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Selbstoptimierung: "One Simple Idea"

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Begonnen von Wolleren, 03. März 2014, 19:51:52

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Wolleren

Als das neue Denken kam
Ist ,,Positive Thinking" eine uramerikanische Eigenschaft? Oder eine praktische Religion?

In der Süddeutschen Zeitung vom 22./23.2.2014 nimmt Thomas Steinfeld unter dieser Überschrift die Rezension des Buches ,,One Simple Idea. How Positive Thinking Reshaped Modern Life" von Mitch Horowitz (Crown Publishers, New York 2014) zum Anlass, sich ein paar Gedanken zum Konzept von ,,Selbstoptimierung" zu machen. Dieses Konzept ist der Esoterikkritik wohlbekannt, denn die Idee einer notwendigen Optimierung des Selbsts bildet die Basis für so manch eine spirituelle Abzocke.

,,One Simple Idea" ist laut Steinfeld eine ,,Geschichte des Konzepts der `Selbstoptimierung´, die geduldig Rechenschaft ablegt über Anfänge und Verlaufsformen, Protagonisten und Schulen". Dazu  rekapituliert er Inhalte des Buchs und zieht einige interessante Schlussfolgerungen, die offenbar so im Buch nicht enthalten sind.
Einige der herausragenden Punkte des Steinfeld-Beitrages seien hier dargestellt.

Steinfeld zufolge begann die Verbreitung des Konzepts der Selbstoptimierung im deutschsprachigen Raum ab etwa 1918 mit ,,ich will! Ich kann!" von Broder Christiansen, und weder er noch seine Nachfolger waren besonders christlich oder gar esoterisch geprägt. Das stelle sich in den USA deutlich anders dar, auch wenn die Anfänge mit ,,Think and Grow Rich" von Napoleon Hill, 1937, oder die Fortsetzung mit Dale Carnegie nicht auf spirituelle Inhalte abheben.

Zentral für die Selbstoptimierung ist laut Steinfeld die folgende zauberisch anmutende Idee: ,,Die `Christliche Wissenschaft´, das viel zitierte `Gesetz der Anziehung´ (Prentice Mulford) und die ´Anonymen Alkoholiker´ - sie alle gehen aus dieser einen Idee hervor: `Man stelle sich ein Ergebnis vor, verankere die Vorstellung fest in Gefühlen und Gedanken, und unsichtbare Agenturen – seien es metaphysische oder psychologische – werden zu Hilfe eilen´."

Ein ungenügender Ansatz zur Kritik sei im Angriff der amerikanischen Journalistin Barbara Ehrenreich zu sehen: ,,Wenn das `positive Denken´ gesund machte, fragte sie in ihrem Buch `Smile or Die. How Positive Thinking Fooled America and the World´ (2010), nachdem sie an Krebs erkrankt war, habe sich ein Kranker dann schuldig gemacht, nicht positiv genug gedacht zu haben?"
Der Autor Horowitz, selbst dem positiven Denken zugeneigt, behandelt diesen Einwand laut Steinfeld freundlich, weil Ehrenreich nicht die angebrachte Fundamentalkritik am Konzept der Selbstoptimierung übe, sondern innerhalb des Konzepts argumentiere.

Damit geht Steinfeld zu eigenen Schlussfolgerungen und eigener Kritik über: ,,Eine substanzielle Kritik müsste anders ansetzen, nämlich an der Frage, worin denn das Selbst besteht, das da optimiert werden soll: Es ist völlig leer, und das kann nicht anders sein, weil die Verbesserung des Willens durch eine Verdoppelung erreicht werden soll. Der überlegene Wille soll wollen, dass sein Wille durchsetzungsfähiger sei. Das aber ist eine Tautologie, deren praktische Folge darin besteht, dass die Menge der Lehren vom `positiven Denken´ in keinem Verhältnis steht zu den gelungenen Selbstoptimierungen. Das große Scheitern – und Wiederbeginnen – ist dem Verfahren immanent."

