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Studie über Akupunktur bei Ratten

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Begonnen von Arokh, 29. März 2013, 14:50:28

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Arokh

Ich habe auf mehreren Seiten über eine Studie gelesen die wohl angeblich die Stressreduktion durch Akupunktur bei Ratten nachgewiesen hat. Es gab wohl auch im Vergleich mit willkürlich gewählten Punkten eine positive Reaktion. Ich hab bis jetzt noch nichts auf den gewöhnlichen Skeptikerseiten darüber gefunden und mich würde interessieren was ihr davon haltet. Normalerweise war es in Studien immer egal wo die Nadeln gesetzt wurden.
http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/316913.html


Arokh

So ganz versteh ich das nicht. Bis jetzt wurde doch keine Wirkung die über den Placeboeffect hinausgeht nachgewiesen, wozu braucht man dann wissenschaftliche Erklärungsversuche für die Wirkungsweise einer eigentlich nicht wirksamen Therapieform

bayle

Guten Tag.

ZitatSo ganz versteh ich das nicht. Bis jetzt wurde doch keine Wirkung die über den Placeboeffect hinausgeht nachgewiesen, wozu braucht man dann wissenschaftliche Erklärungsversuche für die Wirkungsweise einer eigentlich nicht wirksamen Therapieform

Gute Frage, stellt sich mir auch immer.

Soweit ich das erkenne, handelt es sich um eine tierexperimentelle Arbeit mit je weniger als einem Dutzend Ratten in der Verum- und in der Sham-Akupunktur-Gruppe, die a) ins Bein oder b) in den Hintern gestochen wurden. Anschließend wurden sie für eine Stunde in Eiswasser gesetzt, und das Ganze für einige Tage wiederholt. Ergebnis: nach Bein-Stich führt Eiswasser zu weniger Cortisol i. S. (noch nicht nach 7, aber doch nach 10 Tagen). Es handelt sich also um die Messung eines  biochemischer Surrogatparameters (genauer: mehrerer), aber für welchen klinischen Parameter, für welche Erkrankung, ist das ein Surrogat?

Prinzipiell ist natürlich bei allen solchen Arbeiten zunächst einzuwenden, dass sie von anderen repliziert werden sollten, bevor irgendwelche Schlüsse möglich sind. War die Beobachtungszeit eigentlich vorab definiert, oder hat man abgebrochen, als die Ergebnisse signifikant wurden? Aus dieser Arbeit lassen sich überdies, selbst wenn sie sich als valide erweisen würde, keine klinischen Schlüsse ziehen.

Nebenbei, die Tier-Akupunktur ist mitnichten ,,over 2500 years" alt, sondern eine Erfindung der Neuzeit. Warum der ,,Zusanli"-Punkt? Darauf gibt es nur eine Antwort: Warum nicht? Woher wissen wir, was der Zusanli-Punkt beim Tier ist?

Zitat# doc.nemo on 12 Jun 2010 at 2:00 am
How the hell did they work out the meridians and acupuncture points in mice?

# Harriet Hall on 12 Jun 2010 at 11:43 am
doc.nemo,
Bigger question: How the hell did they work them out in humans?

Noch zu einigen Details dieser Arbeit.

ZitatElectroacupuncture (EA) is used to treat chronic stress;
Dies ist der allererste Halbsatz, und da geht's schon los. Was ist chronischer Stress, ist das eine Krankheit oder eine Belastung, ein Umweltfaktor? Was genau wird da behandelt, welches Symptom?

In der Einleitung geht es um ,,sympathetic nervous system (SNS) and the hypothalamus–
pituitary–adrenal axis (HPA)", ,,norepinephrine (NE) and neuropeptide Y (NPY)".
ZitatGiven the negative physiological impact of chronic stress, blocking the stress-induced effects of the SNS and HPA may provide a much needed protection against stressrelated disorders.
Aber wenn ich es recht verstehe, dann ist die Reaktion des VNS doch eine Adaptationsleistung, und mir ist nicht klar, welche Auswirkungen ,,Stress" hat, wenn diese Adaptation verhindert wird. Erinnert mich an die Frage, ob Fieber nützlich ist. Ich halte auch die Zusammenhänge zwischen ,,Stress" und den erwähnten Erkrankungen für eher postuliert als nachgewiesen:
ZitatThe chronic activation of these stress pathways can lead to maladaptive homeostatic conditions causing symptoms or diseases such as depression, anxiety, and obesity, which may have a direct impact on cardiovascular disorders and hypertension (Szczepanska-Sadowska et al. 2010, Tamashiro 2011, Tamashiro et al. 2011, Tran et al. 2011, McEwen 2012, McEwen et al. 2012).
,,Stress macht dick" – klingt überzeugend, aber ist das wirklich sicher?

