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Psychologie überflüssig? Oder doch nicht?

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Begonnen von Ratiomania, 19. April 2011, 12:16:08

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Ratiomania

Da ich bald meine erste Psychologie-Vorlesung besuchen darf, habe ich mich als Biologiestudent gefragt, warum die Psychologie (heute noch) eine "eigenständige" Wissenschaft darstellen soll.

Wikipedia sagt, Psychologie wäre traditionell im "Spannungsbereich" zwischen Geistes- und Naturwissenschaft.

Fortschritte in Verhaltensbiologie und Neurobiologie stellen meiner bescheidenen Meinung nach eine gute naturalistische Grundlage dar um das Themenfeld "kognitive Prozesse, Dynamiken, Ontogenesen und ihre Grundlagen" abzudecken, oder nicht?

Polemisch-provokativ ausgedrückt:

Zu sagen/zu behaupten kognitive("geistige") Phänomene bräuchten eine Wissenschaft die zwischen Geistes- und Naturwissenschaften liegt und sich bei beiden Gruppen an Konzepten und Paradigmen bedient erscheint mir so absurd wie zu behaupten, dass die Artenvielfalt und Artenentstehung (Evolution) eine Wissenschaft braucht die zwischen Biologie und Theologie angesiedelt sein muss.

Desweiteren versteh ich nicht den Argumentationspunkt der Psychologen:


http://www.wissenschaft-online.de/artikel/781468


Zitat:

Zitat[...]Solange wir nicht wissen, welche physikalischen Prinzipien psychischen Phänomenen und Leistungen kausal zu Grunde liegen - sei es der Sprach- oder Zahlengebrauch, das Urteilsverhalten oder die Wahrnehmung von Intentionen anderer -, solange stellen neurophysiologische Daten nicht mehr als Korrelationen dar, die selbst wiederum einer Erklärung bedürfen. Dies scheint uns ein zentraler Punkt im Verhältnis von Psychologie und Hirnforschung zu sein. Er lässt sich an einem Beispiel aus der Gedächtnisforschung veranschaulichen: Psychologen, die an der Funktion des Gedächtnisses interessiert sind, könnten etwa in einem Experiment untersuchen, wie Gedächtnisleistungen von der Schwierigkeit der jeweiligen Aufgaben abhängen. Ein Neurowissenschaftler hingegen mag in dem gleichen Experiment den Energieverbrauch in bestimmten Hirnregionen messen, um kausale Aussagen über Funktionen des Hippocampus zu machen - einer Gehirnstruktur, die zweifellos eine wichtige Rolle für die Gedächtnisleistung spielt.

Kooperation statt Konkurrenz
Doch ist es nun aber keineswegs gerechtfertigt, aus einem Unterschied des Energieverbrauchs im Hippocampus eine kausale Aussage über psychische Gedächtnisfunktionen abzuleiten. Sobald man nämlich die Ergebnisse einer solchen Messung für die Erklärung psychischer Leistungen verwendet, gibt man eine korrelative Beziehung als Kausalbeziehung aus - was trotz der suggestiven Kraft bunter fMRT-Bilder ein fataler und folgenreicher Denkfehler ist. Ganz anders liegen die Dinge natürlich, wenn man die Hippocampus-Funktion direkt experimentell manipuliert, etwa durch Elektrostimulation oder teilweise operative Entfernung, und dann die psychische Gedächtnisleistung misst. Nun untersucht man nicht mehr rein korrelative Beziehungen, sondern kann im Idealfall auch kausale Abhängigkeiten zwischen Hirnfunktion und Gedächtnisleistung analysieren. Wir dürfen also den korrelativen Charakter von Messungen der Gehirnaktivität nicht mit kausalen Erklärungen psychischer Leistungen verwechseln - weder in der Psychologie noch in den Neurowissenschaften. Würde dieser Unterschied sorgfältiger beachtet, ließen sich viele Missverständnisse und daraus resultierende überzogene Erkenntnisansprüche vermeiden. An dem genannten Beispiel wird deutlich, dass die Neurowissenschaften dabei keineswegs in Konkurrenz zur Psychologie treten. An Berührungspunkten können sie die Psychologie bereichern, so wie sich auch die Hirnforschung umgekehrt als umso erfolgreicher erweisen wird, je mehr Unterstützung sie durch sich weiterentwickelnde psychologische Modelle und Theorien erfahren kann.

Die Psychologie bleibt also unverzichtbar.[...]

