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Intelligent, vernünftig und doch religiös gläubig? Kein Problem!

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Begonnen von pelacani, 16. Oktober 2014, 19:24:25

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pelacani

Der österreichische Mediävist Peter Dinzelbacher hatte einen Aufsatz mit dem Thema ,,Die doppelte Wahrheit heute. Über das Nebeneinander der archaisch-religiösen und progressiv-profanen Weltsicht in einer Person" (Aufklärung und Kritik 1/2014, S. 85ff) verfasst, der ein wenig von der Ratlosigkeit des Atheisten vermittelt, der sich für vernünftig hält. Am Schluss fragt er:
ZitatAls Frage an die Fachwelt, von der Psychologie bis zur Gehirnforschung, ergibt sich somit aus der Sicht des nicht in diesen Disziplinen beheimateten Betrachters: Läßt sich etwas zur psychologischen Typik von Menschen sagen, die in ihrem Weltbild konträre Informationen so einfach nebeneinander stehen lassen können? Haben sie in bestimmter Hinsicht ähnliche Kindheiten erlebt? Muss man annehmen, dass bei heute immer noch Gläubigen etwa die Gehirnlappen, die für Religiöses zuständig sind, atavistischer ausgebildet oder aktiver sind, als bei Atheisten? [...]
(Ich persönlich halte letzteres übrigens für abwegig, genauso wie die Frage nach neurophysiologischen Korrelaten für die ,,Meme" :-X). Er bekommt in der gerade erschienenen Nr. 2/2014 von A&K eine Antwort des Psychologen Wolfgang Graff, bemerkenswert nüchtern, geradezu schlicht, aus lerntheoretischer Sicht:
ZitatNicht die Kraft der Argumente an sich attackiert den Glauben, sondern es sind die Lernbedingungen, welchen das kritische Denken unterlag. Zur Erinnerung: Häufigkeit und Intensität der Signale, Frequenz und Intensität der Verstärker und die subjektive Bedeutung der Modelle sind hier die entscheidenden Faktoren.

Umgekehrt gilt natürlich ebenso: Unter entsprechenden Lernbedingungen wird in der Jugend und auch im späteren Lebensalter eine stabile Tendenz zu mystischem Denken und irrationalem Verhalten etabliert. Besonders deutlich wird dies bei Sektenmitgliedern, die einer extremen sozialen Kontrolle unterliegen. Selbst bei noch so abstrusen Glaubensinhalten der Sekte ist der Glaube praktisch nicht durch noch so schlagende Argumente und offen zutage tretende Belege zu erschüttern. Der amerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger gab dafür ein schönes Beispiel. Seine Mitarbeiter und er selbst nahmen an Versammlungen von Sektenmitgliedern teil, die fest überzeugt waren, in kurzer Zeit von den Außerirdischen abgeholt und in Sicherheit gebracht zu werden. Als sich die Prophezeiung nicht erfüllte, gab es nicht etwa Kritik an der Vorhersage oder der Prophetin, sondern man suchte gemeinsam nach Erklärungen, was geschehen sei. Der Zusammenhalt der Gruppe wurde dadurch noch gestärkt. Man war nun überzeugt, durch Gebete den Weltuntergang zunächst verhindert zu haben.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die Parusieverzögerung verwiesen. Bekanntlich versprach der zum Tode verurteilte Jesus, er werde noch zu Lebzeiten seiner Anhänger wiederkommen. Als das nicht geschah, fingen die Christen nun keinesfalls an zu zweifeln, sondern sie suchen bis heute nach Erklärungen, warum ihr Heiland immer noch nicht erschienen ist. Den christlichen Prognostikern, die seit 2000 Jahren sein baldiges Erscheinen immer wieder ankündigen, hat es – ähnlich wie der Sektenführerin – nicht geschadet.

eLender

Als Laie auf dem Gebiet dachte und denke ich aber immer auch, dass es (genetische) Dispositionen für Irrationalität gibt. Manche Menschen scheinen, abgesehen von der Sozialisation, dafür empfänglicher zu sein. Geprägt wurde mein Denken u.a. davon:
http://www.gwup.org/component/content/article/63-parapsychologie/999-von-schafen-und-ziegen
Wollte ich nur mal gesagt haben!

