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ARD "recherchiert" zu Neuroleptika-Nebenwirkungen

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Begonnen von sweeper, 31. August 2013, 11:57:05

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sweeper

Aus gegebenem Anlass (Mollath-Diskussion und Hüther-Blog) stell ich das hier mal rein - exemplarisch sozusagen... :

Zitathttps://www.facebook.com/pages/ADHS-Deutschland/125963424135757

ADHS Deutschland
28. August
ARD "Fakt" - oder: Hinter der Beschränkung des eigenen Horizonts geht's leider nicht weiter ...

Mit der Zeit wurden mehr und mehr Selbsthilfegruppen angeschrieben: "Wir sind Journalisten und arbeiten für die ARD, die Redaktion Fakt. Zur Zeit recherchieren wir zur Problematik Schädigungen durch Neuroleptika. Das sind Psychopharmaka, die bei immer mehr Krankheiten zum Einsatz kommen, obwohl sie massive Nebenwirkungen haben. Neuroleptika sind zum Beispiel: Seroquel, Benperidol oder Haloperidol. Wir wollen über diese schlimmen Nebenwirkungen berichten und auf die speziellen Gefahren von Neuroleptika aufmerksam machen. Aus diesem Grunde frage ich Sie an, ob jemand aus Ihrer Selbsthilfegruppe Erfahrungen mit Neuroleptika gemacht hat, denn diese werden auch gern als Mittel gegen ADHS verwendet."

Nun war man durch die Berichterstattung über die ADHS im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zuletzt Manches gewohnt. Diese Anfrage überraschte dennoch, offenbarte sie doch bereits im Vorfeld die Intention der Sendung: Stimmungsmache gegen Psychopharmaka. Obgleich es durchaus Sinn macht, zu den Nebenwirkungen von Medikamenten zu recherchieren und Betroffene zu befragen, legt das Verdikt über die "Schädigungen durch Neuroleptika" sowie deren "schlimmen Nebenwirkungen" die Annahme nahe, die Sendung könnte zu einer gleichermaßen polemischen wie unsinnigen Generalkritik an einer Wirkstoffgruppe führen, die sich in der Geschichte der Psychiatrie als Medikamente erwiesen, die mehr als alle anderen Substanzen zur Reduktion stationärer Langzeittherapien und zur Abwendung eines Lebens in Anstalten beitrugen.

Darüber hinaus ist es nicht nachvollziehbar, warum für die Behandlung dieses Themas einmal mehr die ADHS herangezogen wird. Neuroleptika gehören nicht zur Regelmedikation bei ADHS, wiewohl sie gelegentlich zur Dämpfung extrem impulsiver und potenziell selbst- wie fremdgefährdender Verhaltensweisen zum Einsatz kommen, wie sie bisweilen auch bei der ADHS auftreten können. Dem Vorstand von ADHS Deutschland e.V. ist kein Fall bekannt, in dem Neuroleptika zur Behandlung der ADHS eingesetzt wurden, wohl aber zur Therapie komorbider Symptome.

Daher bitten wir alle Gruppenleiter und -mitglieder, die gleichfalls von den "Fakt"-Journalisten angeschrieben wurden oder in den kommenden Tagen noch angeschrieben werden, uns hierzu Rückmeldung zu geben, um einen Überblick über die Streuung solcher Anfragen zu gewinnen. Freilich ist es die Entscheidung jedes einzelnen, ob er/sie sich im Rahmen von Sendungen wie "Fakt" äußern und ggf. auch (nolens volens) instrumentalisieren lassen möchte. Ein Gewinn erwächst daraus weder der Selbsthilfe noch einer Öffentlichkeit, die unter dem Vorzeichen tendenziöser Anfragen wohl kaum objektive Berichterstattung erwarten kann. Wenn die Frage bereits die Antwort in sich trägt, kann es hinter dem Horizont des Fragenden nicht weiter gehen. Das zumindest in Fakt!

