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Religiöser Atheismus??

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Begonnen von sweeper, 28. Mai 2014, 17:19:05

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sweeper

Vielen Dank, @Abe81, für deine ausführliche Antwort.
Das geht ziemlich in die Richtung meiner eigenen Gedanken und Anfrage - allerdings war ich ein bisschen zu faul, es auszuformulieren  :grins2:
Zitat
Wenn man nämlich rechtspositivistisch diese Grundsätze seiner relativistischen Überzeugung nach einfach über Bord werfen kann, weil man kein Außenkriterium für ihre Begründung hat, dann kann eine Gesellschaft von innen heraus zu einer totalitären werden. Es geht also nicht um den einzelnen Menschen, der auf einmal nicht mehr moralisch sei, weil er keinen Gott mehr hat oder nie hatte, sondern um den Begründungsrahmen, den eine Gesellschaft sich für ihr Rechtssystem gibt.
Genau!
Jedenfalls bin ich neugierig geworden, das Buch zu lesen, um Dworkin besser zu verstehen.

Zu "Gefühl": das ist nun gerade nicht typisch protestantisch, denn denen geht bzw ging es dem Wesen nach um "sola scriptura" - also das, was nachprüfbar ist, weil es geschrieben steht (und man sich damit dann theologisch bzw dialektisch damit auseinander setzen kann).

"Gefühl" kommt eher bei einer Spielart des Protetantismus, nämlich dem Pietismus vor, und dieser wiederum hat Schnittmengen mit christlicher Mystik (Versenkung, Überwältigtwerden, Geist Gottes-Erfahrung...)

Bei Dworkin habe ich den Eindruck, mit "Gefühl" meint er auch so was wie archaisches Überwältigtsein (von der Unendlichkeit des Kosmos im Betrachten des Sternenhimmels; Majestät und ewiger Rhythmus des Ozeans; die zyklische "Gesetz-Mäßigkeit" der Natur -> vielleicht leitet er daraus eine den Dingen innewohnende "ewige Ordnung" ab.

Damit bewegt er sich womöglich in eine ähnliche Richtung wie Rilke, der als Quintessenz seiner Meditation über Werden und Vergehen ("Herbst") dichtet :
"Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält."

Aber das will ich Dworkin nicht "andichten" - dazu muss ich ihn im Original lesen.
With magic, you start with a frog and end up with a prince.
With science, you start with a frog, get a PhD and are still left with the frog you started with...


Terry Pratchett

Groucho

Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 09:36:06
Ich finde es schon deswegen interessant, weil es versucht, den Gefahren des Rechtspositivismus mit objektiven Kriterien entgegenzuwirken - eine 'juristische Unabhängigkeit' zu schaffen. Das mag man kritisieren, aber das ist ja schon mal was ganz anderes, als das, was die Zeit darin sehen will und ist auch erst im amerikanischen Rechtssystem sinnvoll zu begründen - nämlich mit Bezug auf eine Verfassung.

(Hervorhebung durch mich) In der Tat. So sind es Aussagen mit Sinn. Man kann über sie diskutieren, ihnen zustimmen oder sie ablehnen. In der Deutung der DIE ZEIT ist es Geblubber. Man muss zudem den Kontext des US-Amerikanischen Rechtsystems beachten, ja.

Zitat
Zitat von: Groucho am 29. Mai 2014, 17:00:58
Das frage ich mich auch immer.

Hier argumentiert doch auch niemand mit 'Angst'.

Das war nicht auf Dworkin bezogen. Diesem Argument begegnet man halt einfach öfters mal.

Zitat
Es scheint mir vielmehr um ein gesellschaftliches Verhältnis zu gehen. Wie kann man zu (juristischen) Urteilen kommen, die den Common-Sense transzendieren, um nicht in den Zirtekl zu geraten: Recht ist, was rechtlich kodifiziert ist. Das hat weniger mit einer Handlungstheorie der Moral oder mit einer atomisierten Existenz  (Robinsonnade) zu tun, sondern mit Gesellschaft. Das finde ich schon deswegen interessant, weil es zumindest diese bornierten und völlig realitätsfernen Gedankenexperimente außer acht lässt ("Du liegst mit einer vaporisierenden Laserpistole(!) am Grund einen Brunnens und jemand stößt einen fetten Mann in diesen Brunnen, der dich zerquetschen würde, wenn du ihn nicht erschießt").

