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Können Menschen skeptisch diskutieren?

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Begonnen von coilnova, 05. November 2015, 10:38:35

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coilnova

Hallo,

mich wundert, warum in Diskussionen, insbesondere solche, die seit vielen Jahren/Jahrzehnten in der Öffentlichkeit geführt werden, so selten Menschen ihre Meinung wechseln.
Dabei scheint das Thema keine Rolle zu spielen, sondern eher, wie lange und wie intensiv schon darüber diskutiert wird.
Mal ein beliebiges Thema genommen, bspw. die Wirksamkeit der Homöopathie.
Ich möchte das jetzt mal weniger aus dem Aspekt betrachten, ob eine Wirksamkeit vorhanden ist oder nicht, sondern eher wie darüber diskutiert wird.
Jemand, der nichts über das Thema weiß und sich informieren möchte und eine Zusammenfassung der Argumente beider Seiten sucht, müsste eigentlich am schnellsten zum Ziel kommen, wenn er eine bereits geführte Diskussion liest/sich anhört, die auf die wesentlichen Grundannahmen reduziert ist, bei denen sich der Großteil der beiden Parteien uneinig ist.

Soweit ich das beurteilen kann wäre das im Falle der Homöopathie die Frage, ob es einen einzigen Menschen auf der Welt gibt, der ein einziges Homöopathikum innerhalb eines beliebigen Zeitraums (bspw. 10 Jahre) von einem Placebo unterscheiden kann.
Der Mensch bekomme also eine  Menge an durchnummerierten Fläschchen mit jeweils einer großen Menge Globuli, die Hälte entsprechend der Richtlinien der Homöopathie hergestellt, die andere Hälfte bloß Zuckerkügelchen.
Am Ende muss er entscheiden, in welchen Fläschen was drin war und mit einer gewissen Quote über der Zufallstrefferquote liegen.

Ich denke mal, die meisten Homoöpathen würden behaupten, das sei möglich, wärend die meisten Skeptiker behaupten, sojemand ließe sich nicht finden.
Das müsste die schwächste Behauptung der Homöopathen sein, der die Gegner noch widersprechen und es als Beweis der Wirksamkeit der Homöopathie akzeptieren würden, sollte das jemand schaffen.

Mir ist keine Diskussion bekannt, in der das angesprochen wird.
Stattdessen wird aber immer über viel stärkere Aussagen diskutiert, zb das Ähnlichkeitsprinzip, was ja Aussagen über eine sehr große Menge an Mitteln macht.
Oder kann der Placeboeffekt bei diesen und jenen Lebewesen einen Effekt haben.
Oft auch wer hat finanzielle Interessen an (nicht-)homöopathischen Medikamenten/Behandlungsformen.
Fast immer auch die Diskussion über den angeblichen Wirkungsmechanismus.

Das beobachte ich auf beiden Seiten, auch auf Seiten der Skeptiker.
Bspw. Metaanalysen heranzuziehen kann ja nicht als Beleg dienen, dass ein Effekt, wie ihn die Homoöpathie behauptet, gänzlich nicht existiert, sondern nur, dass sich die (starke) Aussage,
dass die Homöopathika, wie sie in den Studien angewendet werden, im Allgemeinen wirksam sind, so nicht stellen lässt.
Aber kaum ein Skeptiker würde vermutlich der Aussage zustimmen, dass es einige wenige Homöopathika gibt, die eine Überlegenheit gegenüber einem Placebo zeigen.

Allgemein gibt es kaum Standards oder Qualitätskriterien, die an Diskussionen gestellt werden.
Zu beobachten ist, dass immer die gleichen Argumente vorgebracht werden, die auch beiden Seiten längst bekannt sind.
Ganz selten sieht man, dass eine Seite der anderen tatsächlich Fragen stellt, was meiner Meinung nach doch irgendwie notwendig wäre, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Bspw. soetwas wie "würde sich deine Meinung ändern, wenn xyz eintreten würde?".

Ist das tatsächlich so oder nehme ich es nur so wahr?

Peiresc

Guten Tag.
Zitat von: coilnova am 05. November 2015, 10:38:35
mich wundert, warum in Diskussionen, insbesondere solche, die seit vielen Jahren/Jahrzehnten in der Öffentlichkeit geführt werden, so selten Menschen ihre Meinung wechseln.
Dabei scheint das Thema keine Rolle zu spielen, sondern eher, wie lange und wie intensiv schon darüber diskutiert wird.
Ja, das ist eines der Welträtsel. Wir berühren das gelegentlich, z. B. hier:
https://forum.psiram.com/index.php?topic=14153.msg184921#msg184921
https://forum.psiram.com/index.php?topic=14153.msg184965#msg184965
und folgende.

Zitat von: coilnova am 05. November 2015, 10:38:35
Am Ende muss er entscheiden, in welchen Fläschen was drin war und mit einer gewissen Quote über der Zufallstrefferquote liegen.
Die Beweiskraft dieser ,,Entscheidung" wäre Null.

