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Deutsch => Allgemeine Diskussionen => Politik und Gesellschaft => Thema gestartet von: alliance1979 am 19. November 2014, 03:11:43

Titel: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: alliance1979 am 19. November 2014, 03:11:43
Einleitung: Für alle die sich wundern was dieses Thema hier verloren hat. Es gab vor einiger Zeit eine kleine Diskussion zwischen mir und Groucho beim Thema dreizehn mögliche Positionen zum Klimawandel. Dort ging es unter anderem um die Wertschöpfung, Wirtschaftswachstum, Produktivität, nachhaltiges Wachstum usw.

Ich versprach wenn ich mal Zeit habe, dieses Thema etwas genauer zu beleuchten und zu erklären was genau hinter dem Begriff Wertschöpfung steckt und wie sich diese auf unsere Wirtschaft auswirkt. Für die meisten dürfte das wenig interessant sein, sollte es aber Fragen geben, bin ich gerne bereit auf diese einzugehen. In erster Linie richtet sich dies aber an Graucho. Da es sich aber letztendlich auch um politische und gesellschaftliche Fragen dreht, ist es hier im Forum denke ich gut aufgehoben.

Vorgehensweise: Ich werde das Thema Schritt für Schritt angehen. Da es recht komplex ist, werde ich schlicht bei 0 anfangen. Grundsätzlich ist im klassischen Wiki Artikel die Bruttowertschöpfung gut erklärt. Da es mir aber mehr um den Kontext geht, also wie sich die Bruttowertschöpfung auf unsere Wirtschaft auswirkt, hilft der Wiki Artikel hier weniger. Trotzdem sollte man ihn zumindest überfliegen. Tauchen fragen auf stehe ich gerne zur Verfügung.

Ich bitte zu bedenken das ich speziell am Anfang mit extreme einfachen Beispielen arbeiten werde, die mit der komplexen Realität wenig gemeinsam haben. Das wird dann mit der Zeit langsam ergänzt und entsprechend ausgebaut

http://de.wikipedia.org/wiki/Bruttowertsch%C3%B6pfung#cite_note-name-2
(Wiki Artikel Bruttowertschöpfung)

Erklärung: Wie es im Wiki Artikel so schön heißt, ergibt sich die Bruttowertschöpfung aus "dem Gesamtwert der im Produktionsprozess erzeugten Waren und Dienstleistungen (Produktionswert), abzüglich des Werts der Vorleistungen."
Stark vereinfacht ausgedrückt heißt das: Bruttowertschöpfung = Bruttoproduktionswert - Vorleistungen

Dazu gibt es einen sehr schönes Schaubild das eine Wertschöpfungskette zeigt.

(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/b7/Wertsch%C3%B6pfungskette_am_Beispiel_Orangensaftherstellung.svg/800px-Wertsch%C3%B6pfungskette_am_Beispiel_Orangensaftherstellung.svg.png)

Aber ist die Wirtschaft jetzt auch gewachsen? Gibt es mehr Vermögen auf der Welt? Nun das ist recht komplex.
Dafür greife ich jetzt das Beispiel auf und baue eine fiktive kleine Welt auf. In diese füge ich erst mal 3 Wirtschaftssubjekte ein. Einen Landwirt, einen Getränkehersteller und den Supermarkt. Jedem gebe ich ein Startkapital von 0 € zur Hand.
Dazu kommen noch 10 weitere Wirtschaftssubjekte, die Gruppe der Konsumenten. Jedem gebe ich 100 € an Startkapital.
Im Umlauf befindliches Nettogeldvermögen liegt also bei 1000 €.

Zusammenfassung Jahr 0:
Landwirt: 0 €
Hersteller: 0 €
Supermarkt: 0 €
10x Konsumenten: 1000 €
Gesamt: 1000 €


Jetzt produziert der Landwirt für 100 € Orangen. Diese verkauft er an den Getränkehersteller. Der Getränkehersteller macht daraus Saft und verkauft ihn für 200 € an den Supermarkt. Dieser verkauft den Saft für 500 € jeweils gleichmäßig an die Verbraucher weiter.

