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GBA-Vorsitzender empfiehlt: Bier statt Therapie

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Begonnen von sweeper, 07. November 2013, 08:58:40

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bayle

Ganz der Politiker:

Zitat
Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken, war nach seiner Äußerung, man brauche nicht für jeden eine Psychotherapie, denn eine Flasche warmes Bier tue es manchmal auch, vielfach angriffen worden. ,,Ich wollte auf das Problem einer belastbaren Abgrenzung zwischen behandlungsbedürftigen Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen hinweisen", erklärte Hecken nun. Er nutzte den DGPPN-Kongress, ,,um mich zu entschuldigen und meine fachlich nicht fundierte Bemerkung zurechtzurücken". Ihm stelle sich die Frage, wie man mit Lebenskrisen oder fortgesetzten Überforderungen umgeht: ,,Werden Menschen manchmal nicht viel zu früh für krank erklärt, obschon sie eine Lebenskrise auch allein oder mit Hilfe ihres sozialen Umfeldes bewältigen können?" Es gehe ihm nicht um eine Ressourcendiskussion und auch nicht um eine Bagatellisierung, versicherte Hecken. Doch man müsse darauf achten, dass nicht bei einer Vielzahl von neuen leichteren Störungen, wie sie das DSM-5 zum Teil kategorisiere, die zur Verfügung stehenden Ressourcen grundlos eingesetzt würden. ,,Dies umso mehr, als das DSM-5 präjudizierende Wirkung für die kommende neue ICD-11 haben wird", gab Hecken zu bedenken.

Ziele des Koalitionsvertrags zügig umsetzen

Liege indes eine behandlungsbedürftige Erkrankung vor, müssten ausreichende Behandlungsoptionen zeitnah zur Verfügung stehen, forderte der G-BA-Vorsitzende weiter. Alle im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ziele, wie die Verringerung der Wartezeiten, zeitnahe Kurzzeittherapie sowie die Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie durch den G-BA, sollten deshalb zügig umgesetzt werden. Zur Reduzierung der Wartezeiten habe der G-BA außer der Bedarfsplanung kein Instrument zur Steuerung, erläuterte Hecken. ,,Obwohl bundesweit mehr als 28 000 Personen für den Bereich Psychotherapie zur Verfügung stehen – bei 52 000 Hausärzten zum Vergleich –, haben wir in ländlichen Regionen Versorgungslücken." Alle neuen Praxissitze für Psychotherapeuten, aber auch für Nervenärzte sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten seien deshalb für diese Regionen vorgesehen. Hecken wies darauf hin, dass ab 1. Januar 2014 wahrscheinlich knapp 300 Sitze übergangsweise für Psychologische Psychotherapeuten freigegeben würden, die von ärztlichen Psychotherapeuten nicht besetzt werden konnten. Eine Entscheidung stehe noch vor Weihnachten im G-BA an.
http://www.aerzteblatt.de/archiv/151735/Psychische-Erkrankungen-Besonders-hohe-Krankheitslast

sweeper

Der Mann hat leider keine Ahnung von psychischen Erkrankungen, davon dann aber sehr viel.

Je früher Menschen mit berufsbedingten seelischen Belastungserscheinungen (und das werden immer mehr) eine wirksame Psychotherapie bekommen, desto langfristig hilfreicher.
Wenn sie erst in einer Erschöpfungssituation angekommen sind, dauert alles viel länger, und die Gefahr von psychosomatischen Erkrankungen steigt. Das kann meist auch keine 5-wöchige Rehamaßnahme(RV, anderer Topf) wieder flicken, wenn die Leute in einem chronischen Überforderungszustand in der Rehaklinik aufschlagen und es dort um ihre weitere berufliche Perspektive bzw Teilzeit, Frührente (mit oft gravierenden finanziellen Konsequenzen) geht.  >:(
ZitatZur Reduzierung der Wartezeiten habe der G-BA außer der Bedarfsplanung kein Instrument zur Steuerung, erläuterte Hecken.
Stattdessen passiert dann dezeit verstärkt Folgendes:
Zitathttp://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kassen-setzen-externe-berater-auf-psychisch-kranke-an-a-928315.html
... Der Umgang von Krankenkassen mit psychisch Kranken hat in den vergangenen Wochen für Aufregung gesorgt. Betroffene klagen über Sachbearbeiter, die massiven Druck ausüben, Telefonterror und Einschüchterung betreiben. Der Hintergrund ist klar: Es geht ums Geld. Die Kassen versuchen, die deutlich steigenden Krankengeldkosten zu verringern. Wer länger krankgeschrieben ist, hat Anspruch auf diese Leistung der Krankenkassen, deren Höhe sich am zuletzt erhaltenen Gehalt orientiert. Gerade psychische Erkrankungen gehen oft mit längerer Arbeitsunfähigkeit einher. Schätzungen zufolge sind in Deutschland jährlich 2,2 Millionen Menschen wegen psychischer Krankheiten arbeitsunfähig. In den vergangenen 15 Jahren nahm die Zahl der Fälle demnach um fast 150 Prozent zu.

Rein in den Job - raus aus dem Krankengeld

Fast alle Kassen haben deshalb Krankengeld-Fallmanager eingestellt, zumeist sind ganze Abteilungen für diese besonders teuren Versicherten zuständig. Daneben hat sich eine ganze Branche von Dienstleistern etabliert, die den Kassen versprechen: Wir bringen psychisch Kranke zurück in den Job - und damit raus aus dem Krankengeld.

