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Anarchismus

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Begonnen von Dr. Ici Wenn, 29. April 2012, 15:43:05

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Arno

Wenn man das etwas modifiziert "Der Staat ist u.a. auch das Machtinstrument der herrschenden Klasse" ist das doch eine Betrachtungsweise die durchaus klar geht?



Binky

Zitat von: Arno am 02. Mai 2012, 11:30:09
Wenn man das etwas modifiziert "Der Staat ist u.a. auch das Machtinstrument der herrschenden Klasse" ist das doch eine Betrachtungsweise die durchaus klar geht?




Normalerweise würde man das für Diktaturen und Monarchien annehmen, theoret. sollte es in einer Demokratie eben dazu nicht kommen.

Was mir noch einfällt, es wurde gelehrt, daß die Hauptfrage nach jeder Revolution die Lösung der Machtfrage sei, z.B. im Sinne einer Diktatur des Proletariats. Die leeren Vakanzen alter Macht sollten also sofort neu besetzt werden.

Arno

ZitatNormalerweise würde man das für Diktaturen und Monarchien annehmen, theoret. sollte es in einer Demokratie eben dazu nicht kommen.

Read more: http://forum.psiram.com/index.php?action=post;topic=8632.106#ixzz1ti0ZQcy8
Ja, sollte theoretisch.  ;)

ZitatWas mir noch einfällt, es wurde gelehrt, daß die Hauptfrage nach jeder Revolution die Lösung der Machtfrage sei, z.B. im Sinne einer Diktatur des Proletariats. Die leeren Vakanzen alter Macht sollten also sofort neu besetzt werden.

Read more: http://forum.psiram.com/index.php?action=post;topic=8632.106#ixzz1ti0PfzCK
Ja, bei den Kommis. Für Anarchos undenkbar.

Ridcully

Zitat von: Binky am 02. Mai 2012, 11:23:40
Zitat von: Ridcully am 02. Mai 2012, 11:16:13
Zitat von: Binky am 02. Mai 2012, 10:16:51
ZitatIch seh die Hauptrobleme beim Anarchismus in ganz anderen Punkten begründet; z.B. war mir das verkürzte Verständnis des Staats, also seine Reduzierung auf die Funktionen zur Aus- und Abgrenzung, zum Machterhalt der Besitzenden und zur Unterdrückung aller Anderen - und was sich aus dieser Verkürzung für Konsequenzen ableiten lassen - irgendwann einfach zu platt.

Das ist ähnlich dem (kommunistischem) Staatsverständnis über den Kapitalismus: Der Staat ist das Machtinstrument der herrschenden Klasse, so lautete die Definition.

Das war für die Staaten des 19. Jh doch auch völlig zutreffend.

Das wurde bis Anno 1989 aber auch über die Staaten im 20. Jh.gelehrt.

http://www.ddr-geschichte.de/Bildung/Schule/Staatsburgerkunde/staatsburgerkunde.php

Die Staatsideologie der stalinistischen Staaten ist nun inhaltlich aber weder mit dem anarchistischen Staatsverständnis noch mit dem der Kommunisten des 19. Jh zu vergleichen, von welchen sich die Anarchisten theoretisch abgesetzt haben. Während die Stalinos ihren repressiven Staat mit der Formel rechtfertigten, sprachen letztere dem repressiven Staat in dem sie lebten die Legitimation ab. Und im Endziel "der Staat muss weg" waren sich Anarchisten und Kommunisten mal einig - nur ob das sofort ginge (und auch sein müsse) oder doch eher ein mit Hilfe des Staates zu steuernder Prozess sei, das war umstritten. Bei den Stalinos hingegen war von Bemühungen zur Abschaffung des Staates nun wirklich nichts mehr zu spüren.

Jedenfalls muss man Staatstheorien, welche für frühkapitalistische oder spätfeudale Polizeistaaten geschrieben wurden, für den modernen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat doch erheblich modifizieren. Wobei die Kontrolle vielleicht teils noch umfassender ist, aber jedenfalls die Berücksichtigung verschiedener Bedürfnisse und die Partizipationsmöglichkeiten erhebliche Fortschritte gemacht haben. Und zwar nicht zuletzt als Ergebnis anarchistischer und kommunistischer Revolutionsversuche.

Arno

Auch Bevölkerungexplosion (2 Milliarden Menschen 1927 vs. > 7 Milliarden heute) und erhöhte Mobilität verkomplizieren eine Anwendung der Ideen auf den aktuellen Ist-Zustand ganz erheblich. Weite Teile der frühen theoretischen Begründungen anarchistischer Grundannahmen, etwa der Verweis auf Statistiken, die den Zusammenhang - je weniger Polizei desto weniger Kriminalität - scheinbar stützten (obwohl man auch damals sicher über Korrelation und Kausalität streiten konnte) funktioniert so nicht mehr.