Der Neurowissenschaftler macht also den Fehler wenn er der Korrelation Engergieverbrauch => kognitive Leistung Kausalität zuspricht,
der Psycholge macht keinen wenn er die wie auch immer quantifizierbaren "Gedächtnisleistungen" und "Schwierigkeit der jeweiligen Aufgaben" untersucht.

Vielleicht hab ichs ja dank meiner geistigen Inkompetenz net so ganz verstanden...

Graumagier

Zitat von: Ratiomania am 19. April 2011, 12:16:08Polemisch-provokativ ausgedrückt:

Zu sagen/zu behaupten kognitive("geistige") Phänomene bräuchten eine Wissenschaft die zwischen Geistes- und Naturwissenschaften liegt und sich bei beiden Gruppen an Konzepten und Paradigmen bedient erscheint mir so absurd wie zu behaupten, dass die Artenvielfalt und Artenentstehung (Evolution) eine Wissenschaft braucht die zwischen Biologie und Theologie angesiedelt sein muss.
Zweifelsohne ist eine Dichotomie zwischen klassischer Psychologie und reiner Neurowissenschaft wenig zukunftssicher. Die Frage, die sich in diesem Kontext allerdings stellt (leicht polemisch-provokativ ausgedrückt ;) ) ist diese: Muss die Psychologie um die Neurowissenschaften erweitert werden, um die beobachteten Phänomene erklären zu können? Oder brauchen die Neurowissenschaften nicht den psychologischen Zugang, um überhaupt ermitteln zu können welche Auswirkungen die von ihnen beobachteten neurologischen Zustände haben?

Will sagen: Die Psychologiestudenten die ich kenne kommen an den Neurowissenschaften sowieso nicht vorbei, da gibt es schon klare Verbindungen. In der aktuellen Forschung sowieso. Psychologie ist einfach ein Überbegriff für mehrere Teildisziplinen, die sich jeweils dem menschlichen Verhalten widmen.

Ratiomania

Zitat von: Graumagier am 19. April 2011, 18:58:33
[...]
Will sagen: Die Psychologiestudenten die ich kenne kommen an den Neurowissenschaften sowieso nicht vorbei, da gibt es schon klare Verbindungen. In der aktuellen Forschung sowieso. Psychologie ist einfach ein Überbegriff für mehrere Teildisziplinen, die sich jeweils dem menschlichen Verhalten widmen.

Ähnlich der Anthropologie?

rincewind

Zitat von: Ratiomania am 19. April 2011, 21:45:38
Ähnlich der Anthropologie?

Nachdem es der Graumagier ja wohlformuliert hat, hier noch etwas zotiger: Der Werkstoffwissenschaftler befasst sich u.A. mit Beton, der Architekt auch. Trotzdem ist es sinnvoll und vor allem praktisch, wenn es beide Berufsgruppen gibt, weil sie jeweils umfangreicher sind und keine 100% Schnittmenge haben und an anderen Zielen orientiert sind. Bekanntlich ist bei wirklichen Fortschritten oft die richtige Fragestellung sehr wichtig. Und die ist halt beim letzlich gleichen Objekt verschieden, und das macht es aus. Was aber wiederum nicht ausschließt, dass der eine im Fach des Anderen im Einzelfall nicht tolle Leistungen bringen könnte.

Hoffe, der Vergleich war verständlich, auch wenn er etwas hinkt.

Janus

Psychologie ist schon noch nützlich, wenn man die Wissenschaftlichen Psychologien wie Verhaltenstherapie und Kognitivismus nimmt. Und es ist auch sogar notwendig, da unser Gehirn komplexes Verhalten erzeugt, wie über etwas nachdenken, die nicht einfach in neurobiologisch erklärt werden können.

Superkalifragilistisch

Die Psychologie hat vor allem eine Aufgabe: Schlagzeilen für die Feuilletons zu produzieren. Zu verblüffen. Auflage erhöhen. Oder wie Lacan es sagt: ,,Bluffer, faire ciller les gens, les éblouir avec des mots qui sont du chiqué"

"Psychologen der Universität xyz haben wieder einmal erstaunliches herausgefunden ..." Sie nutzt parasitär die Glaubwürdigkeit des universitären Umfeldes, in das sie sich eingenistet hat, um Bullshit zu "erforschen." Vergleichbar mit dem, was Frau Witt an der Charité macht.

