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Bildungsmisere

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Begonnen von PeterPan, 19. März 2023, 19:48:59

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PeterPan

Da das Thema Bildung im Faden von Identitätspolitik kurz aufflackerte und auch in anderen Bereichen immer wieder vorkommt, dachte ich mir wird es Zeit einen Faden dafür zu eröffnen.

Die typischen Fragen geistern im Kopf herum. Warum, wer, seit wann und ist etwas überhaupt etwas an der Bildungsmisere dran? Einen Anhänger hat Scipio geliefert mit den Büchern "Bildung. Alles, was man wissen muss" von Dietrich Schwanitz und  "Die andere Bildung – Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte" von Ernst Peter Fischer. Das zweite Buch soll der fehlende Abschnitt und auch die Kritik zum ersten Buch sein. Ernst Peter Fischer hat auch einen eigenen Blog https://scienceblogs.de/wissenschaftsfeuilleton/ ist aber anscheinend nach dem Fast-Aus von scienceblogs nicht wiedergekehrt.

Einen kleinen Auftakt gibt es auch vom Bildungsministerium.

,,Völlig ungeeignete Showveranstaltung": Die Bildungsministerin lädt zum Gipfel – und kaum einer kommt
https://www.tagesspiegel.de/politik/vollig-ungeeignete-showveranstaltung-die-bildungsministerin-ladt-zum-gipfel-doch-die-wichtigsten-gaste-kommen-nicht-9492713.html

Also es gibt viel Arbeit im Bereich Bildung. Was soll getan werden? Und mich würde wie schon gesagt interessieren wie es dazu kam.

Schwuppdiwupp

Zitat von: PeterPan am 19. März 2023, 19:48:59Da das Thema Bildung im Faden von Identitätspolitik kurz aufflackerte und auch in anderen Bereichen immer wieder vorkommt, dachte ich mir wird es Zeit einen Faden dafür zu eröffnen.
:2thumbs:

Zitat von: PeterPan am 19. März 2023, 19:48:59Was soll getan werden? Und mich würde wie schon gesagt interessieren wie es dazu kam.

Oje, die Fragestellung ist nicht nur kompliziert - sie ist komplex. ::)

Hier mal ein paar Hinweise von Prof. Dr. Bernhard Krötz, Mathematiker der Universität Paderborn. Er kritisiert in seinen Videos, die ich mir gerade so nach und nach reinpfeife, vor allem die Mathematik Didaktik, wie sie aktuell an den UNis gelehrt und an den Schulen praktiziert wird.

[Anmerkung: Beide Links führen an unterschiedlichen Stellen zum selben YouTube-Video für diejenigen, die keine Lust oder keine Zeit ahben, sich das ganze Video von ca. 30 Minuten Länge anzusehen.]

Was ist los im Ländle? Abitur zertifiziert nicht mehr.

Anekdote aus der Abiturprüfung in Baden-Württemberg
Ach, was weiß denn ich ...

Scipio 2.0

Was sicher auch nicht hilft ist, dass (gefühlt) alle Eltern ihre Kinder unbedingt durchs Abi bringen und zur Not klagen wollen.

Das erklärt aber noch nicht warum die Anforderungen in den Lehrplänen immer weiter gesenkt werden. Insbesondere von CDU Politikern würde ich das nicht erwarten aber das ist wohl ein bundesweites Phänomen.

PeterPan

Bernhard Krötz wurde ja mit dem Artikel über die Mathediskriminierung hineingebracht. Ich habe ein paar seiner 10min Videos angesehen. Ich kann mich da nur wiederholen. Er sitzt am Ende des Bildungsprozesses und kann nur die Oberfläche des Problems sehen. "Es ist so gewollt" ist nicht hilfreich.

Ein etwas passenderes Video war dieses:
Nachspitzen
https://www.youtube.com/watch?v=VVjOPVjQX8A

Die Hochschulen sollen mehr von Lehramtsstudenten fordern und auch welche durchrasseln lassen. In der Vergangenheit (80er) wurde das Lehramt vernachlässigt und mit jeder weiteren Generation fällt es nun langsam auf den Kopf. Monetäre Leistungen könnten mehr Menschen ins Lehramt bringen.


Klagen den viele Eltern? Und sollen sie einfach ihren Kindern sagen "Ne, ist nicht". Die Spezialisierung der Qualifikation und damit das komplette Berufsleben hängt davon ab. Von irgendwoher müssen zumindest die fachlichen Fähigkeiten erworben werden. Ohne ist es nicht möglich eine qualifizierte Bevölkerung zu haben. Da muss das Abitur keine Rolle spielen (ist ja eher für Studium relevant). Herr Krötz beschwert sich z.B. auch über Hauptschüler.

Es gibt zurzeit einen leichten Trend in Richtung weniger junge Menschen ohne Ausbildung und ohne Abschluss.

Scipio 2.0

ZitatHerr Krötz beschwert sich z.B. auch über Hauptschüler.

Was stört ihn an Hauptschülern?

Schwuppdiwupp

Im Wesentlichen, dass in der Sekundarstufe I nicht mehr das simple Rechnen im ausreichenden Umfang geübt wird.


