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Nudging: Wie uns der Staat zu Spiessern erzieht

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Begonnen von Groucho, 10. März 2014, 16:07:40

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Groucho

ZitatSchnellenbach sieht eine Reihe weiterer Gefahren im sanften Paternalismus. Wenn Staat oder Organisationen den Menschen systematisch Entscheidungen abnehmen oder in eine bestimmte Richtung hin «erleichtern», kann eine auf Eigenverantwortung basierende Entscheidungsroutine nur schlecht gedeihen. Wer per Geburt automatisch zum Organspender wird, ohne sich dessen bewusst zu sein, wird sich kaum je mit Fragen über Hirntod, Organmangel oder Organ-Allokation auseinandersetzen – im Gegensatz zu demjenigen, der aus eigenem Antrieb einen Spenderausweis ausfüllt. Und auch der auf persönlichen Erwägungen basierende Altruismus-Gedanke wird durch den obrigkeitlichen «Nudge» obsolet. Solche Mechanismen können eine Gesellschaft laut Schnellenbach grundlegend prägen. «Eigenverantwortlichkeit ist wie ein Muskel», sagt der Ökonom. «Wird sie nicht trainiert, verkümmert sie oder bildet sich gar nicht erst aus.»

Aus der Sicht von Schnellenbach steht der sanfte Paternalismus quer zur Idee der individuellen Freiheit, die erst dort aufhört, wo sie die Freiheit des anderen beschneidet, und er steht auch quer zum Prinzip des persönlichen «Strebens nach Glück». Der sanfte Paternalismus schaffe soziale Konventionen und erzeuge Konformitätsdruck. Dass die Politik dabei die gesellschaftlichen Ziele vorgibt, ist für Schnellenbach ein klassischer Fall von «Anmassung von Wissen» durch den Staat.

Im Staat existiert der sanfte Paternalismus heute vorab als Theorie oder Experiment. Dass er ins breite politische Denken finden wird, darf man laut Schnellenbach aber erwarten. Und was würde dann geschehen? Eine solchermassen gesteuerte Gesellschaft, meint er, wäre schlicht unerträglich brav, fad, konformistisch und spiessig.
http://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/wie-uns-der-staat-zu-spiessern-erzieht-1.18259326

Robert

ZitatEine solchermassen gesteuerte Gesellschaft, meint er, wäre schlicht unerträglich brav, fad, konformistisch und spiessig.

Und fördert Neid, Denunziantentum und Intoleranz.

Belbo

....eigentlich machen wir hier bei psiram doch nichts anderes als das was dem Staat in dem Essay vorgeworfen wird.

Groucho

Zitat von: Belbo am 10. März 2014, 17:24:41
....eigentlich machen wir hier bei psiram doch nichts anderes als das was dem Staat in dem Essay vorgeworfen wird.

??

F. A. Mesmer

ZitatGanz anders sieht dies der Ökonom Jan Schnellenbach, Geschäftsleiter am Walter-Eucken-Institut in Freiburg i. Br., das sich mit ordnungspolitischen Fragen beschäftigt. Schnellenbach kritisiert die subtile, manipulative Natur des sanften Paternalismus. «Das Verhalten der Menschen wird gesteuert, ohne dass die Menschen es merken», sagt Schnellenbach und verweist auf einen aus seiner Sicht problematischen Charakterzug dieses Steuerungsinstruments: «Der sanfte Paternalismus funktioniert vor allem dann gut, wenn die Begleitumstände intransparent sind.» Das hingegen passe nur schlecht zum Setting einer modernen, aufgeklärten und demokratischen Ordnung. Im Sinne der Transparenz ist Schnellenbach ein klares Verbot deshalb lieber als undurchsichtige «Nudges».

Schellenbach ist eigentlich grundsätzlich antistaatlich eingestellt. Aller Vokabeldrescherei (modern, aufgeklärt, demokratisch & transparent) zum Trotz. Üblicherweise verläuft die Argumentation aus seinem Haus entlang des heilbringenden Marktes, der nicht nur alles und jedes regelt, sondern darüber hinaus für den deutschen Staat sinnstiftend ist. In diesem Sinn untergräbt der dt. Staat seine Legitimationsgrundlage, wenn er marktintervenierend wirkt. Demokratie oder ähnliches ist da nur Tand. Es geht um Geldverdienen, und wer keines verdient, ist selbst daran schuld, ist halt marktfern.

Ich zähle jetzt mal nicht auf, welche Betätigungen da alles als marktfern einzustufen sind, ihr kommt selber drauf.

Aber einen Hinweis kann ich mir doch nicht verkneifen: Wer eine Krankenversicherung nötig hat, der ist schon praktisch Sozialist, weil, der eigeninitiative Bürger hat solche Kollektivscheiße nicht nötig... #)

Robert

Ich bin immer noch bei der altmodischen Nachtwächterfunktion des Staates und seines subsidiären Handelns.

