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ist Ritalin wirklich Kokain für Kinder

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Begonnen von Merlin, 22. September 2010, 11:12:18

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P.Stibbons

Herzlich willkommen auch von mir und auf gute Zusammenarbeit!  ;)

Bobbele

Zitat von: hypocampus am 10. Januar 2012, 23:42:27
...ganz viel Text...

Ich hätte da ein paar Fragen (kenne mich zufällig auch ein bißchen mit MPH aus):

'Kokain ist es nicht. Auch wenn die Wirkungsweise ähnlich ist, so sind die Substanzen grundlegend verschieden.'

Ich kenne MPH und ich kenne (aus früheren Zeiten) Kokain. Wenn MPH ähnlich wirken würde wie Kokain würde ich es nicht nehmen. Ich will ja nüchtern bleiben.

'Das Abhängigkeitsrisiko von MPH ist kalkulierbar, solange es wie vorgeschrieben verwendet und nicht missbraucht wird (pulverisiert und geschnupft, injiziert). Der Missbrauch erst erzeugt ein Abhängigkeitspotential, der bei regulärer Anwendung nicht nennenswert ist.'

Wo kann man das eigentlich nachlesen, ich meine das mit dem Abhängigkeitsrisiko? Gibts da Quellen?

Binky

Zitat von: Belbo zwei am 11. Januar 2012, 00:10:02
at....hypocampus......sehr aufschlussreich, danke.

Ah, unser Tullius destructivus hat sich auch gemeldet.....

P.Stibbons

@ Bobbele:
Zitat
Wo kann man das eigentlich nachlesen, ich meine das mit dem Abhängigkeitsrisiko? Gibts da Quellen?

Da gibt es mittlerweile jede Menge Quellen/verlässliche Studien.

Am besten auf den einschlägigen Infoportalen ( z.B. Zentrales ADHS-Netz) nach den aktuellen Veröffentlichungen schauen.

http://www.zentrales-adhs-netz.de/fuer-therapeuten/fachliteratur/literaturhinweise-erwachsene.html

http://www.zentrales-adhs-netz.de/fuer-therapeuten/forschung/adhs-bei-erwachsenen.html

ADHS und Abhängigkeitserkrankungen, das wird z.B. an der Charite geforscht - derzeit bauen die wohl grad ihre Web-Präsenz um, daher finde ich den direkten Link nicht.
Es gibt aber auch eine Habilitationsschrift, eine Meta-Analyse der Datenlage zum Thema.
Wenn ich sie wieder finde, stell ich sie hier rein.

Hier im Überblick:

http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000002733/0_huss.pdf?hosts=

Krause & Krause : ADHS im Erwachsenenalter, 3.Auflage , haben dazu sicher auch den "State of the Art" incl. ausgiebiger Literatur (bis incl. 2010, wenn ich mich richtig erinnere)

Die Frage ist auch deswegen von praktischer Bedeutung, weil es oft um die schwierige Entscheidung geht, ob ein spät diagnostizierter ADHSler, der sich als "Selbsttherapie" eine stoffgebundene Abhängigkeitserkrankung eingehandelt hat, erst mal alles absetzen muss bevor eine medikamentöse Einstellung mit MPH überhaupt in Frage kommt.


Bobbele

@Ponder,

ZitatDa gibt es mittlerweile jede Menge Quellen/verlässliche Studien.

vielen Dank, das wusste ich nicht. Meine (persönliche) Erfahrung ist eine andere, nämlich dass MPH viel zuwenig (=überhaupt nicht) "kickt" um suchterzeugend zu sein.

P.Stibbons

Eben.

Die immer wieder von Klinikern bestätigte Beobachtung ist, dass es unter MPH oft sogar leichter fällt, andere stoffgebundene Süchte (etwa auch Nikotinsucht) aufzugeben:
eine unbehandelte ADHS birgt das Risiko vieler Komorbiditäten; dazu gehören leider auch stoffgebundene Abhängigkeiten.

(Natürlich gibt es immer Mittel und Wege, eine Substanz schnell anfluten zu lassen ("Kick") oder sonstwie missbräuchlich einzunehmen, aber dies gilt für andere Medikamente auch.)

Bobbele

Zitat von: P.Stibbons am 11. Januar 2012, 00:52:59
(Natürlich gibt es immer Mittel und Wege, eine Substanz schnell anfluten zu lassen ("Kick") oder sonstwie missbräuchlich einzunehmen...