Zitat von: PeterPan am 20. März 2023, 21:34:19Er sitzt am Ende des Bildungsprozesses und kann nur die Oberfläche des Problems sehen. "Es ist so gewollt" ist nicht hilfreich.

Sagen wir, er sitzt am Ende des gesamten akademischen Bildungswegs. Er wird indirekt durch die Aussagen von Handwerkmeistern bestätigt, bei denen Lehrlinge noch nicht einmal die Menge an Farbe für eine Wand ausrechnen können.

Worüber man sich meines Erachten streiten kann, ist der Einfluss der von ihm (Übermaß?) kritisierten Fachdidaktik. (Übrigens sieht es in anderen Fächern mit der "Kompetenz-Orientierung" nicht besser aus.)

Was er meines Erachtens bisher nicht genügend berücksichtigt ist der Einfluss von Politik und Gesellschaft.
Ach, was weiß denn ich ...

PeterPan

Zitat von: Scipio 2.0 am 20. März 2023, 21:46:17
ZitatHerr Krötz beschwert sich z.B. auch über Hauptschüler.

Was stört ihn an Hauptschülern?

Er beschwert sich über den generellen Leistungsabfall von Schülern im Bereich Mathe (seine Expertise). Da sind andere Schulbereiche nicht ausgeschlossen.

Es kann sich doch kein entwickeltes Land leisten eine niedrig gebildete Bevölkerung zu haben. Das ist ähnlich wie mit Analphabetismus. Es ist nicht nur ein Problem für die Person, sondern auch für die Gesellschaft. Diese Menschen verschwinden nicht und damit auch das Problem.

Zitat von: Schwuppdiwupp am 20. März 2023, 22:22:37Er wird indirekt durch die Aussagen von Handwerkmeistern bestätigt, bei denen Lehrlinge noch nicht einmal die Menge an Farbe für eine Wand ausrechnen können.

Auch der Handwerksmeister kriegt nur das Ende von der Wurst ab.

Mir sagen Fachdidaktik und Kompetenz-Orientierung nichts. Sind das administrative Hürden und Überfrachtung? Überladung der Kernfaches mit anderen Themen? Veränderung beim rüberbringen der Stoffes?

Ja, Politik und Gesellschaft müssen berücksichtigt werden, aber ich denke nicht das ein Leistungsabfall geplant war. Es wurden Maßnahmen ergriffen, die unbeabsichtigt zur Verschlechterung beigetragen haben.

Zum Beispiel hat die EU mehrfach Deutschlands Bildungssystem, als problematisch angesehen. Die Eltern spielen eine wichtige Rolle über den Bildungserfolg. Wenn das in Verbesserungsmaßnahmen nicht ausreichend zur Geltung kommt, dann wird es nicht aufwärtsgehen.

Schwuppdiwupp

Zitat von: PeterPan am 21. März 2023, 22:24:00Mir sagen Fachdidaktik und Kompetenz-Orientierung nichts.

Mir aber. Leider.


Zitat von: PeterPan am 21. März 2023, 22:24:00Sind das administrative Hürden und Überfrachtung? Überladung der Kernfaches mit anderen Themen? Veränderung beim rüberbringen der Stoffes?

Das trifft es schon ganz gut.

Anstatt vieler Worte verweise ich hier mal auf ein Video von Prof. Krötz:


Ach, was weiß denn ich ...

Scipio 2.0

Wo kann man sich den überhaupt hin wenden, wenn man in Dtl. überhaupt eine ordentliche Bildung haben will und eine Abschluss der auch was Wert ist?

Schwuppdiwupp

Tja, das wird knifflig. Zumal man erstmal definieren müsste, was eine "ordentliche Bildung" überhaupt ist.

Wenn es um die Frage, auf welche Schule schicke ich mein Kind geht, dann ist neben der Wohnortnähe auch immer die Mund-zu-Mund-Propraganda ein ausschlaggebenedes Kriterium. Wie weit das valide ist, sei einmal dahingestellt.

Fakt ist nur, dass ein bestandenes (Zentral-) Abitur schon lange keine Garantie mehr für ein erfolgreiches Hochschulstudium ist.
Ach, was weiß denn ich ...

Scipio 2.0

Ich hatte wohl das Glück, dass ich sehr engagierte Lehrer auf dem Gymie hatte. (Meine Lehrerin im Mathe LK hat sogar einen Dr.) Ich meine man hat dort schon Themen bearbeitet/angerissen die dann später in der Uni dran kamen.

Das erste Semester hat sich fast wie ein Wdh. der 13. Klasse angefühlt.

Aber das ist ja nicht garantiert und steht auch nicht am Gymie draussen dran.

PeterPan

Zitat von: Schwuppdiwupp am 22. März 2023, 09:57:20Anstatt vieler Worte verweise ich hier mal auf ein Video von Prof. Krötz:

Er erwähnt in meinen Augen einen wichtigen Punkt. Deutschland ist insbesondere nach 1980 im Bildungsbereich zu einem Einwandererland geworden. Die Kinder der Gastarbeiter kamen in die Grundschulen. Der Bedarf die neue Schülerschaft zu bilden und sie dann bis 2000 erfolgreich in ein Studium oder den Arbeitsmarkt zu integrieren war wichtig. Und ist es jetzt erst recht, da mit der EU und weiteren Migrationsströmen eine adäquate Bildung notwendig ist.

