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Bedeutung der Ergebnisse der Hirnforschung für die Gesellschaft

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Begonnen von Scipio, 10. Juni 2018, 09:54:40

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Scipio

Der Betreff ist wahrscheinlich etwas ungünstig gewählt aber was besseres ist mir nicht eingefallen.

Wenn man den Ergebnissen der modernen Hirnforschung glauben darf, dann gibt es offenbar weder so etwas wie einen freien Willen noch so etwas wie ein "Ich-Bewusstsein". So dem tatsächlich so ist, kann man doch eigentlich die Ideen von Freiheit und Selbstbestimmung in die Tonne kippen?

Dann schließt sich aber natürlich die Frage an was die alternative wäre?

Ich bin da derzeit etwas ratlos.

Gefährliche Bohnen

Haste denn mal 'nen Link für den Anlass deiner Ratlosigkeit, Scipio?  "Ergebnisse der modernen Hirnforschung", das ist immer so schwammig.  ;)
"Ich muss an dieser Stelle gestehen: Ich mag Karpfen gar nicht." - Groucho
RIP

celsus

Zitat von: Scipio am 10. Juni 2018, 09:54:40Wenn man den Ergebnissen der modernen Hirnforschung glauben darf, dann gibt es offenbar weder so etwas wie einen freien Willen noch so etwas wie ein "Ich-Bewusstsein".

Ist das denn tatsächlich so? Was lässt darauf schließen? Und wenn es so ist, was ändert das?

Und wie kamen die Hirnforscher zu dem freien Entschluss, das zu erforschen?  :teufel
The best thing about science is that it works - even if you don't believe in it.

Gimpel

Haben die Neurowissenschaften nicht mittlerweile auch eine Replikationskrise?

ZitatVor kurzem habe ich alle 61 Artikel analysiert, die in einem engen Bereich der klinischen Neurowissenschaft publiziert worden sind. Drei davon (5 Prozent) sind wirklich gut, weitere 18 (31 Prozent) ebenfalls akzeptabel, wenn auch in einzelnen Punkten angreifbar. Alle anderen Publikationen sind nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Der häufigste Grund dafür ist schlicht die bei Weitem unzureichende Anzahl von Patienten, die zur Untersuchung herangezogen worden sind, so dass aufgrund der Ergebnisse keine Aussage gemacht werden kann. Da die notwendige Patientenzahl schon im Voraus (zumindest grob) eingeschätzt werden kann und soll, sollte die Nutzlosigkeit solcher Studien eigentlich von vornherein klar sein. Deshalb sind solche kleinen Studien ein wahres Millionengrab, wird hier doch eine Arbeit durchgeführt, von der man, noch bevor man loslegt, mit Sicherheit weiß, dass sie nichts bringt.

https://www.novo-argumente.com/artikel/wissenschaft_im_gleichschritt

Scipio

Zitat von: Gefährliche Bohnen am 10. Juni 2018, 11:01:48
Haste denn mal 'nen Link für den Anlass deiner Ratlosigkeit, Scipio?  "Ergebnisse der modernen Hirnforschung", das ist immer so schwammig.  ;)

Ich habe jetzt mal schnell folgenden Artikel rausgesucht:
https://www.psychologie-heute.de/ph-compact/detailansicht/news/gibt_es_eine_freie_entscheidung/

ZitatBenjamin Libet stieß mit seinen Arbeiten eine bis heute anhaltende heftige Diskussion an. Auch wenn er in späteren Experimenten ein Zeitfenster fand, das dem Bewusstsein eine kleine Chance gibt, ein Vetorecht gegen eine Handlung einzulegen (,,Nein, diese Sahnetorte esse ich nicht, sie macht mich dick!"), sind führende Hirnforscher der festen Überzeugung: Der freie Wille existiert nicht, er ist eine Illusion. Für sie sind wir bei unseren Handlungen und Entscheidungen nicht frei, wir haben nur das Gefühl von Freiheit. Nach Sigmund Freud, der uns aufklärte, dass das Unbewusste unser Verhalten, Fühlen und Tun beeinflusst, fügen uns nun Hirnforscher eine weitere Kränkung zu, indem sie den freien Willen infrage stellen.

