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Der dumme Patient

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Begonnen von Superkalifragilistisch, 15. Juli 2014, 11:05:08

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Superkalifragilistisch

http://www.t-online.de/lifestyle/gesundheit/id_70244558/gesundheit-was-aerzte-raten-bleibt-vielen-oft-ein-raetsel.html

ZitatUm die Gesundheitskompetenz der Deutschen ist es schlecht bestellt. Laut einer Umfrage der Krankenkasse AOK, an der 2010 gesetzlich Versicherte teilnahmen, weisen 60 Prozent eine "problematische" oder "unzureichende" Gesundheitskompetenz auf. Jeder Vierte kann nicht umsetzen, was ihm der Arzt rät.
Erst ist darauf hinzuweisen, daß das Wort Gesundheitskompetenz eine Schöpfung der ,philanthropischen' Kompetenz-Ideologen vom Lebenslangen Lernen ist. Schön, damit haben sie einen neuen Kampfbegriff gefunden.


Zitat"Wir müssen feststellen, dass das Bild vom souveränen Patienten Kratzer bekommen hat", sagt Graalmann. Er nennt die Ergebnisse überraschend und fordert, gesundheitliche Bildung auch im Schulunterricht stärker zu verankern.
Falsch. Das Bild des sourveränen Patienten hat ,keinen Kratzer bekommen', es soll mutwillig beschädigt werden. Der Sinn von Slogans wie ,Gesundheitskompetenz' ist, daß es Personen gibt, denen ein Mangel daran unterstellt werden soll.


Zitat"Selbst Akademiker haben Probleme, gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen", erklärt der Chef des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, gegenüber der "Rheinischen Post".
Daß der AOK-Chef erklärt statt auf Augenhöhe zu kommunizieren ist wohl true to form. Das Pathos der Professionalität kann es schlicht nicht ertragen, wenn auch nur andere Akademiker bei ihrem Arzt kritisch nachfragen. Der ,sourveräne Patient' aber kommt meistens als nicht-einmal-Akademiker daher. Sünde!


ZitatWeitere Ergebnisse der Umfrage sind: Mehr als ein Viertel (26,3 Prozent) der Versicherten findet es schwierig, Informationen über Krankheitssymptome zu finden. Fast ein Drittel hat Probleme, Medieninformationen zu verstehen. 37 Prozent der Befragten können nur schwer beurteilen, ob eine Zweitmeinung einzuholen ist oder nicht.
Wir erinnern uns an die Rhetorik aus Print vs. Online. Der erste Satz nimmt Anstoß an google und anderen 'unseriösen' Recherchemitteln (klar, die Journale kann man als Patient ja ohnehin nicht lesen). Aber das ist auch gar nicht nötig, denn der zweite Satz macht klar, daß wir dafür ohnehin zu blöd sind. Dem dritten Satz sollte noch der vierte folgen, musste aber aus Platzgründen weichen: Ärzte wissen zu 63% besser als attraktive Frauen, daß genau sie der ideale Partner für jene sind  ;)

So macht man Stimmung gegen den Verbraucher
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

Jetzt im Trend: »irgendwas mit Gesellschaftskritik«

MrSpock

Der AOK ist wohl nicht klar, dass sie der Dienstleister und der Patient der Kunde ist. Kundenfreundlichkeit sieht anders aus.
Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.

Superkalifragilistisch

Alleine die Aussage
Zitat37 Prozent der Befragten können nur schwer beurteilen, ob eine Zweitmeinung einzuholen ist oder nicht.
zeigt, daß der Zweifel am Dienstleister im Gesundheitswesen immer noch im Lasterkatalog geführt wird. Denn wenn ich eine Zweitmeinung einhole, dann fallen darunter per Definition auch etwaigie Einschätzungen darüber, ob ich dies zurecht tue und beurteilen kann.  :hirn:
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

Jetzt im Trend: »irgendwas mit Gesellschaftskritik«

pelacani

Jetzt aber mal im Ernst: Aus dieser Online-Meldung kann man überhaupt keine Schlüsse ziehen. Selbst der Begriff der Gesundheitskompetenz kann nur ad hoc definiert werden, und das kann ja in dieser Befragung nur durch die Befrager geschehen sein, die von welchen Grundannahmen auch immer (wir kennen sie nicht) ausgegangen sind.
Zitat"Selbst Akademiker haben Probleme, gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen"
Kein Mensch weiß, was das hier bedeuten mag, die "gesundheitsrelevante Information". "Hörnse auf mit Rauchen, Bewegense sich mehr?" Was wäre daran unverständlich?
Zitat37 Prozent der Befragten können nur schwer beurteilen, ob eine Zweitmeinung einzuholen ist oder nicht.
100% der Befragten, und der Fragesteller, können nicht beurteilen "ob eine Zweitmeinung einzuholen ist" - behaupte ich kühn. Wenn man glaubt, das heimlich tun zu müssen, dann sollte man sich ohnehin nach einem anderen Arzt umsehen. Ein vernünftiger Arzt wird natürlich nie dagegen sein; die Abwehr würde Misstrauen erzeugen. Davon abraten würde man nur, wenn davon ein unverhältnismäßiger Zeitverzug oder Aufwand zu befüchten wäre.

