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Impfgegner und ihre "Argumente"

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Begonnen von merdeister, 09. März 2011, 20:35:44

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merdeister

Wenn man sich mit dem beschäftigt, was Impfgegner so behaupten, kommt als ein Argument immer, Infektionskrankheiten seien aufgrund besserer Hygiene zurückgegangen.

Nun gibt es in den tiefen meiner Erinnerung eine Geschichte zu Poliomyelitis, die ich in einer Vorlesung gehört habe:

- Früher, in den guten alten Zeiten, mit dem alten Wissen und der guten Natur, haben die Menschen ihr Wasser häufig dort geholt, wo sie es auch gelassen haben. Es gab keine Kanalisation, sondern Plumpsklos und so gelangte etwas von den Fäkalien ins Grundwasser und so in die Brunnen. Irgendein Mensch war ständig mit Polio infiziert, die meisten Menschen hatten Polio durchgemacht und waren immun. Kleinkinder haben in den ersten Wochen ihres Lebens Antikörper der Mutter im Blut, die sie vor Infektionen schützen (Nestschutz). Wenn die Mutter Polio durchgemacht hat, war das Kind auch gegen Polio geschützt. Weil im Wasser immer ein paar Polioviren zu finden waren, ist das Kind früh mit dem Virus in Kontakt gekommen und konnte, noch mit Nestschutz beginnen eine eigene Abwehr gegen das Virus aufzubauen. Wenn die Antikörper der Mutter nicht mehr da waren, war das Kind bereits immun. Polio: Kein Problem.

Dann fingen die Menschen an, Kanalisation zu bauen und Ab- und Trinkwasser konsequent zu trennen. Das Kind hatte zwar immer noch Nestschutz, kam aber viel später mit dem Poliovirus und Kontakt und wurde dann unter Umständen schwer krank. -

Das ist zwar eine schöne Geschichte, sie ist plausibel und, vor allem, ist sie ein Killer gegen das Hygiene Argument. Aber: ich finde keine Quelle und den Dozenten kann ich nicht verlinken.

Ist jemand schlauer?

Lilly

Ich glaube, das solltest Du woanders fragen. Denn wir beschäftigen uns hier nicht mit Geschichten.

Ratiomania

Die Daten die bei Wikipedia gennant werden, was Endemie und Epidemie angeht sind dieser These gegenüber mal stimmig...

http://de.wikipedia.org/wiki/Poliomyelitis

OHA!

Ich glaube ich habs:

Robertson S (1993). "Module 6: Poliomyelitis". The Immunological Basis for Immunization Series.. World Health Organization. Geneva, Switzerland.. http://www.who.int/vaccines-documents/DocsPDF-IBI-e/mod6_e.pdf. Retrieved 2010-02-07.


Das is die Quelle der englischen Wikipedia, da dasselbe zwar in der deutschen genannt, leider aber dank nicht so pinkeliger Vorschriften nicht gefußnotet wird :D

Graf Zahl

Dürfte nach dieser Logik Polio gar nicht erst entstanden sein bzw. sich gehalten haben?

Ratiomania

Zitat von: Lilly am 09. März 2011, 20:52:58
Ich glaube, das solltest Du woanders fragen. Denn wir beschäftigen uns hier nicht mit Geschichten.

*hüstel* ich dachte EsoWatch kümmert sich um irrationale Glaubensysteme , dazu gehören naturgemäß irrationale Argumente, wo man durch rationale Argumente dagegenhalten sollte es sei denn ich bin hier im falschen  Forum ?

Zitat von: Graf Zahl am 09. März 2011, 21:04:01
Dürfte nach dieser Logik Polio gar nicht erst entstanden sein bzw. sich gehalten haben?

Guter Einwand, aber die Beziehung Viren und Lebewesen ist nicht gerade "einfach":

Ich denke mal nach der Argumentation dürfte Herpes und Hepatitis auch schon ausgestorben sein => Es reicht wenn sich die Viren "Verstecken" bzw. sich so mit unserem System arrangiert haben das sie nicht/kaum noch pathogen sind.

Das erinnerte mich daran unbedingt Virolution zu lesen...

merdeister

Zitat von: Ratiomania am 09. März 2011, 20:58:51
Ich glaube ich habs:

Cool, Danke, da war ich offenbar doch richtig hier  ;D


Zitat von: Graf Zahl am 09. März 2011, 21:04:01
Dürfte nach dieser Logik Polio gar nicht erst entstanden sein bzw. sich gehalten haben?

Es ist ja nicht immer jeder gleich immun. Und in einer Gemeinschaft braucht man nur wenige Dauerausscheider und schon hält sich das Virus in der Bevölkerung. Es wird ja auch nicht jeder symptomatisch, wenn er oder sie infiziert ist.