Binky

Das mit der Machtfrage habe ich nicht ohne Sinn geschrieben:

Angenommen, ein System wird gestürzt, so mögen sich im Kampf dagegen noch alle Beteiligen ziemlich einig sein, was das grobe Ziel angeht. Ist jedoch der Umsturz da, kommt es zur Aufsplitterung der Interessengruppen, und wie ich so mitbekommen habe, sind Anarchisten mit ihren Prinzipen dabei ziemlich schlecht dran: entweder eine andere Gruppierung übernimmt die Macht oder die Anarchisten betreiben die "Umerziehung" der Menschen in ihrem Sinne forciert, was aber auch irgendwie einer Machtsicherung gleichkommt. Eine andere Idee habe ich dazu nicht, oder welche Möglichkeit bleibt da noch?

Im besten Fall läßt man sich gegenseitig in Ruhe.....

Janus

Natürlich ist der Staat das Instrument der herrschenden "Klasse" aber in meinen Augen ist die marxistische Klassenkampf Rhetorik von zwei antagonistischen Klassen viel zu simpel. Diese Definition ist auch keinesfalls mit Demokratie inkompatibel, wenn es sich bei dieser "Klasse" eben um die Mehrheit handelt. In vielen drittweltländern aber auch den USA kann man sehr gut sehen, dass es oftmals eher eine Minderheit ist, die profitiert und "herrscht".

Chris224

Mit den meisten Anarchistischen Idealen stimme ich ja überein, aber ich sehe auf dem Weg dahin so einige Schwierigkeiten:

Müsste das nicht in der folgenden Reihenfolge stattfinden, (da Revolution nicht machbar ist, da nicht alle gleichzeitig Anarchisten werden)

1.) Direktere Beteiligung der Bevölkerung an der Demokratie
2.) Langsame Veränderung der Politischen Machtsystems, Übertragung der   
     Regierungsverantwortung nach und nach an die Bürger/Staatsvolk
     entsprechend ihrer wachsenden Politischen Bildung
3.) Langsame Veränderung des Kapitalistischen Systems (evtl. vorübergehend
     Schutzzölle/Subventionen oder andere "freiwillige" Förderungsmaßnahmen)
4.) In dem Maße, wie sich die Menschen verändern und dazu lernen werden zuerst 
     Regionale Strukturen geschaffen und später überregionale die "weitestgehend"
    nach Anarchistischen Idealen wirtschaften und "regieren".
5.) Ganz zum Schluss dann Abschaffung des Politischen Übergangssystems.

Ich sehe nach wie vor die Problematik, auf dem Weg dahin alle "unter einen Hut zu bringen, wenn Revolution dann werden ganz viele nicht mit machen und Widerstend leisten. Folge: Gewalt

Beim langsamen Weg müssten zuerst alle davon überzeugt sein, dass es der richtige ist.

Was ist mit dem "Rest der Welt", werden die so einfach den Anarchismus akzeptieren, wird der Anarchismus wirtschaftlich "bestehen" können, was wäre mit "Abwanderungen von Menschen, die nicht im Anarchismus leben wollen.

@Arno:

Stohwasser sagt, es habe schon Anarchistische Systeme/Staaten (mit Ausnahme von Christiana) gegeben, die funktionierten und letztlich nur durch Gewalt von Außen beendet worden sind, nennt aber direkt keine Beispiele, kennst du da welche?

Arno

@Chris
Funktionieren, naja... wohlwollend: "den Umständen entsprechend".  Hat ja nie lange gedauert und die hatten auch meist selbst genug Leichen (im wahrsten Sinne...) im Keller.
Die wohl wichtigsten Beispiele:
-Spanien: http://de.wikipedia.org/wiki/Anarchismus_in_Spanien
-Ukraine: http://www.heise.de/tp/artikel/29/29735/1.html

In Deutschland vielleicht am ehesten
-München: http://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCnchner_R%C3%A4terepublik


Chris224

Naja, dann möchte ich besser nicht im Anarchismus leben, ist ja dann genau so, wie wir das hier von Anfang an vermutet haben.

Gibt es nur noch die Möglichkeit, das im kleinen, ausgehend von einzelnen Gemeinschaften oder Dorfern, vielleicht auch Genossenschaften durchzuziehen, aber als Staatsform für eine ganze Gesellschaft wird das wohl niemals funktionieren.

Habe da was Interessantes gefunden, auch aus Spanien, ist aber kein wirklicher Anarchismus, eher Sozialismus:

http://www.jungewelt.de/2012/04-21/005.php
und

http://diefreiheitsliebe.de/reportage/das-wunder-von-marinaleda-vollbeschaftigung-im-sozialistischen-dorf

dazu ein Erfahrungsbericht von jemand, der da war:

http://kritische-massen.over-blog.de/article-marinaleda-ein-sozialistisches-dorf-in-andalusien-54671289.html

Aber auch hier sehe ich gewisse Tendenzen zur Autokratie einzelner Personen oder Gruppen, die das ganze zusammenhalten oder vorantreiben.
Das macht in dem Dorf der Bürgermeister, der seit über 30 Jahre im Amt ist und der  eine Position besetzt, die erheblich über der von den einfachen Leuten steht.