Superkalifragilistisch

edit: Wenn wir nun zum Inhalt der Begriffe übergehen dann verliert sich die Diskussion wieder. Ich habe auf den Begriff ,,Gesundheitskompetenz" aufmerksam gemacht um auf das geistige Umfeld hinzuweisen, aus dem die Meldung stammt. Das Thema ist aber die Darstellung des Patienten als ,,Idiot" der prinzipiell zum Zweifeln zu dumm ist und überhaupt an die Leine einer wohlmeinenden Autorität zu nehmen ist, die ihm erst sagen muss, was das beste für ihn ist.
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

Jetzt im Trend: »irgendwas mit Gesellschaftskritik«

F. A. Mesmer

ah, der Patient ist jetzt also zum Kunden aufgestiegen. 'Habe mich schon gefragt, warum das so lange dauert, der Bürger ist ja schon längst Kunde. Ich bin mir sicher, in Gütersloh lässt man eifrig an Pilotprojekten mit ausgefeiltem Qualitätsmanagement zur Förderung/Forderung von Gesundheitskompetenz schreiben. So ein Glück aber auch.
Ich ahne auch schon die BLöD-Überschriften:


  • So BLÖD sind die Deutschen
  • Die GIER der Halbgötter
  • So KRANK ist das Gesundheitssystem
  • Der finanzielle Aderlass
  • So BLÖD sind die Deutschen
  • Warum wir Ärzten nicht vertrauen
  • Wir brauchen Gesundheitskompetenz
  • So KRANK sind die Deutschen
  • Wir brauchen mehr Gesundheitskompetenz
  • So UNFÄHIG sind unsere Halbgötter
  • Warum WIR  Deutsche Ärzten misstrauen
  • Mit Tradition gegen Krankheit, DEUTSCHLAND SIEGT
  • Das zahnlose Lächeln der Deutschen
  • Wer hat Deutschland krank gemacht

#)

pelacani

Zitat von: F. A. Mesmer am 17. Juli 2014, 12:38:46
ah, der Patient ist jetzt also zum Kunden aufgestiegen.

Schon lange. Ganze Völkerstämme an Beratungs- und Benchmark-Firmen und Software-Anbietern und Hochglanzjournalen etc. leben davon.

F. A. Mesmer

Zitat von: Pelacani am 17. Juli 2014, 12:53:45
Schon lange.
naja, ist immer die frage, ob man an den anfang des prozesses hinguckt, bei weiter verbreitung oder wann es auch die allerletzte ohnegeld Klitsche (AOK) erreicht hat.

pelacani

Zitat von: F. A. Mesmer am 17. Juli 2014, 20:45:27
Zitat von: Pelacani am 17. Juli 2014, 12:53:45
Schon lange.
naja, ist immer die frage, ob man an den anfang des prozesses hinguckt, bei weiter verbreitung oder wann es auch die allerletzte ohnegeld Klitsche (AOK) erreicht hat.

Die Anfänge sind lange, lange her, definitiv > 10, ich denke eher 15-20 Jahre. Da wurden wir von jungen smarten Typen mit wissendem Lächeln belehrt, dass wir unsere Prozesse optimieren müssten, um mehr Kundenzufriedenheit ("ja, Patienten sind Kunden!") zu erzeugen.

Das Ganze erinnerte ein bisschen an das hier:
http://photoninthedarkness.blogspot.de/2005/09/outside-box-or-around-bend.html

Danke, Franzl, dass Du mir Gelegenheit gegeben hast, auf diesen Text hinzuweisen. Ein großartiges Stück Literatur.
:umarm:

Superkalifragilistisch

Seminare und Coaching-Dreck sind bullshit und leere Heilsversprechen egal ob sie Ärzte oder Patienten betreffen. ,,Prozesse optimieren" gehört in die gleiche Kategorie buzzwords wie ,,vorbeugen."
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

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Typee

Zitat von: Superkalifragilistisch am 18. Juli 2014, 06:59:41
Seminare und Coaching-Dreck sind bullshit und leere Heilsversprechen egal ob sie Ärzte oder Patienten betreffen. ,,Prozesse optimieren" gehört in die gleiche Kategorie buzzwords wie ,,vorbeugen."


...oder Blockaden beseitigen.
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

pelacani

Und im Übrigen ist das
Zitat von: Pelacani am 17. Juli 2014, 21:01:55
("ja, Patienten sind Kunden!")
natürlich Unfug. "Kunde" eines Krankenhauses in diesem Sinn sind die Krankenkassen.

F. A. Mesmer

Zitat von: Typee am 18. Juli 2014, 07:23:09
Zitat von: Superkalifragilistisch am 18. Juli 2014, 06:59:41
Seminare und Coaching-Dreck sind bullshit und leere Heilsversprechen egal ob sie Ärzte oder Patienten betreffen. ,,Prozesse optimieren" gehört in die gleiche Kategorie buzzwords wie ,,vorbeugen."


...oder Blockaden beseitigen.
In Jobcentern sind in der "Ü50 - BestAger"-Kundensparte (Leute, die über 50 Jahre alt sind, die nennen das echt so) gerade wieder Motivationskurse sehr beliebt. Das Programm läuft dieses Jahr wahrscheinlich aus, noch ist Geld da, also wirds rausgehauen.
Dienstleister sind abgehalfterte Marketingexperten, die  2,5 k pro Nase für 15 Tage Tschakka auf 5 Wochen verteilt.
:facepalm

Superkalifragilistisch

Welchem Sachverhalt schreibt ihr eigentlich das Negative zu, das ihr am Kunden-Begriff findet? Der Forderung nach stärkeren Verbraucherrechten oder den Heilsversprechen des Coaching-Pack?

Ich würde als Kunde darauf bestehen von Coaches und Seminaren nicht belästigt zu werden.
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

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pelacani

Zitat von: Superkalifragilistisch am 18. Juli 2014, 10:12:41Forderung nach stärkeren Verbraucherrechten

Nenn doch mal ein Beispiel, wo Du Dir die Sinnhaftigkeit stärkerer Verbraucherrechte für den Patienten vorstellen kannst.