciumrevolution wird - so ich Recht habe - innerhalb weniger Jahrhunderte stattfinden.

Ist natürlich nur eine Spekulation von mir.


PS: Hoffentlich behalte ich nicht Recht!
Ach, was weiß denn ich ...

Peiresc

Zitat von: Schwuppdiwupp am 25. März 2019, 17:39:25
Denn Schachprogramme entscheiden nachweislich immer.
Sie entscheiden nicht über die Regeln des Schachspiels. Die sind fest verdrahtet. Das ist eine sterile, definierte Umgebung, mit Algorithmen zu beherrschen.

Peiresc

Wer selber mal versucht hat, ein Programm zu schreiben, stellt fest: man muss sich über alle auch nur theoretisch vorkommenden Ereignisse selber Gedanken machen. Von allein produziert das Programm nur eines: generische Fehlermeldungen.

celsus

Zitat von: Peiresc am 25. März 2019, 17:24:09Dafür könnte man vielleicht noch eine Metapher, eine Analogie im Rechner finden: Wartungsschleifen, Updates und so. Aber das sind alles vorprogrammierte Ereignisse. Aber baut der Computer von allein seine Hardware um?

Ja und nein. Es gibt tatsächlich programmierbare Hardware, in der physikalische Änderungen stattfinden können. Neuronale Computernetze sind aber so konstruiert, dass keine Änderung der Hardware notwendig ist, weil genug Schaltzellen vorhanden sind, um rein elektrisch neue Verknüpfungen herstellen zu können. Das Ergebnis ist dann eben nicht wie im Gehirn, dass Neuronen bestimmte Verbindungen herstellen, sondern dass nur ein Teil der vorhandenen elektronischen Neuronen genutzt wird.

Das führt zur Frage: Ist es eine Änderung an der Hardware, wenn Ladungen bewegt werden? Oder sind die Ladungen Teil der Software? Vielleicht ist die Abgrenzung auch bei künstlichen Gehirnen nicht so scharf. Ein Denkmechanismus lässt sich ja auf unterschiedliche Weise nachbilden, notfalls auch mit Schiebern und Zahnrädern.
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celsus

Zitat von: Peiresc am 25. März 2019, 17:48:03
Wer selber mal versucht hat, ein Programm zu schreiben, stellt fest: man muss sich über alle auch nur theoretisch vorkommenden Ereignisse selber Gedanken machen. Von allein produziert das Programm nur eines: generische Fehlermeldungen.

Nein, nicht unbedingt. Es genügt im Prinzip, dem Computer beizubringen, wie er ein Programm schreiben kann. Das findet auch schon statt. Die Ergebnisse sind dann nicht mehr determiniert.
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Peiresc

Zitat von: celsus am 25. März 2019, 18:01:41
Nein, nicht unbedingt. Es genügt im Prinzip, dem Computer beizubringen, wie er ein Programm schreiben kann. Das findet auch schon statt. Die Ergebnisse sind dann nicht mehr determiniert.

Hast Du mal ein leicht fassliches Beispiel (von dem Du mir zutraust, dass ich es in Grundzügen verstehe)?

Schwuppdiwupp

Ein Beispiel habe ich nicht. Aber kann KI nicht genau das?
Ach, was weiß denn ich ...

celsus

Zitat von: Peiresc am 25. März 2019, 18:08:57
Zitat von: celsus am 25. März 2019, 18:01:41
Nein, nicht unbedingt. Es genügt im Prinzip, dem Computer beizubringen, wie er ein Programm schreiben kann. Das findet auch schon statt. Die Ergebnisse sind dann nicht mehr determiniert.

Hast Du mal ein leicht fassliches Beispiel (von dem Du mir zutraust, dass ich es in Grundzügen verstehe)?

Im einfachsten Fall ist es das Machine Learning, das momentan überall als KI verkauft wird. Der Algorithmus steht da nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem Ergebnis. Das ist eine automatisierte Optimierung von Algorithmen.

Google z.B. arbeitet an Maschinen, die ihren eigenen Code schreiben, nach gewissen Zielvorgaben. Wie (und ob) die Maschine dieses Ziel erreicht, ist wiederum nicht determiniert.

Das führt natürlich zu seltsamen Konsequenzen. Bisher ist es so, dass "Computerfehler" immer "Programmierfehler" bedeutet. Wenn automatisiert erzeugter Code zu Fehlern führt, ist plötzlich niemand mehr für das Resultat verantwortlich.

Edit: Jetzt suche ich die ganze Zeit den Artikel, in dem das Verfahren beschrieben wurde, aber ich finde den einfach nicht mehr.
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Peiresc

Zitat von: celsus am 25. März 2019, 18:35:33
Das führt natürlich zu seltsamen Konsequenzen. Bisher ist es so, dass "Computerfehler" immer "Programmierfehler" bedeutet. Wenn automatisiert erzeugter Code zu Fehlern führt, ist plötzlich niemand mehr für das Resultat verantwortlich.
Ideal für Großkonzerne. Und wenn zwei selbstfahrende Autos zusammenkrachen, ist niemand schuld. Ist wie Blitzschlag, shit happens.

Aber die Gedanken gehen noch weiter. Die Amerikaner wollen ihre Verantwortlichkeit gleich ganz aufgeben (immer noch besser als von Trump regiert zu werden):
ZitatCould a Robot Be President?
Yes, it sounds nuts. But some techno-optimists really believe a computer could make better decisions for the country—without the drama and shortsightedness we accept from our human leaders.
https://www.politico.com/magazine/story/2017/07/08/robot-president-215342