Neuigkeiten:

Wiki * German blog * Problems? Please contact info at psiram dot com

Main Menu

Placebo/ Nocebo und Esoterik

Postings reflect the private opinion of posters and are not official positions of Psiram - Foreneinträge sind private Meinungen der Forenmitglieder und entsprechen nicht unbedingt der Auffassung von Psiram

Begonnen von Morgaine, 25. Juni 2013, 03:53:37

« vorheriges - nächstes »

Morgaine

Zitat von: bayle am 25. Juni 2013, 08:05:44
Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 07:50:09
Nein, es ging nicht um Fehldiagnosen - die (somatischen und absolut eindeutigen) Fälle, die ich persönlich kenne, sind nachgewiesen (und bereiten mir enormes Kopfzerbrechen).
Mehr Details bitte.

1.
Not-OP wg. Ileus im Rahmen eines Darmkarzinoms - postoperativ starke Zyanose usw. (Extremraucher, konnte nicht abhusten usw.) - Beatmung - wochenlang Koma mit katastrophalen PCo2 Werten/ überhaupt Blutwerten, 7 Reanimationen - Ärzte sind überzeugt, daß Patient nie mehr aus dem Koma kommt und falls das "wie durch ein Wunder" doch geschehen sollte, dann sei das Gehirn "platt" (stärkste geistige Behinderung), man solle ihn sterben lassen (das verweigerten die Angehörigen, sie kümmerten sich Tag und Nacht um den Patienten im Krankenhaus) - der Patient lebte 15 weitere Jahre völlig beschwerdefrei und ohne Einschränkungen zu Hause und starb an etwas anderem

2.
Krebspatientin - zunächst Brustkrebs - Chemo - keine Besserung -  Metastasen (zum Schluß fast überall, auch die Knochen waren befallen) - auf eigenen Wunsch nach Hause entlassen, Pflege durch die Angehörigen und Versorgung durch den Hausarzt gewährleistet, die Prognose betrug wenige Tage - Patientin gesundete zu Hause und lebt seitdem 11 Jahre ohne weitere gesundheitliche "Vorkommnisse"

Das waren die extremsten Fälle, die ich persönlich kenne, etwas weniger dramatische hätte ich auch noch, aber diese beiden lassen mich nicht los ... .


Morgaine

Zitat von: Robert am 25. Juni 2013, 08:04:43
Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 07:55:26
Zitat von: Robert am 25. Juni 2013, 07:40:49
Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 07:37:11
Meinst Du fachliche, Krankheitsbild-bezogene Unsicherheit?

Ja, und die Neigung, Worte auf die Goldwaage zu legen. Wenn der Arzt irgendwas sagt, was man nicht versteht, hat man einen Mund zum Nachfragen.

Wenn der Arzt sowas wie " Es blutet ein bisschen" schon nicht mehr sagen kann, was bitte kann er dann überhaupt noch sagen? Meine Güte, da wird ein ganz schöner Popanz aufgebaut.....

Da bin ich absolut anderer Ansicht (ich habe erlebt, wie ich selbst und andere quasi "verdummen", wenn es um einen selbst oder die eigenen Kinder geht - obwohl man vom Fach ist und "es eigentlich besser wissen müßte"; wie "anfällig" sind dann erst Menschen, die überhaupt keine Grundkenntnisse haben und sich ggfs. zusätzlich befangen fühlen?).

Und ich habe es eben anders erlebt. Und nun?

Wie erklärst Du denn die wundersame Gesundung des als final entlassenen Patienten? Das hat doch nichts mit Nocebos zu tun.

Ich habe keine Erklärung (und das ärgert mich sehr) - ich denke in Richtung radikaler Konstruktivismus und Hirnforschung und bin für weitere wissenschaftliche Erklärungsansätze offen.

Morgaine

Zitat von: Robert am 25. Juni 2013, 08:25:01
sog. Vooadootod: http://www.meduniwien.ac.at/med_audiovisuals/Seminare/Powerpoint/SymbolischesHeilen-I/VooDoo%20Death.pdf

Habs kurz überschlagen (werds noch mal genauer lesen - bin im Zeitdruck), danke.

Es gibt ja einige "Pänomene" in dieser Richtung (ebenfalls die Experimente aus dem kalten Krieg bis hin zum hier schon mehrfach geschilderten Rosenthal-Effekt uvm.), die schon recht alt sind.