Wirsing

Grundsätzlich ist das natürlich schon eine kurze Überlegung wert Graf, allerdings solltest Du es mal so sehen. Die Virulenz eines Erregers sagt noch nichts über seine Verbreitung aus. Viele naturheilkundlich angehauchte Personen bringen ja gerne auch mal das Argument, daß ein Virus in einer "Symbiose" mit seinem Wirt lebte und daß daher ein weniger virulentes Virus ja eigentlich bessere Überlebenschancen habe. Nur leider ist dem nicht ganz so. Auch ein hochspezifisch an einen Wirt adaptiertes Virus kann äußerst virulent sein. Dem Virus ist seine Replikationsstrategie zunächseinmal egal, Hauptsache sie funktioniert. Es gibt eben mehrere Faktoren welche für das Überleben einer "Spezies" verantwortlich sind als dem Ottonormalverbraucher klar ist (und auch in der Forschung entdeckt man in gewisser Weise immer wieder neue Strategien wie z.B. Genome in Ambisense Orientierung, Epigenetische Modifikationen, Prione etc.).
Natürlich gibt es die Entwicklung das Viren, die sich immer besser an einen Wirt adaptieren eventuell apathogener werden. Es gibt allerdings genauso Entwicklungen, die in eine ganz andere Richtung laufen können (z.B. über Zwischenwirte und eine veränderte Adaption an selbige, welche die Viren apathogener für Zwischenwirte macht).
Leider muß man heue sagen, daß der Mensch immer wieder dazu neigt, aufgrund seines vorhandenen Wissens Vorhersagen zu machen oder  retrospektiv Aussagen über eine Entwicklung zu treffen, deren Ergebnis heute zwar bekannt ist, aber über die wir leider wenig wissen können, da das Sammeln entsprechender möglicherweise relevanten Daten im Nachhinein unmöglich ist.
Naja, lange Rede kurzer Sinn,
lieber Graf, Deine Überlegung ist eine schöne, allerdings müssen wir kleinere Brötchen backen, denn wir verstehen sicherlich einige bestimmte grundsätzliche Mechanismen bei Infektionen heutzutage noch immer nicht.
Die Untersuchung derartiger Entwicklungen ist seit Jahrzehnten im vollen Gange und immer wieder kommen neue Facetten zum Vorschein.
Diese Untersuchungen werden (mit offenem Erfolg) sicherlich noch viele viel Jahre andauern.


PS: Um`s mal mit einem Schwurblerargument zu untermauern....... Wir müssen Krankheiten individuell betrachten (nur dafür müssen wir Basiswissen schaffen, welches momentan nur eingeschränkt ist). Natürlich können wir Viren klassifizieren (Du weißt schon, das vom Poliovirus meherere Typen existieren?) und das gibt uns bei unserem derzeitigen Wissensstand schon die Möglichkeit, gewisse Prognosen zu treffen, nur siegt leider auch hier wieder mal der Geist nicht über Materie....... Diese Prognosen sind lückenhaft und müssen ständig an neue Erkenntnisse angepasst werden.



Graf Zahl

Danke für Eure Erklärungen. Dachte mir schon, dass Ihr so etwas schreiben werdet.

rincewind

Danke, Wirsing.

Ansonsten kann man noch zum Poliovirus (Typen zusammengefasst) sagen, dass es durchaus nicht immer verheerend wirkt. Kann man haben, muss nicht schlimm sein. Aber wie so oft in dem Bereich, sollten wir die Statistik als Maßstab humanen Denken und Handelns nehmen. Es reicht, wenn 2-3% der Betroffenen danach verkrüpelt sind oder sterben. Zumal wir dagegen impfen können. Ich persönlich kenne zwei mir liebe Menschen, die es erwischt hat, noch bevor die Impfung allgemeiner Standard wurde (Um heutzutage wieder ausgesetzt werden zu können)

In der heutigen Zeit ist es einfach nicht mehr nötig, 10 Kinder zu gebähren, damit vielleicht 3 ins Erwachsenenalter kommen. Die Mittel, die wir haben, sollten wir einsetzen. Der letzte Satz ist übrigens meine Antwort auf merdeisters Frage. 

moredhel

Zitat von: merdeister am 09. März 2011, 20:35:44
Wenn man sich mit dem beschäftigt, was Impfgegner so behaupten, kommt als ein Argument immer, Infektionskrankheiten seien aufgrund besserer Hygiene zurückgegangen.

- Früher, in den guten alten Zeiten, mit dem alten Wissen und der guten Natur, haben die Menschen ihr Wasser häufig dort geholt, wo sie es auch gelassen haben. Es gab keine Kanalisation, sondern Plumpsklos und so gelangte etwas von den Fäkalien ins Grundwasser und so in die Brunnen. Irgendein Mensch war ständig mit Polio infiziert, die meisten Menschen hatten Polio durchgemacht und waren immun. Kleinkinder haben in den ersten Wochen ihres Lebens Antikörper der Mutter im Blut, die sie vor Infektionen schützen (Nestschutz). Wenn die Mutter Polio durchgemacht hat, war das Kind auch gegen Polio geschützt. Weil im Wasser immer ein paar Polioviren zu finden waren, ist das Kind früh mit dem Virus in Kontakt gekommen und konnte, noch mit Nestschutz beginnen eine eigene Abwehr gegen das Virus aufzubauen. Wenn die Antikörper der Mutter nicht mehr da waren, war das Kind bereits immun. Polio: Kein Problem.