gesine2

Zitat(genetische) Dispositionen
Ja eLender, gibt es - irgendwas in Richtung Hirnchemie (Temporallappen?), einhergehend mit 'mit offenen Fragen zurechtkommen'. Find grad keinen link dazu, muß wohl das bookmark-Bäumchen mal wieder besser sortieren...
Selbstverständlich nur Prädisposition, keine Festlegung des Lebensablaufes.

Da die Ratio 'nur' ein selbstaufgepfropftes Disziplinarium des Denkens ist, kann es selbstverständlich vorkommen, daß (unbewußt, im Sinne einer Selbstrechtfertigungs-Automatik) bestimmte Bereiche des Denkens für sakrosankt und ihrer nicht zugänglich deklariert werden - was dann letztlich zu diesen immer wieder auffallenden Zwittern führt
_____________________
ne schöne jrooß, gesine2

Hildegard

Mir ist nicht klar, was die Feldstudie von Festinger mit der Dissonanz zwischen Rationalität und Glauben zu tun haben soll. Zum Zwecke dieses "Weiterglaubens nach Nichteintreten", rationalisierten die Sektenmitglieder zwar, aber doch nicht in unserem Sinne, sondern indem sie ihrem Glauben einfach neue, ebenso frei erfundene Glaubenspartikel hinzufügten.
Ich meine mich aber zu erinnern, dass Festinger irgendwelche Vorbedingungen für dieses Verhalten postulierte.
[url="http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com"]http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com[/url]

F. A. Mesmer

Zitat von: gesine2 am 17. Oktober 2014, 02:45:06
einhergehend mit 'mit offenen Fragen zurechtkommen'. Find grad keinen link dazu, muß wohl das bookmark-Bäumchen mal wieder besser sortieren...
Selbstverständlich nur Prädisposition, keine Festlegung des Lebensablaufes.

Da die Ratio 'nur' ein selbstaufgepfropftes Disziplinarium des Denkens ist, kann es selbstverständlich vorkommen, daß (unbewußt, im Sinne einer Selbstrechtfertigungs-Automatik) bestimmte Bereiche des Denkens für sakrosankt und ihrer nicht zugänglich deklariert werden - was dann letztlich zu diesen immer wieder auffallenden Zwittern führt
Für mich insbesondere die offenen Fragen bzw. die Unmöglichkeit abschließender Antworten und die Fähigkeit das auszuhalten AUCH und GERADE, wenn man selbst nach Antworten sucht, ergo forscht. Oder anders gesagt: die Neigung eine unbefriedigende Situation auszuhalten und immer wieder neu aufzusuchen ist gut für Unglaube/Kritik/Forschergeist.

chacha

Zitat von: eLender am 16. Oktober 2014, 22:15:36
Als Laie auf dem Gebiet dachte und denke ich aber immer auch, dass es (genetische) Dispositionen für Irrationalität gibt.

Es gibt v.a. eine genetische Disposition dafür, grundsätzlich und fast zwanghaft nach Kausalbeziehungen zwischen Ereignissen zu suchen, und die dazu nötigen Wahrnehmungsmuster notfalls auch zu konstruieren. IMO gibt es keinen Unterschied zwischen der menschlichen Neigung, Naturwissenschaft zu betreiben, und der Neigung zur Religiosität.

Die Frühformen der Religionen - also alle animistischen/schamanistischen Naturreligionen - sind allesamt zugleich auch Frühformen der analytischen Naturwissenschaften. Erst mit der nach der Erfindung des Ackerbaus einhergehenden zunehmenden Komplexität sozialer Gemeinschaften haben sich "höhere" Religionen mit abstrakteren Gottheiten heraus gebildet. All das geschah alleine deshalb, weil es den Menschen einen evolutionären Vorteil brachte.

