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Atheismus: Diesseits von Gut und Böse

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Begonnen von Harry Wijnvoord, 15. September 2010, 13:08:30

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Harry Wijnvoord

Das Thema Atheismus wird auch in Deutschland immer populärer. Die aktuelle ZEIT-Ausgabe widmet sich ihm sogar auf dem Titel:
>>>Diesseits von Gut und Böse

Find ich gut, dass langsam mit dem Vorurteil aufgeräumt wird, man bräuchte einen Glauben um eine Moralvorstellung zu haben. Das widerlegt auch Sam Harris auf eindrucksvolle Weise: >>>Science can answer moral questions

T-M

Danke für die interessanten Links, auch wenn ich einiges etwas anders sehe.

Ich bin durchaus auch der Ansicht, das Religion nicht zwingende Vorraussetzung für Moral ist, oder das Atheisten nicht zwangsläufig keine Moralvorstellung besitzen. Aber Sam Harris würde ich, so interessant ich auch finde, was er da sagt, widersprechen.

Ich würde nicht sagen, dass Wissenschaft Antworten auf Fragen der Moral und Ethik liefern kann, jedenfalls nciht alleine. Zwar kann sie möglicherweise ein Werkzeug sein, um fetszustellen, ob etwas richtig oder flasch, gut oder böse ist, wenn man erstmal definiert hat, was richtig und falsch, gut und böse überhaupt ist (von dieser Definition hinge dann vermutlich auch ab, ob man die Wissenschaft als Werkzeug dafür nutzuen kann). Die Definitionen dafür kann sie aber nicht liefern, und somit auch von sich aus keine Antworten auf diese Art von Fragen.

Sam Harris scheint in Richtung Utilitarismus zu argumentieren (gegen den ich eine persönliche Abneigung entwickelt habe), aber der Utilitarismus ist im Grunde genauso wenig wissenschaftlich begründet wie andere Ansichten zu Moral und Ethik.

NuEM

Woher sollen sich Moral und Ethik denn sonst begründen, wenn nicht aus den Naturwissenschaften?

rincewind

Zitat von: NuEM am 17. September 2010, 11:44:31
Woher sollen sich Moral und Ethik denn sonst begründen, wenn nicht aus den Naturwissenschaften?

Ist etwas missverständlich formuliert, finde ich. Die NW kann begründen, warum sich Menschen auch ohne Religion ethisch verhalten (im Normalfall). Aber dieses Verhalten gründet nicht auf den NW.

NuEM

Nein, dieses Verhalten gründet nicht auf den Naturwissenschaften, sondern auf dem Gegenstand der Betrachtung der Naturwissenschaften. Der Grund ist natürlich. Die Begründung naturwissenschaftlich.

rincewind

Zitat von: NuEM am 17. September 2010, 12:23:00
Nein, dieses Verhalten gründet nicht auf den Naturwissenschaften, sondern auf dem Gegenstand der Betrachtung der Naturwissenschaften. Der Grund ist natürlich. Die Begründung naturwissenschaftlich.

Ok, so ist das klar.

Harry Wijnvoord

Hier noch ne interessante Studie, die ich heute morgen entdeckt habe. Scheinbar hat der religiöse Glaube einen Einfluss auf die visuelle Wahrnehmung des "großen Ganzen":
>>>Religion causes a chronic biasing of visual attention


Ridcully

ZitatDer Ungläubige hat keinen Grund, fanatisch zu sein. Er muss auch nicht wie Karl Marx die Gesellschaft dergestalt verändern wollen, dass die Frage nach Gott überflüssig wird. Marxens angeblich so humanistische Frühschrift Ökonomisch-philosophische Manuskripte gibt keine Mitteilung darüber, was mit denen geschehen soll, die dennoch diese Frage stellen. Die Geschichte hat dann grausame Auskunft gegeben.

::) - Was für eine bestechende Logik.


@ NuEM: Was du beschreibst, ist keine Begründung von Moral und Ethik, sondern blosse Beobachtung von tatsächlichen Verhaltensweisen. Schon bei der Beschreibung ethischer/moralischer Systeme auf Grundlage dieser empirischen Beobachtungen wirst du wohl den Bereich der Naturwissenschaften verlassen müssen. Kurz: ich hab keine Ahnung, wovon du sprechen könntest.

