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Akupunktur und Krankenkassen

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Begonnen von fuenke, 19. Juli 2012, 14:18:21

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fuenke

Hallo Skeptiker,

Ich komme gerade aus einer sehr angeheizten Diskussion mit meinem Vater über die Wirksamkeit von Akupunktur. Eines seiner Hauptargumente für die Wirksamkeit war, dass es die Krankenkassen ja als Leistung aufgenommen hätten. Sie wären wirtschaftlich orientiert und so langfristig an der Gesundheit ihrer Kunden interessiert, da der Krankheitsfall ja Kosten für sie verursacht. Also wäre es nicht rational für eine Leistung zu bezahlen die wirkungslos ist und die Folgekosten vielleicht sogar erhöht, da die Krankheit länger unbehandelt bleibt. Also Gewinnmaximierung durch Kostenminimierung.

Ich habe (unvorbereitet) versucht andere Motivationsgründe der Krankenkassen zu finden. Ich ging davon aus, dass Krankenkassen ihr Angebot durch solche Zusatzleistungen attraktiver machen, also mehr zahlende Kunden/Mitglieder gewinnen. Gewinnmaximierung durch Umsatzmaximierung. Ob dies wirklich die Motivation der Krankenkassen ist, kann ich nicht beurteilen. Mir fiel auf Anhieb nur keine bessere Erklärung ein.

Also wie liefs wirklich? Dass Akupunktur unwirksam ist, steht außer Frage, aber wieso haben es die Krankenkassen dann aufgenommen?

lg Fuenke

Elfenstaub

Menschen die sich für Alternative Medizin interessieren sind eher jung, eher gut gebildet, eher gut verdienend und eher weiblich. Zumindest die ersten drei Punkte machen sie attraktiv für Krankenkassen. So jemand bringt auf lange Sicht mehr, als er kostet, die meisten Leute wollen ja nur die Möglichkeit, Akupunktur und den ganzen Kram in Anspruch zu nehmen, rennen aber nicht jede Woche zum Arzt.

Quellen ließen sich finden, ich bin aber gerade zu faul  :grins2:
2-3 Elfen, luftgetrocknet, mit dem Mörser zerstoßen bis die Konsistenz von Puderzucker erreicht ist: Elfenstaub!

Giftig wie Aspartam, süß wie Dihydroxymonoxid und nicht überdosierbar.

Dr. Ici Wenn

Hallo fuenke,

Krankenkassen sind in der Tat nicht die Institution, die über Wirksamkeit einer Methode entscheidet. Der Punkt ist der: Akupunktur und ähnliche alternative Methoden sind statistisch gesehen halt in einer Altersklasse beliebt, die wiederum der KK im Durchschnitt wenig Kosten verursacht. Man versucht einfach, an relativ junge Kunden heranzukommen, die Leistungserstattungen sind oft nur im akuten Bereich und die Erkrankungen größtenteils harmlos. So richtig teuer wird es, wenn Menschen älter und Erkrankungen ernsthaft und chronisch werden. Die Erstattung "alternativer" Methoden ist also nichts anderes als der Versuch, den Altersdurchschnitt seiner Kundschaft nach unten zu bringen.

cassandra

Hallo fuenke,
die österreichischen Krankenkassen sind nicht frei wählbar (außer in Form privater Zusatzversicherungen), brauchen also keine "Mitgliederwerbung" durch verbesserte Attraktivität des Leistungskatalogs zu betreiben... trotzdem gibt es auch für Akupunktur eine (teilweise, nach Bundesländern unterschiedliche) Kostenrückerstattung! Irrationales Verhalten scheint also auch vor Institutionen nicht Halt zu machen. In Österreich bietet auch die Ärztekammer (eigentlich die offizielle Vertretung der Mediziner) einen bunten Strauß an esoterisch befrachteten Seminaren und Zertifikaten an... es ist zum Weinen!

uther

Dazu kommt, dass das ganze Gedöns mit Meridianen zwar sicher Unsinn ist, aber die Reizung mit einer Nadel durchaus eine Wirkung haben kann, die über Placebo liegt.

fuenke

Vielen Dank für die Antworten!

@Elfenstaub & Dr Ici Wenn:
Gibts da irgendwas von offizieller Seite, also vom "Gemeinsamen Bundesausschuss"? Laut Wiki ist der für den Beschluss verantwortlich.

@cassandra:
Dazu hab ich hier was gelsen http://www.lebensweise-magazin.at/2010/12/20/akupunktur-auf-kassenkosten/
Leider keine vertrauenswürdige Quelle. Dennoch, sie schreiben, dass laut österreichischem Gesetz nur "wissenschaftlich bewiesene" Methoden angewendet (erstattet?) werden dürfen. Ich frage mich welche Studie herangezogen wurde, damit die Wirksamkeit von Akupunktur plötzlich erwiesen ist.

