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Heiligenfeld-Kliniken

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Begonnen von Neumann, 04. Mai 2015, 13:34:12

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Neumann

Ich wurde dieser Tage von einem Freund um Rat gebeten:
Ein Familienmitglied befindet sich seit nunmehr fünf Wochen auf Veranlassung des Hausarztes (den ich als absolut seriös und esotherikfern einschätze) in einer Heiligenfeld-Klinik in "Therapie". Ziel der Behandlung ist das Absetzen eines niedrigdosierten Psychophamarkums.
Die Behandlung war zunächst auf drei Wochen angesetzt, wurde dann auf Empfehlung der Klinik auf fünf Wochen verlängert und soll nun ein weiteres Mal verlängert werden.
Was meinem Bekannten größte Sorgen macht:
Die Behandelte war ein absoluter Familienmensch. Tägliche Telefonate mit allen möglichen Verwandten waren die Regel. Bereits nach kurzer Zeit in der Klinik meldete sich die Person von sich aus bei keinem Familienmitglied mehr - die Kontaktaufnahme erfolgte nur noch in eine Richtung.
Dies hat sich nach einer "Kontaktsperrewoche", in der seitens der Klinik für eine Woche jeder Kontakt zu Bezugspersonen verboten wurde, noch einmal weiter verschärft.
Besuche und Gespräche verlaufen nur noch formell und emotionslos.
Ich verfügte über umfangreiche medizinische Vorbildung, bin was Psychiatrie anbelangt aber Halblaie. Ein mehrwöchiger stationärer Aufenthalt zum Ausschleichen eines niedrigdosierten Medikaments macht mich aber ebenso stutzig wie die geschilderte Wesensveränderung.
Die Informationen, die man zum Unternehmen Heiligenfeld und deren Weltbild finde, sind ja schon bedenklich. Verbunden mit einem weiteren, mir aus meinem Bekanntenkreis bekannten Fall, in der in besagter Klinik (leider erfolgreich) versucht wurde, Familienmitglieder für vermeintlich persönliche Probleme verantwortlich zu machen, lassen bei mir alle Alarmglocken klingeln.
Mein erster Rat war zunächst, die Person mit der Frage "Warum meldest du dich nicht mehr" zu konfrontieren, um hier eine erste Einschätzung über eine eventuelle Attribution vornehmen zu können. Außerdem habe ich einen gemeinschaftlichen Besuch aller nahen Familienmitglieder angeregt (bislang erfolgten die Besuche einzeln), damit die Angehörigen sich in der Gruppe ein Bild machen können (der Einzelne übersieht Auffälligkeiten leichter) und den Kontakt, egal über welche Kanäle, weiterhin dauerhaft aufrecht zu erhalten um einer Entfremdung von der Familie entgegenzuwirken. Auch habe ich - und da bin ich mir leider am wenigsten sicher - empfohlen, eine weitere Kontaktsperre nicht mehr hinzunehmen.
Ich würde mich über Ideen, Vorschläge oder Ratschläge zum weiteren Vorgehen freuen.

ajki

Die Heiligenfeld-Kliniken waren hier schon öfter mal Thema, zuletzt glaube ich hier.

Hinsichtlich des geschilderten konkreten Problems hilft natürlich die allgemeine kritische Betrachtung des Hauses gar nichts. Man darf nicht außer Acht lassen, dass die Einrichtung als solche eine anerkannte und in den Grenzen, in denen so etwas möglich ist, auch kontrollierte Klinik ist. Was im individuellen Fall intuitiv nicht oder wenig einzuleuchten vermag, kann im Zusammenhang eines therapeutischen Gesamtsettings durchaus (doch) sinnvoll oder gar notwendig sein.
every time you make a typo, the errorists win