Wenn nun Eltern für den Bildungserfolg relevant sind, weil sie die Feinheiten des Bildungssystems kennen, dann sind Kinder ohne Rückendeckung aufgeschmissen. Dazu passt z.B. die Textlastigkeit der Aufgaben.

Ich sehe aber noch nicht ob mit der Reduktion von Didaktik und Kompetenz-Orientierung sich der Leistungsabfall ändern lässt. Es scheint eine Hürde für ein einfacheres Lernsystem zu sein.

Schwuppdiwupp

Vorweg: Ich möchte eigentlich viel mehr zu diesem Thema schreiben, aber ich muss erst meine "subjektiven Befunde" mal so für mich sortieren.

1. Zu Prof. Krötz und dem Fach Mathematik: Hier ist die Sache sehr einfach. Die Sprache der Mathematik ist international. In aller Regel haben hier gute ausländische Schüler keine Schwierigkeiten. Es ist sogar so, dass insbesondere Schüler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und Asien deutsche Schüler meistens übertreffen. (Bei klassischen Textaufgaben hapert's dann mitunter, aber das legt sich auch verblüffend schnell.)

2. Man muss nicht glauben, dass deutsche Eltern die "Feinheiten" des Bildungssytems durchschauen. Mitunter tun das nicht einmal die Lehrer. Beispielsweise sagt einem ein Programm auf einer Zeugniskonferenz erst, welchen Abschluss ein Schüler mit den jeweiligen Noten eines Zeugnisses erreicht hat.

3. Die Abkehr von den kompetenzorientierten hin zu mehr fachspezifischen Lehrplänen sind sicherlich keine Garantie für eine Leistungssteigerung. Aber sie wäre meines Erachtens ein wichtiger Baustein.
Ach, was weiß denn ich ...

Scipio 2.0

Was man auch noch erwähnen kann ist, das Schüler, wenn man sie den befragt einen eher lebenspraktischen Unterricht haben möchten als einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht.

Konkret möchte man lieber in der Schule lernen wie man einen Mitvertrag ausfüllt statt Unterricht in höherer Mathematik zu erhalten.

Diese Haltung scheint mir ein weiterer Mosaikstein zu sein der zu den derzeitigen Zuständen geführt hat.

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Wenn das Thema Bildung in meiner (Medien-)Bubble mal zur Sprache kommt hört man auch Klöpse wie, man braucht ja kein Kopfrechnen mehr lernen, weil es ja jetzt Taschenrechner gibt und solche Geschichten... Da spricht in meinen Augen völlige Ahnungslosigkeit aus den Leuten. Das ist auch keine gute Grundlage für mehr Bildungserfolg.

PeterPan

Zitat von: Schwuppdiwupp am 25. März 2023, 08:58:452. Man muss nicht glauben, dass deutsche Eltern die "Feinheiten" des Bildungssytems durchschauen. Mitunter tun das nicht einmal die Lehrer. Beispielsweise sagt einem ein Programm auf einer Zeugniskonferenz erst, welchen Abschluss ein Schüler mit den jeweiligen Noten eines Zeugnisses erreicht hat.

Das beste Beispiel ist zurzeit Uğur Şahin.
ZitatAls Vierjähriger kam Ugur Sahin gemeinsam mit seiner Mutter aus der Türkei nach Köln, wo sein Vater bereits beim Automobilhersteller Ford am Band arbeitete. Er konnte kein Wort Deutsch und sollte nach dem Besuch der Grundschule eigentlich auf die Hauptschule gehen. Erst durch das beherzte Veto eines – deutschen – Nachbarn konnte die zum damaligen Zeitpunkt mehr als außergewöhnliche schulische und wissenschaftliche Karriere Ugur Sahins in die richtigen Bahnen gelenkt werden.

Ich kann noch aus einem persönlichen Rahmen sprechen. Mit Beginn der 10.Klasse in der Realschule musste sich langsam für eine Berufslaufbahn entschieden werden. Die wenigen Maßnahmen um Schüler zu helfen waren miserabel. Es gab einen Abstecher in die Arbeitsagentur, die umgebaut wurde und auch nicht für unsere Ortschaft zuständig war. Von der Sparkasse kam jmd. der uns über den Beruf des Bankkaufmannes erzählt hat, aber für die Bewerbung ist es zu spät und sie nehmen nur Abiturienten. Er selbst war schon verspätet (sollte in der 9. kommen). Wenn du jetzt nicht von Eltern oder von Freunden der Eltern in die größeren Werke gelotst wurdest, warst du ohne einen Mentor aufgeschmissen.

Ja, du musst nicht unbedingt deutsche Eltern haben. Du brauchst ein Protege der dich durch das Bildungssystem durchzieht und dir die notwendige Möglichkeit für dein zukünftiges Berufsleben ermöglicht.