Vielleicht ermöglicht die recht junge Hirnforschung samt ihrer neuen Verfahren ja irgendwann einen genaueren Einblick und räumt mit alten Konstrukten auf (?) ... .


P.G.

Wissenschaftlich wäre es, von einer ganz einfachen Erklärung auszugehen und zu suchen und nicht zu versuchen, anhand von Zeitungsartikeln und Joachim Bubblath eine nobelpreisverdächtige Entdeckung zu machen.
Nur so als Denkanstoss: In der Psychiatrie habe ich immer wieder mal mit Menschen zu tun, die mal sterbenskrank waren und plötzlich geheilt waren oder aktuell an Krebs, Aids etc. erkrankt sind. Irgendwann stößt man dann auf verschiedene Ungereimtheiten.....
[url="http://www.alltrials.net/"]http://www.alltrials.net/[/url]

KranzFonz

Zitat von: Robert am 25. Juni 2013, 07:33:13
Zitat
Auch die deutschen Mediziner lassen oft das nötige Feingefühl vermissen. Im Sommer 2012 druckte das Deutsche Ärzteblatt deshalb eine Sammlung von Sätzen, mit denen sie ihren Patienten Schaden zufügen. Besonders im Klinikalltag unterlaufen unbedachte Äußerungen, die hilfreich gemeint sind, aber fatale Wirkungen auslösen können. Ängstliche Patienten legen jedes Wort auf die Goldwaage. Murmelt der Arzt beim Ultraschall der Schwangeren, dass der Kopf des Babys »etwas groß sei«, vermuten die eben noch hoffnungsvollen Eltern sofort einen Wasserkopf und schwere Behinderungen. Sätze wie »Vielleicht hilft dieses Medikament ja« oder »Probieren wir mal dieses Mittel« reichen, um Patienten in tiefe Unsicherheit zu stürzen. Anschaulich gemeinter Fachjargon (»Wir schneiden Sie jetzt in viele dünne Scheiben« vor der Computertomografie) oder eine missverständliche Entwarnung (»Die Suche nach Metastasen verlief negativ«) lösen im Krankenbett eher Sorgen aus. »Wir machen Sie jetzt fertig«, mag eine unter Pflegern übliche Äußerung dafür sein, wenn Patienten auf eine Operation vorbereitet werden, ebenso wie »wir schläfern Sie jetzt ein« vor der Narkose. Aber auch diese Bemerkungen beunruhigen Patienten unnötig. Das gilt auch für negative Suggestionen wie: »Sie sind ein Risikopatient« oder »Ihr Rückenmark wird sonst abgequetscht«. Und durch ungeschickte Fragen werden sie – ähnlich wie beim Studium des Beipackzettels – überhaupt erst auf Nebenwirkungen aufmerksam gemacht: »Ist Ihnen übel?« oder »Rühren Sie sich, wenn Sie Schmerzen haben« gehören dazu. Wenig beruhigend wirken auch Verneinungen, die dennoch den negativen Aspekt betonen: »Sie brauchen jetzt keine Angst zu haben« oder »Das blutet jetzt ein bisschen«.

Selbst Ärzte, denen dieses Problem bewusst ist, befinden sich in einem Dilemma: Schließlich sind auch sie dazu verpflichtet, möglichst umfassend über mögliche Risiken und Nebenwirkungen von Eingriffen und Therapien zu sprechen – doch die mehrseitigen Aufklärungsbögen und Beipackzettel verunsichern Patienten eher, als dass sie beruhigen. Eine Studie aus dem Jahr 2011 ergab, dass auch in diesem Fall Patienten, die beim sogenannten Aufklärungsgespräch ausführlicher über lästige, aber ungefährliche Nebenwirkungen aufgeklärt wurden, häufiger unter genau jenen Nebenwirkungen litten.

Ich halte diese Beispiele für maßlos übertrieben. Das zeigt lediglich, dass es zu viel Unwissenheit unter Patienten gibt.

Worte werden in vielen Bereichen absichtlich zur Manipulation genutzt, z.B. in der Werbung. Texter vermeiden Wörter wie "Angst" oder "Risiko", wenn sie positive Gefühle hervorrufen wollen. Mitarbeiter im Callcenter lernen Negativwortlisten und Ablaufpläne, um bspw. ärgerliche Anrufer lammfromm zu machen. Ich habe das selbst einmal ausprobieren dürfen und muss sagen: Es funktioniert tadellos.