Ich schätze mal für einen ausgemachten Polytoxikomanen ist MPH diesbezüglich eher langweilig.

hypocampus

Zitat von: Bobbele am 11. Januar 2012, 00:23:20
Zitat von: hypocampus am 10. Januar 2012, 23:42:27
...ganz viel Text...

Ich hätte da ein paar Fragen (kenne mich zufällig auch ein bißchen mit MPH aus):

'Kokain ist es nicht. Auch wenn die Wirkungsweise ähnlich ist, so sind die Substanzen grundlegend verschieden.'

Ich kenne MPH und ich kenne (aus früheren Zeiten) Kokain. Wenn MPH ähnlich wirken würde wie Kokain würde ich es nicht nehmen. Ich will ja nüchtern bleiben.

'Das Abhängigkeitsrisiko von MPH ist kalkulierbar, solange es wie vorgeschrieben verwendet und nicht missbraucht wird (pulverisiert und geschnupft, injiziert). Der Missbrauch erst erzeugt ein Abhängigkeitspotential, der bei regulärer Anwendung nicht nennenswert ist.'

Wo kann man das eigentlich nachlesen, ich meine das mit dem Abhängigkeitsrisiko? Gibts da Quellen?

Für seriöse Recherche die einzige sinnvolle Adresse:

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/

oder alternativ:

http://scholar.google.de/

Englisch ist die Sprache der Wissenschaft wohlgemerkt, falls es zuwenig Ergebnisse ergibt bei der Suche nach irgend etwas:

http://scholar.google.de/scholar?hl=de&q=methylphenidate+addiction+risk&btnG=Suche&lr=&as_ylo=&as_vis=0

Das sind natürlich Fachtexte für Fachleute geschrieben. Man sollte teilweise schon zumindest ein grobes Grundverständnis besitzen um dem etwas entnehmen zu können.

Interessant für den Nichtwissenschaftler eventuell noch: Es gibt wissenschaftliche Veröffentlichungen mit Ergebnissen eines Experimentes. Um ein Gesamtbild zu erhalten kann es sinnvoller sein "reviews" anzuschauen, also Zusammenfassungen des Erkenntnisstandes zu einer Thematik basierend auf einer Sammlung solcher Veröffentlichungen, in Pubmed sind die auch gesondert filterbar rechts auf der Seite.

Nicht alle Artikel sind frei im Volltext erhältlich, sondern viele über Abonnements der wissenschaftlichen Fachzeitschriften (oder Einzelartikeln) nur nach Bezahlung zugänglich, in der Regel durch forschende Institutionen wie zB Universitäten gekauft. Grundsätzlich gibt es jedoch das abstract, die kurze Zusammenfassung aller Ergebnisse und Schilderungen umsonst.



Du hast ganz Recht - es wirkt nicht wie Kokain, es funktioniert nur ähnlich. Da habe ich mich unscharf ausgedrückt, es handelt sich bei beiden Stoffen um Wiederaufnahmehemmer, und zwar wirken beide hemmend auf die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin.

Daher nehmen die ihre Argumentation - die Funktionsweise des Medikamentes ist bei ganz grober Betrachtungsweise ähnlich, das sagt jedoch rein gar nichts darüber aus, wie die Wirkung ausfällt. Das Methylphenidat bewirkt keinen so steilen Anstieg in der Dopaminkonzentration wie das Kokain. Das Kokain wirkt maßgeblich sehr stark auf die Dopaminfreisetzung, das MPH nicht so stark. Der Mechanismus funktioniert durchaus ebenfalls in ähnlicher Art und Weise, jedoch mit anderen Konzentrationsverhältnissen und Freisetzungsgeschwindigkeiten die letztendlich über die wirkliche beobachtete Wirkung entscheiden. Chemische Eigenschaften einer Substanz können darüber entscheiden wie schnell sie an ihren Wirkungsort gelangen oder in welchen Hirnbereichen sie mehr Wirkung entfalten können, weil sie zu geringfügig unterschiedlichen "Zielstrukturen" eine unterschiedliche Affinität haben. Der direkte Schluss durch einen vergleichbaren Wirkmechanismus zur tatsächlich festgestellten Wirkung hinkt in der Realität folglich, insbesondere bezüglich des Suchtpotentials. 