ZitatFurthermore, the pretreatment with EA St36 maintained CORT at control levels, indicating that EA, specifically at St36, was again effective at preventing the stress-induced increases in both HPA-related hormones in our model of chronic stress.
Die Tiere waren von der vorangegangenen Nadelung schon so erschöpft, dass sie gar nicht mehr reagieren konnten; und die Nadel im Bein hat ihnen natürlich mehr weh getan als die im ,,Gesäß". ;)

Krebskandidat

Zitat von: bayle am 29. März 2013, 17:39:58
ZitatThe chronic activation of these stress pathways can lead to maladaptive homeostatic conditions causing symptoms or diseases such as depression, anxiety, and obesity, which may have a direct impact on cardiovascular disorders and hypertension (Szczepanska-Sadowska et al. 2010, Tamashiro 2011, Tamashiro et al. 2011, Tran et al. 2011, McEwen 2012, McEwen et al. 2012).
,,Stress macht dick" – klingt überzeugend, aber ist das wirklich sicher?

Biochemisch betrachtet führen Stresshormone zur Inhibition der Verdauungsprozesse. Also ist eher eine Gewichtsabnahme zu verzeichnen. (Und man kennt ja, das man z.B. bei starken Stresssituationen wie Liebeskummer keinen Bissen runterkriegt.  :-\ )
Anders wirds aber beim "Frustfressen". Das ist aber keine direkte Auswirkung von Stress, sondern eher psychologisch bedingt und bei Ratten wohl kaum der Fall. Es gibt eindeutige physische Signale, an denen man Stress bei Tieren erkennt. Übergewicht zählt nicht dazu.
"wenn gott nicht das universum und unsere physik gesetze geschaffen hat dann wie kann es sein dass wasser bei genau 0 Grad friert und bei genau 100 Grad kocht? Zufällig 2 runde zahlen, was wäre die wahrscheinlichkeit?"

sweeper

Man muss, laut K. Grawe (u.a.) neurobiologisch/biochemisch zwischen akutem und chronischem Stress unterscheiden.

Eine verständliche Übersicht über die Stoffwechselveränderungen, insbesondere bezügl Adrenalin und Cortisol, wenn auch etwas älter, findet man hier:

http://www.ottobenkert.de/Psychologie_Heute_StressundDepression.pdf

Zitat...Was geschieht nun, wenn der Stress sehr lange andauert? Das ist genau die Situation beim Dauerstress (und bei der Depression):
Die Kortisol- und Adrenalinproduktion stoppt nicht, sondern findet kontinuierlich weiter statt. Darauf ist aber der Körper nicht eingestellt, und es kommt zu vielfältigen Fehlfunktionen und zu ernsthaften körperlichen Erkrankungen...

...Vermehrt ausgeschüttetes Kortisol führt zu einer besonderen Symptomhäufung, die auch als metabolisches Syndrom bezeichnet wird. Dazu gehören:
– Gewichtszunahme im Bauchbereich (= viszerale Adipositas)
– vermehrte Insulinresistenz und Diabetes mellitus
– Fettstoffwechselstörung
– Blutdruckerhöhung

...
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Terry Pratchett

bayle

In dem Beitrag von Prof. Benkert wird ein sehr weiter Stress-Begriff vertreten. Das ,,Stress" zu ,,hohem Kortisonspiegel" und somit zu ,,mehr Bauchfett" führt, mag plausibel sein, schließlich kommt es ja auch beim Cushing-Syndrom zur Stammfettsucht. Aber es fehlt in diesem Beitrag, der sich an ein Laienpublikum wendet, jeder Hinweis darauf, inwieweit diese und ähnliche Hypothesen als gesichert gelten können.

Etwas neuer:
ZitatDass Stress, psychische Erkrankungen und koronare Herzkrankheit (KHK) in Zusammenhang stehen, erscheint selbstverständlich. Bei genauerer Betrachtung wird aber deutlich, dass viele Zusammenhänge wissenschaftlich nicht gut abgesichert sind. Auch sind in manchen Berichten Begriffe unscharf definiert, nur für bestimmte Bedingungen beschriebene Zusammenhänge werden generalisiert oder Assoziationen als Ursache-Wirkungs-Beziehungen eingestuft.
[F. Lederbogen, A. Ströhle: Nervenarzt 2012 DOI 10.1007/s00115-012-3666-7]

sweeper

@bayle:
Sag ich ja, ist etwas älter und - klar - für Laien.
Fasst aber letztlich ganz gut zusammen, worum es geht.
Du weißt ja selbst am besten, wie du an die entsprechende Fachliteratur kommst.

