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;-) Gabriel vs Slomka & wie's noch schlimmer kommen könnte

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Begonnen von sweeper, 01. Dezember 2013, 10:54:54

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Homeboy

Zitat von: Typee am 03. Dezember 2013, 18:43:29
Ich nenne ja nicht die Parteienkritik weltfremd, sondern den Irrglauben, an dem Einfluss der Parteien würde sich etwas ändern, wenn die SPD-Parteigranden nicht ihre Mitglieder befragen würden, sondern ihre Omma oder ein Orakel, oder wasweißich. Die haben doch alle auf dem Parteiticket verhandelt, und nicht etwa, weil sie für irgend etwas gewählt worden wären, was im Nachhinein kein Mensch nachvollziehen kann.

ich wollte dir da nicht an den karren, nur vorbeugen.  ;)

Typee

Ein letztes Wort noch:

Oben kam die Rede schon einmal auf Horst Seehofer. Ich frage mich, unter welchem demokratischen Legitimationsgesichtspunkt der eigentlich in die Koalitionsverhandlungen eingebunden war und die Entscheidung der Unionsparteien mittragen darf. Seehofer ist auf Bundesebene gar nichts, jedenfalls nichts gewähltes. Er ist insbesondere nicht MdB. Er ist Ministerpräsident und MdL in Bayern. Und zusätzlich ist er Vorsitzender der CSU. Eigenartig, Herr Prof. Dr. Degenhart, nicht?

Kein Mensch kann feststellen, ob er zustimmt, weil er sein derzeitiges Lieblingsspielzeug, die Ausländermaut, bekommt (vielleicht bekommt...), oder weil sich seine derzeitige bessere Hälfte mit der Frau von Sigmar Gabriel so gut versteht.

Herr Gabriel hat sich im ganzen Verhandlungsprozess mit Sicherheit immer gefragt, ob er das seiner Partei zumuten kann - oder sich selbst, ohne beim nächsten Bundesparteitag vom Hof gejagt zu werden. Selbst für die Skrupel von Herrn Degenhart wäre dieser Zielkonflikt nicht einmal identifizierbar, geschweige denn verfassungsjustiziabel. Wenn der große Vorsitzende darüber die empirische Probe macht, ob er in seiner Annahme richtig gelegen hat, dann soll sich das zur Verfassungskrise auswachsen? Wer soll das verstehen?
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

sweeper

Zitat von: Typee am 04. Dezember 2013, 12:30:39

Oben kam die Rede schon einmal auf Horst Seehofer. Ich frage mich, unter welchem demokratischen Legitimationsgesichtspunkt der eigentlich in die Koalitionsverhandlungen eingebunden war und die Entscheidung der Unionsparteien mittragen darf. Seehofer ist auf Bundesebene gar nichts, jedenfalls nichts gewähltes. Er ist insbesondere nicht MdB. Er ist Ministerpräsident und MdL in Bayern. Und zusätzlich ist er Vorsitzender der CSU.
...

Herr Gabriel hat sich im ganzen Verhandlungsprozess mit Sicherheit immer gefragt, ob er das seiner Partei zumuten kann - oder sich selbst, ohne beim nächsten Bundesparteitag vom Hof gejagt zu werden...
Dazu passt Gabriels Kommentar während der Pressekonferenz nach Abschluss der Verhandlungen:

http://www.berliner-kurier.de/politik---wirtschaft/grosse-koalition--liveticker-zur-pressekonferenz,7169228,25440680.html
Zitat...
Gabriel: ,,Es gibt eine CDU und eine CSU"

12:37: Gabriel sorgt für Gelächter: ,,Die Bezeichnung CDU/CSU muss ich mir abgewöhnen", sagt er. ,,Ich habe gelernt: Es gibt eine CDU und eine CSU", das seien unterschiedliche Dinge. ,,Wer's nicht glaubt, der soll die nächsten Koalitionsverhandlungen mit denen machen." Zum Schluss Gabriels Fazit: ,,Dieser Vertrag stärkt Deutschland und Europa." Deshalb werden die Mitgleider sicher zustimmen, sagt Gabriel ganz optimistisch.
With magic, you start with a frog and end up with a prince.
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Terry Pratchett

Homeboy

Zitat von: Typee am 04. Dezember 2013, 12:30:39
Ein letztes Wort noch:

Oben kam die Rede schon einmal auf Horst Seehofer. Ich frage mich, unter welchem demokratischen Legitimationsgesichtspunkt der eigentlich in die Koalitionsverhandlungen eingebunden war und die Entscheidung der Unionsparteien mittragen darf. Seehofer ist auf Bundesebene gar nichts, jedenfalls nichts gewähltes. Er ist insbesondere nicht MdB. Er ist Ministerpräsident und MdL in Bayern. Und zusätzlich ist er Vorsitzender der CSU. Eigenartig, Herr Prof. Dr. Degenhart, nicht?