Dr. Johannes Streif

Und aus den Kommentaren:

ZitatJochen Bantz: dazu muss man noch wissen, dass das cafe holunder, laut eigener aussage im forum, unter der herrschaft eines herrn schmidt an dieser sendung mitgewirkt hat... bei uns wurde auch angefragt aber wir lehnen solche anfragen kategorisch ab.

Mein Eindruck:
über die Mollath-Berichterstattung wurde die Öffentlichkeit nun unterschwellig über mehrere Wochen diffus psychiatriekritisch getuned, und nun kann man mit einem einseitig recherchierten Neuroleptika-Thema seitens der ARD noch einen draufsetzen.

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Terry Pratchett

Robert

Neuroleptika sind nun mal nicht ohne, das sollte bekannt sein, doch gerade sie haben andererseits einen enormen Fortschritt in der Behandlung von Psychosen gebracht. Das wird leider immer verschwiegen. Diesen unmöglichen Schmidt sollte man allerdings einmal näher bezüglich einer Scientologieverquickung durchchecken.

sweeper

@Robert:
Natürlich ist es wichtig, Nebenwirkungen von Psychopharmaka nicht zu verharmlosen - ebenso wie eine kritische Prüfung der Verschreibungspraxis. Das würdigt ja auch Streiff, wenn er schreibt:
Zitat
... Obgleich es durchaus Sinn macht, zu den Nebenwirkungen von Medikamenten zu recherchieren und Betroffene zu befragen...

Ich weiß noch, wie aggressiv früher das Benzodiazepin Tavor beworben wurde
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13525739.html
und habe selbst eine junge Frau in meinem privaten Freundeskreis erlebt, die schwer Tavor-abhängig war und sich immer wieder per Ärzte-Hopping neue Rezepte verschaffte  :o

Aber diese ARD-Aktion - wenn es  denn zur befürchtete einseitigen Berichterstattung kommt -  finde ich in doppelter Hinsicht schlimm:

1) es wird fälschlicherweise suggeriert, dass Neuroleptika zur Standardmedikation bei ADHS gehören - nachdem MPH nun in der öffentlichen Wahrnehmung anscheinend differenzierter wahrgenommen wird

2) wiederum werden Menschen zutiefst verunsichert, die von einer in bestimmten Fällen sinnvollen Neuroleptika-Medikation profitieren könnten  - mit der Folge, dass sie unbehandelt noch tiefer und desolater in ihre Krankheit rutschen.


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bayle

ZitatDas sind Psychopharmaka, die bei immer mehr Krankheiten zum Einsatz kommen
Das ist reines Journalisten-Sprech, ohne den entferntesten Bezug zur Wirklichkeit. Als berufsmäßiger Prophet sage ich standesgemäß Schlimmes voraus: Leider steht nirgends in Stein gemeißelt, dass es in Deutschland niemals so etwas wie eine kleine Kulturrevolution geben kann. Dass die Spinner was gegen Chemie haben und das auf den Mittelstand abfärbt, ist ein altes Mützel. Aber dass nun die "seriöse" Berichterstattung verstärkt in solche Kerben haut, macht das Leben für direkt und indirekt Betroffene keinesfalls leichter.

Die Mollath-Berichterstattung hat offenbar dazu geführt, dass man sich kein Gewissen mehr darum macht, bei Recherchen auch mal fachlichen Rat einzuholen, ob denn in der geplanten Investigationsrichtung überhaupt etwas zu holen ist. Stört nur; im Moment ist die Story "Neuroleptika ganz schlimm" einfach gut verkaufbar. Ein anderes Ziel haben die nicht.



bayle

Zitat von: sweeper am 31. August 2013, 12:47:37
Ich weiß noch, wie aggressiv früher das Benzodiazepin Tavor beworben wurde
@sweeper, Du hättest unbedingt erwähnen müssen, dass Benzodiazepine keine Neuroleptika sind. Hier lesen nicht nur Fachleute. Neuroleptika haben kein nennenswertes Suchtpotential.

sweeper

Gut, dass du es erwähnt hast.
Ich dachte, der Hinweis "Benzo" reicht aus - und Wikipedia...  aber man kann nie wissen, wie abgrundtief die Ignoranz tatsächlich im Einzelfall ist.