Warum sollten die Worte nicht auch wirken, wenn sie unabsichtlich genutzt werden? Ich kann zwar nichts dazu sagen, inwieweit Negativwörter medizinisch wirken. Aber wenn ein Patient Angst hat, bin ich davon überzeugt, dass der Arzt die Angst durch oben genannte Beispiele verstärken kann. Und umgekehrt kann der Arzt Angst nehmen, indem er nicht sagt "Sie brauchen jetzt keine Angst zu haben.", sondern "Sie sind bei mir in guten Händen. Ich habe das schon 1000 mal gemacht.". Das allein sollte eigentlich schon reichen, dass ein Arzt seine Wortwahl überdenkt.

Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 08:26:05
Ich habe keine Erklärung (und das ärgert mich sehr) - ich denke in Richtung radikaler Konstruktivismus und Hirnforschung und bin für weitere wissenschaftliche Erklärungsansätze offen.

Das erscheint mir als eines der Hauptprobleme zu sein, warum Menschen so leichtgläubig sind. Sie können ohne Erklärung nicht leben. Menschen wollen Antworten. Haben sie eine Antwort gefunden, versuchen sie, einen Beweis dafür zu finden. Dabei sollte es doch umgekehrt sein, dass man erst Untersuchungen anstellt und anschließend Schlüsse daraus zieht, auch auf die Gefahr hin, keine Antwort zu erhalten.

Groucho

Zitat von: KranzFonz am 25. Juni 2013, 09:46:59
Und umgekehrt kann der Arzt Angst nehmen, indem er nicht sagt "Sie brauchen jetzt keine Angst zu haben.", sondern "Sie sind bei mir in guten Händen. Ich habe das schon 1000 mal gemacht.". Das allein sollte eigentlich schon reichen, dass ein Arzt seine Wortwahl überdenkt.

"Sie brauchen keine Angst haben, schließlich muss jeder mal sterben. Und ich hatte sogar mal einen Patienten mit ihrer Erkrankung, den ich fast heilen konnte, bis er starb."

Zitat
Das erscheint mir als eines der Hauptprobleme zu sein, warum Menschen so leichtgläubig sind. Sie können ohne Erklärung nicht leben.

Nennt sich Ambiguitätstoleranz. Hat nicht jeder.

bayle

Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 08:22:11
Not-OP wg. Ileus im Rahmen eines Darmkarzinoms - postoperativ starke Zyanose usw. (Extremraucher, konnte nicht abhusten usw.) - Beatmung - wochenlang Koma mit katastrophalen PCo2 Werten/ überhaupt Blutwerten, 7 Reanimationen - Ärzte sind überzeugt, daß Patient nie mehr aus dem Koma kommt und falls das "wie durch ein Wunder" doch geschehen sollte, dann sei das Gehirn "platt" (stärkste geistige Behinderung), man solle ihn sterben lassen (das verweigerten die Angehörigen, sie kümmerten sich Tag und Nacht um den Patienten im Krankenhaus) - der Patient lebte 15 weitere Jahre völlig beschwerdefrei und ohne Einschränkungen zu Hause und starb an etwas anderem
Gerade bei posthypoxischen Enzephalopathien ist eine gute Prognose-Einschätzung aus der klinischen Untersuchung heraus möglich. Wie waren die Pupillenreaktionen nach der Reanimation? War er wirklich ohne Sedierung tief komatös, mit fehlender gerichteter Abwehr, und ev. mit generalisierten Myoklonien?

Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 08:22:11Krebspatientin - zunächst Brustkrebs - Chemo - keine Besserung -  Metastasen (zum Schluß fast überall, auch die Knochen waren befallen) - auf eigenen Wunsch nach Hause entlassen, Pflege durch die Angehörigen und Versorgung durch den Hausarzt gewährleistet, die Prognose betrug wenige Tage - Patientin gesundete zu Hause und lebt seitdem 11 Jahre ohne weitere gesundheitliche "Vorkommnisse"
Wo ist der Fall veröffentlicht? Er wäre es wert.

Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 08:26:05
ich denke in Richtung radikaler Konstruktivismus
Ich nicht.

bayle

Auch noch zum Voodoo-Tod:
ZitatDer psychogene Tod ist in seiner Tatsächlichkeit nach wie vor umstritten. Rechtsmedizinische Post-mortem-Untersuchungen bieten im Einzelfall kaum Möglichkeiten, diese Form des Sterbens positiv zu belegen. Dazu kommt, dass sich dieses Phänomen, welches in indigenen Kulturen häufig beschrieben wurde, beim heutigen Zivilisationsmenschen zumindest ausgedünnt zu haben scheint, wozu ein Verlust des Partizipationserlebens, respektiv des magischen Denkens im Zuge der Bewusstseinsevolution beigetragen haben dürfte.
Hier habe ich Zweifel: die schlichtere Erklärung ist, dass das Publikum mit steigendem Bildungsstand einfach weniger wundergläubig ist und solche Berichte weniger goutiert. Ein Iraner, der seit langem in Deutschland lebt, hat mir einmal erschüttert erzählt, wie der Schwachsinn, den Ahmadinedshad öffentlich verkündet (,,in der UNO-Vollversammlung ein grünes Licht gesehen", ,,der Mond zeigt die Züge des Ajatollah Chomeini"), in den persischen Dörfern 1:1 geglaubt wird.
Zitat... Aufgrund verschiedener Indizien kann nicht ausgeschlossen werden, dass psychogene Todesfälle insbesondere bei Kulturfremden und in psychischen Extremsituationen auftreten können ....
[Knecht T: Der psychogene Tod. Fiktion oder Realität? Nervenheilkunde 2010; 29: 311-314]
Sehr vorsichtig – da hat sich der Autor keinesfalls in die Nesseln gesetzt.

Superkalifragilistisch

ZitatWie sollte die Medizin weiter ehrlich praktiziert werden, wenn die Körper selbst zu lügen anfangen [...] Ein Symptom kann auftreten, aber falsch sein: Pseudo-Hemiplegie, Pseudo-Hypertropie etc. Eine Hysterische kann spontant von Stigmen befallen werden, zum Beispiel von einem Hautgangrän und nichts widerspricht dem, daß sie daran stirbt. Charcot hingegen wird sagen: Seid mißtrauisch, das war ein pseudo-Gangrän, ein »Doppelgänger« einer organischen Regung, »das wir zu enthüllen verstehen sollten.«
Und ihr Tod, sollte auch er nur der Doppelgänger eines echten Todes gewesen sein?
(Georges Didi-Huberman)

http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/DeathByDespair

Citizen One: Indeed and it was at that very moment that Rachel Jackson began to die of grief.
Citizen Two: Grief?
Citizen One: It's the nineteenth century. That's the kind of shit that happened then.
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

Jetzt im Trend: »irgendwas mit Gesellschaftskritik«

bayle

Und darf ich Dich um Deinen Kommentar dazu bitten, was den Realitätsgehalt Deiner Zitate angeht?

Morgaine

Zitat von: P.G. am 25. Juni 2013, 09:37:00
Wissenschaftlich wäre es, von einer ganz einfachen Erklärung auszugehen und zu suchen und nicht zu versuchen, anhand von Zeitungsartikeln und Joachim Bubblath eine nobelpreisverdächtige Entdeckung zu machen.
Nur so als Denkanstoss: In der Psychiatrie habe ich immer wieder mal mit Menschen zu tun, die mal sterbenskrank waren und plötzlich geheilt waren oder aktuell an Krebs, Aids etc. erkrankt sind. Irgendwann stößt man dann auf verschiedene Ungereimtheiten.....

Wissenschaftlich ist es, eine Hypothese aufzustellen, mit den entsprechenden Verfahren zu überprüfen und dann zu verwerfen oder ggfs. ein Paradigma zu überdenken.
Psychotherapieforschung hat da in den letzten Jahren (im Prinzip erst seit Grawe) einiges geleistet: Kommunikation, selektive Wahrnehmung und Attribution sind wesentlich stärker in den Fokus gerückt im Rahmen der Psychotherapieeffektstrukturen usw..
Und so lassen sich dann auch die gewissen Ungereimtheiten in der Psychiatrie erklären ... (allerdings habe ich da noch keine Krebs- oder Aidskranken erlebt, außer im Rahmen einer Psychose).