[...]

passt schon. In meiner juristischen Halbbildung durfte ich lernen (nein, nicht in München), dass es Leute im Öffentlichen Recht/Verfassungsrecht gibt, die innere Verfasstheit, Entscheidungsfindungsprozesse und Letztes-Wort-Altherrenzirkel kritisch betrachten und unter demokratischen Gesichtspunkten als befremdend empfinden, ebenso die Oligarchiegeschichten und das Gebaren gewisser Lokalkoloritparteien.
Lässt man die Gewöhnung an die realen Umstände von Unterschleif, etc. beiseite, und juristen können soetwas sehr gut, ist das eben, zurückhaltend formuliert, problematisch.

Entsprechend kann man durchaus fragen, welchen Einfluss eine Bayernpartei haben kann oder darf.
Ein Gedankenspiel:
Stellen wir uns vor, in den Bundesländern außerhalb Bayerns käme die CDU nicht oder immer nur sehr knapp über die 5 % Hürde. Ähnlich die anderen (regierungsfähigen, jedenfalls selbstredend demokratischen) Parteien, ultimative Parteienzersplitterung usw. Und tun wir so, als wenn die CSU auf sozialistisch-zurückhaltende 95 % käme. Dürften die dann im Bundestag alles machen? Wo sie doch eben nicht DEN (ultimativ zersplitterten) Wählerwillen in der BRD repräsentieren, sondern nur den absoluten Wählerwillen in Bayern.

pelacani

Nach diesen schon sehr grundsätzlichen Überlegungen nochmal näher an den Ausgangspunkt:
ZitatAm frühen Sonntagmorgen klingelt der Boulevard-Reporter. Vor ihm ein zerstörter Halb-Promi, der in der Nacht seine Frau und seinen besten Freund durch einen Unfall verloren hat. Wie er sich nun fühle, fragt der Gefühllose. Ein anderer Höhepunkt des Journalismus: Die "Wegelagerer" (Helmut Schmidt) warten auf Gerhard Schröder. Einer, der sich besonders gut vorbereitet hat, schiebt ihm das Mikro vors Gebiss und stellt die brillant formulierte Frage: "Und?"

Deshalb wollen wir heute eine kleine Lanze brechen für den SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Der hatte im Interview mit Marietta Slomka die Frechheit, Fragen als "Quatsch" und "Blödsinn" zu stempeln, die nicht von tiefster Durchdringung des Grund- und Parteiengesetzes zeugten. Die ZDF-Frau wollte wissen, und dann gleich viermal, ob nicht die Mitgliederbefragung zur Großkoalition Verfassungsrecht breche.
...
Aber wie dem auch sei, wünscht man sich, dass Gabriel mit seinem "Lassen Sie uns diesen Quatsch beenden" Schule macht. Wobei sich Slomka mit ihrem argumentativen Angriff immerhin von den Heerscharen der Kollegen unterscheidet, die nicht mehr nach dem Was, Wie und Warum fragen. Hören wir uns die Fragen des Neuen Journalismus an, herausgegriffen aus einem typischen Politiker-Interview der jüngsten Zeit. "Wie geht es Ihnen nach Ihrem Rücktritt?", "Halten Sie sich für gescheitert?", "Was war Ihr größter Fehler?". Letztere gehört in die Kategorie: "Wann haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?".
...
Pressefreiheit heißt: Die "Vierte Gewalt" muss bohren, Worthülsen knacken, Widersprüche aufspießen, Verschleierung aufdecken, nicht den Großinquisitor oder Seelendoktor geben. Und Sachkenntnis hilft. Politiker sind keine Ketzer, und Küchenpsychologie gehört in die Küche.
http://www.zeit.de/2013/50/sigmar-gabriel-slomka

Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit Jose Joffe mal weitgehend einer Meinung bin.