Zusammenfassung Jahr 1:
Landwirt: 100 €
Hersteller: 100 €
Supermarkt: 300 €
10x Konsumenten: 500 €
Gesamt: 1000 €

Wir stellen also fest. Wir haben durch die Bruttowertschöpfung lediglich das vorhandene Nettogeldvermögen neu verteilt. Allerdings haben wir auch einen Mehrwert in Form von Saft geschaffen. Das dumme an diesem Mehrwert, er geht nach dem Genuß vollständig verloren. Er wird also wieder vernichtet. Trotzdem ist die Wirtschaft die vorher im Beispiel im Grunde auf 0 Stand gewachsen.
Das Bruttoinlandsprodukt, das den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen angibt, die innerhalb eines Jahres in einer Volkswirtschaft hergestellt wurden, nach dem man alle Vorleistungen abgezogen hat, läge in unserem Beispiel jetzt bei 300 €.
(In dem Schaubildbeispiel hätte unsere Volkswirtschaft ein BIP von 170.000 €.)

Wenn im nächsten Jahr wieder Saft verkauft wird, steigt oder fällt der BIP entsprechend der Differenz am Gesamtwert aller verkauften Waren und Dienstleistungen, nach Abzug der Vorleistungen.
Egal wie oft wir diesen Prozess wiederholen, die Geldmenge (Kapital) im System nimmt nicht zu oder ab.
Das mag eine paradoxe Situation sein, denn obwohl wir ein Wirtschaftswachstum nachgewiesen haben, wird die Gesellschaft global gesehen nicht reicher, auch wenn wir sie eine Zeit lang mit Saft versorgt haben.

Recht schnell wird dafür aber in unserem Beispiel der Konsum einbrechen, denn unsere Konsumenten werden bald kein Geld mehr haben um sich neuen Saft zu kaufen. Es sei denn sie leihen sich Geld. Suchen sich also einen Gläubiger. (ein komplexerer Wirtschaftskreislauf der Löhne berücksichtigt folgt natürlich noch)
Dazu fügen wir jetzt eine Zentralank in unser Beispiel ein und springen bei gleich bleibender Wirtschaftsleistung 1 Jahr in die Zukunft.

Zusammenfassung Jahr 2:
Landwirt: 200 €
Hersteller: 200 €
Supermarkt: 600 €
10x Konsumenten: 0 €
Zentralbank: 0 €
Gesamt: 1000 €

Die Konsumenten leihen sich nun 500 € von der Bank.

Zusammenfassung Jahr 2 update:
Landwirt: 200 €
Hersteller: 200 €
Supermarkt: 600 €
10x Konsumenten: 500 €
Zentralbank: -500 €
Gesamt: 1000 €

Das führt zu einer interesanten Situation. Denn im Wirtschaftskreislauf haben wir jetzt 1500€ Kapital im Umlauf, obwohl wir Global betrachtet immer noch bei 1000 € stehen. Die Ursache dafür liegt in unserem Währungssystem. Etwas vereinfacht kann man sagen, das es für jedes Soll ein Haben gibt. Also für jede Forderung (Haben), gibt es ein gleich große Schuld (Soll).

Habe ich z.B. einen 100 € Schein in meinen Händen, ist das eine Forderung gegenüber der EZB. Bringe ich den Schein zu meiner Geschäftsbank, habe ich eine Forderung gegenüber meiner Geschäftsbank. Hohle ich mir Geld von meinem Konto reduziere ich diese Forderung. Gehe ich in den Dispo hat die Bank eine Forderung mir gegenüber.

Also war unser Beispiel bisher falsch. Korrekt müßte es wie folgt aussehen.

Zusammenfassung Jahr 2 update 2:
Landwirt: 200 €
Hersteller: 200 €
Supermarkt: 600 €
10x Konsumenten: 500 €
Zentralbank: -1500 €
Gesamt: 0 €

Wie in der echten Wirtschaft, beträgt jetzt die globale Leistungsbillanz in unserem Beispiel auch 0 €.
(Natürlich ist es immer noch ein stark vereinfachtes Beispiel das noch ausgebaut wird)

An dieser Stelle mache ich erst mal schluß. Wenn ich das Thema fortsetze, erkläre ich unser Finanzsystem etwas genauer ,gebe Beispiele für ein Wirtschaftswachstum und zeige auf worin genau der Unterschied zwischen dem Bauen von Stühlen, Häusern, oder Straßen, zu unserem Orangensaft besteht.