NuEM

Und ich verstehe deinen Einwand nicht. Sicher ist es die Beobachtung von Verhaltensweisen. Was denn sonst.

Tooticki

Zitat von: NuEM am 21. September 2010, 14:16:39
Und ich verstehe deinen Einwand nicht. Sicher ist es die Beobachtung von Verhaltensweisen. Was denn sonst.

Ich verstehe Ridcully so, dass die Nawi faktische Verhaltensweisen (Sein) beschreiben, aber aus dieser Beschreibung keine Wertungen bzw. Normativsetzungen einiger Verhaltensweisen (Sollen) herleiten kann. Siehe naturalistischer Fehlschluss.

@Ridcully: Was ist denn an dieser Aussage über den frühen Marx unlogisch? Natürlich folgt aus den ÖPM nicht zwangsläufig, dass Religiöse umerzogen oder liquidiert werden. Lag wohl auch nicht in Marxens Absicht. Aber wenn ich Leuten ein falsches Bewusstsein unterstelle, kann das eben solche Folgen wie im Stalinismus usw. haben. Ich würde eher den Anfang des Zitates anzweifeln: Natürlich können auch Ungläubige Gründe haben, fanatisch zu sein. Oder meintest du das?

T-M

Hinweis: Mein Beitrag hat sich zeitlich mit dem von Tooticki überschnitten, weswegen ich letzteren bei meiner Antwort nicht berücksichtigt habe; ich habe aber keine Lust, alles noch mal zu schreiben, darum bleibt es erstmal so.

Zitat von: NuEM am 21. September 2010, 14:16:39
Und ich verstehe deinen Einwand nicht. Sicher ist es die Beobachtung von Verhaltensweisen. Was denn sonst.

Aber aus der Beobachtung von Verhaltensweisen lassen sich auf naturwissenschaftlichem Wege keine Antwort auf moralische/ethische Fragen ableiten.

Natürlich kann man eine wissenschaftliche Untersuchung darüber machen, wie viele Menschen eine bestimmte Sache oder Handlung für gut oder schlecht, falsch oder richtig halten. Aber das liefert für sich genommen immer noch keine Aussage darüber, ob diese Sache oder Handlung nun gut oder schlecht, falsch oder richtig ist.

Natürlich kann man jetzt sagen, dass das, was die Mehrheit für gut bzw. schlecht findet, automatisch auch gut bzw. schlecht ist. Aber das ist dann wieder eine Annahme, die eben nicht rational-naturwissenschaftlich begründet ist.

Auch könnte man sagen, dass es so etwas wie gut oder schlecht, falsch oder richtig gar nicht wirklich gibt, sondern nur in der (mehr oder weniger voneinander abweichenden) Vorstellung der einzelnen Menschen. Das wäre auch eine Ansicht, die man vertreten könne; würde dann aber bedeuten, dass Moral und Ethik gar nicht wirklich existieren. Das wiederum führt dann vermutlich zu Hedonismus. (Wenn man weiter geht und konsequent alles nicht rationale, nicht naturwissenschaftlich untersuchbare ablehnt, kommt man meinen Überlegungen nach allerdings zu wirklich "gruseligen" Ideen; aber das führt an diese Stelle vermutlich zu weit.)

Aber wie man es dreht und wendet: Die Naturwissenschaft beschreibt zwar, wie etwas ist, aber nicht, wie das moralisch zu bewerten ist, und kann daher meiner Meinung Nach keine Antworten auf Fragen der Moral und Ethik liefern (auch wenn Sam Harris in seinem Vortrag etwas anderes behauptet.

NuEM

Ich glaube, hier werden zwei unterschiedliche Perspektiven durcheinander geworfen bzw. vermischt, was natürlich nicht gut gehen kann. Der erste Perspektive ist die des neutralen Beobachters. Der schaut sich das ganze von außen an. Für ihn sind Moral und Ethik keine Begriffe. Er sieht uns als Lebewesen an, die wie alle anderen Lebewesen ihre typischen Verhaltensweisen haben, die rein naturwissenschaftlich gedeutet werden. Sicher deutlich komplexer als die der meisten anderen Lebewesen, bedingt durch unserer herausragendes Gehirn und unsere soziale Lebensweise, aber letztendlich nur eine Art unter vielen, die wertneutral nebeneinander stehen.