Mit der Geschickte habe ich ein Philosophisches Problem. Wie unterscheidet man im Nachhinein das Beschriebene Szenario mit der Immunität von folgendem:
Wenn damals immer ein paar Polioviren im Wassert waren, kamen die Leute sehr jung damit in Kontakt, wurden früh infiziert und viele sind jung dran gestorben. Für die die es überlebt haben war nach der Infektion Polio natürlich kein Problem mehr. Insofern bin ich geneigt beide Geschichten erst einmal für Pure Spekulation zu halten. deswegen ist es nicht unbedingt als Argument für oder irgendetwas zu gebrauchen.

Ratiomania

Zitat von: moredhel am 10. März 2011, 18:11:57

Mit der Geschickte habe ich ein Philosophisches Problem. Wie unterscheidet man im Nachhinein das Beschriebene Szenario mit der Immunität von folgendem:
Wenn damals immer ein paar Polioviren im Wassert waren, kamen die Leute sehr jung damit in Kontakt, wurden früh infiziert und viele sind jung dran gestorben. Für die die es überlebt haben war nach der Infektion Polio natürlich kein Problem mehr. Insofern bin ich geneigt beide Geschichten erst einmal für Pure Spekulation zu halten. deswegen ist es nicht unbedingt als Argument für oder irgendetwas zu gebrauchen.

Könntest du das etwas umformulieren/genauer aufschlüsseln? Momentan versteh ich deinen Einwand bezüglich Argument nämlich nicht so recht.

moredhel

Ich versuche es mal mit verkürzen:

Die in dieser Geschichte beschriebene Immunität durch niedrige Poliodosen im Trinkwasser ist nicht die einzige denkbare Erklärung für die Beobachteten Zustände. Also ist sie nicht zwingend. Also kann es so sein, oder auch ganz anders. Wenn es aber auch ganz anders gewesen sein kann sollte man damit nicht argumentieren.

Swen

Hallo zusammen!

Ich habe eigentlich nicht vor mich in die Diskussion hier einzumischen, allerdings möchte ich auf 2 Punkte hinweisen die hier übersehen wurden:

1. Geht man heute davon aus, dass es mehrere Bakterien (ich meine mich zu erinnern dass das irgend welche Phagenträger sind, aber müsste ich nochmal nachschlagen, wenn ich wieder in der Praxis bin) gibt, die eine Kreuzimmunität mit dem Poliovirus erzeugen. Da Kinder die ,im Dreck spielen' aber auch Kinder der Naturvölker wahrscheinlich eher mit diesen Bakterien in Kontakt kommen als Kinder die nahezu ,steril' aufgezogen werden, ist somit eine mögliche Immunität (oder besser ein Schutz) bei diesen Kinder höher als bei denen mit einer übertriebenen Hygiene. Dasselbe lässt sich natürlich auch auf frühere Zeiten OHNE die großen hygienischen Maßnahmen der heutigen Zeit (bzw. der letzen Jahrzehnte) anwenden. Dass diese eventuelle Kreuzimmunität keinen einer Impfung gleichen Schutz bieten kann erklärt sich hoffentlich von selber...sonst hätte es nicht so viele Poliofälle in der Vergangenheit gegeben. Zudem ist zu beachten, dass eine Infektion mit der Poliomyelitis in 99% der Fälle symptomlos bzw. nahezu symptomlos verläuft.

2. Es gibt 3 seröse Subtypen des Virus die zudem weltweit endemisch sind. Eine Infektion mit einem der Subtypen schließt also KEINE erneute Infektion aus! Zudem weichen diese drei Typen in der Symptomatik bzw. deren Stärke voneinander ab.

Wirsing

Und Swen hat sich da was neues ergeben?
Die von Dir angesprochenen Bakterien interessieren mich nämlich nicht unerheblich. Kreuzimmunitäten sind halt immer interessant, weil diese gewisse Rückschlüsse auf Faltungen von Proteinen in vivo (s. Antigenpräsentation) und natürlich auch auf Erkennungsmuster und deren "Prioritäten"  geben.
Wäre echt nett, wenn Du das weiterverfolgst und die Ergebnisse Deiner Recherche hier mal kurz skizzierst (Gerne auch ausführlich via PN).   

Swen

@Wirsing

Hallo!

Wir stecken zur Zeit mitten in nem Umzug und wie ich schon befürchtet hab, sind die Unterlagen 'recht gut verpackt' eingekellert (ist alles Zeug, das ich als Dozent mal brauchte, nix für den 'täglichen Bedarf'). Ich guck mal, dass ich das hier in dem Thread nachreiche, wenn wir hier durch sind und ich an den Kram wieder rankomme.