MfG

PS Es sei nochmal betont. Die Beispiele werden systematisch ausgebaut und dienen in ihrere jetzigen Form nur als Erklärung für Abläufe, Begriffe und Mechanismen.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Groucho am 19. November 2014, 14:15:51
alliance1979, besten Dank!  :grins2:

Mir fallen gleich Fragen/Ungereimtheiten dazu auf, aber das dürfte der Einfachheit des Beispiels geschuldet sein, wie du ja betonst. Insofern bin ich auf die Fortsetzung gespannt!
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: alliance1979 am 20. November 2014, 01:17:04
Zitat von: Groucho am 19. November 2014, 14:15:51alliance1979, besten Dank! :grins2:

Mir fallen gleich Fragen/Ungereimtheiten dazu auf, aber das dürfte der Einfachheit des Beispiels geschuldet sein, wie du ja betonst. Insofern bin ich auf die Fortsetzung gespannt!

Das ist sehr sehr gut möglich. Alleine schon das "Finanzsystem" ist noch sehr rudimentär. Das Fehlen einer Geschäftsbank, oder die Tatsache das die Zentralbank im Soll steht, sind nur zwei solcher sehr offensichtlichen Beispiele.

Da ich deinen Wissenstand in dieser Sache nicht einschätzen kann, bin ich halt auch lieber bei 0 angefangen. Auch um Missverständnisse zu vermeiden und Zusammenhänge zu erläutern

Ich habe einmal z.B. den Fehler gemacht und einem sehr guten Freund etwas über Angebot,Nachfrage und Kaufkraft in relation zur Produkivität erklärt. Sehr ausführlich. Irgendwie hat er sich dann unter zur Hilfenahme des Internets mit dem was ich ihm erklärt habe, zu einem absoluten Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens entwickelt. Etwas das ich strikt ablehne und worüber wir uns seitdem Pausenlos streiten. Bin halt jetzt der böse Kapitalist, der den Menschen nichts gönnt ;).

Deshalb bin ich halt etwas vorsichtiger geworden, wenn ich etwas erkläre. Denke ich werde die Tage dazu kommen hier den zweiten Teil zu schreiben. Schöne Woche.

MfG

Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Belbo am 20. November 2014, 10:33:52
....schön, dass Du da Nachhilfe anbietest, bisher fehlt mir da das Wissen um mich in irgendwelche Schlachten mit Gsellgurus, Tauschbörslern und Goldstandardpropheten zu  wagen. Peinlicherweise versage ich selbst bei der Widerlegung solcher Konstrukte. http://www.spin.de/forum/642/-/263d  :-\
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Groucho am 20. November 2014, 10:40:49
Zitat von: alliance1979 am 20. November 2014, 01:17:04
Ich habe einmal z.B. den Fehler gemacht und einem sehr guten Freund etwas über Angebot,Nachfrage und Kaufkraft in relation zur Produkivität erklärt. Sehr ausführlich. Irgendwie hat er sich dann unter zur Hilfenahme des Internets mit dem was ich ihm erklärt habe, zu einem absoluten Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens entwickelt. Etwas das ich strikt ablehne und worüber wir uns seitdem Pausenlos streiten. Bin halt jetzt der böse Kapitalist, der den Menschen nichts gönnt ;).

Mir gings da umgekehrt, ich fand das mal eine gute Idee, bis ich mich näher damit befasst habe. Bin nun auch böser Kapitalist  :grins2: Vermutlich hilft bei sowas auch eine grundsätzlich kritische Sicht der Dinge, die man sich im Laufe der Beschäftigung mit Quacksalbereien erwirbt. Je simpler, schöner und einleuchtender etwas auf den ersten Blick scheint, umso vorsichtiger sollte man sich ihnen nähern und sich vorher fragen, ob die hübschen, stachelförmigen Gebilde, die den, auf angenehm samtiger Oberfläche liegenden, verlockend duftenden Nektar umrahmen, etwas zu bedeuten haben  8)

Zitat
Deshalb bin ich halt etwas vorsichtiger geworden, wenn ich etwas erkläre. Denke ich werde die Tage dazu kommen hier den zweiten Teil zu schreiben. Schöne Woche.