Wenn man nämlich rechtspositivistisch diese Grundsätze seiner relativistischen Überzeugung nach einfach über Bord werfen kann, weil man kein Außenkriterium für ihre Begründung hat, dann kann eine Gesellschaft von innen heraus zu einer totalitären werden. Es geht also nicht um den einzelnen Menschen, der auf einmal nicht mehr moralisch sei, weil er keinen Gott mehr hat oder nie hatte, sondern um den Begründungsrahmen, den eine Gesellschaft sich für ihr Rechtssystem gibt. Horkheimer nannte das "Resistenzkraft gegen den Faschismus", der Frage folgend, warum sowas in den USA bisher immer unterdrückt werden konnte, obschon es dort auch genug faschistische Tendenzen gab. Das konnte deshalb unterdrückt werden, weil der gemeinsame (zugleich: dogmatische) Bezug auf die Verfassung und Gründerväter niemand hintergehen konnte. Wer das machte, konnte sich nicht mehr als 'Amerikaner' behaupten, also auch nicht an seine 'fellow americans' appellieren. Z.B. in Deutschland konnte man aber auf Grundlage einer nicht verfassungsrechtlich definierten Gesellschaft, sondern eine über 'Blut und Boden' (deutsch sind die mit den blonden Haaren und blauen Augen) daran appellieren, dass die wahren Deutschen die sind, die diese oder jene Kriterien erfüllen - und das ziemlich mythischen Vorstellungen nach.

Oder Mussolini als Beispiel:
ZitatEverything I have said and done in these last years is relativism by intuition. If relativism signifies contempt for fixed categories and those who claim to be the bearers of objective immortal truth ... then there is nothing more relativistic than Fascist attitudes and activity... From the fact that all ideologies are of equal value, that all ideologies are mere fictions, the modern relativist infers that everybody has the right to create for himself his own ideology and to attempt to enforce it with all the energy of which he is capable.


Klingt sinnvoll.

Gefährliche Bohnen

Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 09:36:06
Zitat von: Groucho am 29. Mai 2014, 17:00:58
Zitat von: Gefährliche Bohnen am 29. Mai 2014, 16:10:11
Woher kommt diese Angst, man könnte zu dem Schluss kommen, dass man ethische Grundsätze einfach über Bord werfen könnte, wenn man sie nicht als objektive, gott- oder was-auch-immer-gegebene Wahrheit annimmt?

Das frage ich mich auch immer.

Hier argumentiert doch auch niemand mit 'Angst'

Diese Angst war von mir auch eher allgemein die vermutete Motivation hinter dem Wunsch nach objektiven Werten. Und deine Argumentation:

Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 09:36:06
Wenn man nämlich rechtspositivistisch diese Grundsätze seiner relativistischen Überzeugung nach einfach über Bord werfen kann, weil man kein Außenkriterium für ihre Begründung hat, dann kann eine Gesellschaft von innen heraus zu einer totalitären werden. Es geht also nicht um den einzelnen Menschen, der auf einmal nicht mehr moralisch sei, weil er keinen Gott mehr hat oder nie hatte, sondern um den Begründungsrahmen, den eine Gesellschaft sich für ihr Rechtssystem gibt. Horkheimer nannte das "Resistenzkraft gegen den Faschismus", der Frage folgend, warum sowas in den USA bisher immer unterdrückt werden konnte, obschon es dort auch genug faschistische Tendenzen gab. Das konnte deshalb unterdrückt werden, weil der gemeinsame (zugleich: dogmatische) Bezug auf die Verfassung und Gründerväter niemand hintergehen konnte. Wer das machte, konnte sich nicht mehr als 'Amerikaner' behaupten, also auch nicht an seine 'fellow americans' appellieren. Z.B. in Deutschland konnte man aber auf Grundlage einer nicht verfassungsrechtlich definierten Gesellschaft, sondern eine über 'Blut und Boden' (deutsch sind die mit den blonden Haaren und blauen Augen) daran appellieren, dass die wahren Deutschen die sind, die diese oder jene Kriterien erfüllen - und das ziemlich mythischen Vorstellungen nach.