MPH (Ritaliiiieeen!!!)  ist übrigens weder ein Benzo noch ein Neuroleptikum - obwohl man damit angeblich Kinder "ruhig stellen" kann  ::)


Und es hat - bei indikations- und sachgemäßer Anwendung ebenfalls kein Suchtpotenzial.
(Obwohl Hüther natürlich behauptet, es wirke wie Kokain...)
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71hAhmed

Zitat von: sweeper am 31. August 2013, 12:58:28
Ich dachte, der Hinweis "Benzo" reicht aus - und Wikipedia...  aber man kann nie wissen, wie abgrundtief die Ignoranz tatsächlich im Einzelfall ist.
Es hat nicht immer was mit "abgrundtiefer Ignoranz" zu tun, wenn man trotz Wikipedia und anderer Infoquellen die Unterschiede nicht so wirklich versteht, manchmal ist es einfach nur mangelnde Bildung und Grundlagenwissen.
Zitat von: sweeper am 31. August 2013, 12:58:28
Und es hat - bei indikations- und sachgemäßer Anwendung ebenfalls kein Suchtpotenzial.
(Obwohl Hüther natürlich behauptet, es wirke wie Kokain...)
Ist Kokain nicht immer noch in manchen Bereichen (Augenarzt) als Lokalanästhetikum im Einsatz?
ZitatFür den Praxisbedarf darf der Arzt Kokain bei Eingriffen am Auge als Lösung bis zu einem Gehalt von 20 % oder als Salbe bis zu einem Gehalt von 2 % verschreiben
Wikipedia
Wie hoch ist da das Suchtpotential bei sachgemässer Anwendung?

Robert

Zitat von: bayle am 31. August 2013, 12:50:13
ZitatDas sind Psychopharmaka, die bei immer mehr Krankheiten zum Einsatz kommen
Das ist reines Journalisten-Sprech, ohne den entferntesten Bezug zur Wirklichkeit. Als berufsmäßiger Prophet sage ich standesgemäß Schlimmes voraus: Leider steht nirgends in Stein gemeißelt, dass es in Deutschland niemals so etwas wie eine kleine Kulturrevolution geben kann. Dass die Spinner was gegen Chemie haben und das auf den Mittelstand abfärbt, ist ein altes Mützel. Aber dass nun die "seriöse" Berichterstattung verstärkt in solche Kerben haut, macht das Leben für direkt und indirekt Betroffene keinesfalls leichter.

Die Mollath-Berichterstattung hat offenbar dazu geführt, dass man sich kein Gewissen mehr darum macht, bei Recherchen auch mal fachlichen Rat einzuholen, ob denn in der geplanten Investigationsrichtung überhaupt etwas zu holen ist. Stört nur; im Moment ist die Story "Neuroleptika ganz schlimm" einfach gut verkaufbar. Ein anderes Ziel haben die nicht.

Das Wort "Psychopharmaka" ist ja an sich schon ein Buzzwort, und die Medikamente, die unter diese Bezeichnung fallen, sind die Schmuddelkinder. Das wird eben durch solche Schmierfinken noch verstsärkt bzw. überhaupt erst ausgelöst.

sweeper

@Ahmed:

Kokain als Lokalanaesthetikum - nach Auskunft aus berufenem Munde bis vor ca 20 Jahren noch irgendwie üblich. Hat angeblich (anekdotisch aus dem Munde eines Suchtexperten) als Kollateralschaden zu Abhängigkeitserkrankungen bei den verordnenden v.a. HNO-Ärzten selbst geführt...