K.Grawe, Neuropsychotherapie, ist ein gebundenes Buch aus 2004.
Eine Zeitlang konnte man es online lesen.
Es besticht u.a. durch eine enorme Zahl von Quellen im Anhang.

Dort wird die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse sowie die Unterschiede zwischen akutem und chronischem Stress gut beschrieben.

Just my 2 cent.
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Krebskandidat

Ist ja interessant. Dann hat eine chronische Erhöhung des Cortison-Spielgels genau die entgegengesetzte Wirkung, weil der Einfluss auf die Insulinausschüttung mit der Zeit größere Auswirkungen hat. Ziemlich verzwickt.  :o
"wenn gott nicht das universum und unsere physik gesetze geschaffen hat dann wie kann es sein dass wasser bei genau 0 Grad friert und bei genau 100 Grad kocht? Zufällig 2 runde zahlen, was wäre die wahrscheinlichkeit?"

bayle

Grawe kenn' ich. Ist übrigens der bestgehasste Feind der Psychoanalytiker.  ;D

Ich zitier noch mal aus der eben angeführten Übersichtsarbeit im Nervenarzt:
ZitatBei psychisch Kranken lassen sich aber auch vermehrt Verhaltensweisen nachweisen, die das kardiale Risiko erhöhen: Hierzu zählen unter anderem vermehrter Nikotinkonsum [2],  Inaktivität [30], ungesundes Diätverhalten und verminderte Adhärenz zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen [8]. Auch die Behandler tragen zu der Risikoerhöhung bei: Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen werden seltener wichtige diagnostische und therapeutische Maßnahmen angeboten oder durchgeführt [28].
Und so weiter.
Insgesamt denke ich, dass das Thema alles andere als genau abgesteckt ist. Damit ist es geradezu ideal für Akupunkturstudien.

Belbo zwei

Zitat von: bayle am 29. März 2013, 19:07:56
Grawe kenn' ich. Ist übrigens der bestgehasste Feind der Psychoanalytiker.  ;D

Ich zitier noch mal aus der eben angeführten Übersichtsarbeit im Nervenarzt:
ZitatBei psychisch Kranken lassen sich aber auch vermehrt Verhaltensweisen nachweisen, die das kardiale Risiko erhöhen: Hierzu zählen unter anderem vermehrter Nikotinkonsum [2],  Inaktivität [30], ungesundes Diätverhalten und verminderte Adhärenz zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen [8]. Auch die Behandler tragen zu der Risikoerhöhung bei: Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen werden seltener wichtige diagnostische und therapeutische Maßnahmen angeboten oder durchgeführt [28].
Und so weiter.
Insgesamt denke ich, dass das Thema alles andere als genau abgesteckt ist. Damit ist es geradezu ideal für Akupunkturstudien.


...wenn man richtig hinterhältig wäre könnte man ja Akupunkturstudien bei chronischer Borreliose machen :-)

71hAhmed

Zitat von: Belbo am 29. März 2013, 19:16:59
...wenn man richtig hinterhältig wäre könnte man ja Akupunkturstudien bei chronischer Borreliose machen :-)
Mit virtuellen Nadeln?

sweeper

Zitat von: Belbo am 29. März 2013, 19:16:59
Zitat von: bayle am 29. März 2013, 19:07:56

Insgesamt denke ich, dass das Thema alles andere als genau abgesteckt ist. Damit ist es geradezu ideal für Akupunkturstudien.
...wenn man richtig hinterhältig wäre könnte man ja Akupunkturstudien bei chronischer Borreliose machen :-)

Cortisol, Insulinresistenz, Metabolisches Syndrom etc - das wird eher ein Peter Mersch/Ketose-Tummelplatz, fürchte ich.

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Terry Pratchett

The Doctrix

Zitat von: 71hAhmed am 29. März 2013, 20:44:35
Zitat von: Belbo am 29. März 2013, 19:16:59
...wenn man richtig hinterhältig wäre könnte man ja Akupunkturstudien bei chronischer Borreliose machen :-)
Mit virtuellen Nadeln?

Elektroakupunktur nach Voll.

( http://psiram.com/ge/index.php/Elektroakupunktur_nach_Voll )
Immer, wenn Du glaubst, dümmer gehts nicht mehr, kommt von irgendwo ein Eso her!

The Doctrix

Zum Thema Akupunktur finde ich übrigens auch immer wieder die Arbeiten von Benedikt Matenaer sehr aufschlussreich. Auf dem WSC 2012 in Berlin hat er zum Thema auch einen bemerkenswerten Vortrag gehalten.
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