Oder Mussolini als Beispiel:
ZitatEverything I have said and done in these last years is relativism by intuition. If relativism signifies contempt for fixed categories and those who claim to be the bearers of objective immortal truth ... then there is nothing more relativistic than Fascist attitudes and activity... From the fact that all ideologies are of equal value, that all ideologies are mere fictions, the modern relativist infers that everybody has the right to create for himself his own ideology and to attempt to enforce it with all the energy of which he is capable.

ist doch eigentlich eine ganz gute Antwort auf die Frage, woher diese Angst kommt  :grins2:

Für alles weitere müsste man wahrscheinlich tatsächlich das Buch lesen, aber nur so als kurzer Einwurf zu dem, was mir noch unklar ist:
Auch wenn der Rechtspositivismus die besagten Probleme mit sich bringt - es bleibt die Frage, wo denn diese objektiven Werte herkommen, wenn sie nicht vom lieben Gott in Steinplatten gemeißelt wurden, bzw. wie mir ein Sternenhimmel denn nun sagt, was richtig und was falsch ist. Die amerikanische Verfassung hat man ja auch nicht nach Auswertung der Himmelsmechanik entworfen. Es bleibt halt dabei, dass man sich hinsetzen muss und darüber nachdenken muss, was gerecht ist und was falsch und richtig ist und dass man sich irgendwann auf etwas einigen muss und manchmal auch revidieren muss, bzw. manchmal das Gefühl, dass etwas falsch ist, hinterfragen muss. Es gibt schließlich 'ne ganze Menge Leute, die aus einem tiefen Gefühl innerer Weltordnung und Sinnhaftigkeit der Überzeugung sind, Homosexualität wäre unnatürlich und damit falsch.
Aber na ja, vielleicht ist mir auch die Argumentation von Dworkin einfach noch nicht so ganz klar, hab das Buch wie gesagt nicht gelesen.

"Ich muss an dieser Stelle gestehen: Ich mag Karpfen gar nicht." - Groucho
RIP

Abe81

Zitat von: sweeper am 30. Mai 2014, 11:18:59
Zu "Gefühl": das ist nun gerade nicht typisch protestantisch, denn denen geht bzw ging es dem Wesen nach um "sola scriptura" - also das, was nachprüfbar ist, weil es geschrieben steht (und man sich damit dann theologisch bzw dialektisch damit auseinander setzen kann).

"Gefühl" kommt eher bei einer Spielart des Protetantismus, nämlich dem Pietismus vor, und dieser wiederum hat Schnittmengen mit christlicher Mystik (Versenkung, Überwältigtwerden, Geist Gottes-Erfahrung...)

Das ist vielleicht ein Nebenschauplatz, da es ja eigentlich um Dworkins religiösen Atheismus geht, aber ich finde, es ist kein Zufall, dass die Zeit das so ganz anders sieht als die anglo-amerikanischen Zeitungen. Das hat m.E. schon etwas mit dem Protestantismus deutscher Provenienz zu tun, genauer: Mit der deutschen Innerlichkeit, die sich durch Luther durchsetzen konnte; in Abgrenzung zu z.B. dem Protestantismus Calvins. Im Pietismus spitzt sich nur etwas zu, was im lutherischen Protestantismus angelegt ist. Luther wird in seinen Schriften ja nicht müde, in aller Klarheit von der "Hure Vernunft" zu sprechen. Die "sola scriptura" ist eine Abwehr gegen eine vernunftgeleitete Auslegung der überlieferten Schriften ('Sola' heißt ja, 'alleine' durch die Schrift, ohne andere Instanzen). Soweit ich mich damit auskenne*, heißt dies, die Schriften existieren ja bereits in klarer Form, sie müssen nur gelesen werden, nicht wirklich ausgelegt. Durch das innere Gefühl, das in jedem "Christenmensch" steckt, ist dieser dazu befähigt, die Schriften in Klarheit zu lesen, anstatt sie durch eine höhere, irdische Instanz auslegen lassen zu müssen. Der Teufel steckt dann nämlich wortwörtlich im Detail für Luther. Der Teufel versucht den "Christenmenschen" durch weltliche Interpretation den Geist auszutreiben ("Ist die Seele mit Gottes Worten verschmolzen und der Mensch durch den Glauben heilig, gerecht, wahrhaftig geworden, so bedarf er keiner Werke mehr um fromm zu sein."). Der Wille und Geist Gottes müsse nicht erst mit der irdischen Welt rational vermittelt werden, sondern er wohne ja bereits jedem inne, jeder reine Christ könne das bereits fühlen, es sei denn er ist durch die äußerliche Welt, in der der Teufel walten und schalten kann wie er will, verunreinigt (darauf zielt die Heftigkeit ab, mit der Luther Vernunft eine Hure nennt; die Vernunft sei ein Teil des Geistes, der sich für den Teufel prostituiere, weil er im Kontakt mit dem kontaminierten Weltlichen ist).