Ich kann nicht sagen, dass ich Steinfelds Gedankengang verstanden habe, doch zur mir sympathischen Schlussfolgerung vom ewigen Scheitern im Bemühen um Selbstoptimierung kommt man gewiss auch auf einfachen Wegen, d.h. ohne sich mit dem Wesen eines ,,Selbst" zu befassen.

Anschließend zählt Steinfeld einige Werbesprüche auf (von ,,wir machen den Weg frei" über ,,yes, we can" zu ,,just do it" und ,,be all you can be" – amerikanisches Militär), die belegen sollen, dass das Konzept der Selbstoptimierung sich auch über diesen Weg breit macht. Auch wenn ich hier Steinfeld nicht in allen Beispielen folgen mag, bleibt das niedergeschlagene Statement gültig: Niemand will wissen, woher die Parolen der ,,Selbstoptimierung eigentlich kommen, nämlich aus einer Verbindung zwischen `Kirche und Psychotherapie´ (William James)".

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Wenn man sich vom rezensierten Buch löst, und das Konzept der Selbstoptimierung auf die Physis (Gedanken als eigenständige physische Entitäten seien als esoterisches Konzept ausdrücklich ausgenommen) erweitert, gewinnt man einen zusätzlichen Blickwinkel. Der Fitness- und Diätwahn, Doping, ,,Schönheits"-OP-Boom, und Tätowiergier sind ebenfalls Ausdruck eines Optimierungsdrangs. Dieser ist aber verbunden mit einem Gefühl des Mangels. Und das Mangelgefühl kann ebenso durch snake-oil-vendors wie durch alle anderen Verkäufer routiniert erzeugt werden, und das wird es auch. Ich warte auf die physische "Optimierung" durch einen dritten Hoden oder Leuchtrollen in den Fußsohlen.

Ist denn jedes Streben nach persönlicher Verbesserung falsch? Weil es von Abzockern ausgenutzt werden kann? Offensichtlich nicht, sonst wäre das Konzept von Bildung recht schnell passé. Gegen ,,Verbesserung" ist dann doch nichts einzuwenden, wenn das Verbesserungsprojekt kein Dauerzustand ist. Z.B. fühlt sich ,,Gesundwerden" nach Krankheit doch prima an.

Was abstößt am Konzept der Selbstoptimierung - wie von Steinfeld gezeigt - ist nicht nur seine immanente Wirkungslosigkeit, sondern auch die Dauerhaftigkeit des Mangels, der angeblich behoben werden soll.  Genau hier ist der zentrale Ansatzpunkt der "Alternativmedizin", denn tatsächlich ist sie es ja, die den Menschen für dauerhaft krank (also optimierungsbedürftig) erklärt. Der angeblich seelenlose Reparaturbetrieb der Medizin ist da moralisch deutlich hochstehender.

Hildegard

Ich habe das erwähnte Buch ,,Smile or Die" von Barbara Ehrenreich gelesen und fand es sehr interessant. Sie zeigt die Wurzeln des positiven Denkens im Westen auf und warum es ausgerechnet in Amerika auf so fruchtbaren Boden fiel. Sie geht auch auf die Phänomene Rhonda Byrne und Dale Carnegie ein. Und sie erklärt wissenschaftlich untermauert, wo die Probleme bei dem allseits postulierten Zwang zum positiven Denken liegen.

[url="http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com"]http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com[/url]

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Zitat von: Wolleren am 03. März 2014, 19:51:52
Der überlegene Wille soll wollen, dass sein Wille durchsetzungsfähiger sei. Das aber ist eine Tautologie, deren praktische Folge darin besteht, dass die Menge der Lehren vom `positiven Denken´ in keinem Verhältnis steht zu den gelungenen Selbstoptimierungen. Das große Scheitern – und Wiederbeginnen – ist dem Verfahren immanent.
So kann man die Diätindustrie auch beschreiben mit ihren ewig erfolglosen Versuchen, die Menschheit zu verschlanken.