Leseempfehlung:
Wie es zur Abnabelung der Psychologie von der Philosophie kam
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

Jetzt im Trend: »irgendwas mit Gesellschaftskritik«

Graumagier

Zitat von: Superkalifragilistisch am 20. April 2011, 14:48:20"Psychologen der Universität xyz haben wieder einmal erstaunliches herausgefunden ..." Sie nutzt parasitär die Glaubwürdigkeit des universitären Umfeldes, in das sie sich eingenistet hat, um Bullshit zu "erforschen." Vergleichbar mit dem, was Frau Witt an der Charité macht.
Echt jetzt? Das mag ja auf einige Teilbereiche durchaus zutreffen, ich denke da nur an Evolutionärpsychologie oder jüngste Auswüchse der Verbindung von Psychologie und Genetik; ebenso kann ich mit (oftmals philosophisch-ideologisch motivierten) Extrempositionen allgemein wenig anfangen. Wegen solcher (medienwirksamer) Ausreißer das ganze Feld in Verruf zu bringen halte ich aber für überzogen. Mit der selben Argumentation solltest du dann auch Biologie ("Das Übergewichts-Gen"), Medizin ("Das Heilmittel für Krebs") oder Physik ("Kalte Fusion") ablehnen.

Graumagier

Zitat von: Superkalifragilistisch am 20. April 2011, 14:48:20"Psychologen der Universität xyz haben wieder einmal erstaunliches herausgefunden ..." Sie nutzt parasitär die Glaubwürdigkeit des universitären Umfeldes, in das sie sich eingenistet hat, um Bullshit zu "erforschen." Vergleichbar mit dem, was Frau Witt an der Charité macht.
Echt jetzt? Das mag ja auf einige Teilbereiche durchaus zutreffen, ich denke da nur an Evolutionärpsychologie oder jüngste Auswüchse der Verbindung von Psychologie und Genetik; ebenso kann ich mit (oftmals philosophisch-ideologisch motivierten) Extrempositionen allgemein wenig anfangen. Wegen solcher (medienwirksamer) Ausreißer das ganze Feld in Verruf zu bringen halte ich aber für überzogen. Mit der selben Argumentation solltest du dann auch Biologie ("Das Übergewichts-Gen"), Medizin ("Das Heilmittel für Krebs") oder Physik ("Kalte Fusion") ablehnen.

EDIT: Bei deinem Link weiß ich außerdem nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Der Autor kritisiert u.a. die Psychoanalyse Freuds (ein ideologisches System, das meiner Meinung nach durchaus kritisiert gehört), setzt Psychoanalyse aber anscheinend gleich mit Psychologie, was entweder bewusst polemisch oder unbewusst unwissend ist. Weiters weiß ich nicht ob es wirklich zielgerichtet, gegen eine ideologische "Seelentheorie" (die Psychoanalyse) mit noch viel mehr philosophischem Geschwurbel zu argumentieren.

Superkalifragilistisch

Ich bin der Meinung, dass psychologische Forschung und ihre plakative Darstellung in den Medien, anders wie bei Medizin, Biologie und Physik, (mit einigen Ausnahmen wie überall) in hohem Maße identisch sind. Anstatt Mythen mit psychologischem Gespür zu hinterfragen produziert sie Mythen. Das ist der Grund, warum ich diesen Link gepostet habe: Es erstaunt mich, dass auf einer Seite einer psychologischen Fakultät die Annahme eines Unbewussten hinterfragt wird !
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

Jetzt im Trend: »irgendwas mit Gesellschaftskritik«

Superkalifragilistisch

Die universitäre Psychologie ist vom Freudianismus und dessen Begriffen durchsetzt. Etwas anderes zu behaupten wäre absurd.
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

Jetzt im Trend: »irgendwas mit Gesellschaftskritik«

Wirsing

Zitat von: Superkalifragilistisch am 20. April 2011, 16:12:08
Ich bin der Meinung, dass

Eben daß ist das Problem.....
Ich bin in der Psychologie zwar nicht wirklich firm, aber wenn meine bessere Hälfte das lesen würde, würd sie Dir zurecht an den Hals gehen (obwohl A und O´lerin und keine Klinikerin).
Warum?
Ganz einfach, Du pauschalisierst und bist einer Meinung. Hast Du schonmal normale Psychologieforschung in guten Fachjournals gelesen?
Ich als Naturwissenschaftler vertrete durchaus die These, daß Psychologen sich zwar naturwissenschaftlicher Werkzeuge bedienen und häufig (je nach Uni) in statistischen Analysen deutlich besser geschult werden, als Naturwissenschaftler, aber doch eher den Geisteswissenschaften zuzurechnen sind. Auch wird die klinische Psychologie sicherlich in weiter Zukunft in den Neurowissenschaften aufgehen, Psychologen deswegen allerdings Kompetenzen abzusprechen halte ich nicht nur für gewagt sondern auch für unverschämt.  