Es sei denn, man zweckentfremdet es durch den sogenannten "parenteralen Abusus": par = "neben" enteral = "dem Darm", sprich alles was nicht über die Verdauung geht. Dann geht es nämlich nicht mehr über die Leber, wo ein Teil bereits abgebaut wird bevor es wirksam ist und es muss nicht erst langsam im Darm resorbiert werden. Aus demselben Grund wird Kokain geschnupft - über die Schleimhäute wird der Darm und die Leber umgangen, die Dosis im Blut steigt schnell und stärker an. (Die betäubende Wirkung wäre eventuell auch nicht so prickelnd beim Schlucken ;D)  Rauchen (+ Backpulver = Crack) hat denselben, bzw. noch stärkeren Effekt, ob das auch mit MPH missbräuchlich gemacht wird ist mir jedoch nicht bekannt.

Das Abhängigkeitspotential im Sinne einer Sucht geht vom "Kick" aus und der ist nichts anderes als ein schneller Dopaminschub der das Belohnungssystem dementsprechend stimuliert. Es geht um den zeitlichen Verlauf der Freisetzung, nicht unbedingt um die Frage ob es generell dazu kommt oder nicht.

Aber MPH wird ja auch "Koks für Arme" genannt, denn es wird wie beschrieben von manchen Drogenusern missbraucht. Es soll dann leicht ähnliche Wirkung wie das Kokain zeigen. Ich schreib das jetzt mal einfach so offen und hoffe, dass man das hier mit der entsprechenden Vernunft aufnimmt. Ich habe mit beiden Sachen keine persönliche Erfahrung und habe nicht vor, das zu ändern. Aber genau deswegen ist das Medikament auf der BtM-Liste und nicht so einfach zu bekommen. Weniger wegen der konkreten Gefahr, sondern vielmehr wegen ein paar Idioten ohne Verantwortung im Umgang damit.

P.S.: Mein Arzt ist zusätzlich Suchtmediziner und war einer der ersten nach seiner Aussage, die MPH als Mittel für Kokainabhängige im Entzug mit Erfolg off-label angewendet hat. Inzwischen ist es in den Fachpublikationen auch angekommen, dass dies eine sinnvolle Methode ist, kokainabhängigen den Entzug leichter zu machen.

P.Stibbons

@ Hypocampus:

Prima, dass wir durch dich hier qualifizierte Unterstützung bekommen!
Mit praktisch relevanten Überlegungen dazu, wie eventuell eine missbräuchliche Verwendung von MPH aussehen könnte , würde ich mich dennoch aus verschiedenen Gründen zurück halten.

Leute mit echten Abhängigkeitsproblemen finden oft erstaunliche Wege...




zwingenberger

@ hypocampus:

Ein wunderbarer Beitrag, der eine "größere Glocke" verdient hätte. Ich werde mich gerne daraus aufmunitionieren. Mit Tatsachen argumentiert es sich - manchmal - recht gut.  ;)

Conina

Wir haben im Wiki einen Artikel zur Ritalinkritik:
http://www.psiram.com/ge/index.php?title=Ritalinkritik

Kennst Du den schon, Hypocampus?

Ist der Nick eigentlich ein Wortspiel oder ein Vertipper? ;D
Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber nicht machen, dass es trinkt.

hypocampus

Zitat von: P.Stibbons am 11. Januar 2012, 08:52:05
@ Hypocampus:

Prima, dass wir durch dich hier qualifizierte Unterstützung bekommen!
Mit praktisch relevanten Überlegungen dazu, wie eventuell eine missbräuchliche Verwendung von MPH aussehen könnte , würde ich mich dennoch aus verschiedenen Gründen zurück halten.

Leute mit echten Abhängigkeitsproblemen finden oft erstaunliche Wege...

Danke für das positive Feedback.

Zum Thema Drogenmissbrauch: Nun, wer die entsprechende "kriminelle Energie" besitzt dem kann ich auch sagen: Es lohnt sich nicht. Wer einschläg informiert ist wird das bereits wissen, außerdem wird er auch festgestellt haben dass es wesentlich einfacher ist, sich illegale Drogen zu besorgen als in einem langwierigen Prozess ohne große Erfolgschancen semi-legal über einen Arzt zu gehen um ein verhältnismäßig schwaches Medikament zu bekommen. Das wird eben sehr streng kontrolliert hierzulande. Wenn ich überlege, dass ich schonmal einfach so auf der Straße gefragt wurde ob ich Koks haben möchte erscheint mir das als keine nennenswerte Erleichterung des Substanzmissbrauchs.