Woher stammt dein Zitat, btw?
Zitathttp://de.wikipedia.org/wiki/Kokain#Wirkung_an_peripheren_Nerven

Wirkung an peripheren Nerven
Laut Daten von The Lancet ist Kokain unter 20 untersuchten Mitteln die zweitgefährlichste und die am zweitstärksten abhängigmachende Droge.[17]

Kokain ist das älteste bekannte Lokalanästhetikum. Wegen seines Abhängigkeitspotentials, der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Toxizität wird es inzwischen so gut wie nicht mehr eingesetzt. Kokain diente aber als Leitsubstanz für viele synthetische Lokalanästhetika wie z. B. Lidocain, Benzocain oder Scandicain.

Letzlich kann man mit allen möglichen Medikamenten durch unsachgemäßen Gebrauch Schaden anrichten - Thema Sucht: es wurde früher auch großzügig codeinhaltigen Hustensaft u.ä. zu jeder sich bietenden Gelegenheit verschrieben; dazu mehr hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Codein#Bet.C3.A4ubungsmittelrechtliche_Regelungen

Die "abgundtiefe Ignoranz" war von mir auf diese Buzzword-Kultur bezogen, die Robert beschreibt:
jeder/jede liest was in der xy-Postille und fühlt sich informiert und deshalb berufen, im Web gewichtig zum Thema zu kommentieren - der Wolff-Blog zu Mollath (und Psychopharmaka) ist momentan abschreckendes Beispiel.
Das beanstande ich - nicht die Unwissenheit.
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bayle

Zitat von: 71hAhmed am 31. August 2013, 13:20:59
Ist Kokain nicht immer noch in manchen Bereichen (Augenarzt) als Lokalanästhetikum im Einsatz?
ZitatFür den Praxisbedarf darf der Arzt Kokain bei Eingriffen am Auge als Lösung bis zu einem Gehalt von 20 % oder als Salbe bis zu einem Gehalt von 2 % verschreiben
Wikipedia
Hab' ich auch mal vor langer Zeit gehört. Aber in der Roten Liste ® wird bei Wirkstoff-Suche ,,Cocain hydrochlorid" ausgeworfen: ,,Kein Artikel gefunden!", d.h. gibt es nicht mehr als Fertig-Arzneimittel.

ZitatWie hoch ist da das Suchtpotential bei sachgemässer Anwendung?
Klare Antwort von mir: weiß ich nicht.

71hAhmed

@Sweeper:
das Zitat stammt von hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kokain#Rechtslage
du solltest nicht immer nur die medizinisch relevanten Abschnitte lesen, sondern alles  ;)

Insgesamt: daß bei unsachgemäßer/übermässiger Anwendung von Substanzen Schäden und Abhängigkeiten enstehen können, ist ja nun nicht auf Medikamente beschränkt und mir durchaus bekannt.
Was die Anwendung von Kokain als Lokalanaesthetikum betrifft: hat der behandelnde Augenarzt behauptet, als ich das letzte Mal was im Auge hatte (vor ca. 5 Jahren).



sweeper

Zitat von: 71hAhmed am 31. August 2013, 16:29:37
@Sweeper:
das Zitat stammt von hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kokain#Rechtslage
du solltest nicht immer nur die medizinisch relevanten Abschnitte lesen, sondern alles  ;)

Ach so. Hätte ich jetzt nicht vermutet, dass ausgerechnet bei "Rechtslage" dein Augenheilkundebeispiel steht... wieso hast du selbst eigentlich nicht bei "Wirkung an peripheren Nerven" nachgeschaut?  :gruebel

ZitatWas die Anwendung von Kokain als Lokalanaesthetikum betrifft: hat der behandelnde Augenarzt behauptet, als ich das letzte Mal was im Auge hatte (vor ca. 5 Jahren).
Vielleicht hat dein Augenarzt auch persönliche Gründe für die Wahl... nein, keine Ahnung  ;)
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