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Droge als Dämon / Eso-Sprech (wieder) auf dem Vormarsch

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Begonnen von F. A. Mesmer, 12. Februar 2014, 15:15:04

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F. A. Mesmer

Beispiel aus USA:
http://www.nbcnews.com/news/investigations/exclusive-hoffman-wrote-demons-diaries-overdose-n27366
Beispiel aus Mittelbayern:
http://www.mittelbayerische.de/region/schwandorf/artikel/alkohol-wirkt-wie-ein-daemon/877457/alkohol-wirkt-wie-ein-daemon.html

seit einiger zeit wird zunehmend nicht mehr davon gesprochen, dass jemand ein Säufer, Fixer oder Junkie sei, alkohol- oder drogenabhängig sei, ein Alkohol- oder Drogenproblem habe, nein neuerdings wird von einem persönlichen Dämon (z.B. Alkohol) gesprochen.
Zugleich ist es zusehend ein Kampf mit der Sucht, eigentlich gegen die, aber egal. und aus diesem Kampf wird nun ein Kampf gegen den Dämon, teilweise heroisierend (no pun intended), regelmäßig gegen einen übermächtigen Gegner - schließlich ja auch gegen einen Dämon.

mein eindruck ist, dass die personifizierung einer suchterkrankung in einen dämon, der von seinem opfer besitz ergreift... nicht unbedingt hilfreich ist, geschweige denn fortschrittlich.
wahrscheinlich aber nicht der exorzisten-kirche angelastet werden kann, schließlichkönnen die nicht für alles veranwortlich gemacht werden.

irgendwelche ideen?

MrSpock

In der Tat ein Problem. Mit einem Dämon oder dämonischen Kräften verbindet man ja die "Mächte des Bösen".

ZitatDie Opfer der Kirche, die in früheren Zeiten auf den Scheiterhaufen der Inquisition verbrannten oder anderweitig hingerichtet wurden, galten ihren Richtern meist als vom Teufel oder von Dämonen besessen. Unter Folter hatte man den Menschen zuvor entsprechende Geständnisse abgepresst. Und der Glaube, dass Andersgläubige mit dem "Teufel" im Bunde sein könnten, ist auch heute noch in der kirchlichen Bevölkerung lebendig - allerdings weniger als Vorstellung, dass die "Mächte des Bösen" hier personhaft, direkt und unmittelbar am Werk seien. Sondern man wähnt "Teufel" und "Dämonen" mehr im Hintergrund

http://www.theologe.de/theologe9.htm

Also ist die Lösung statt einer professionellen Suchttherapie der Exorzist? Mit dem Gebrauch des Wortes "Dämon" im Zusammenhang mit der Sucht wird der Süchtige in eine Opferrolle gerückt. Er kann ja nichts dazu, er ist vom Dämon besessen. Wie sagte schon MMW?

ZitatJohnny Walker, ich glaub nicht an den Quatsch
Johnny Walker, du wärst ne Teufelsfratz'
Johnny Walker, von mir aus röste mich
Johnny, ich fühl mich königlich
Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.

F. A. Mesmer

vor einiger zeit hatte ich ein gespräch. in diesem versuchte mir jemand zu erklären, dass die welt und das leben doch viel schöner wären mit gott/göttern, engeln,... ich für meinen teil sehe das zwar dezidiert anders und erlebe es eher als befreiend, dass es diesen quatsch nicht git.

aber bitte, wenn die existenz von dämonen als grund für ein alkoholproblem besser ist als diese popeligen unromantische und so üblichen erklärungen. :facepalm

Belbo

Ich könnte mir nur vorstellen, dass es hilft den "Schalter" umzulegen, bei meinem Zigarettenentzug vor Jahren war es wohl zum Grossteil diese Distanzierung die zum Erfolg geführt hat, mag sein das die Dämonisierung für weniger rational denkende Menschen da hifreich ist?

MrSpock

Zitat von: Belbo am 13. Februar 2014, 10:25:33
Ich könnte mir nur vorstellen, dass es hilft den "Schalter" umzulegen, bei meinem Zigarettenentzug vor Jahren war es wohl zum Grossteil diese Distanzierung die zum Erfolg geführt hat, mag sein das die Dämonisierung für weniger rational denkende Menschen da hifreich ist?

Nein, die Dämonisierung ist nicht hilfreich, sondern glatter Selbstbetrug. Man könnte auch Realitätsverweigerung sagen. Soll ja auch eine Folge von übermäßigen Kokainkonsum sein - zumindest war da doch mal was mit Christoph Daum? Auf jeden Fall erleichtert es das eigene Gewissen, wenn man an seiner Abhängikeit nicht selber schuld ist, sondern irgend ein Dämon.
Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.