Hildegard

Der Vollständigkeit halber hier noch ein Hörfunk-Interview mit dem Verfassungsrechtler Degenhart, der den SPD-Mitgliederentscheid für bedenklich hält. Der Mann hält allerdings so ziemlich alles für bedenklich und bekommt von mir für seine letzte Antwort 0,6 Gabriel.

Hier die Seite mit dem mp3
[url="http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com"]http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com[/url]

sweeper

@Hildegard:
Was für ein sinnentleertes Gelaber...  ::)

Das Argument mit dem "Wählerauftrag" finde ich in diesem Zshg auch absurd:
Die SPD hat (wie auch jede andere gewählte Partei in der Frage der Regierungsbildung und -verantwortung) den Auftrag der Wähler zu erfüllen, deren Stimmen sie bekommen hat -
und da ist es doch geradezu legitim und sinnvoll, sich per Mitgliederentscheid rückzuversichern, ob die Elemente des ausgehandelten Koalitionsvertrags wirklich das abbilden, was die Mitglieder, die den Wahlkampf vor Ort geführt haben, als (SPD-) Wählerinteresse vertreten bzw wahrgenommen haben.

Zumal davon auszugehen ist, dass diejenigen, die der SPD ihre Stimme gaben, diese nicht unbedingt als "Junior"partner an "Muttis" Seite sehen wollten.
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Terry Pratchett

MrSpock

Unabhängig von der Verfassungsmäßigkeit bzw. Sinnhaftigkeit: Es nimmt immer bizarrere Züge an. Nach dem versuchten Verkauf eines Stimmzettels über Ebay nun eine Drohanruf-Aktion. Es handelt sich augenscheinlich um Satire, zeigt aber, welch bizarre Züge diese Aktion trägt.

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/koalitionskritiker-spd-stellt-strafanzeige-wegen-drohanrufen/9174846.html
Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.

Typee

Zitat von: Hildegard am 06. Dezember 2013, 10:23:08
Der Vollständigkeit halber hier noch ein Hörfunk-Interview mit dem Verfassungsrechtler Degenhart, der den SPD-Mitgliederentscheid für bedenklich hält. Der Mann hält allerdings so ziemlich alles für bedenklich und bekommt von mir für seine letzte Antwort 0,6 Gabriel.

Hier die Seite mit dem mp3

Ziemlich quallig. Dieter Grimm, bei dem ich weiland das Vergnügen hatte, Rechtsgeschichte und Rechtstheorie zu hören, und der nun wirklich ein Schwergewicht unter den deutschen Staatsrechtslehrern ist, hat in einem gestern in der FR veröffentlichten Interview deutlich gemacht, was er davon hält: genau nichts. Das Interview liest sich wie das Skript einer Anfängervorlesung im öffentlichen Recht.
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MrSpock

Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.

sweeper

@Spock:

Ich finde auch hier die Argumentation nicht schlüssig - zumindest nicht auf diesen konkreten Fall bezogen:
Zitat"Dass damit die Willensbildung in der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag außerparlamentarisch vorbestimmt wird, widerspricht dem Sinn der Garantie des freien Abgeordnetenmandats..."

Dieses Szenario käme dann zustande, wenn während der Koalitionsverhandlungen - ähnlich wie dies bei den Piraten üblich ist - eine ständige Rücksprache mit der Mitgliederbasis stattgefunden hätte. Dies war aber nicht der Fall, sondern die mit der Verhandlung beauftragten SPD-Vertreter haben nach bestem Wissen und Gewissen ihre Position eingebracht.
Man könnte höchstens davon sprechen, dass die stattgefundene Willensbildung in dieser speziellen Situation "abgesegnet" werden soll, weil die gewählten Abgeordneten - im Gegensatz zu den vor der Wahl von Steinbrück abgegebenen Bekundungen! - nun doch die Koalition mit der CDU suchen.

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Terry Pratchett

MrSpock

Man mag die Mitgliederbefragung als legitim durchgehen lassen, ich fürchte nur, dass dies Mode wird und somit immer mehr wichtige Entscheidungen außerhalb des Parlaments stattfinden werden.