Nachdem ich mich mal ein wenig mit Luther beschäftigt habe, kann ich nicht anders, als in solchen Artikeln, wie der oben verlinkte der Zeit, genau dieses protestantische Geraune vom 'Gefühl' zu erkennen. Damit will ich nicht sagen, dass die ganze Redaktion voller Pfaffen ist (und auch nicht, dass der Protestantismus in seinen zig Reformen noch genau so tickt, wie in der obigen Schilderung der lutherschen Orthodoxie), sondern dass da geistesgeschichtlich etwas mitgeschleppt wurde, was aufgrund seiner Entstehung und Verbreitung in Deutschland virulenter ist, als anderswo.

*) Ich kenne mich zugegebenermaßen nicht wirklich gut damit aus, das ist alles nur gefiltert durch atheistisches Interesse. Ich habe mich nie wirklich systematisch damit befasst...

Zitat von: sweeper am 30. Mai 2014, 11:18:59
Bei Dworkin habe ich den Eindruck, mit "Gefühl" meint er auch so was wie archaisches Überwältigtsein (von der Unendlichkeit des Kosmos im Betrachten des Sternenhimmels; Majestät und ewiger Rhythmus des Ozeans; die zyklische "Gesetz-Mäßigkeit" der Natur -> vielleicht leitet er daraus eine den Dingen innewohnende "ewige Ordnung" ab.

Wenn er das aber als Letztbegründung für ein vernünftiges Rechtssystem nehmen möchte, muss es ja etwas sein, dass bereits im Objekt der Betrachtung liegt und nicht nur Emanation des Geistes (oder naturalistisch ausgedrückt: des Gehirns) ist. Deswegen habe ich auch weiter oben unterstellt, Dworkins schreibe dem Kosmos eine innere Teleologie zu. Da bleiben dann m.E. immer noch die Fragen, wie man einen Sinn ohne sinngebende Instanz postulieren kann und wie man dann aus diesem bloßen Sein des Kosmos Sollen im moralischen Sinne ableiten kann.

Vielleicht kannst du ja zum Advokaten Dworkins werden, wenn du das Buch gelesen hast. ;)

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Zitat von: Gefährliche Bohnen am 30. Mai 2014, 13:36:05
Diese Angst war von mir auch eher allgemein die vermutete Motivation hinter dem Wunsch nach objektiven Werten. Und deine Argumentation ist doch eigentlich eine ganz gute Antwort auf die Frage, woher diese Angst kommt  :grins2:

Ich habe deinen Einwurf zur Angst als eine Art Robinsonnade verstanden - das also der einzelne Mensch davor Angst habe, dass ihm auf einmal der moralische Kompass verrückt spielt, glaubt er nicht mehr... mir ging es nur darum, zu betonen, dass das mehr eine gesellschaftliche Frage ist.

Zitat von: Gefährliche Bohnen am 30. Mai 2014, 13:36:05
Auch wenn der Rechtspositivismus die besagten Probleme mit sich bringt - es bleibt die Frage, wo denn diese objektiven Werte herkommen, wenn sie nicht vom lieben Gott in Steinplatten gemeißelt wurden, bzw. wie mir ein Sternenhimmel denn nun sagt, was richtig und was falsch ist. Die amerikanische Verfassung hat man ja auch nicht nach Auswertung der Himmelsmechanik entworfen.

Ja, das ist auch m.E. genau das Problem, das Dworkins sich bewusst aufgebürdet hat. Ich glaube nicht, dass er einfach zu naiv war, dieses ja schon recht alte Problem der Moral- und Rechtsphilosophie nicht zu kennen.

Die amerikanische Verfassung ist ja in sich eine Art Letztbegründung und sie funktioniert ja mit ihren Amendments so, wie du das geschrieben hast:

ZitatEs bleibt halt dabei, dass man sich hinsetzen muss und darüber nachdenken muss, was gerecht ist und was falsch und richtig ist und dass man sich irgendwann auf etwas einigen muss und manchmal auch revidieren muss, bzw. manchmal das Gefühl, dass etwas falsch ist, hinterfragen muss.