Da gibt es aber natürlich noch mehr.

Peiresc

Das mit dem ,,Freien Willen" ist eigentlich ein uraltes Mützel. Einer der dunklen Verkünder der Determiniertheit ist der Neurophysiologe Wolf Singer.

Es gibt allerhand tiefschürfende Literatur dazu, die ich aber schon lange nicht mehr gesichtet habe. Der ,,Freie Wille" ist eigentlich ein religiöser Begriff. Er hängt zusammen mit dem Begriff der Sünde.

Ah, hier habe ich noch was:
ZitatPhilosophen, die im Lehnstuhl empirische Fragen lösen, verstoßen ebenso gegen diese Einsicht wie Hirnforscher, die meinen, begriffliche oder normative Fragen experimentell lösen zu können.
Pauen M. Willensfreiheit als wissenschaftliches und und philosophisches Problem. Fortschr Neurol Psychiat 2006; 74: 191-193
Das geht noch sehr ins Detail, aber es ist sinnlos, diese hier auszubreiten. Wichtiger wäre sich zu überlegen, was man eigentlich genau wissen will.

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Zitat von: Gimpel am 10. Juni 2018, 11:32:40
Haben die Neurowissenschaften nicht mittlerweile auch eine Replikationskrise?
https://www.novo-argumente.com/artikel/wissenschaft_im_gleichschritt
Das ist ein übler Defätist. Diese ,,Replikationskrise" der Wissenschaft hat es eigentlich immer gegeben – der Unterschied zu früher ist, dass sie heute mehr ins öffentliche Bewusstsein tritt. Ich halte das für einen Effekt gestiegener Anforderungen an Publikationen. Der Autor schreibt:
ZitatEs gibt hier keinen Raum, genaue Ursachen der Krise und konkrete Lösungsvorschläge zu deren Überwindung zu analysieren.  4 Vor einigen Jahren habe ich in dieser Zeitschrift darüber geschrieben, dass die westliche Wissenschaft ein Produkt der christlich-humanistischen Kultur ist, und dass sie, wenn sie diese Basis verlässt, auch ihre wichtigste Eigenschaft, nämlich die Orientierung auf Wahrheit, einbüßt und zum Spielball wirtschaftlicher und politischer Einflüsse verkommen kann.
Unsinn. Was er ,,vor einigen Jahren" dazu formuliert hat, sind post-hoc-Apologien. Warum schreibt er überhaupt diesen Artikel? Es geht ihm nicht um die Durchsetzung wissenschaftlicher Standards, sondern:
ZitatStatt gegen angebliche ,,Wissenschaftsfeinde" zu demonstrieren, täten Wissenschaftler besser daran, wenn sie ihre Probleme anerkennen, ihre Integrität wiederherstellen [...]
Hier ist die Katze aus dem Sack. Statt sich z. B. im March for Science gesellschaftlich zu engagieren, sollten Wissenschaftler lieber den eigenen Saustall aufräumen. Wogegen gibt es eigentlich Protest, Herr Kotchoubey?

Zitat
ZitatHiroko Tabuchi:
There is no chief scientist at the State Department, nor is there a chief scientist at the Department of Agriculture. And as Trump prepares to meet Kim Jong-un, he is doing so without the help of a science adviser trained in nuclear physics.
12:18 - 9. Juni 2018

Matthew Yglesias:
The thing is, you don't need a nuclear scientist to help you count bribe money. What you need is to minimize the number of people in the room who might leak about it.

Peiresc

Und weil wir gerade bei Replikationskrise waren. Auch das Zimbardo-Experiment (1971, d. h. vor knapp 50 Jahren) ist davon geschüttelt. Ein Beispiel dafür, dass diese Krise nicht Zeichen eines Verfalls ist. 
https://www.vox.com/2018/6/13/17449118/stanford-prison-experiment-fraud-psychology-replication
Und es war nie völlig unumstritten.