Wie ich schon erwähnte, halte ich einen Parteitag nach den Koalitionsverhandlungen als ausreichend, sich der Meinung der Basis zu vergewissern. Fällt der Koalitionsvertrag bei den Mitgliedern durch, werden die verantwortlichen Akteure nicht gewählt.

Peer Steinbrück hat, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, lediglich ausgeschlossen, dass er mit seiner Person einer großen Koalition zur Verfügung steht. Er hat das aber nicht für die Partei ausgeschlossen
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Zitat aus Star Trek II.

sweeper

@Spock:

Einen Bundesparteitag einzuberufen, nur um über den Koalitionsvertrag abzustimmen, wäre wohl kaum zeitnah technisch durchführbar. Es ist auch besser, wenn die Verhältnisse jetzt geklärt werden  (also auch die Option, keine Mehrheit zu bekommen) als wenn die Koalition erst startet und dann wg fehlender Akzeptanz womöglich frühzeitig scheitert.

Zu Steinbrück: natürlich ist seine Aussage auch als persönliche Meinungsäußerung zu verstehen, aber immerhin sprach da der Kanzlerkandidat der SPD.
M.a.W.: jeder SPD-Wähler musste diese Äußerung ernst nehmen und hat der Partei mitsamt diesem Kandidaten letztlich auch dafür die Stimme gegeben. Soviel @ Wählerwillen.

Grundsätzlich empfinde ich - daher auch mein Hinweis auf die Piraten - , dass es offenbar einem großen Wählerbedürfnis entspricht, wenn wichtige politische (Richtungs-) Entscheidungen nicht allein von den Mandatsträgern über die Köpfe der Mehrheit der Nur-Wähler hinweg getroffen werden.
Dies hat in den vergangenen Jahren zu viel Politikverdrossenheit geführt - deshalb waren die Piraten, die die Entscheidungsfindung quasi basisdemokratisch auf den Kopf gestellt haben, ja auch zunächst so erfolgreich.

Ich würde es daher begrüßen, wenn Verfassungsrechtler sich mit diesem neuen Phänomen (z.B. Möglichkeiten basisdemokratischer Entscheidungsfindung via Internet) proaktiv auseinandersetzen würden anstatt erbsenzählerisch einen verfassungsrechtlich vorhandenen Spielraum einzuengen.

Unsere Demokratie wird m.E. nicht durch die unorthodoxe Abstimmung über den Koalitionsvertrag und eventuelle Nachahmer ruiniert, sondern durch Politikverdrossenheit einer großen Zahl von Menschen, die sich in den Entscheidungen ihrer gewählten Vertreter nicht mehr wiederfinden.
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Terry Pratchett

MrSpock

Zitat von: sweeper am 06. Dezember 2013, 13:08:17

Unsere Demokratie wird m.E. nicht durch die unorthodoxe Abstimmung über den Koalitionsvertrag und eventuelle Nachahmer ruiniert, sondern durch Politikverdrossenheit einer großen Zahl von Menschen, die sich in den Entscheidungen ihrer gewählten Vertreter nicht mehr wiederfinden.

Den hervorgehobenen Teil des Satzes unterschreibe ich Dir.
Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.

Ladislav Pelc

Ich weiß immer noch nicht, wo das Problem sein soll. Es ist die Entscheidung einer Partei, ob sie eine Koalition eingeht. Und wie sie diese Entscheidung trifft, ist ihre Angelegenheit. Parteien müssen demokratisch organisiert sein, aber wie sie das nun genau macht, ob nun der (gewählte) Vorstand gewisse Entscheidungen trifft, ob sie auf einem Parteitag oder durch Abstimmung der Mitglieder getroffen wird, bleibt der jeweiligen Partei überlassen.

Ich denke nicht, dass eine Mitgliederbefragung dazu führt, dass wichtige Entscheidungen künftig außerhalb des Parlaments getroffen werden. Es war nie Aufgabe des Bundestages, über den Koalitionsvertrag abzustimmen. Das wäre ja auch völlig absurd, denn wie soll da sinnvolles Ergebnis rauskommen, wenn es noch gar keine Koalition gibt? Und wenn es de-facto schon eine gibt, ist der Drops eh schon gelutscht und die Abstimmung nur noch Show.