Ist eine der beliebtesten Fehlerquellen, man diskutiert über ein Thema und merkt nicht, dass man unterschiedliche Verständnisse von Begriffen hat. Ein kleiner Grundkurs schadet da nicht, nehme an, das interessiert noch andere hier  :grins2:

Dir auch schöne Woche!
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: alliance1979 am 20. November 2014, 17:41:12
Zitat von: Belbo am 20. November 2014, 10:33:52
....schön, dass Du da Nachhilfe anbietest, bisher fehlt mir da das Wissen um mich in irgendwelche Schlachten mit Gsellgurus, Tauschbörslern und Goldstandardpropheten zu  wagen. Peinlicherweise versage ich selbst bei der Widerlegung solcher Konstrukte. http://www.spin.de/forum/642/-/263d  :-\

Das ist gar nicht so schlimm. Vorallem weil es darauf ausgelegt ist, nicht gut verstanden zu werden. Deshalb mußt du es dir verständlich machen. Nehme also das Bargeld weg und stelle dir vor, es handelt sich um eine Art spezielles Konto und lege dort alle offene Forderungen und Schulden ab. Dann ist es übersichtlicher.

Neben dem "Bargeldproblem" macht noch die Menge der Marktteilnehmer das Beispiel unübersichtlich. Damit versucht der Urheber wie ein Zauberer vom eigentlichen Problem abzulenken. Deshalb reduziere einfach die Menge der Teilnehmer. Sie ist für das Beispiel völlig unerheblich.

Das Wirtschaftssystem:

1. Wirt: Auf dem (Wirtschafts)Konto hat er 0 € : Die Summe setzt sich wie folgt zusammen. Er steht 100 € im Soll beim Landwirt und hat eine Forderung gegenüber der Hure von 100 € offen.

2. Landwirt: Auf dem (Wirtschafts)Konto hat er 0 €: Die Summe setzt sich wie folgt zusammen. Er steht 100 € im Soll bei der Hure und hat eine Forderung gegenüber dem Wirt von 100 € offen.

3. Die Hure: Auf dem (Wirtschafts)Konto hat sie 0 €: Die Summe setzt sich wie folgt zusammen. Sie steht 100 € im Soll beim Wirt und hat eine Forderung gegenüber dem Landwirt von 100 € offen.

Wie du siehst sind Haben und Soll völlig ausgelichen. Jeder hat eine Schuld, der eine Forderung in gleicher Höhe gegenüber steht. (etwas unrealistisch ;) )

Jetzt kommen von Außen 100 € in das "System"

1. Wirt: Auf dem (Wirtschafts)Konto hat er 100 € : Die Summe setzt sich wie folgt zusammen. Er steht 0 € im Soll beim Landwirt und hat eine Forderung gegenüber der Hure von 0 € offen. Weil er 100 € vom Gast bekomme hat, diese weitergegeben hat und am Ende 100 € von der Hure bekommt, steht er jetzt bei 100 € im Plus.

2. Landwirt: Auf dem (Wirtschafts)Konto hat er 0 €: Die Summe setzt sich wie folgt zusammen. Er steht 0 € im Soll bei der Hure und hat eine Forderung gegenüber dem Wirt von 0 € offen.

3. Die Hure: Auf dem (Wirtschafts)Konto hat sie 0 €: Die Summe setzt sich wie folgt zusammen. Sie steht 0 € im Soll beim Wirt und hat eine Forderung gegenüber dem Landwirt von 0 € offen.

Während gerade noch das System auf 0 Stand, hat der Wirt jetzt ein Haben von 100 €. Im System sind jetzt 100 € an Haben vorhanden. Das nimmt ihm aber der Gast wieder weg. Also steht das System ingesamt wieder auf 0.

Jeder Stand vorher REAL schon auf 0 €, weil Haben und Soll ausgelichen waren. Nach dem Gast steht es wieder auf 0 €. 
Also statt +100 € und -100 € hat jeder jetzt 0 € auf seinem "Wirtschaftskonto".

Einer der Besonderheiten. Der Gast wird außerhalb des Systems gesetzt. Auch er hat irgendwo seine 100 € her ;).