Aber ein wenig komplizierter ist es ja schon. Es gibt in den USA eine sehr rege Debatte (um es mal euphemistisch auszudrücken), was jetzt der Bezugsrahmen der Verfassung ist. Die Verfassung als Letztbegründung erodiert also ein wenig, man schaut dahinter... Für viele ist es völlig klar, dass es Gott ist, für wieder andere ist es klar, dass es die maximale Entfaltung des Individuums ist. So wie ich Dworkins verstanden habe, wollte er angesichts dieser Erosion diesen Widerspruch auflösen.




pelacani

Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 09:36:06
Hier argumentiert doch auch niemand mit 'Angst'.
Doch, es wird häufig mit 'Angst' argumentiert; die gesamte ,,Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt" – Theologie basiert darauf.

Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 09:36:06
Wenn man nämlich rechtspositivistisch diese Grundsätze seiner relativistischen Überzeugung nach einfach über Bord werfen kann, weil man kein Außenkriterium für ihre Begründung hat, dann kann eine Gesellschaft von innen heraus zu einer totalitären werden.
Es gibt kein Außenkriterium; oder anders: ein eingebildetes und instrumentalisiertes Außenkriterium ist keinen Deut besser als gar keines. Der Klerikalfaschismus Francos oder Salazars ist dafür völlig ausreichender Gegenbeweis.

Im Übrigen, zur Sache, nur:
ZitatIsn't it enough to see that a garden is beautiful without having to believe that there are fairies at the bottom of it too?
-   Douglas Adams

Abe81

Zitat von: Pelacani am 30. Mai 2014, 20:48:17
Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 09:36:06
Hier argumentiert doch auch niemand mit 'Angst'.
Doch, es wird häufig mit ,Angst" argumentiert; die gesamte ,,Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt" – Theologie basiert darauf.

Es mag sein, dass häufig irgendwo mit 'Angst' argumentiert wird. Im Kontext dieser Diskussion nicht.

Zitat von: Pelacani am 30. Mai 2014, 20:48:17
Es gibt kein Außenkriterium; oder anders: ein eingebildetes und instrumentalisiertes Außenkriterium ist keinen Deut besser als gar keines. Der Klerikalfaschismus Francos oder Salazars ist dafür völlig ausreichender Gegenbeweis.

Im Übrigen, zur Sache, nur:
ZitatIsn't it enough to see that a garden is beautiful without having to believe that there are fairies at the bottom of it too?
-   Douglas Adams

Es ist ja schön, dass du dir dieser Sache so sicher bist, aber ob es ein Außenkriterium gibt oder nicht, ist ja gerade Gegenstand der Diskussion.

Ich verstehe weder, was nun Franco oder Salazar damit zu tun haben sollen, noch weiß ich, was du mit dem Adams-Zitat sagen willst, du scheinst aber zu denken, das sei völlig selbsterklärend und ein sehr gewichtiges Gegenargument gegen... ja was eigentlich?

pelacani

Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 21:38:32
Es ist ja schön, dass du dir dieser Sache so sicher bist, aber ob es ein Außenkriterium gibt oder nicht, ist ja gerade Gegenstand der Diskussion.
Bisher haben wir jedenfalls nur von der amerikanischen Verfassung als Außenkriterium vernommen, aber die Sterne spielen da höchstens als ,,stars and stripes" eine Rolle, und so fand ich den Einwand sehr berechtigt, dass auch die amerikanische Verfassung nicht vom Himmel gefallen ist (im Gegensatz zu denjenigen ,,Außenkriterien", um die es der ZEIT implizit geht).
Die Frage,
Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 21:38:32
Ich verstehe weder, was nun Franco oder Salazar damit zu tun haben sollen
ist damit, hoffentlich, beantwortet.

Zitat von: Abe81 am 30. Mai 2014, 21:38:32noch weiß ich, was du mit dem Adams-Zitat sagen willst, du scheinst aber zu denken, das sei völlig selbsterklärend und ein sehr gewichtiges Gegenargument gegen... ja was eigentlich?
Dawkins verwendet dieses Zitat als Motto für seinen Gotteswahn. Insofern scheint es außer mir noch einige andere Leute zu geben, die es für selbsterklärend halten. Ich finde also, es ist ein schlagendes Argument gegen die Dworkins-These in der ZEIT-Wiedergabe:
ZitatEr verstand sich als religiöser Atheist, das heißt: Er glaubte zwar nicht an Gott, wohl aber an die sinnhafte Einheit des Kosmos und die Versöhnung von Glauben und Wissen.