ZitatBspw. Metaanalysen heranzuziehen kann ja nicht als Beleg dienen, dass ein Effekt, wie ihn die Homoöpathie behauptet, gänzlich nicht existiert
Die Nicht-Existenz von Etwas zu beweisen, ist prinzipiell unmöglich. Vgl Russells Teekanne.

ZitatAllgemein gibt es kaum Standards oder Qualitätskriterien, die an Diskussionen gestellt werden.
Doch doch. Sie sind vom Betreiber des Forums/Blogs/Journals abhängig, in dem die Diskussionen stattfinden. Für die wissenschaftliche Diskussion gibt es durchaus gewisse Regeln.

ZitatGanz selten sieht man, dass eine Seite der anderen tatsächlich Fragen stellt
Das wäre nur sinnvoll, wenn es tatsächlich um einen Erkenntnisgewinn gehen würde; im Allg. ist das nicht der Fall.

ZitatBspw. soetwas wie "würde sich deine Meinung ändern, wenn xyz eintreten würde?".
Das wäre eine gute Frage, aber man darf nicht erwarten, dass sie jemals beantwortet wird.

;)



eLender

Das hat ein wenig hiermit zu tun:



Gilt generell für irrationale Überzeugungen. Ich hatte auch letztens gehört, dass eine Konfrontation mit Fakten den Glauben eher bestärkt (Aussage stammt wohl auch von dem Herrn).
Wollte ich nur mal gesagt haben!

Groucho

Zitat von: coilnova am 05. November 2015, 10:38:35
Ich möchte das jetzt mal weniger aus dem Aspekt betrachten, ob eine Wirksamkeit vorhanden ist oder nicht, sondern eher wie darüber diskutiert wird.
Jemand, der nichts über das Thema weiß und sich informieren möchte und eine Zusammenfassung der Argumente beider Seiten sucht, müsste eigentlich am schnellsten zum Ziel kommen, wenn er eine bereits geführte Diskussion liest/sich anhört, die auf die wesentlichen Grundannahmen reduziert ist, bei denen sich der Großteil der beiden Parteien uneinig ist.

Idealerweise sollte eine Diskussion so ähnlich sein:


Leider funktioniert das nur, wenn beide Seiten mitspielen. Homöopathen (stellvertretend für ähnliche Systeme) segeln unter falscher Flagge, sobald sie das Wort "Wissenschaft" in den Mund nehmen. Sie suchen nach Bestätigung einer persönlich vorhandenen Gewissheit. Sie benutzen ihren Intellekt (je nach Ausprägung mehr oder weniger geschickt) zur Rationalisierung ihrer festen Überzeugung, während ein (idealer) Skeptiker versucht, seine Überzeugungen rational zu verifizieren und ggf zu neuen zu gelangen.

Es ist dieser grundsätzlich unlösbare Konflikt zwischen einem geschlossenen und offenen System der Gedanken und Überzeugungen.

Als skeptischem, rational denkenden Menschen (wenn er sich gerade im Wissenschaftsmodus befindet ;) ) ist eine solche Haltung der 100%igen Vorabüberzeugung einigermaßen fremd, er unterstellt seinem homöopathischen Gegenüber oft stillschweigend (und naiv), er wäre grundsätzlich bereit, seine Überzeugung aufzugeben, wenn nur die Argumente gut genug wären. Entsprechend fruchtlos und frustrierend sind dann solche Pseudo-Diskussionen.

Etwas verständlicher wird die Sache, wenn man sich vergegenwärtigt, dass unser Hirn primär dem Funktionieren in der Welt dient und nicht der Suche nach tieferen, rationalen Zusammenhängen, also dem, was wir heute unter Wissenschaft verstehen.
Sowas hat sich erst langsam entwickelt, und man muss es lernen. Blickt man in die Geschichte der Universitäten, war es zu Anfangszeiten durchaus nicht oder kaum Fakten, die zählten, sondern der hatte Recht, der überzeugender argumentieren konnte, was irgendwie besser klang.
Diese Methode ist keineswegs tot, man gucke sich eine beliebige Talkshow an oder in die Politik.

Homöopathen (und co.) hängen in dieser archaischen, aber immer noch aktuellen Denkwelt fest - was kein Problem wäre, würden sie sich dazu bekennen und nicht behaupten, es hätte irgendwas mit Wissenschaft zu tun. Es ist Magie. Dummerweise muss man aber unter der wissenschaftlichen Flagge segeln, will man an Geldtöpfe und ein breites Publikum rankommen, soweit hat die Aufklärung dann doch funktioniert.