In der Praxis ist das im Grunde auch auf unserem Planeten der Fall. Wenn man alles Haben und alles Soll aufrechnet kommen am Ende 0 € dabei heraus.  Das Beispiel hat mit der Realität natürlich wenig gemeinsam. Denn das System ist unendlich groß und komplex. Und es ist halt nicht sehr realistisch, das sagen wir mal bei 20 Milliarden Markteilnehmern ( es dürften wohl mehr sein ), alle genau gleich viele offene Schulden haben wie auch offene Forderungen.

Auch fehlt im Beispiel natürlich die Unterschied zwischen Brutto und Netto einahmen und die vielen anderen Marktteilnehmer die nicht genannt werden, es aber mit sicherheit geben muß. Wie zum Beispiel den Energie Konzern der alle mit Strom versorgt (was dazu führt das alle eine Schuld gegenüber dieser Firma haben) oder der Staat der Steuern erhebt . Was dazu führt das die 100 € bei jeder Transaktion weniger werden, auch wenn im System die Summe auf 0 bleibt. Denn die Steuern laufen dann ja in die Staatskasse.

Frage beantwortet? Schulden sind nicht virtuell. Sie sind real. Allerdings wenn sich Schuld und Forderung die Waage halten, hat man Betriebswirtschaftlich betrachtet keine Schulden ;).


Der Goldstandard ist eine Währungsordnung bei der man alle Banknoten bei einer Zentralbank in Gold tauschen kann oder aber die Währung direkt aus Goldmünzen besteht.

Das limitiert einfach die zur verfügungstehende Geldmenge. Auch Geld unterliegt dem einfachen Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Ist viel Geld da, aber wenig was man sich dafür kaufen kann, ist Geld entsprechend wenig Wert. Ist wenig Geld da, aber viel was man sich dafür kaufen kann, ist Geld sehr wertvoll.

Wenn die Geldmenge von der Goldmenge abhängt und ständig neue Waren produziert werden, bekommt man Probleme wenn das Wachstum der Geldmenge nicht mit der Produktion von neue Waren schritt hält. Eine hohe Deflationsgefahr etwa. Einfach weil es viele Waren gibt und nicht genug Geld sie zu kaufen. Deflation führt dann dazu das die Wirtschaft baden geht. Die Wirtschaft kann also nur so schnell wachsen, wie die Goldmenge wächst, was das Wachstum sehr limitiert.

Außerdem ist der Goldstandart ein logischer Zirkelschluß. 
Wie bewerte ich den Wert des Geldes? Mit Gold.
Wie berwertet man den Wert des Goldes? Mit Geld.

Irgendwie Sinnbefreit, oder? ;) Letzendlich hängt also auch beim Goldstandart der Wert des Geldes davon ab, wieviel vertrauen ich in die Goldreserven habe und was ich mir für dieses Geld real kaufen kann.

Ein Sorry noch. Aus Zeitmangel habe ich das hier schnell runtergeschrieben. Ich übernehme keine Haftung für Orthographie, Interpunktion und Syntax! :) Bei offenen Fragen, versuche ich irgendwann zu Antworten ;)

MfG
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Belbo am 20. November 2014, 19:15:03
....vielen, vielen Dank. Fein dass Du dabei bist. Allerdings fände ich es schade wenn Dein Nachhilfestrang durch Rückfragen zerfleddert wird vielleicht kann die Moderation das ja trennen.

Die aktuelle Frage ist für mich ja was passiert wenn wie gerade ohne Ende Geld in den Markt gepumpt wird ohne das es insgesamt in den Konsum fließt sondern dazu führt die Spekulationsblase bei Kunst, Oldtimern und Immobilien aufzublasen. (Sorry für die Wertung, mein Stand des Wissens)
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: alliance1979 am 22. Januar 2015, 11:39:24
Es hat "etwas" gedauert, aber endlich komme ich mal dazu :). Es tut mir leid das es immer sooo lange dauert, aber zum einem ersticke ich in Arbeit und zum anderen ist es gar nicht so leicht wie ich mal dachte, dinge "einfach" aber korrekt zu erklären.

Unser Währungs- und Finanzsystem.
 
Um das Schaffen von Werten nachhaltig zu verstehen, gehe ich jetzt auf unser Finanzsystem ein. Die Grundlage ist natürlich das Geld. Geld ist unglaublich praktisch und erspart uns so einige Probleme. Wie etwa dem Bäcker, der sich nicht fragen muß wie viele Kartoffeln seine Brötchen Wert sind, um sich nach so einer zweifelsohne interessanten Transaktion sorgenvoll dem nächsten Kunden zuzuwenden, der ein paar Hühner dabei hat.