Es gibt deshalb keinen Grund, sich arrogant über religiöse Menschen zu erheben. Insbesondere wird dadurch verständlich, dass sich wissenschaftliche Ratio völlig problemlos mit höchster Religiosität in ein und derselben Person finden lässt. Die Wissenschaftsgeschichte ist voll mit ganz herausragenden Menschen, die zugleich sehr religiös waren. Ich will mal nur den Namen Newton fallen lassen. Aber selbst bei Wissenschaftlern, die nicht einer bestimmten Religion anhängen, findet man häufig Neigungen zur Metaphysik, beispielsweise in Form eines Pantheismus o.ä..

pelacani

Zitat von: chacha am 03. Januar 2015, 19:56:39
Insbesondere wird dadurch verständlich, dass sich wissenschaftliche Ratio völlig problemlos mit höchster Religiosität in ein und derselben Person finden lässt. Die Wissenschaftsgeschichte ist voll mit ganz herausragenden Menschen, die zugleich sehr religiös waren. Ich will mal nur den Namen Newton fallen lassen. Aber selbst bei Wissenschaftlern, die nicht einer bestimmten Religion anhängen, findet man häufig Neigungen zur Metaphysik, beispielsweise in Form eines Pantheismus o.ä..

ZitatMan muß sich unvermeidlich zwischen der Philosophie und dem Evangelium entscheiden. Wenn ihr nur das glauben wollt, was evident und in Einklang mit den Gemeinbegriffen ist, so ergreift die Philosophie und laßt das Christentum fahren; wenn ihr die unbegreiflichen Mysterien der Religion glauben wollt, so ergreift das Christentum und laßt die Philosophie fahren.

[Pierre Bayle, Dritte Klarstellung. Historisches und kritisches Wörterbuch, Anfang 18. Jhd.]

F. A. Mesmer

Jesus: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.“ (Lukas 14,26)

(natürlich wird diese Formulierung mittlerweile weichgespült)

Mit Blick auf den Gottesdienst in deutschen Bundeswehrkasernen (insbesondere im Ausland), der segensreichen Wirkung von Militärpfarrern allerorten seit Anbeginn der Zeit, der mittelalterlichen Tradition klerikal organisierter Gruppenreisen nach Jerusalem (über das Zweite, zum Ersten) bin ich glücklich anmerken zu können, dass religiöser Fanatismus allerorten doch ganz vernünftig ist, ein Zeichen von Intelligenz, überaus modern, ...

Niemand hat die Absicht, Religion in Verb. mit der Condition humana zu problematisieren. Ist alles natürlich und voll biodynamisch potenziert.

Niemand hat die Absicht, Stohmänner zu errichten, jemand würde sich arrogant über religiöse Menschen zu erheben.
Wo das doch auch ohne Arroganz einfach ist wirre Menschen zu beschämen und/oder öffentlich vorzuführen: [...] Show me your Evidence! [...] Show me your Evidence! [...] Show me your Evidence! ...

Nebenbei: mein Gott heißt Walther, wie in "mein Gott Walther  :facepalm". Und Walther kann nichts dafür, dass seine Pistole auch Walther heißt.

Edit:
Zitat von: chacha am 03. Januar 2015, 19:56:39
Die Frühformen der Religionen - also alle animistischen/schamanistischen Naturreligionen - sind allesamt zugleich auch Frühformen der analytischen Naturwissenschaften. Erst mit der nach der Erfindung des Ackerbaus einhergehenden zunehmenden Komplexität sozialer Gemeinschaften haben sich "höhere" Religionen mit abstrakteren Gottheiten heraus gebildet. All das geschah alleine deshalb, weil es den Menschen einen evolutionären Vorteil brachte.
Nutzen: militante Leute schließen sich vermittelt durch ein Medium (hier: Gott) zu einer militanten (Groß-)Gruppe zusammen. Als Gruppe kooperieren sie bestens gegen gruppenfreie Leute, stehen im Wettkampf mit anderen Gruppen im Wahn und sichern ihre ökonomischen Interessen, indem sie sich an allen, die nicht dazu gehören, insbesondere denen, die sich nicht hinreichend wehren können schadlos.