Noch einmal explizit: ich halte es für schlicht unnötig, an die ,,sinnhafte Einheit des Kosmos" zu glauben, um die Schönheit von Naturereignissen – oder die Eleganz der Formeln, in die die Relativitätstheorie gegossen ist – wahrzunehmen. Mit ,,Religion" hat das ausschließlich in den Augen von Leuten zu tun, denen es um die Religion leid tut. Ich sehe dafür keinen Grund.

Abe81

Dein 'Einwand' ist ja ein schlichtes 'Nö', ein Argument kann ich da noch nicht erkennen. Und niemand behauptet ja, dass die amerikanische Verfassung vom Himmel gefallen sei. Ich kann deine ganze Einlassung nicht ganz verstehen. War das nur eine Zustimmung der Kritiker en passant oder ein Diskussionbeitrag? Falls es ersteres sein sollte, haben wir wohl nicht viel zu diskutieren, sind uns wohl sowieso in den meisten Fragen diesbezüglich einig.

Ich verstehe auch noch immer nicht, was faschistische Militärputsches im Kontext dieser Diskussion aussagen sollen? Man könnte ja die Frage stellen, warum es im Verlaufe der amerikanischen Geschichte zu einem solchen nicht kam, obschon es genug soziale Konflikte gab. Aber ich glaube nicht, dass das dein Anliegen war, denn dann müsste man das so machen, dass man versucht, vom kompletten Verlauf der Geschichte zu abstrahieren, um einen ideellen Unterschied zwischen Portugal und Spanien auf der einen Seite und den USA auf der anderen zu machen. Das erscheint mir müßig und nicht sonderlich fruchtbar.

ZitatInsofern scheint es außer mir noch einige andere Leute zu geben, die es für selbsterklärend halten

Das halte ich für ein Autoritätsargument. Wenn Dawkins das verwendet hat, dann doch nur, um die folgenden ~900 Seiten zu illustrieren, was er damit meinte.

Warum ich das Zitat noch immer nicht verstehe: Es geht ja nur sehr vermittelt um sowas wie: "Die Welt ist so schön, jemand muss sie geschaffen haben". Das ist zum einen weder die Position des Autors, der hier diskutiert wird und zum anderen eine - so meine ich - Verfälschung der typischen Lesart der Zeit. Erstmal geht es um die Differenz von natura naturans und natura naturata, aber um das weiter zu diskutieren, sollte man das Buch bzw. den Autor, über das/den diskutiert wird, gelesen haben, denn wie bereits festgestellt: Die Rezensionen geben nur vage Informationen. Gleich mit einem scheinbar(!) selbsterklärenden 'Motto' für die vermeintlich richtigen und wahrhaften Seite in die Bresche zu springen, scheint mir mehr ein Zuschnappen von Erkenntnismuster, weil du witterst, hier will jemand 'Religion' betreiben und das sei ja was Böses.
Weshalb ich das dennoch für diskutierbar halte ist ja gerade der offensichtliche Selbstwiderspruch, den sich der Autor bewusst aussetzt (er hat ja nicht, soweit ich das verstanden habe, wie so viele alte Intellektuelle, auf einmal Gott entdeckt, sondern argumentiert ja im Lichte Einsteins darüber). Ob das nun Substanz hat oder einfach ein schales Spätwerk eines public intellectual ist, darüber muss die Lektüre des entsprechenden Textes entscheiden.

sweeper

Vielleicht kommt man über die Uni Bern an Texte der Einstein Lectures von Dworkin - hier ein erster Versuch:

http://habermas-rawls.blogspot.de/2011/12/religion-without-god-dworkins-einstein.html
Zitat
...How, then, can we defend a religious attitude if we cannot rely on a god? In the first lecture I offer a godless argument that moral and ethical values are objectively real: They do not depend on god, but neither are they just subjective or relative to cultures. They are objective and universal...

http://www.kommunikation.unibe.ch/content/medien/medienmitteilungen/news/2011/dworkin/index_ger.html

http://www.einsteinlectures.ch/talks2011.html

Mich da hineinzugraben, dazu fehlt momentan die Zeit.
Feel free!  :grins2:
With magic, you start with a frog and end up with a prince.
With science, you start with a frog, get a PhD and are still left with the frog you started with...