Morgaine

Zitat von: KranzFonz am 25. Juni 2013, 09:46:59
Zitat von: Robert am 25. Juni 2013, 07:33:13
Zitat
Auch die deutschen Mediziner lassen oft das nötige Feingefühl vermissen. Im Sommer 2012 druckte das Deutsche Ärzteblatt deshalb eine Sammlung von Sätzen, mit denen sie ihren Patienten Schaden zufügen. Besonders im Klinikalltag unterlaufen unbedachte Äußerungen, die hilfreich gemeint sind, aber fatale Wirkungen auslösen können. Ängstliche Patienten legen jedes Wort auf die Goldwaage. Murmelt der Arzt beim Ultraschall der Schwangeren, dass der Kopf des Babys »etwas groß sei«, vermuten die eben noch hoffnungsvollen Eltern sofort einen Wasserkopf und schwere Behinderungen. Sätze wie »Vielleicht hilft dieses Medikament ja« oder »Probieren wir mal dieses Mittel« reichen, um Patienten in tiefe Unsicherheit zu stürzen. Anschaulich gemeinter Fachjargon (»Wir schneiden Sie jetzt in viele dünne Scheiben« vor der Computertomografie) oder eine missverständliche Entwarnung (»Die Suche nach Metastasen verlief negativ«) lösen im Krankenbett eher Sorgen aus. »Wir machen Sie jetzt fertig«, mag eine unter Pflegern übliche Äußerung dafür sein, wenn Patienten auf eine Operation vorbereitet werden, ebenso wie »wir schläfern Sie jetzt ein« vor der Narkose. Aber auch diese Bemerkungen beunruhigen Patienten unnötig. Das gilt auch für negative Suggestionen wie: »Sie sind ein Risikopatient« oder »Ihr Rückenmark wird sonst abgequetscht«. Und durch ungeschickte Fragen werden sie – ähnlich wie beim Studium des Beipackzettels – überhaupt erst auf Nebenwirkungen aufmerksam gemacht: »Ist Ihnen übel?« oder »Rühren Sie sich, wenn Sie Schmerzen haben« gehören dazu. Wenig beruhigend wirken auch Verneinungen, die dennoch den negativen Aspekt betonen: »Sie brauchen jetzt keine Angst zu haben« oder »Das blutet jetzt ein bisschen«.

Selbst Ärzte, denen dieses Problem bewusst ist, befinden sich in einem Dilemma: Schließlich sind auch sie dazu verpflichtet, möglichst umfassend über mögliche Risiken und Nebenwirkungen von Eingriffen und Therapien zu sprechen – doch die mehrseitigen Aufklärungsbögen und Beipackzettel verunsichern Patienten eher, als dass sie beruhigen. Eine Studie aus dem Jahr 2011 ergab, dass auch in diesem Fall Patienten, die beim sogenannten Aufklärungsgespräch ausführlicher über lästige, aber ungefährliche Nebenwirkungen aufgeklärt wurden, häufiger unter genau jenen Nebenwirkungen litten.

Ich halte diese Beispiele für maßlos übertrieben. Das zeigt lediglich, dass es zu viel Unwissenheit unter Patienten gibt.

Worte werden in vielen Bereichen absichtlich zur Manipulation genutzt, z.B. in der Werbung. Texter vermeiden Wörter wie "Angst" oder "Risiko", wenn sie positive Gefühle hervorrufen wollen. Mitarbeiter im Callcenter lernen Negativwortlisten und Ablaufpläne, um bspw. ärgerliche Anrufer lammfromm zu machen. Ich habe das selbst einmal ausprobieren dürfen und muss sagen: Es funktioniert tadellos.

Warum sollten die Worte nicht auch wirken, wenn sie unabsichtlich genutzt werden? Ich kann zwar nichts dazu sagen, inwieweit Negativwörter medizinisch wirken. Aber wenn ein Patient Angst hat, bin ich davon überzeugt, dass der Arzt die Angst durch oben genannte Beispiele verstärken kann. Und umgekehrt kann der Arzt Angst nehmen, indem er nicht sagt "Sie brauchen jetzt keine Angst zu haben.", sondern "Sie sind bei mir in guten Händen. Ich habe das schon 1000 mal gemacht.". Das allein sollte eigentlich schon reichen, dass ein Arzt seine Wortwahl überdenkt.

Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 08:26:05
Ich habe keine Erklärung (und das ärgert mich sehr) - ich denke in Richtung radikaler Konstruktivismus und Hirnforschung und bin für weitere wissenschaftliche Erklärungsansätze offen.

Das erscheint mir als eines der Hauptprobleme zu sein, warum Menschen so leichtgläubig sind. Sie können ohne Erklärung nicht leben. Menschen wollen Antworten. Haben sie eine Antwort gefunden, versuchen sie, einen Beweis dafür zu finden. Dabei sollte es doch umgekehrt sein, dass man erst Untersuchungen anstellt und anschließend Schlüsse daraus zieht, auch auf die Gefahr hin, keine Antwort zu erhalten.