chacha

Zitat von: F. A. Mesmer am 03. Januar 2015, 20:34:46
Zitat von: chacha am 03. Januar 2015, 19:56:39
Die Frühformen der Religionen - also alle animistischen/schamanistischen Naturreligionen - sind allesamt zugleich auch Frühformen der analytischen Naturwissenschaften. Erst mit der nach der Erfindung des Ackerbaus einhergehenden zunehmenden Komplexität sozialer Gemeinschaften haben sich "höhere" Religionen mit abstrakteren Gottheiten heraus gebildet. All das geschah alleine deshalb, weil es den Menschen einen evolutionären Vorteil brachte.
Nutzen: militante Leute schließen sich vermittelt durch ein Medium (hier: Gott) zu einer militanten (Groß-)Gruppe zusammen. Als Gruppe kooperieren sie bestens gegen gruppenfreie Leute, stehen im Wettkampf mit anderen Gruppen im Wahn und sichern ihre ökonomischen Interessen, indem sie sich an allen, die nicht dazu gehören, insbesondere denen, die sich nicht hinreichend wehren können schadlos.

Ich sehe, Du hast ausnahmsweise mal verstanden, was ich geschrieben habe.

F. A. Mesmer

Der Punkt ist aber, dass ich es zuende dachte.
Heute noch an solchen Mumpitz zu glauben und als Großgruppe marodierend durch die Gegend zu ziehen ist eine Zumutung und bringt einen (praktisch immer) zwangsläufig mit Menschenrechten in Konflikt.
Laut Bibel darf ich meine Tochter für 30 Shekel an einen Mitjuden verkaufen. Wieviel Pfund waren das damals bei Newton (namedropping ist sowas von 1980) und wieviel wäre das wohl in Euro.

Religion ist sophisticated fantasy und eher Teil des Problems, als der Lösung, wenn man schon in Dichotomien verfallen will.

chacha

Zitat von: F. A. Mesmer am 03. Januar 2015, 21:00:02
Der Punkt ist aber, dass ich es zuende dachte.

Wenn Du dieses Ende nicht aus meinem Beitrag herauslesen konntest, dann enttäuschst Du mich ziemlich. Ich halte Dich zwar nicht für so großartig wie Du Dich selbst, aber für ein wenig klüger hätte ich Dich doch gehalten.

Die Neigung zu Religiosität / Wissenschaftlichkeit ist durch langzeitliche evolutionäre Prozesse untrennbarer Bestandteil des Menschseins geworden. Sie drückt sich in verschiedenen Kulturen und in verschiedenen Individuen nur höchst unterschiedlich aus. Vermutlich hat sich durch die zivilisatorische Entwicklung der einstige evolutionäre Vorteil der Neigung zur Religiosität nun zu einem Nachteil entwickelt. Ganz sicher bin ich mir angesichts Pegida und dem IS dabei allerdings noch nicht. Falls das aber doch so sein sollte, dann werden wir leider noch ein paar zehntausend Jahre abwarten müssen, bis dieses Gift wieder aus unserem Genpool herausgewaschen ist. Von Menschen zu erwarten, sie hätten einen freien Willen, der sie befähigte, sich frei gegen ihre religiösen Überzeugungen zu entscheiden, ist aber einfach nur dumm.

Menschenrechte sind sicher eine großartige Sache, ich bin selbst auch in Menschenrechtsgruppen aktiv. Aber da es keine empirischen Belege dafür gibt, dass diese dem weiteren Überleben unserer Spezies förderlich sein könnten, muss man den Glauben an den Sinn der Menschenrechte auch nur als eine neue Religion bewerten.

Bei Dir ist es ziemlich offenkundig, dass Deine Religion Dein Glaube an Deine eigene Großartigkeit ist. Du bist Dir Dein eigener Gott. Und warum auch nicht, schlechter als andere Götter kannst Du auch nicht sein. Nerviger als mancher Apostel anderer Religionen aber durchaus ...

pelacani

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Fürs übrige Publikum ist das langweilig.