@uther
Wie könnte denn eine Studie aufgebaut sein, um zu so einem Ergebnis zu kommen? Wegen Verblindung und so...

lg Fuenke

bayle

@fuenke:
Eine kurz aus dem Ärmel geschüttelte Antwort, also ohne jeden Anspruch auf Exaktheit im Detail:
Möglichkeit von Akupunktur-Studien:
1. Eine Doppelblindstudie scheint prinzipiell schwierig, da der Akupunkteur immer wissen wird, wohin er sticht (es gibt Überlegungen, einen Mittelsmann genau zu instruieren und ihm das Stechen zu überlassen, aber ob das schon mal realisiert worden ist, weiß ich nicht). Es gibt inzwischen auch Placebo-Nadeln, die nur die Haut anpieksen und sich dann zurückziehen, ohne dass der Patient weiß, was Phase ist.
2. Wichtig ist, sich vorher zu überlegen, was man eigentlich beweisen will: dass die Meridiane eine Rolle spielen? Dass es Schmerzen lindert, wenn man häufiger irgendwo hin sticht? Dass die begleitende verbale Instruktion oder das Setting keine Rolle spielen? Mir scheint es schon methodisch völlig unmöglich, "die Akupunktur" zu beweisen, allenfalls wäre denkbar, dass eine bestimmte Art/Frequenz der (noxischen) Stimulation eines bestimmten Körperareals/Punktes zur Beeinflussung einer bestimmten Störung oder Schmerzart führt. Das aber will eigentlich niemand wissen.

Nach meiner Erinnerung hängt die Kassenfähigkeit der Akupunktur in Deutschland mit dem Ergebnis der sog. GERAC-Studien zusammen, in denen "richtige"  und "Sham"-Akupunktur bei Rückenschmerzen gleich wirksam über der Standardtherapie gelegen haben. Auf der Session "unkonventionelle Medizin" (oder so) bei der Jahrestagung der deutschen Psychiater (DGPPN) 2011 war allen Ernstes von einer Referentin zu hören, dass die Scheinakupunktur kein Placebo gewesen sei, da sie ja wirksam gewesen ist. Die naheliegende Frage, was denn wäre, wenn ich einen Patienten, der 8 Jahre lang ausschließlich genadelt wurde, nun mit der Standardtherapie behandeln würde, ist meines Wissens bisher nicht beantwortet; noch ganz abgesehen davon, dass es sich bei den GERAC-Studien mehr um unverblindete Feldbeobachtungen als um eine stringente Methodik gehandelt hat.

Dr. Ici Wenn

@bayle: Die GERAC-Studie kann man eh in der Pfeife rauchen. Die wurde vorzeitig entblindet.

Abgesehen davon haben Schmerzreize natürlich physiologisch/neurologische Auswirkungen, gerade Schmerzempfinden lässt sich wunderbar manipulieren, je nach Focus, der im Hirn gesetzt ist. Insofern ist die A. eine der wenigen Methoden, wo sich weiterforschen lohnen könnte, allerdings ohne dem ganzen Meridiangedöhns. Oder, ums mal rustikal auszudrücken: Wer sich mit dem Hammer auf den Daumen haut, hat schlagartig keine Kopfschmerzen mehr. Funktioniert echt.

Bartimaeus

Eine schein Akupunktur mit Zahnstochern ist wirkungsvoller als Akupunktur mit herkömmlichen Akupunkturnadeln: ;D
http://www.youtube.com/watch?v=pp5eiHUdwb4
ab 4:45

bayle

Ha, ich hab's. Der G-BA sagt 2007:

"... zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen Sham- und TCM-Akupunktur. Entgegen den Erwartungen vieler Befürworter der Akupunktur konnte damit eine spezifische Wirksamkeit für bestimmte TCM-Akupunkturpunkte und einer speziellen Stichtechnik im Vergleich zu nach der TCM-Lehre nicht spezifischen Punkten einer Sham-Akupunktur nicht nachgewiesen werden. [...]

Die Sham-Akupunktur kann aufgrund der Verwendung eines festen Stichschemas und der Durchführung unter denselben Rahmenbedingungen wie die TCM-Akupunktur als aktive Kontrollgruppe mit spezifischer Wirksamkeitskomponente aufgefasst werden. Die Wirkstärke der TCM- und der Scheinakupunktur mit Responderraten von rund 50% in den Akupunkturgruppen liegt dabei deutlich über der bei einem Plazeboeffekt zu erwartenden Wirkstärke. Es kann daher ein spezifischer Akupunktureffekt als plausibel angenommen werden." [Hervorhebungen durch mich]
http://www.g-ba.de/downloads/40-268-487/2007-09-27-Abschluss-Akupunktur.pdf

Das Placebo war also gar kein Placebo, hihi (das haben wir aber erst festgestellt, nachdem die Studien gelaufen waren). Da braucht man schon mal ein politisch motiviertes Hexen-Einmaleins, den Erfolg einer "Kontrollgruppe mit spezifischer Wirksamkeit" als Wirkungsnachweis der Akupunktur zu verbuchen. 

fuenke

@bayle

Danke! Genau das hab ich gesucht.