Für eine Baufirma ist es sicher auch angenehmer Geld für den Bau eines Hauses zu erhalten, als 500.000 Haarschnitte vom Friseur oder 500 Tonnen Getreide. Geld ist also ein universeller Wertmesser, der ermöglicht Werte "aufzubewahren", noch dazu leicht zu transportieren und zu verstehen.

Wenn uns ein Mensch für unsere Hosen 100 € anbietet, wissen wir ungefähr wie viele andere Hosen wir dafür bekommen würden. Wir können ein gutes Geschäft besser von einem schlechten Geschäft unterscheiden und weil wir das können, handeln wir auch viel lieber und daher auch mehr. Auch spart Geld Zeit und gestaltet den Handel an sich produktiver. Ein Bäcker der die ganze Zeit damit beschäftigt ist, herauszufinden was die einzelnen Waren seiner Kunden Wert sind, hat weniger Zeit um Brötchen herzustellen.
 
Der Ursprung unseres Geldes, ist die Zentralbank*. In unserem Wirtschaftssystem gibt es im Grunde dabei zwei Arten von Geld. Das Bargeld und das sog. Buch bzw. Giralgeld. Während Bargeld ein Zahlungsmittel in körperlicher Form darstellt, ist Buchgeld eine Forderung auf Bargeld und somit ein eigenständiges Zahlungsmittel, das über Buchungen von Konto zu Konto wandert.
 
Das Geld von der Zentralbank, wird über Geschäftsbanken in Umlauf gebracht. Für meine Beispiele ist das nicht wirklich wichtig. Was aber wichtig ist, ist die Tatsache das dieses Geld nicht "umsonst" ist und einfach dem Wirtschaftssystem zugeführt wird. Wenn eine Geschäftsbank ein Guthaben von 10 € bei der Zentralbank hat, dann nur weil sie in gleicher Höhe Schulden bei der Zentralbank hat. Die Zentralbank gibt das Geld gegen Sicherheiten heraus und verlangt dafür Zinsen.
 
Das gilt für alles Geld, das aktuell im Umlauf ist. Wie schon erwähnt gibt es für jedes Haben auch ein Soll. Wenn auf der Welt 5000 € an Bargeld im Umlauf wären, dann ist die "Schuld" genau so groß. Das heißt also das das Nettogeldvermögen der ganzen Welt, (Summe Geldvermögen abzüglich Verbindlichkeiten), zu jedem Zeitpunkt genau bei Null liegt.
 
So praktisch Geld auch ist, es ist also lediglich ein Tauschmittel das uns den Handel erleichtert. Über unseren Wohlstand, sagt die reine Geldmenge also nichts* aus, den jedem + steht in gleicher Höhe das - gegenüber. Echter Wohlstand zeigt sich aber an den Dingen, die man mit Geld erwerben kann. Das sind logischerweise Waren und Dienstleistungen. Gäbe es diese Güter nicht, hätte Geld keinen Wert und keinen Zweck. Unser eigentliches Vermögen und damit unser Wohlstand steckt also in den Gütern.
 
Unser Finanzsystem ist natürlich noch etwas komplexer, aber für meine Beispiele reicht dieses "Basiswissen" aus. Ich werde der Einfachheit halber auch in Zukunft auf die Geschäftsbanken verzichten, weil diese nicht wirklich essentiell sind um hier etwas zu erklären.
 
Sollte es dazu aber dennoch fragen geben, helfe ich gerne weiter.
 
Für unser altes Beispiel heißt das folgendes:
 
Landwirt: 200 € / Hersteller: 200 € / Supermarkt: 600 € / 10x Konsumenten: + 500 € Bargeld / -1500 € Buchgeld gegenüber Zentralbank Zentralbank: -1500 € Bargeld / 1500 € Forderung Buchgeld
Gesamtsaldo: 0 €
 
Der Einfachheitshalber sind also erst mal die alleinigen Schuldner die Konsumenten, die Kredite aufgenommen haben um sich weiter mit Saft zu versorgen.
 
Weil ich auch noch auf Belbo´s Frage eingehen möchte, mache ich hier erst mal wieder Schluss.