Du hast aber schon Recht, es gibt nichts was es nicht gibt, somit noch der entsprechende Hinweis an diejenigen die nicht nachdenken: Ich erwähnte die Möglichkeit der Injektion. Es gibt ein paar kluge Köpfe die auf die Idee kommen, das Zeug kleinzubröseln und zu injizieren. Resultat: Die anderen Tabletteninhaltsstoffe schwimmen als Klumpen im Blut, verstopfen kleine Gefäße im Hirn oder am Herzen, es kommt zur Embolie und zum plötzlichen Tod. Soviel dazu, man kann wirklich nicht wissen auf welche Ideen manche Leser so kommen mögen. Vielleicht schließe ich da zu stark von mir auf andere - die Drogen werden deswegen als "böse" stigmatisiert weil man sich bewusst ist, dass einige Gemüter simpel sind und komplexere Sachverhalte nicht verstehen würden, die über ein "darfst du" und "darfst du nicht" hinausgehen.

Zitat von: Conina am 11. Januar 2012, 09:42:09
Wir haben im Wiki einen Artikel zur Ritalinkritik:
http://www.psiram.com/ge/index.php?title=Ritalinkritik

Kennst Du den schon, Hypocampus?

Ist der Nick eigentlich ein Wortspiel oder ein Vertipper? ;D

Ich schau ihn mir mal an.

Da ich bereits das Angebot habe als Autor im wiki mitzuwirken werde ich ihn vielleicht ergänzen können.

Der Nick ist volle Absicht, ich leide wie gesagt unter ADS, der Hippocampus den du vollkommen richtig als Anspielung erkannt hast spielt eine entscheidende Rolle in der Funktion unseres Gedächtnisses. Da mein Gedächtnis nicht so dolle ist und der Zusatz "Hypo-" für ein "Unter-" im Sinne einer Unterfunktion zB verwendet wird, fiel mir das als bewusst so gewähltes Wortspiel ein ;)

Bobbele

@Hypocampus,

danke für die sehr ausführliche und verständliche Antwort auf meine Frage. Ich finde es klasse wenn ADSler über so viel Fachwissen verfügen und dieses auch noch gut rüberbringen können. Ansonsten schließe ich mich den anderen Kommentatoren gerne an ;-)

hypocampus

Ich habe gerade angefangen einen vollwertigen Artikel zum Thema ADHS-Kritik für die Wiki-Seite zu schreiben, Stand momentan: 10 DIN A 4 Seiten ^^

Sagt mal, wie schaut es aus mit persönlichen Stellungnahmen des Autors? Verstößt das gegen die "Wiki-Ethik" oder die gängige Praxis?

Ich denke mir an manchen Stellen reicht eine bloße wertfreie Angabe von quellenbasierten Fakten nicht für eine schlüssige Argumentation, da gerade der Laie nicht von alleine die richtigen Schlüsse zieht nur weil er Forschungsergebnisse präsentiert bekommt. Ich halte es deswegen für sinnvoll, diesen Artikel ein bisschen mit meiner persönlichen Interpretation zu würzen und diese mit der entsprechenden Fachliteratur zu untermauern anstatt ausschließlich Erstautoren in ihren Aussagen zu zitieren. Ich bin ja sozusagen selber Fachmann, der Artikel würde ähnlich einem wissenschaftlichen review-Artikel ausfallen am Ende.
Er wird sich auch generell etwas abheben, das heißt ich reproduziere nicht einfach wikipedia.

Schreibt mal ein wenig eure Meinung dazu, insbesondere was persönliche Aussagen angeht.

P.S.: Eine andere Sache mit der ich mich etwas rumschlage ist die übliche Gliederung in Unterpunkte - da der gesamte Text bisher von mir alleine stammt ist er sehr viel "Aufsatzähnlicher" als die Wiki Artikel die ich so kenne. Er ist sehr stark konzipiert, in einem Gesamtzusammenhang gelesen zu werden. Mal sehen wie ich das hinbekomme, wenn die Grobfassung steht mach ich mir über Details Gedanken.


Die Frage ist dann auch, ob man diesen dann nicht mit dem Thema "Ritalinkritik" verschmelzen sollte.

Dr. Ici Wenn

Zitat von: hypocampus am 13. Januar 2012, 13:31:58

Sagt mal, wie schaut es aus mit persönlichen Stellungnahmen des Autors? Verstößt das gegen die "Wiki-Ethik" oder die gängige Praxis?

So weit ich weiß, gibt es Artikel, in denen es Kommentare gibt. Wenn man das sauber kennzeichnet, warum nicht. Es geht ja nicht um Strukturen die als Selbstzweck einzuhalten sind, sondern möglichst verständlich zu informieren. Bei komplexen Themen sind Kommentare/Stellungnahmen sicher hilfreich. m.M.