Und das Video von rednael bietet eine gute Erklärung, wieso die Wirksamkeit von Schein-Akupuntur so hoch liegt. Dass der Placebo-Effekt einer Nadel höher ist als der einer Tablette, ist einleuchtend.

bayle

Also, einen hab' ich noch:

ich finde es bezeichnend und zutiefst nachdenklich stimmend, dass die Akupunktur trotz einer derart schwachen Datenlage extrabudgetär vergütet wird. Natürlich spricht niemand Klartext über die Ursachen, aber wir können ja mal spekulieren: wie eingangs von Elfenstaub und Ici Wenn erwähnt, gibt es eine erhebliche Nachfrage (zumindest glauben die Kassen das). Zweitens gibt es einen erheblichen Wunsch, die Nachfrage zu befriedigen. Ein Allgemeinmediziner hat mir empfohlen, es zu machen wie er: für jeden Patienten, den seine Sprechstundenhilfe überredet, sich einer Akupunktur zu unterziehen, bekommt sie eine kleine Prämie. Eine HNO-Kollegin, die ich im übrigen schätze, beklagte sich, dass mit Auslaufen des Feldversuchs (GERAC) erhebliche Einnahmen weggebrochen wären. ...

Dr. Ici Wenn

Zitat von: bayle am 24. Juli 2012, 20:46:48
Also, einen hab' ich noch:

ich finde es bezeichnend und zutiefst nachdenklich stimmend, dass die Akupunktur trotz einer derart schwachen Datenlage extrabudgetär vergütet wird. Natürlich spricht niemand Klartext über die Ursachen, aber wir können ja mal spekulieren: wie eingangs von Elfenstaub und Ici Wenn erwähnt, gibt es eine erhebliche Nachfrage (zumindest glauben die Kassen das). Zweitens gibt es einen erheblichen Wunsch, die Nachfrage zu befriedigen. Ein Allgemeinmediziner hat mir empfohlen, es zu machen wie er: für jeden Patienten, den seine Sprechstundenhilfe überredet, sich einer Akupunktur zu unterziehen, bekommt sie eine kleine Prämie. Eine HNO-Kollegin, die ich im übrigen schätze, beklagte sich, dass mit Auslaufen des Feldversuchs (GERAC) erhebliche Einnahmen weggebrochen wären. ...

Das wäre mal einen extra Thread wert. Überleben im Gebühren- und Erstattungsdschungel dank IgeLn ...

sookie

Nun als ich wegen eines Knieproblems beim Orthopäden war, hat er mir ganz selbstverständlich Akupunktur verschrieben. Die Kasse zahlt das. Als Alternative könnte er mir schmerzhafte Spritzen setzen. Deren Wirksamkeit sei allerdings höchstens kurzfristig und zweifelhaft. Ich habe also alle 3-4 Tage eine Akupunktur von ihm durchführen lassen.
Der Hauptgrund mich darauf einzulassen, war ein Artikel in der örtlichen Tageszeitung, nachdem es es jetzt gelungen sei an den Akupunkturpunkten den physiologischen Mechanismen der Akupunktur auf die Spur zu kommen. Nach 3 Wochen ging es mir besser. Der Grund dafür ist mir nicht ganz klar. Ich nehme an es ist der selbe Grund wie in dem Sprichwort " Der Schnupfen dauert eine Woche, mit ärztlicher Behandlung 7 ."Tage.
So bin ich als Laie der nicht an esoterische Fisimatenten glaubt, durch die selbstverständliche Darreichung auf die Probe gestellt worden. Es wäre nett wenn ein Rechercheprofi in diesen Thread noch ein paar Links zur Festigung der Skepsis einfügen würde.
schönes we noch zusammen

bayle

Na, die erste Adresse ist natürlich:  ;)
http://psiram.com/ge/index.php/Akupunktur
http://psiram.com/ge/index.php/Linksammlung#Akupunktur

Ansonsten ist das Angebot an deutschsprachiger kritischer Literatur im Netz nicht eben besonders umfangreich, aber es gibt schon Beispiele:
http://www.aerzteblatt.de/archiv/78489
http://www.aerzteblatt.de/archiv/77695
http://www.scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2010/02/wie-sie-effektiv-ein-unwirksames-therapieverfahren-bewerben-fallbeispiel-universitatsklinikum-freiburg.php
http://www.zeit.de/2008/51/M-Akupunktur

Wenn man sich als interessierter Laie weiter vertiefen will, dann geht das wahrscheinlich mit "Gesund ohne Pillen", von Simon Singh und Edzard Ernst (Hanser-Verlag München 2009) am besten. Ernst ist sicher der bekannteste Untersucher der "Alternativ-Medizin" in der Welt. 

Wenn es auch in Englisch sein darf, dann bietet sich als Einstieg der Aufsatz "Acupuncture: Past, Present and Future" von Petr Skrabanek an:
http://curezone.com/upload/pdf/books/False-Premises-False-Promises.pdf
(S. 29-53).

Für den Kommentar auf hohem und höchstem Niveau zu neueren Entwicklungen (soweit es das in der Akupunktur gibt) ist mein persönlicher Favorit Science Based Medicine, die aber als Blog etwas unübersichtlich sind. Dennoch: die Mühe wird belohnt.
http://www.sciencebasedmedicine.org/index.php/category/acupuncture/