Das wird aber kompliziert ... .
Wenn man "wirklich" ohne Antworten gut leben könnte (ist im Rahmen der Attributionsforschung eigentlich widerlegt), dann gäbe es nicht dieses große Interesse an Forschung. Es fällt ja schon ungemein schwer, damit zu leben, daß Antworten momentan nicht verfügbar sind.
Allerdings ist diese Art von Beweissuche ein großes Problem in der Esoterik - die kognitive Flexibilität läßt schnell nach, subjektiv "gefundene", unwissenschaftliche Antworten gehen schnell mit einer entsprechenden Konditionierung und Generalisierung einher und ein sich zementierender Tunnelblick mag entstehen.

Morgaine

Zitat von: Groucho am 25. Juni 2013, 10:12:59
Zitat von: KranzFonz am 25. Juni 2013, 09:46:59
Und umgekehrt kann der Arzt Angst nehmen, indem er nicht sagt "Sie brauchen jetzt keine Angst zu haben.", sondern "Sie sind bei mir in guten Händen. Ich habe das schon 1000 mal gemacht.". Das allein sollte eigentlich schon reichen, dass ein Arzt seine Wortwahl überdenkt.

"Sie brauchen keine Angst haben, schließlich muss jeder mal sterben. Und ich hatte sogar mal einen Patienten mit ihrer Erkrankung, den ich fast heilen konnte, bis er starb."

Zitat
Das erscheint mir als eines der Hauptprobleme zu sein, warum Menschen so leichtgläubig sind. Sie können ohne Erklärung nicht leben.

Nennt sich Ambiguitätstoleranz. Hat nicht jeder.




Mein damaliger Statistikprofessor war der Überzeugung, Intelligenz sagt kaum was aus, der wahre Ansatzpunkt wäre die Ambiguitätstoleranz.
Aber Ambiguitätstoleranz wird leider auch mit Scheuklappen/ Festgefahrenheit und infolgedessen Desinteresse verwechselt ... .

Morgaine

Zitat von: bayle am 25. Juni 2013, 11:36:01
Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 08:22:11
Not-OP wg. Ileus im Rahmen eines Darmkarzinoms - postoperativ starke Zyanose usw. (Extremraucher, konnte nicht abhusten usw.) - Beatmung - wochenlang Koma mit katastrophalen PCo2 Werten/ überhaupt Blutwerten, 7 Reanimationen - Ärzte sind überzeugt, daß Patient nie mehr aus dem Koma kommt und falls das "wie durch ein Wunder" doch geschehen sollte, dann sei das Gehirn "platt" (stärkste geistige Behinderung), man solle ihn sterben lassen (das verweigerten die Angehörigen, sie kümmerten sich Tag und Nacht um den Patienten im Krankenhaus) - der Patient lebte 15 weitere Jahre völlig beschwerdefrei und ohne Einschränkungen zu Hause und starb an etwas anderem
Gerade bei posthypoxischen Enzephalopathien ist eine gute Prognose-Einschätzung aus der klinischen Untersuchung heraus möglich. Wie waren die Pupillenreaktionen nach der Reanimation? War er wirklich ohne Sedierung tief komatös, mit fehlender gerichteter Abwehr, und ev. mit generalisierten Myoklonien?

Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 08:22:11Krebspatientin - zunächst Brustkrebs - Chemo - keine Besserung -  Metastasen (zum Schluß fast überall, auch die Knochen waren befallen) - auf eigenen Wunsch nach Hause entlassen, Pflege durch die Angehörigen und Versorgung durch den Hausarzt gewährleistet, die Prognose betrug wenige Tage - Patientin gesundete zu Hause und lebt seitdem 11 Jahre ohne weitere gesundheitliche "Vorkommnisse"
Wo ist der Fall veröffentlicht? Er wäre es wert.

Zitat von: Morgaine am 25. Juni 2013, 08:26:05
ich denke in Richtung radikaler Konstruktivismus
Ich nicht.

Der erste Fall ist zu lange her - sorry, so dezidiert weiß ich es nicht mehr.
(was hängengeblieben ist, sind hauptsächlich die Aussagen ...  ;) )

Der zweite Fall wurde öffentlich gemacht - leider kann ich das nicht beweisen (wäre Verletzung der Schweigepflicht).


Und ja, über Theorien kann man unterschiedlicher Ansicht sein.