Neumann

Die Diskussion habe ich verfolgt - und genau das nährt meine Zweifel: Jemandem, der einem derartig unwissenschaftlichen Weltbild anhängt, traue ich einfach nicht mehr zu, in anderen Bereichen seriös zu arbeiten. Auf Anerkennung und Kontrolle gebe ich persönlich auch wenig - das sind Homöopathen und Heilpraktiker auch  :grins2:

pelacani

In der Tat, schon die Ausgangslage ist ein bisschen eigentümlich. Wenn das Medikament niedrig dosiert ist, dann muss es doch nicht mehr ausgeschlichen werden? Am ehesten mag es sich um ein Benzodiazepin oder ein Schlafmittel (sog. Z-Substanz: Zolpidem, Zopiclon) handeln. Die sind für den Langzeitgebrauch nicht zugelassen, aber ihr Einsatz ist verbreitet. Die Fachpresse ist voll davon, wie schlimm die Abhängigkeiten sind (andererseits ist sie, was reale Gefahren eine low-dose-Abhängigkeit angeht, völlig nebulös und allgemein - und das aus gutem Grund, es gibt nämlich keine wirkliche Gefahr).

Kurz: in den meisten Fällen einer solchen Abhängigkeit ist die schlichte Weiter-Verordnung - gegen die reine Lehre - allemal das geringere Übel. Jeder erfahrene Arzt, und nicht nur der Psychiater, weiß das.

ajki

Das ist ja alles von Seiten der Freunde und Familie nachvollziehbar und möglicherweise berechtigt, das gute alte Mißtrauen. Es ist auch ohne Frage sicher so, dass eine bestimmte Art von Kunde mit Heiligenfeld nicht klarkommen wird (ich z.B.) - bzw. weit mehr, Heiligenfeld mit mir wahrscheinlich(st) nicht klarkommen würde (und ich wäre real zahlender "Kunde", kein Kassenpatient - selbst im Falle einer eingeschränkten Geschäftsfähigkeit).

Aber was ist, wenn der Typ gegenüber Hausarzt oder bei Anamnese/Erstgespräch in der Klinik total einen auf Krise produziert hat mit dem besonderen Twist: gegen Familie und Freunde? Sage keiner, sowas käme nicht vor (sagt von den Psychos hier wahrscheinlich auch keiner, denn die hatten ja alle schon zusammenbrechende Ehefrauen vor dem Tresen). Und Familie/Freunde von solchen intrapersonalen Problemen des Typs noch nicht mal geahnt hatten, dass er sie überhaupt haben könnte?

Ein gelegentlicher Besuch in einer freundlichen, nicht bedrängenden Gruppe wäre sicher nicht verkehrt und hilft einem bewertenden Gespräch in der Gruppe der Sorgetragenden im Nachhinein sicher auf.
every time you make a typo, the errorists win

Maxi

Tägliche Telefonate mit allen möglichen Vewandten finde ich schon sehr seltsam.
Wenn es nicht Absicht ist, ist es doch System.
Dr. Ici Wenn selig

Neumann

ajki, danke für diese Betrachtungsweise.
Ich kenne die betroffene Person nicht näher, dafür aber den Rest der Familie. Ich kann mir das von dir geschilderte Krise (egal ob real oder vorgespiel) nicht vorstellen - was aber, wie du richtig bemerkt hast, nichts heißen will.
Ich würde mir persönlich weniger Sorgen machen bzw. könnte sie der Familie besser nehmen, wenn sie in einer stinknormalen Klinik wäre und nicht bei Heiligenfeld, denen für mich einfach ein riesiger Hauch von Unseriösität (ich sag nur Dahlke ...) anhaftet und ich dazu nicht die andere Geschichte im Hinterkopf hätte. Hier wurde nämlich der Person suggeriert, ihre Bezugspersonen wären an ihrem Leid schuld. Das traf aber laut ihrer eigenen Aussage nie zu, wurde ihr aber im Rahmen der Behandlung so eindrücklich eingeredet, daß sie es igendwann kritiklos übernahm.

Neumann

Zitat von: Maxi am 04. Mai 2015, 18:19:19
Tägliche Telefonate mit allen möglichen Vewandten finde ich schon sehr seltsam.