Vielen Skeptikern muss man daher eine gewisse Naivität vorwerfen - sie erkennen oft nicht, dass sie sich in gar keiner Diskussion befinden.

uran

Zitat von: eLender am 05. November 2015, 13:55:32
Ich hatte auch letztens gehört, dass eine Konfrontation mit Fakten den Glauben eher bestärkt (Aussage stammt wohl auch von dem Herrn).
Man nennt das den Backfire Effekt.
http://rationalwiki.org/wiki/Backfire_effect

Man darf auch die sozialen Aspekte nicht vergessen.
ZitatUm in eine Gemeinschaft zu passen, muss ich ähnliche Werte vertreten und die Welt mit ähnlichen Augen sehen. Auch wenn dieser Blick auf die Welt in direktem Widerspruch zur Vernunft steht. Bei Religionen ist es sogar wesentlich, dass der Blick auf die Welt ein möglichst irrationaler ist. Das stärkt die Gemeinschaft, wie hier schon mal erklärt. Natürlich gilt das nicht nur für Religionen, jeder von uns ist mit seinen Überzeugungen gesellschaftlich eingebettet. Und niemand ändert seine Meinung, wenn er damit seine Gruppenzugehörigkeit gefährdet.
http://www.diewahrheit.at/video/warum-niemand-seine-meinung-andert

eLender

Zitat von: uran am 05. November 2015, 19:22:57

ZitatUm in eine Gemeinschaft zu passen, muss ich ähnliche Werte vertreten und die Welt mit ähnlichen Augen sehen. Auch wenn dieser Blick auf die Welt in direktem Widerspruch zur Vernunft steht. Bei Religionen ist es sogar wesentlich, dass der Blick auf die Welt ein möglichst irrationaler ist. Das stärkt die Gemeinschaft, wie hier schon mal erklärt. Natürlich gilt das nicht nur für Religionen, jeder von uns ist mit seinen Überzeugungen gesellschaftlich eingebettet. Und niemand ändert seine Meinung, wenn er damit seine Gruppenzugehörigkeit gefährdet.
http://www.diewahrheit.at/video/warum-niemand-seine-meinung-andert

Meiner ganz bescheidenen Privatmeinung nach ist das wahrscheinlich auch der Grund, warum sich sowas wie Religiosität (evolutionär) ins menschliche Hirn gebrannt hat. Ein Motor der Evolution ist ja Abgrenzung, auf dem der Gründereffekt beruht. Und was anderes machen die Religionen (im weitesten Sinne) mit den Menschen. Nach innen ein starker Zusammenhalt, nach außen eine beinahe unüberwindbare Abgrenzung. So was in der Art.
Wollte ich nur mal gesagt haben!

RainerO

Zitat von: coilnova am 05. November 2015, 10:38:35
... Ganz selten sieht man, dass eine Seite der anderen tatsächlich Fragen stellt, was meiner Meinung nach doch irgendwie notwendig wäre, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Bspw. soetwas wie "würde sich deine Meinung ändern, wenn xyz eintreten würde?".

Ist das tatsächlich so oder nehme ich es nur so wahr?
Wenn du gaaaanz viel Zeit hast, gibt es (intessanterweise in einem HiFi-Forum) eine in weiten Strecken
sehr konstruktive Auseinandersetzung zum Thema Homöopathie, wo auch diese Fragen aufgeworfen werden.
Dort gibt es in beiden Lagern Teilnehmer, die bemüht sind, sauber zu argumentieren.
Natürlich gibt es auch dort die unvermeidlichen Trolle und Querschläger, aber es hält sich in erstaunlich engen
Grenzen. Dieser Thread läuft schon über ein Jahr.

Viel Spaß ;-) http://www.hifi-forum.de/index.php?action=browseT&forum_id=230&thread=2112&back=&sort=&z=1

eLender

Wollte ich nur mal gesagt haben!

RainerO

Zitat von: eLender am 05. November 2015, 22:14:18
... Wen wunderts!? https://www.psiram.com/ge/index.php/Hifi-Voodoo

;)
Das stimmt wohl, dass gewisse Bereich des HiFi stark Voodoo-lastig sind.
Aber dieses Forum ist es absolut nicht, als eines der wenigen deutschsprachigen. Deswegen halte ich
mich als Skeptiker auch dort auf und bin eben dort über besagten Homöopathie-Thread gestolpert,
der auch überwiegend von Gegnern "bevölkert" ist. Die dortige Diskussion mit den Befürwortern ist
aber absolut interessant. Ähnliches in dieser Ausführlichkeit habe ich zu diesem Thema kaum wo anders
gefunden.

Groucho

Zitat von: RainerO am 05. November 2015, 21:58:33
Viel Spaß ;-) http://www.hifi-forum.de/index.php?action=browseT&forum_id=230&thread=2112&back=&sort=&z=1

Du spinnst!  ;) 200 Seiten! Aber die ersten habe ich überflogen, tatsächlich von erstaunlichem Niveau. Das Gespür für Abzocke, Betrug, Schwindel, Schummel und diverse Überdentischziehtechniken ist im ernsthaften HiFi-Bereich wohl ähnlich ausgeprägt wie hier, die Muster sind die selben.