Wie geschieht das nun? Setzt auch Ge.on die Versicherten unter Druck, nur subtiler, als das beim Telefonterror einiger Kassen geschieht? Jacobs-Finkelmeier weist das vehement zurück. "Wir wollen, dass Patienten alles bekommen, was sie brauchen, um gesund zu werden." Dafür arbeiteten ihre Mitarbeiter - Psychologen, Sozialpädagogen und Ärzte - eng mit dem behandelnden Arzt zusammen. "Der Eindruck der medizinischen Laien ist: Man muss bei psychisch Kranken Druck machen, dann läuft das schon wieder", sagt die Firmenchefin. Doch damit werde "nur das Gegenteil erreicht".

Neben der Kooperation mit den Ärzten setze Ge.on darauf, mit dem Versicherten direkt an seinen Problemen zu arbeiten. Zum Beispiel könne der Berater helfen, Konflikte am Arbeitsplatz zu lösen und das Gespräch mit Kollegen oder Vorgesetzten zu suchen. *


"Patienten werden in die Mangel genommen"

Klingt nett, doch Patientenschützer und Ärzte sind skeptisch, was die Arbeit von Dienstleistern wie Ge.on angeht. Ein Mediziner aus München, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will, erzählt: "Patienten berichten, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen." Sein Eindruck sei: "Die Menschen werden gleichsam vom Ge.on Case Manager und vom Kassenmitarbeiter in die Mangel genommen."

* Das ist die letztlich die Funktion eines Psychotherapeuten, die hier von einer Beraterfirma "kostengünstig" übernommen wird: Konflikt-und Abgrenzungsfähigkeit des Patienten stärken und auf weitere - auch innerbetriebliche - Hilfestellungen hinzuweisen etc

und weiter:

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kassen-sparen-an-psychisch-kranken-a-919326.html
Zitat...Die Kassen nehmen vermehrt direkt Kontakt zu den Versicherten auf. Und setzen sie massiv unter Druck. Ein Beispiel: Eine Patientin ist bei einer BKK versichert, im Rahmen ihres Krankengeldbezugs wird sie angerufen von einem Sachbearbeiter, einem sogenannten Berater. Und der fragt dann erst mal nach den Symptomen: 'Wie geht es Ihnen? Was haben Sie denn?' Das passiert häufiger. Die Patienten sind dann erst mal verunsichert, haben Angst um ihr Geld: 'Warum ruft mich jetzt ein Sachbearbeiter meiner Kasse an und will so etwas wissen?' Die werden richtig ausgefragt: 'Was sind denn Ihre Beschwerden? Wie lange sind Sie denn noch krank?'

Das ist ganz klar ein Verstoß gegen das Sozialgesetzbuch. Es ist klar geregelt, was die Kassen erfragen dürfen, und alle detaillierten Krankheitsangaben müssen vom Medizinischen Dienst erhoben werden. Doch das passiert häufiger anders. Ein Patient von mir wurde sogar von seinem Sachbearbeiter bedrängt: 'Lassen Sie sich doch verrenten, Sie können doch eh nicht mehr arbeiten.' Der ist 52 Jahre alt und war danach entsetzt und erneut stark depressiv...


With magic, you start with a frog and end up with a prince.
With science, you start with a frog, get a PhD and are still left with the frog you started with...


Terry Pratchett

pelacani

ZitatDie epidemiologische Forschung zu psychischen Erkrankungen in Deutschland ist außer Rand und Band. Die proklamierte Zunahme psychischer Erkrankungen ist ungefiltert in die öffentliche und wissenschaftliche Meinungsbildung eingedrungen, ohne dass bislang belastbare Nachweise für die Richtigkeit dieser Behauptungen vorgelegt wurden.
...
Das Auswertungsrationale der KK führt zu der irreführenden Annahme einer Zunahme von Neuerkrankungen. Dabei sind die ausgewerteten Arbeitsunfähigkeit(AU)-Fälle und deren Zunahme keine Krankheitsfälle im Sinne von Neuerkrankungen, sondern lediglich Krankheitsereignisse oder gar Mehrfachereignisse bei identischen Versicherten innerhalb eines Jahres. Gerade bei psychischen Erkrankungen muss von einem multiplen Krankheitsgeschehen ausgegangen werden. Ohne eine Mitnahme personenbezogener Identifikationen von Krankheitsereignissen kommt es seit Jahren durch Mehrfachzählungen zu dem irreführenden Bild einer nur scheinbaren Explosion der Neuerkrankungen.

Die Anzahl der Neuerkrankungen ist offensichtlich nach Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts weitgehend konstant. Eher lassen sich ein Rückgang von kurz dauernden AU-Fällen und eine gleichzeitige Zunahme länger dauernder Krankheitsfälle verzeichnen. Eine solche Entwicklung würde auch das Anwachsen der AU-Tage insgesamt erklären. Aufgrund der administrativen Konventionen und der Qualität der KK-Daten sind Angaben zu den Neuerkrankungen so nicht haltbar, irreführend und falsch.
....
[Manfred Zielke: Epidemiologische Forschung zu psychischen Erkrankungen. Fehleinschätzungen auf Basis von Krankheitsartenstatistiken der Krankenkassen. Psychotherapeut 2014 • 59:399–406
DOI 10.1007/s00278-014-1064-2 ]