Das war jetzt vielleicht etwas salopp und übertrieben ausgedrückt. Aber wenn man bis vor kurzem regelmäßigen Kontakt pflegte und der nun völlig zum Erliegen kommt (und das nicht nur in Bezug auf wenige, eventuell tatsächlich als belastend wahrgenommene Personen, sondern von Eltern, Großeltern, Geschwistern usw. komplett zu allen) und man auch bei Klinikbesuchen kaum Interesse am Ehepartner und den eigenen Kindern zeigt, ist das meiner Meinung nach mindestens genauso seltsam.

Neumann

BTW: Ich will natürlich keinesfalls ausschließen, daß tatsächlich ein behandlungsbedürftiges Problem vorliegt. Mein in keinster Weise maßgebliches Bauchgefühl sagt mir allerdings, daß hier (vielleicht im Sinne einer zukünftigen Kundengenerierung) ein Problem geschaffen wird, wo es in diesem Umfang nicht vorlag.
Mich würde z.B. mal interessieren, ob diese einwöchige Kontaktsperre eine seriöse psychiatrische bzw. psychotherapeutische Maßnahme ist.

pelacani

Zitat von: Neumann am 04. Mai 2015, 18:37:25
Mich würde z.B. mal interessieren, ob diese einwöchige Kontaktsperre eine seriöse psychiatrische bzw. psychotherapeutische Maßnahme ist.
Ja. Wenn alle Dealer sind.

duester

Zitat von: Neumann am 04. Mai 2015, 18:26:02
Hier wurde nämlich der Person suggeriert, ihre Bezugspersonen wären an ihrem Leid schuld. Das traf aber laut ihrer eigenen Aussage nie zu, wurde ihr aber im Rahmen der Behandlung so eindrücklich eingeredet, daß sie es igendwann kritiklos übernahm.
Sicher? Wenn du mal probeweise Klinikbewertungsportale nach psychotherapeutischen Angeboten screenst, triffst du - von der Uni-Klinik bis zur Eso-Klitsche - immer wieder auf genau dieses Phänomen: Patient arbeit in der Behandlung einiges auf und distanziert sich von den Angehörigen, Angehörige sind der Auffassung, dass dem Patienten da etwas suggeriert wurde - denn für sie scheint ja noch alles in Ordnung.

Ich will nicht sagen, dass Heiligenfeld ein seriöses Therapieangebot ist, ich will nicht behaupten, dass die Wahrnehmung der Angehörigen nicht korrekt ist (und nicht tatsächlich ein unseriöser Therapeut in Heiligenfeld sein Unwesen treibt), ich will nur sagen, dass man aufgrund dieses sehr "normalen" Verhalten noch nicht darauf schließen kann, dass die Betroffene da in sektenähnliche Strukturen (o.Ä.) geraten ist. Dieses Absetzen des niedrigdosierten Medikaments könnte der Anlaß für die Therapie gewesen sein, aber in der Therapie könnten noch andere Sachen aufgebrochen sein, die jetzt halt sehr schmerzhaft für alle Beteiligten aufgearbeitet werden. Die betroffene Patientin klingt als sei sie eher jung und beeindruckbar - vielleicht ist hier so eine konzertierte Aktion der Angehörigen genau die falsche Reaktion, weil es besser sein könnte, dass die Patientin lernt sich zu emanzipieren - von ihren Angehörigen UND von übergriffigen Therapeuten.

Neumann

Cave: In dem mir bekannten Fall stammt der Eindruck nicht von den Angehörigen, sondern von der Patientin selbst.
Das muß natürlich nicht unbedingt was heißen.

Auch fehlt mir der Glaube, daß innerhalb weniger Tage so schwerwiegende, bislang unentdeckte Konflikte aufgedeckt wurden, daß der Kontakt zu allen Angehörigen fast abgebrochen wird.

Ich stehe, das gebe ich zu, dem ganzen Heiligenfeld-Konzept sehr kritisch gegenüber. Das ist ein bunter Topf aus vielen esoterischen Konzepten, die hier mit vollem Recht als unwissenschaftlich abgeleht werden, und sehr wenig erkennbar seriöser psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Arbeit. Und wenn dann genau mit diesen Methoden ein seit zehn Jahren unentdecktes Problem entdeckt wird, bin ich erst mal mißtrauisch.