Habe auch einen Bericht im Fernsehen dazu mitbekommen, bei einem Beschluss im Gemeindehaus beanspruchte er quasi die gesamte Redezeit für sich, die einfachen Leute standen nur rum und trauten sich nicht wirklich, etwas zu sagen, eine wirkliche Opposition gibt es dort nicht, glaube das sind nur ein paar Männer die sich ab und zu in einer Kneipe treffen.

Obwohl es auch von der Wirtschaftlichen Seite her zu funktionieren scheint, hat es auch was von der "Heile Welt Propaganda" und der "Wir haben hier keine unzufriedenen Leute die anders denken" die ich aus Dokumentarfilmchen aus der DDR noch kenne.

Arno

ZitatNaja, dann möchte ich besser nicht im Anarchismus leben, ist ja dann genau so, wie wir das hier von Anfang an vermutet haben.

Read more: http://forum.psiram.com/index.php?action=post;topic=8632.105;num_replies=114#ixzz1uAscQlRB

Ich hab oben wohl sehr ungenau formuliert, mein Fehler.
Den Beispielen die ich genannt hatte ist gemeinsam, dass sie nicht an innereren Widersprüchen oder Differenzen untereinander scheiterten, Umerziehungslager oder ne neue Polizei eingerichtet hätten. Also nichts(!) von den hier anfangs geäußerten Bedenken lässt sich in diesen Beispielen wiederfinden.  Der Zusammenbruch erfolgte immer aufgrund militärischer Überlegenheit von Angreifern von außen.
Das dürfte Stowasser m.M.n. auch meinen, wenn er schreibt (Ich vermute darauf hast du dich mit deiner Frage bezogen?) "Wahr ist aber auch, dass kein einziges von ihnen an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde ging - sie wurden samt und sonders militärisch zerschlagen.".

Spätestens in den militärischen Auseinandersetzungen haben sich dann immer alle Seiten die Hände schmutzig gemacht. War damals so, ist heute nicht anders.
Gemessen an den widrigen Umständen hat das in Spanien und der Ukraine sogar ziemlich gut funktioniert. Den Menschen ging´s besser als vor- und nachher, die Wirtschaft wuchs.

Dein Beispiel ist echt interessant, werd ich mir mal näher anschauen. Solche kleineren Sachen gab und gibt es öfter mal. Die Republik Freies Wendland ging in die Richtung.

Chris224

ZitatNaja, dann möchte ich besser nicht im Anarchismus leben, ist ja dann genau so, wie wir das hier von Anfang an vermutet haben.
Read more: http://forum.psiram.com/index.php?topic=8632.0;topicseen#ixzz1uCA1xXRf

Das war auf Gewalt, Leichen im Keller und Verrat und so was bezogen. Der Kampf untereinander und die Beseitigung von leuten die eine andere Vorstellung von Anarchie oder Sozialismus hatten als andere.

In den Beispielen war auch immer die Not und die Unterdrückung der Anarchisten die Ursache zum Handeln, wie das aussehen würde wenn sich eine Gesellschaft aus freien Stücken dazu entschlösse, weiß ich nicht.

Das Problem würde sich ja sofort wieder stellen, sobald irgendeine Gesellschaftsform auf der Welt in den Anarchismus verfiele, wie mit Gegnern umgehen, wie mit Kritikern, mit Leuten die nicht im Anarchismus leben wollen, oder eine andere Art von Anarchismus und das bei einer Masse von Millionen, da muss es den Leuten schon verdamt gut gehen, damit sie die klappe halten.

Und es braucht meist einen oder einige Führer, die eine Bewegung voranbringen, solange die  O.k. sind, und sich an die Anarchistischen Grundsätze halten, kein Problem, da machen alle mit, wenn die ein bischen Charisma besitzten aber auf dem Weg dahin sehe ich viele Möglichkeiten, wo das sehr schief gehen kann.

Belbo zwei

Vielleicht können wir uns darauf einigen dass der Anarchismus genau gleichzeitig mit dem Transhumanismus möglich wird.

Chris224


ZitatVielleicht können wir uns darauf einigen dass der Anarchismus genau gleichzeitig mit dem Transhumanismus möglich wird.
Read more: http://forum.psiram.com/index.php?topic=8632.msg97633#msg97633#ixzz1uCGSYZHP

Vielleicht in einer fernen Zukunft einmal, oder so, die Experimente im kleineren Maßstab find ich trotzdem Interessant, auch um rauszukriegen wie die Leute ticken, unter anarchistischen Bedingungen.

Als Lösung für unsere derzeitigen Gesellschaftlichen Probleme aber zu weit weg.

Bloedmann

Zitat von: Belbo zwei am 07. Mai 2012, 16:02:26
Vielleicht können wir uns darauf einigen dass der Anarchismus genau gleichzeitig mit dem Transhumanismus möglich wird.
Nö nö nö erst muß in detailiertester Form geklärt werden, welcher Anarchismus. Der praktische, metaphysische, theoretische, mystische, abstrakte, individuelle oder der soziale? :P

In diesem Zusammenhang fand ich diesen Artikel ganz interessant, wenn auch etwas umfangreich.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/linke-utopien-wer-hat-angst-vor-anarchismus-11627790.html

ZitatLinke Utopien Wer hat Angst vor Anarchismus?

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