Auch dass die Unabhängigkeit der Abgeordneten darunter leidet, scheint mir unlogisch. Denn die besteht ja ohnehin hauptsächlich auf dem Papier. Natürlich gibt es kein Gesetz dagegen, dass einem Abgeordneten verbietet, anders als die Fraktion abzustimmen. (Darum ist es auch unsinnig, wenn gelegentlich die "Abschaffung des Fraktionszwangs" gefordert wird, denn dem Gesetz nach gibt es das gar nicht.) Aber es ist halt der eigenen politischen Karriere nicht gerade förderlich. In der Regel möchte man als Abgeordneter auch für die nächste Wahl wieder aufgestellt werden, und das wird man natürlich nicht, wenn man entgegen dem Parteiprogramm gehandelt hat. Das mag man falsch finden, aber andererseits möchte der Wähler, der für eine Partei mit einem bestimmten Programm wählt, dass eben dieses Programm auch umgesetzt wird, und nicht unbedingt das, was die einzelnen Abgeordneten gerade für richtig halten. Und Koalitionen bräuchte man sonst ohnehin nicht, denn was nützt ein schöner dicker Koalitionsvertrag, wenn dann eh jeder macht, was er will?

Das eigentliche Problem scheint mir eher zu sein, dass man zwar die Parteien wählt, als Wähler aber keinen direkten Einfluss darauf hat, welche Koalitionen sich am Schluss bilden und was von dem jeweiligen Parteiprogramm bei der Kompromissfindung unter die Räder kommt. (Insoweit ist es auch unsinnig, wenn, wie schon bei der letzten großen Koalition, behauptet wird, die Wähler haben eine große Koalition gewollt, daher sei es an den Politikern, das jetzt auch umzusetzen. Ob die Wähler mehrheitlich eine große Koalition gewollt haben, bleibt letztendlich reiner Spekulatius.)

Dass das Problem jetzt im Rahmen des SPD-Mitgliederentscheids auftaucht, scheint mir daran zu liegen, dass es bisher einfach als normal und unabänderlich empfunden wurde, dass die Koalitionsverhandlungen in Berlin entschieden werden und der "kleine Mann auf der Straße" dabei nicht gefragt wird. Jetzt wird auf einmal klar, dass das nicht gottgegeben ist. Plötzlich wird der "kleine Mann auf der Straße" nach seiner Meinung gefragt -- aber nur, wenn er SPD-Mitglied ist. Das wird natürlich als ungerecht empfunden.

Tatsächlich ist es aber gar nicht "ungerechter" als das übliche Verfahren. Und daher erscheint es mir falsch, den SPD-Mitgliederentscheid zu verteufeln oder gar verbieten zu wollen. Denn das ist nicht das eigentliche Problem, sondern allerhöchstens Symptom desselben.

Es sollte daher meiner Meinung nach eher um die Fragestellung gehen, inwieweit das Volk nicht nur, wie bisher, Parteien, sondern auch mögliche Koalitionen wählen sollte. (Ob das überhaupt praktikabel ist, kann ich nicht beurteilen.)

Abschließend möchte ich, bevor Missverständnisse auftauchen, noch anmerken, dass ich mir überhaupt nicht sicher bin, dass ein Mitgliederentscheid die beste Methode ist, um solch eine Entscheidung zu treffen. Ich sage nur, dass ich es für eine legitime Möglichkeit halte.

Und ich denke auch nicht, dass der Mitgliederentscheid bei der SPD ein Zeichen für eine beginnende basisdemokratischere Organisation der Parteien nach Art der Piraten ist. Ich denke, man hätte ihn nicht veranstaltet, wäre nicht von vornherein sicher gewesen, dass es zu einer Zustimmung kommt. Man kann davon ausgehen, dass auch an der Basis pragmatisch genug gedacht wird, um zu erkennen, das mitregieren immer noch besser ist, als ziemlich sicher gar nicht zu regieren. Es geht also meiner Meinung nach gar nicht darum, wirklich eine Entscheidung zu treffen. Ich denke, es geht viel eher darum, dass, falls die Politik der großen Koalition künftig nicht den Gefallen der SPD-Basis findet, es nicht den Leuten an der Spitze an den Kragen geht, da die dann ja sagen können: Ihr wolltet das so, wir setzten das nur um.