* Eine kleine Vereinfachung. Im Grunde ist es etwas komplexer.

MfG
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: alliance1979 am 22. Januar 2015, 11:56:50
Zitat von: Belbo am 20. November 2014, 19:15:03
....vielen, vielen Dank. Fein dass Du dabei bist. Allerdings fände ich es schade wenn Dein Nachhilfestrang durch Rückfragen zerfleddert wird vielleicht kann die Moderation das ja trennen.

Die aktuelle Frage ist für mich ja was passiert wenn wie gerade ohne Ende Geld in den Markt gepumpt wird ohne das es insgesamt in den Konsum fließt sondern dazu führt die Spekulationsblase bei Kunst, Oldtimern und Immobilien aufzublasen. (Sorry für die Wertung, mein Stand des Wissens)


Auch hier....Es hat gedauert, aber endlich komme ich mal zu einer Antwort.

Erstmal danke für die Blumen  :grins2:.Im Grunde passt es zum Thema, auch wenn es ein bissel meinen Aufbau zerreißt. Aber das ist nicht schlimm, da ich bei dem Tempo eh erst nächstes Jahr fertig bin.

Jetzt zur Antwort der Frage, die etwas komplexer ist , als es den Anschein hat. Deine Wertung, für die man sich nicht entschuldigen muss, ist tatsächlich nicht ganz korrekt. Aber sie ist auch nicht völlig falsch.
So ist der Markt für Kunstgegenstände oder Oldtimer recht überschaubar und stellt deswegen kein Problem dar. Bei Immobilien ist die Lage sehr komplex und was du vergessen hast sind z.B. Aktien und Derivate.

Aber fangen wir erst mal von vorne an und greifen den Goldstandart noch einmal auf und verknüpfen das Ganze mit der aktuellen Wirtschaftslage Rußlands. So machen wir es vielleicht auch für andere etwas interessanter. ;)

Machen wir es uns kurz wie üblich etwas einfacher um ein Problem leichter zu analysieren.

Wir gehen kurz mal davon aus, das folgendes zutreffend ist.
100$ = 100 Rubel = 1 Goldbarren = 1 Waschmaschine.

Alles ist also gleich viel Wert. Jetzt verfällt der Rubel innerhalb 1 Woche im Wert und wir gehen davon aus das alles andere Stabil bleibt.

100$ = 200 Rubel = 1 Goldbarren = 1 Waschmaschine (Waren/Dienstleistungen/Oldtimer etc)  .

Jeder Russe der der sein Bar/Giralgeld nicht ausgegeben hat, hat an Kaufkraft eingebüßt.
Der Waschmaschinenhändler in Moskau, wird seine Preise nämlich entsprechend dem Verfall der Währung (relativ) schnell anpassen. Ob 1:1 spielt dabei keine große Rolle.
Jeder Russe der eine Waschmaschine, Dollar oder Goldbarren für sein Geld gekauft hat, steht gleich gut da und hat nichts ,,verloren". (bitte merken, den darauf basiert im Grunde ein Theorem das gleich folgen wird)

Das spricht jetzt für die Flucht ins Gold, eine andere Währung oder von Sachwerten.

Schauen wir uns jetzt mal speziell das Gold an, weil du das Thema Goldstandart angesprochen hast. Gold ist im Grunde eine Ware. Der Wert wird wie bei allen Waren
(größtenteils) durch Angebot und Nachfrage bestimmt.

Gold hat aber einen grausamen Nachteil. Es produziert nichts. Kommen eine oder mehrere Volkswirtschaften in eine ungünstige wirtschaftliche Situation, werden die Menschen irgendwann anfangen ihr Gold zu verkaufen. Erst langsam und dann immer schneller. Der Goldpreis wird unter Druck geraten und verfallen, aus dem einfachen Grunde, weil andere Waren teurer und wertvoller werden.

Bei divers. Sachwerten (Gütern) hat man meist den Vorteil das sie einen unmittelbaren Nutzen aufweisen können. Allerdings unterscheidet sich der Wert eines bestimmten Gutes in einer Wirtschaftskrise deutlich von dem Wert eines bestimmten Gutes bei Hochkonjunktur.
In einer schweren Krise nimmt die Nachfrage nach Oldtimern, Schmuck oder Immobilien spürbar ab.