Terry Pratchett

pelacani

Zitat von: Abe81 am 31. Mai 2014, 10:07:23
ZitatInsofern scheint es außer mir noch einige andere Leute zu geben, die es für selbsterklärend halten

Das halte ich für ein Autoritätsargument. Wenn Dawkins das verwendet hat, dann doch nur, um die folgenden ~900 Seiten zu illustrieren, was er damit meinte.

Es gibt noch mehr Autoritäten, die das Zitat für selbsterklärend halten:
ZitatDie raffinierte Bosheit dieses Spruches besteht darin, dass die Alternative ganz falsch gestellt ist. Denn auch die meisten religiösen Menschen und die Mehrheit der an Gott Glaubenden werden bei der Bewunderung der Schönheit eines Gartens nicht an Feen denken. Aber Dawkins' Absicht ist – sonst wäre die Anbringung dieses Spruches sinnlos –, mit Hilfe desselben jede Frage nach der Ursache oder dem Verursacher der Schönheit des Gartens am liebsten zu verbieten, sie jedenfalls als Spinnerei abzutun. Der radikale Immanentist, der transzendenzlose Nomade, der nicht mehr weiter fragt, ist heute tatsächlich immer häufiger anzutreffen, und zwar kurioserweise nicht bloß unter besonders fanatischen Atheisten, sondern auch unter vielen Kirchgängern.
[H. Mynarek: Die Neuen Atheisten. Ihre Thesen auf dem Prüfstand. Essen 2010, S. 29f]
;)

Zitataber um das weiter zu diskutieren, sollte man das Buch bzw. den Autor, über das/den diskutiert wird, gelesen haben
Dazu kann ich mich nicht aufraffen. Mir genügt die Instrumentalisierung des Autors in der ZEIT, die offenbar möglich ist. Die ZEIT will entweder den ,,Glauben" als solchen dem Atheisten schmackhaft machen oder sich tapfer einreden: ,,auch Atheisten glauben – sie wollen es nur nicht wahr haben".

Abe81

Zitat von: Pelacani am 31. Mai 2014, 11:00:56Es gibt noch mehr Autoritäten, die das Zitat für selbsterklärend halten...

Ich verstehe deinen Starrsinn nicht ganz. Wie oben bereits erläutert, geht es ja darum, dass das in dem Kontext dieser Diskussion nicht selbsterklärend ist, da es ja nur vermittelt darum geht, auf das du unvermittelt hinauswillst. 

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Zitat von: Pelacani am 31. Mai 2014, 11:00:56
Mir genügt die Instrumentalisierung des Autors in der ZEIT, die offenbar möglich ist. Die ZEIT will entweder den „Glauben“ als solchen dem Atheisten schmackhaft machen oder sich tapfer einreden: „auch Atheisten glauben – sie wollen es nur nicht wahr haben“.

Ja, wie bereits geschrieben: Darin dürften wir uns einig sein.

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Danke für die Hinweise, Sweeper. Ohne das bereits gelesen zu haben: Wenn das im Kontext von Habermas und Rawls diskutiert wird (der Autor des Blogs, der sich dieser beiden Autoren verschworen hat, scheint das ja zu denken), scheint es wohl nicht darum zu gehen, Objektivität als unabhängig vom Geist gedacht zu verstehen, sondern die Emanation des Geistes in seiner Formbestimmung als objektiv zu begreifen. So eine Art Neo-Aristotelik, wie Rawls sie sich vorstellt - das ist aber arg spekulativ von mir, es ist auch laaaange her, dass ich Rawls oder Habermas in der Hand hatte. Da schwant mir Übles, weil sich darüber zwar Objektivität herstellen lässt, aber weder universal, noch absolut. Wenn man aber gleich mit dem Kosmos kommt, will man ja auf Universlität und Absolutheit hinaus.
Ich schaue mir bei Gelegenheit mal die Lectures an...: klick

duester

Ich hab keinen passenden Thread dafür gefunden, deshalb hier:

ZitatEben darum streite ich lieber mit Atheisten als mit Agnostikern oder postmodernen Synkretistinnen, die ein bisschen an das Universum glauben, ein bisschen an Karma, die hie und da mal versuchsweise meditieren. Sie sind spirituell, aber auf keinen Fall religiös. Sie sagen: Es müsse jeder für sich selber wissen, was er glaubt. Bei Atheisten ist die Gesprächsgrundlage wenigstens klar. Wir gehen beide davon aus, dass es auf die Frage nach Gott nicht beliebig viele richtige Antworten geben kann, sondern nur eine: ja oder nein. Ich sage, es gibt ihn. Sie sagen, es gibt ihn nicht.

https://www.zeit.de/2018/33/atheismus-gotteszweifel-christen

Wait, what? Sie glaubt, dass Atheismus das exakte Gegenstück zu ihrem spezifischen, monotheistischen Gottesverständnis ist und nicht die Abwesenheit von überhaupt jedem Gottesverständnis?

ZitatNur bin ich keine linientreue Kirchensoldatin. Ich glaube, so etwas gibt es schon lange nicht mehr.
Und wo genau ist da jetzt der Unterschied zu den "postmodernen Synkrestistinnen", die sich mal hier, mal da was rauspicken? Dreifaltigkeit ja, Jungfrauengeburt nein, Leibwerdung Jesu Christi, Unfehlbarkeit des Papstes nein oder wie ist das gemeint?

Peiresc

Zitat von: duester am 25. Dezember 2019, 16:46:36
ZitatNur bin ich keine linientreue Kirchensoldatin. Ich glaube, so etwas gibt es schon lange nicht mehr.
Und wo genau ist da jetzt der Unterschied zu den "postmodernen Synkrestistinnen", die sich mal hier, mal da was rauspicken? Dreifaltigkeit ja, Jungfrauengeburt nein, Leibwerdung Jesu Christi, Unfehlbarkeit des Papstes nein oder wie ist das gemeint?

Ich habe den ZEIT-Beitrag nicht gelesen, weil ich mich dazu anmelden müsste. Zum Zitat zwei Anmerkungen. Erstens, selbstverständlich gibt es auch heute genügend linientreue Kirchensoldaten, sie lassen sich nur nicht gerne in die Karten gucken. Zweitens ist das nur eine Immunisierung. Um welchen Glaubensartikel es in der Diskussion auch immer gehen wird: es wird der sein, an den sie gerade nicht glaubt. Solche Diskussionen zeichnen sich allgemein durch eine gewisse Verschwommenheit aus.

duester

Es geht um das Tanzverbot am Karfreitag. Weil das soll bitte respektiert werden, alle anderen Glaubensartikel (einschliesslich des Atheismus, der bei ihr auch ein "Glaube" ist) sind dagegen müßig und nicht so schützenswert. Sie fordert Toleranz ggü Religiosität, genauer: ggü ihrer extrem spezifischen Interpretation von Religiosität (Stichwort "Dreifaltigkeit", zwingend durch eine christliche Kirche organisiert) ein und haut dabei mit Strohmännern um sich, die mich richtig ärgerlich machen. Und dabei bin ich eine ziemlich gelassene Atheistin, weil es nie diesen Saulus-Paulus-Moment gegeben hat und ich aus einem sehr säkularen Umfeld komme - am häufigsten begegnen mir Christen, wenn sie mir erzählen, dass sie gerade eben aus der Kirche ausgetreten sind.

Der Artikel lohnt sich zu lesen, wegen seiner Dummdreistigkeit. Sie pickt sich relativ willkürlich einen Glauben raus und erklärt den (und wirklich nur den) für schützenswürdig, denn das ist halt IHR Glaube. So was kennt man - aber im Jahr 2018, von jemand unter 30, hätte man mehr Bewusstsein dafür erwartet, dass das Gottesverständnis der christlichen Kirchen mit dem "liebenden Gott" von Menschen gemacht wurde.

https://www.zeit.de/2019/34/evangelische-kirche-kolumne-jacobs  :-X

Peiresc

Inzwischen habe ich es gelesen. Sie sieht sich irgendwie in einem Rechtfertigungszwang.
Zitat von: duester am 25. Dezember 2019, 20:41:10
Es geht um das Tanzverbot am Karfreitag.
Verstehe ich nicht. Kein Atheist wird sie zwingen wollen, am Karfreitag zu tanzen. Ist doch ihre Sache. Worüber sie nun eigentlich mit Atheisten diskutieren will, habe ich auch nicht begriffen.