Ein staatliche Regulierung wird nie allen gerecht, weil sie die Handlungsspielräume einschränkt und immer einen benachteiligt, den anderen bevorteilt. Um aber sog. Härtefälle abzumildern, gibt es Ausgleichszahlungen, Subventionen usw. die aber wiederum auch niemals gerecht sind. Sich benachteiligt Fühlende aber werden das ihnen Zustehende vom Staat fordern. Somit verschiebt sich der Wettbewerb zu einem Ringen um Allokation staatlicher Leistungen und Regelungen, die Begünstigungen versprechen. Das fördert den Lobbyismus.

Ich befürchte, dass jeder Staat mit Zunahme von Gesetzen, Regelungen und Verboten sich dem paternalistischen Modell nähert. Dagegen muss es auch Strömungen geben, sonst sehe ich die Ausgewogenheit in der Gesellschaft gefährdet, die gesellschaftliche und politische Auswüchse in jede Richtung auszugleichen vermag und letztendlich die Demokratie schützt.

Habs mal mit meinen eigenen Worten geschrieben, hoffe, es ist verständlich.

Belbo, versuche mal in D.

1) eine Firma zu eröffnen, die - sagen wir mal - Edelmetalle aus Alt-Elektrogeräten recycelt
2) Alternativquack zu vertreiben

Es wird deutliche Unterschiede geben. Wo wird über- und wo wird unterreguliert?  ;)

F. A. Mesmer

Robert,
jedenfalls werden wir beide wohl übereinkommen, dass der Staat nicht nur des Marktes wegen da ist, sondern für die Menschen, die in ihm leben.

Herr Schellenbach ist Geschäftsführer eines Instituts, dass den Neoliberalismus in diversen Spielarten propagiert.
Neoliberalismus, als Wettkampfbewerb aller gegen alle und überall ist nichts anderes als Sozialdarwinismus/das Recht des Stärkeren.
Mit Demokratie verträgt sich das nicht.

Robert

Zitat von: F. A. Mesmer am 10. März 2014, 19:24:58
Robert,
jedenfalls werden wir beide wohl übereinkommen, dass der Staat nicht nur des Marktes wegen da ist, sondern für die Menschen, die in ihm leben.

Herr Schellenbach ist Geschäftsführer eines Instituts, dass den Neoliberalismus in diversen Spielarten propagiert.
Neoliberalismus, als Wettkampfbewerb aller gegen alle und überall ist nichts anderes als Sozialdarwinismus/das Recht des Stärkeren.
Mit Demokratie verträgt sich das nicht.

Ich kenne diesen Typen nicht und ich muss ihn nicht gut finden, nur weil ich diesen Text gut finde. Du verwechselst Inhalt mit Person und ich habe/hatte nicht vor über diesen Schellenbach zu diskutieren. Ich sehe es als eine Form der Rabulistik an, nicht auf den Inhalt einzugehen, und statt dessen die Person mit meiner Meinung gleichzusetzen. So kommt keine Diskussion zustande, jedenfalls nicht mit mir.

F. A. Mesmer

hier wirst du fündig zu ganz vielen weiteren texten, die ungefähr in die richtung des fadens gehen.

[Ironie]
Der Fadentext beklagt, dass Staat und Herrschaft aus freien ungezwungenen Bürgern Menschen langweilige Spießer macht.
Ich empfinde es als Skandal, persönlich und menschlich, dass dieser Staat es sich erdreistet freie Bürger so tatkräftige, eigenverantwortliche und unternehmerisch denkende Bürger wie Hells Angels-Mitglieder verfolgt und bestraft. Das ist der Weg zum (National-)Sozialismus, wenn der Markt und seine Akteure so beschnitten werden. Frei nach F.A. Hayek.
[Ironie off]  #)

Wolleren

Zitat von: Belbo am 10. März 2014, 17:24:41
....eigentlich machen wir hier bei psiram doch nichts anderes als das was dem Staat in dem Essay vorgeworfen wird.
Richtig - aber psiram ist erstens nicht Teil des Staats, und zweitens ist Verbraucherschutz nicht Teil eines sanften Paternalismus, sondern eines Informationsangebots (das nicht wahrzunehmen idiotisch, aber nicht verwerflich ist). Aber die Vorstellung ist schon witzig.


Sind die Caritas, der Kreuzbund, die ARD, die Berufsgenossenschaften, e.V.'s samt Steuerbegünstigung Teil des Staates und seiner Lenkungsmacht, seines paternalistischen Gebarens? Wenn man das so sieht - wo bleibt dann das Recht des Individuums, sich zu mächtigeren Gruppen zusammenzuschließen, also das Recht des Individuums, seinem Recht auf Entfaltung stärkeres Gewicht zu verleihen?