Zitat von: Superkalifragilistisch am 20. April 2011, 16:17:35
Die universitäre Psychologie ist vom Freudianismus und dessen Begriffen durchsetzt. Etwas anderes zu behaupten wäre absurd.

Aha.... Hast Du das Fach studiert und wenn ja wo, oder ist das auch wieder Deine Meinung?

Graumagier

Zitat von: Superkalifragilistisch am 20. April 2011, 16:12:08Es erstaunt mich, dass auf einer Seite einer psychologischen Fakultät die Annahme eines Unbewussten hinterfragt wird !
Vielleicht ist dir auch einfach nicht bewusst, dass in den Neurowissenschaften vorzugsweise der Begriff "nonconscious" anstelle des tiefenpsychologischen "unconscious" verwendet wird, gerade um sich von diesem (von Freud geprägten) Konzept abzugrenzen? Diese Abgrenzung nimmt m.M.n. auch der Autor in dem verlinkten Artikel zu NLP vor, wenn auch nicht explizit formuliert.

Zitat von: Superkalifragilistisch am 20. April 2011, 16:17:35Die universitäre Psychologie ist vom Freudianismus und dessen Begriffen durchsetzt. Etwas anderes zu behaupten wäre absurd.
Ich behaupte dass das vor allem ein Phänomen des deutschsprachigen Raums war (teilweise vielleicht noch ist). Vor allem in den Staaten wird man mittlerweile wohl nur noch belächelt, wenn man mit Freud daherkommt.

Wolleren

Zitat von: Graumagier am 20. April 2011, 16:45:20
...
Zitat von: Superkalifragilistisch am 20. April 2011, 16:17:35Die universitäre Psychologie ist vom Freudianismus und dessen Begriffen durchsetzt. Etwas anderes zu behaupten wäre absurd.
Ich behaupte dass das vor allem ein Phänomen des deutschsprachigen Raums war (teilweise vielleicht noch ist). Vor allem in den Staaten wird man mittlerweile wohl nur noch belächelt, wenn man mit Freud daherkommt.
Richtig, es fehlt nur noch die Behauptung, Richard Wiseman würde gar keine Psychologie betreiben (vgl. etwa das Lügenexperiment), sondern sein Fach hieße ausschließlich Quirkology .
Wenn man Psychologie als Freibrief für Gedankenwichserei versteht und sie damit mit unmethodischer Philosophie verwechselt, blendet man aus, dass ein beträchtlicher Prozentsatz an künftigen Psychologen an der Methodenlehre, sprich Statistik & wissenschaftlichem Arbeiten, scheitert. Die universitäre Psychologie bemüht sich seit Jahrzehnten darum, die Schwurbler rauszuekeln.

Den Universitäten ohne jeden Beleg denselben Vorwurf wie den Esoterikern zu machen, führt in die Irre.

Janus

In Deutschland und Frankreich hat sich noch etwas Freud'scher Unsinn erhalten aber auch an Universitäten hier und besonders im Englischsprachigen Raum wird mit Psychologie größtenteils Überprüfbare Fakten gelehrt. Das sind Verhaltenstherapie (also verallgemeinert Behaviourismus), Psychiatrie (also das biologische) und Kognition. Psychoanalyse spielt an PSYCHOLOGISCHEN Universitäten keine Rolle mehr, wohl aber an SOZIOLOGISCHEN Universitäten. Die Sozialwissenschaften sind mit dem Freud'schen Bullshit vollkommen durchsetzt, insbesondere wenn es sich um das Auseinandersetzen mit Gruppen, die sich diskriminiert fühlen geht. Da bei den "Gender"Science geht die schwurbelei richtig los. Allein Gender ist schon Bullshit. Es gibt KEIN Soziales Geschlecht.

Chili

In der wissenschaftlichen Psych.wird sehr viel über Statistik ermittelt.Ich sehe schon zunehmend eine Annäherung an die Neurowissenschaften.Psychoanlyse scheint eher die Rolle einzunehmen,der der Homöopathie in der Medizin zukommt.