Hildegard

Unabhängig davon, ob Heiligenfeld nun eine geeignete Klinik ist: Niemand der Angehörigen kann wissen, weshalb die Patientin wirklich dorthin gegangen ist.
Mir wurde dieses Beispiel von einem Reha-Arzt erzählt: Man hatte kürzlich einen Patienten gehabt, dessen Angehörige sich anschließend in allen möglichen Foren darüber aufregten, dass man ihrem Verwandten während des Aufenthalts keinerlei Reha-typische Aktivitäten wie Sport oder Physio angedeihen ließ. Der Grund war aber, dass der Patient nur noch seine Ruhe wollte. Während nämlich seine Angehörigen noch voller Optimismus waren, wusste er selbst schon längst, dass es zu Ende ging, wollte aber seine Verwandten nicht damit belasten. Also hatte die Klinik keine Möglichkeit, das richtigzustellen.
[url="http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com"]http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com[/url]

duester

Zitat von: Neumann am 04. Mai 2015, 20:35:40
Und wenn dann genau mit diesen Methoden ein seit zehn Jahren unentdecktes Problem entdeckt wird, bin ich erst mal mißtrauisch.

Und wie ich persönlich finde: Zu Recht. Eine Klinik, die eher auf wissenschaftsbasierte Methoden setzt, geht damit ja eine Art Selbstverpflichtung ein: Weniger Macht den Therapeuten, mehr Bedeutung für die Therapie an sich. In einer eher Eso-orientierten Klinik sammeln sich (unterstelle ich jetzt mal) vermutlich auch eher die Therapeuten mit Profilneurose, die sich daran aufgeilen, dass sie persönlich Heiler sind.

Aber - und das ist das ganz große "Aber": Angehörige haben nun mal auch nur ihre eigene Perspektive. Hast du mal die Doku über Bahne Rabe gesehen? Ruderer, Gold bei Olympia, konnte sich anders als seine Teamkollegen nie in eine Welt außerhalb des Leistungssports einfinden, wurde magersüchtig, starb an einer Lungenentzündung. In der Doku kommen auch auch die Eltern zu Wort und die sind - mit Verlaub - gruselig. Die reinsten Zombies, da ist keine Emotion, nichts, außer der Beteuerung, dass sie nichts mit dem ausgeprägten und vollkommen irregeleiteten Leistungsdenken ihres Sohnes zu tun haben. Von außen ist das die reinste Vorzeigefamilie: Stabile Ehe, drei gesunde Kinder, viele Naturmaterialien und helles Holz im Wohnzimmer. Was so überraschend ist, dass sich die Wahrnehmung so verschiebt, wenn man die Sache retrospektiv betrachtet. Wenn man von der Magersucht und den seelischen Leiden des Sohnes weiß, dann sieht man die Eltern anders.

Deswegen: Wenn den Angehörigen wirklich das Wohl des Patienten am Herzen liegt, dann hinterfragen sie auch sich selbst und lassen den Gedanken zu, dass die Betroffene vielleicht wirklich erst mal etwas Distanz braucht, um für sich Sachen zu ordnen. Mit diesem Zugeständnis kann dann vielleicht der Wechsel der Klinik diskutiert werden - jedenfalls ist das erfolgversprechender, als Fronten aufzumachen und als Clan die Patientin zu konfrontieren.

MrSpock

Zitat von: Neumann am 04. Mai 2015, 13:34:12
Außerdem habe ich einen gemeinschaftlichen Besuch aller nahen Familienmitglieder angeregt

Auch ich stehe der Ideologie der Heiligenfeld-Kliniken sehr skeptisch gegenüber, aber bei der hier zitierten Ankündigung würde bei mir als hypothetisch Betroffener schlagartig der Fluchtreflex einsetzen. Alleine die Vorstellung, das meine Verwandtschaft in Scharen gemeinschaftlich anrückt, lässt mich erschaudern. :schreck
Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.