Ach, diese Leute, die Individualismus in Gegensatz zu staatlichem Handeln setzen, brrr. Die Gesellschaft wird immer komplexer und ein sozial integriertes Leben schwieriger zu erreichen, aber diese Prediger verlangen vom Individuum, dass es seine gesamte Sozialgenese komplett reflektieren kann und das auch ständig tut. Dass man ohne Nachdenken zum Organspender werden könnte, einfach weil es alle machen - wie unindividuell, wie angepasst, wie wenig eigenverantwortlich!
Der richtige Begriff für dieses Getue ist wohl - der Sozialromantik nachempfunden - Individualromantik.

Robert

ZitatAch, diese Leute, die Individualismus in Gegensatz zu staatlichem Handeln setzen, brrr.

Nicht Gegensatz, denn sonst würde eine Gesellschaft nicht funktionieren. Diskussionswürdig ist immer das Maß von einzelnen Lenkungsmaßnahmen. Über das staatliche Gewaltmonopol herrscht Einigkeit, denke ich. Auch darüber, dass es Aufgabe des Staates ist, Schwächere zu schützen. Die Frage ist nur, ist es Aufgabe des Staates, den Bürger zu erziehen? Aufklärung und Bildung ja, aber wie man sieht, geschieht das nicht einmal umfassend, sonst gäbe es z.B. nicht diesem Boom der sog. Alternativmedizin.

Und hier setzt die Diskussion an. Ich darf meine Familie mit Glaubulis bekugeln, das Heilpraktikerunwesen blüht usw., und kaum eine staatliche Institution leistet hier die nötige Aufklärung. Andererseits wird mir vorgeschrieben, dass ich keine Glühbirnen zu verwenden habe, sondern die umweltschädlicheren Energiesparlampen. Und das empfinde ich als bizarr.  Ich MUTMASSE, dass es nicht um Verbraucherschutz geht, sondern dass hier einige Lobbys ihre Dreckpfoten im Spiel haben.

Belbo

Zitat von: Groucho am 10. März 2014, 18:57:23
Zitat von: Belbo am 10. März 2014, 17:24:41
....eigentlich machen wir hier bei psiram doch nichts anderes als das was dem Staat in dem Essay vorgeworfen wird.

??

Zitat[...] oder Organisationen den Menschen systematisch Entscheidungen [...] in eine bestimmte Richtung hin «erleichtern» [...]

Belbo

Zitat von: Robert am 11. März 2014, 07:38:49
ZitatAch, diese Leute, die Individualismus in Gegensatz zu staatlichem Handeln setzen, brrr.

Nicht Gegensatz, denn sonst würde eine Gesellschaft nicht funktionieren. Diskussionswürdig ist immer das Maß von einzelnen Lenkungsmaßnahmen. Über das staatliche Gewaltmonopol herrscht Einigkeit, denke ich. Auch darüber, dass es Aufgabe des Staates ist, Schwächere zu schützen. Die Frage ist nur, ist es Aufgabe des Staates, den Bürger zu erziehen? Aufklärung und Bildung ja, aber wie man sieht, geschieht das nicht einmal umfassend, sonst gäbe es z.B. nicht diesem Boom der sog. Alternativmedizin.

Und hier setzt die Diskussion an. Ich darf meine Familie mit Glaubulis bekugeln, das Heilpraktikerunwesen blüht usw., und kaum eine staatliche Institution leistet hier die nötige Aufklärung. Andererseits wird mir vorgeschrieben, dass ich keine Glühbirnen zu verwenden habe, sondern die umweltschädlicheren Energiesparlampen. Und das empfinde ich als bizarr.  Ich MUTMASSE, dass es nicht um Verbraucherschutz geht, sondern dass hier einige Lobbys ihre Dreckpfoten im Spiel haben.



Aber um was geht es denn dann? Darum dass  die Gemeinschaft (der Staat als Begriff wird mir in diesem Zusammenhang viel zu sehr benutzt wie die Schulmedizin, die Pharmalobby usw.) dem einzelnen überhaupt Vorschriften macht oder um die Methodik die Qualität und Sinnhaftigkeit dieser Vorschriften zu ermitteln?

Belbo


Omikronn

Zitat von: Belbo am 10. März 2014, 17:24:41
....eigentlich machen wir hier bei psiram doch nichts anderes als das was dem Staat in dem Essay vorgeworfen wird.

Wir erziehen also unsere Leser zu nicht hinterfragenden Spiessern weil wir es besser wissen? ???
Don't try to argue with idiots, first they tear you down to their level, then they beat you with their experience.