Groucho

Zitat von: F. A. Mesmer am 13. Februar 2014, 09:33:22
vor einiger zeit hatte ich ein gespräch. in diesem versuchte mir jemand zu erklären, dass die welt und das leben doch viel schöner wären mit gott/göttern, engeln,... ich für meinen teil sehe das zwar dezidiert anders und erlebe es eher als befreiend, dass es diesen quatsch nicht git.

Ist wohl auch eine Typfrage. Eine sehr nahe Verwandte glaubt an ihre Engelchen. Sie geben ihr Kraft. Sie sagt selber, dass sie weiß, dass ich das für Quatsch halte, versteht auch, warum. Den ganzen Esozirkus wiederum hält sie für schlimm und Psiram für eine ganz wichtige Seite. Sie kommt mit dieser Dissonanz wunderbar aus - ich könnte es nicht. Ich erlebe es wie F.A. Mesner eher als befreiend, ohne all das auszukommen. Aber ich wäre der letzte, mich darüber lustig zu machen. Vermutlich schenke ich ihr zum nächsten Geburtstag eine hübsche kleine Gipspute  ;D

Zitat
aber bitte, wenn die existenz von dämonen als grund für ein alkoholproblem besser ist als diese popeligen unromantische und so üblichen erklärungen. :facepalm

Würde ich nicht so streng sehen. Solche Visualisierungen können - auch wieder je nach Typ - durchaus auch hilfreich sein. Es ist ja gerade ein Zeichen einer Sucht, dass da etwas ist, was meist stärker als der eigene Wille ist. Dem leidenden Betroffenen sind physiologische Erklärungen eher egal, wenn er dagegen ankämpfen will. Dieses "Etwas" zu benennen, zu konkretisieren, kann hilfreich sein. Kann.

Belbo

ZitatNein, die Dämonisierung ist nicht hilfreich, sondern glatter Selbstbetrug.
Das stimmt nur so lange wie Selbstbetrug nicht hilfreich ist.
ZitatAuf jeden Fall erleichtert es das eigene Gewissen, wenn man an seiner Abhängikeit nicht selber schuld ist, sondern irgend ein Dämon.
Ist man an einer körperlichen Abhängigkeit immer selber "Schuld"?

MrSpock

Zitat von: Belbo am 13. Februar 2014, 11:53:19
Ist man an einer körperlichen Abhängigkeit immer selber "Schuld"?

Schwierige Frage. Als ich mit 14 angefangen habe zu rauchen, war mir durchaus bewußt, dass es schädlich ist und süchtig macht. Klar, ich kann den Gruppenzwang nennen und andere Dinge, aber letzten Endes war ich an dieser Sucht selber schuld. Niemand hat mich wirklich gezwungen, ich tat es freiwillig und war mir der Konsequenzen bewußt. Als ich vor 15 Jahren mit dem Rauchen aufgehört habe, tat ich dies auch bewußt. Wenn ich ein Bier trinke, auch mal mehr, bin ich mir über die Konsequenzen ebenfalls bewusst.

Klar ist auch: Wer süchtig ist, ist krank und hat das Recht und den Anspruch auf Heilung, sofern er das wirklich will.

Aber es gibt vielfältige Süchte wie Medikamentenabhängigkeit etc. Um nun Deine Frage konkret zu beantworten: Nein, man ist nicht immer selber schuld dran. Aber oft.
Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.

F. A. Mesmer

schuldfragen, sucht-ursache-fragen etc. interessieren mich in dem punkt nicht. vielleicht können wir da den connectivity-faden wiederbeleben  ;)

mir geht es - da bin ich ganz theoretische soziologe  :angel: - um das weltbild, das hier wieder zunehmend an boden gewinnt.
platt formuliert: es ist ein unterschied, ob man die welt als pokerspiel oder als schachspiel begreift, und wenn zwei entsprechende akteure aufeinandertreffen ist es eben ein sehr irritierendes spiel voller missverständnisse, sozusagen *hust*.

die zunahme magischen denkens, etwa in form besitzergreifender entitäten (z.B. Dämonen) ist hervorragend geeignet die verantwortung für das eigene tun abzugeben. es liegt mir fern den stab über drogenkranke zu brechen, ich mag nur das abgeben von verantwortung nicht.

als die rollentheorie populär aufgegriffen wurde in den 60ern und 70ern war es entsprechend en vogue zu differenzieren zwischen schwein-ich auf arbeit und liebevoller familienmensch zuhause. die liebevollen familienväter kennt man ja bereits aus dem geschichtsunterricht. sich von sich selbst distanzieren oder wenigstens vom eigenen tun oder dessen konsequenzen ist ausgesprochen praktisch und beruhigt die nerven ungemein, ist nicht neu und auch nicht in jeder spielart unzutreffend, interessant ist doch aber, welche form gewählt wird.

mein eindruck ist, dass in den süchten die dämonologie wieder auf dem vormarsch ist und ich warte nur drauf, bis in D wieder gewalttaten durch menschen begangen werden, die sich von dämonen besessen glauben, oder gegen menschen, von denen ein mob annimmt, sie wären besessen...