Die andere Perspektive ist die des Teilnehmers. Moral und Ethik sind Konzepte die Abstraktionen von Verhaltensweisen darstellen, und einer Bewertung unterliegen. Handlungen können falsch oder richtig sein, moralisch oder unmoralisch. Dies sind keine der Handlung immanenten Eigenschaften, sondern sie werden von den Akteuren, von uns, vergeben, auf der Basis der eigenen persönlichen wie gesellschaftlichen Moralvorstellungen, welche wiederum nicht fest und unveränderlich sind, sondern einer ständigen Entwicklung unterliegen.

Moral und Ethik sind ja keine messbaren Größen, sondern Konzepte, und als solche nur gültig innerhalb des anwendbaren Bereiches, nämlich des menschlichen Verhaltens aus der Perspektive des Menschen betrachtet. Naturwissenschaftlich lässt sich also Verhalten zwar erklären, aber nicht moralisch werten, das geht nur aus der Sicht innerhalb der "moralischen Welt".

Kurz gesagt: Ich stimme darin mit euch überein.

rincewind

Jetzt könnte ich noch Haare spalten, Moral/Ethik lassen sich durchaus messen :)

Aber schon klar, was Du sagen wolltest, ist angekommen.

Ridcully

Schön, dann wäre das geklärt.

Zitat von: Tooticki am 21. September 2010, 16:06:58@Ridcully: Was ist denn an dieser Aussage über den frühen Marx unlogisch? Natürlich folgt aus den ÖPM nicht zwangsläufig, dass Religiöse umerzogen oder liquidiert werden. Lag wohl auch nicht in Marxens Absicht. Aber wenn ich Leuten ein falsches Bewusstsein unterstelle, kann das eben solche Folgen wie im Stalinismus usw. haben. Ich würde eher den Anfang des Zitates anzweifeln: Natürlich können auch Ungläubige Gründe haben, fanatisch zu sein. Oder meintest du das?

Nein, ich meinte den Teil mit Marx. Der erste Satz soll doch wohl ausdrücken, dass der blosse Nichtglaube kein Grund ist, z.B. die Gläubigen zu verfolgen. Dass seh ich auch so, der Fanatismus basiert wenn dann an dem Glauben an etwas anderes (was nichts religiöses sein muss). Marx muss dafür hier als Beispiel dienen, und da wird es absurd. Denn Marx beschreibt "falsches Bewusstsein" doch gerade nicht als individuelles Fehlverhalten, sondern als Ausdruck objektiver Verhältnisse. Wenn Bedarf an Religion besteht, dann liegt das für ihn an unglücklichen Lebensumständen, also müsse die geändert werden und nicht der Gläubige. Das ist der Kern seiner Religionskritik und deshalb ist es albern ihm vorzuwerfen, dazu nichts gesagt zu haben und deshalb nur "angeblich" humanistisch gewesen zu sein und irgendwie für Stalins Verbrechen mitverantwortlich gewesen zu sein.

Wenn man das Argument auf die Religion zurück bezieht, wäre z.B. Jesus der Vorwurf zu machen, dass er nicht gesagt hat, was mit denen passieren soll, die nicht das Evangelium annehmen wollen. Was offensichtlich Schwachsinn ist, den er hat es doch gesagt: die sind halt nicht gerettet und müssen in der Hölle schmoren oder so. Von irgendwelchen Scheiterhaufen war da hingegen nicht die Rede und diese praktische Vorgehensweise widerspricht auch völlig der Grundidee einer spirituellen Strafe im Jenseits. Den verbrannten Ketzern wird doch die Gelegenheit genommen, doch noch zu Sinnen zu kommen und ihre diesseitige Strafe ist zudem völlig belanglos im Vergleich mit den ewigen Qualen, die folgen. Ich hoffe, ich gottloser Sünder hab das einigermassen korrekt dargestellt.



NuEM

Zitat von: rincewind am 21. September 2010, 21:06:08
Jetzt könnte ich noch Haare spalten, Moral/Ethik lassen sich durchaus messen :)

Aber schon klar, was Du sagen wolltest, ist angekommen.

Jetzt bin ich neugierig. Wie misst man denn sowas? ???