MrSpock

Rein subjektiv betrachtet sehe ich zwar die Zunahme "magischen Denkens", aber nicht unbedingt im Zusammhang mit Süchten. Das Internet bietet dem magischen Denken eine geniale Plattform - Beispiele gibt es bei Psiram ja zu genüge.

Zitatmein eindruck ist, dass in den süchten die dämonologie wieder auf dem vormarsch ist und ich warte nur drauf, bis in D wieder gewalttaten durch menschen begangen werden, die sich von dämonen besessen glauben, oder gegen menschen, von denen ein mob annimmt, sie wären besessen...

Das hat es immer gegeben und wird es immer geben. Woran machst Du Deine Annahme fest, dass es eine Zunahme gibt?
Von allen Seelen, die mir begegnet sind auf meinen Reisen, war seine die menschlichste. (In Memoriam Groucho)

Zitat aus Star Trek II.

Typee

Meinem Eindruck nach nimmt da nichts zu, denn es hat eigentlich nie abgenommen. Die Personifizierung von unverstandenen oder unbewältigten Kräften und Bedrohungen ist ja nun nicht neu; ob Wodan, Wodka oder Gevatter Tod: man hat wenigstens ein Feindbild. 
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Belbo

Wir hatten nur mal zwischenzeitlich ein rationales hoch, nicht dass die Leute weniger gläubig gewesen wären, Aber sie haben es weniger kommuniziert und waren desswegen als Multiplikatoren weniger erfolgreich. Das schlägt m.E. Gerade ins Gegenteil um, steter Tropfen und so.......l

Typee

The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

gesine2

Zitatmal zwischenzeitlich ein rationales hoch
moin Belbo, aus reiner Neugier: Wie würdest Du dieses Hoch pi*Daumen zeitlich eingrenzen?
Zitatsteter Tropfen
Billige Retourkutsche - Alk vertreibt Ratio?  :P
_____________________
ne schöne jrooß, gesine2

F. A. Mesmer

Zitat von: MrSpock am 13. Februar 2014, 19:54:40
Das hat es immer gegeben und wird es immer geben. Woran machst Du Deine Annahme fest, dass es eine Zunahme gibt?

ich habe mich auch gefragt, ob das meine subjektive wahrnehmung entspricht und ausschließen kann ich das definitiv nicht. der grund, den ich für die zunahme anführen würde ist, dass ich die sache mit dem "teufel alkohol" von jeher kenne. das war ein verbreiteter code für alkoholprobleme in deutschland. mittlerweile häufiger höre ich aber z.B. "dämon alkohol" - das das ist eben nicht der übliche sprachgebrauch. das kannte ich in D nicht.
das erste mal ist mir das mit einer pm von der band monster magnet übel aufgestoßen (um 2000) - einer von denen würde gegen seinen persönlichen dämon kämpfen, in diesem fall: drogenabstinenz und damit einhergehende probleme.
damals habe ich mir noch gedacht, wie sonderbar amerikaner/rocker doch sind immer gleich
vom teufel (kenne ich als figur aus dem blues) oder von dämonen zu sprechen, wenn der begriff für ein krankheitsbild es kürzer und präziser auch getan hätte.

wenn (mittlerweile ?) die polizei im mittelbayern auch vom dämon alkohol spricht - mir sind aus meiner gegen soz-arbInnen und rechtsanwälte bekannt, die sich ebenfalls dieser terminologie bedienen und die das früher (soweit ich das überprüfen kann) nicht gemacht haben. es scheint, als hätte früher ein krankheitsbegriff genügt, nun darf es ein bisschen mehr sein. ich gehe erstmal von einer mode aus. zugleich impliziert sprachgebrauch auch weltbilder, die mit ihm einhergehen...

wenn ich mein google-fu nutze und die suche auf einen zeitraum begrenze erhalte ich

Begriff "dämon alkohol"

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keine ahnung, ob so eine wortnutzungszunahme normal ist oder signifikant mehr, als üblich - immerhin wächst das internet auch, mehr medien sind heute drin, als etwa in den 90ern.