Der Wert dieser Güter sinkt also. Praktische Waren, Lebensmittel und bestimmte Genussmittel  werden Wertvoller. (Extrembeispiel, Leningrader Blockade, süße Erde)
http://www.mdr.de/kultur/belagerung-leningrad108_zc-15948bad_zs-86171fdd.html
Nun ist die russische Wirtschaft nicht groß genug um eine große Allgemeine Krise auszulösen.
Das Grundprinzip bleibt aber immer das gleiche. Angebot und Nachfrage regeln (zum großen Teil) den Preis.

In Europa und teilweise auch in den USA haben wir augenblicklich eine interessante und bedrohliche Finanz und Wirtschaftslage.
Dafür gibt es viele sehr komplexe Gründe. Einer der Hauptgründe ist die völlig Aushebelung des Sayschen Theorems von Jean-Baptiste Say. Stark vereinfacht ausgedrückt, genau das was du ansprichst.

Folgendes Zitat kopiere ich dazu mal aus Wikipedia in diesen Artikel.

"Wenn der Produzent die Arbeit an seinem Produkt beendet hat, ist er höchst bestrebt es sofort zu verkaufen, damit der Produktwert nicht sinkt. Nicht weniger bestrebt ist er, das daraus eingesetzte Geld zu verwenden, denn dessen Wert sinkt möglicherweise ebenfalls. Da die einzige Einsatzmöglichkeit für das Geld der Kauf anderer Produkte ist, öffnen die Umstände der Erschaffung eines Produktes einen Weg für andere Produkte."

Auf den Punkt gebracht:
,,Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst"

Hier treffen wir den Russen wieder, der sein Geld nicht ausgegeben hat und damit im Regen steht.
Jetzt verlassen wir Ihn wieder und schauen uns das Saysche Theorem an.
Das Problem an diesem ,,Gesetz", ist das es leider etwas unrealistisch ist. Denn das eingesetzte Geld wird im Verhältnis immer seltener dazu verwendet um andere Produkte zu kaufen.
Die Annahme das die einzige Einsatzmöglichkeit für das Geld der Kauf anderer Produkte ist, ist in der Realität schlicht falsch.

Vielmehr fließt das Geld in Kunst, Aktien, Derivate  usw. Denn hier versprechen sich die Investoren einfach mehr Rendite.  Im ersten Moment nicht wirklich schlimm, denn wenn jemand Geld für einen Oldtimer zahlt, hat jemand anderes  jetzt das Geld auf dem Konto.
Nur neigt diese Person eben auch dazu das Geld wieder in Finanzdienstleistungen oder Kunst zu investieren und im Verhältnis weniger in Waren und Dienstleistungen

So entsteht ein Problem für die ,,reale" Wirtschaft, denn wenn Geld einfach irgendwo unproduktiv in der Gegend herumliegt und nur dafür verwendet wird noch mehr Geld zu erwirtschaften, belastet es die Wirtschaft, da es für jedes Haben ein Soll geben muss und für jedes Soll Zinsen in unbestimmter und variierender Höhe anfallen.
Der Erfolg der Weltwirtschaft hängt schließlich nicht von der Anhäufung von Geld ab, sondern vom Erwerb von Waren und Dienstleistungen. Geld ist nur ein Tauschmittel das in einem direkten Verhältnis zu diesen Gütern steht.
Die EZB und die FED haben in den letzten Jahren eine niedrig  Zinspolitik verfolgt. Der Gedanke dahinter, ist der Geld in das Wirtschaftssystem zu spülen, das dazu dienen soll, Angebot und Nachfrage zu stimulieren.
So das z.B. beim Kunden mehr Güter nachgefragt werden und deshalb neue Firmen entstehen die diese Anbieten oder bereits vorhandene Unternehmen ihre Produktion aufgrund der gesteigerten Nachfrage  erweitern.
Durch das billige Geld, wird in der Theorie das Risiko gesenkt und gleichzeitig eine  Inflation ausgelöst (mehr Geld auf weniger Güter sorgt für sinkenden Wert des Geldes) , die dazu führt das Menschen eher bereit sind ihr Geld in Güter zu investieren.

Das Problem ist nun, das das Geld woanders hinfließt. Wie man z.B. deutlich am Dax erkennen kann.
Unter anderem deshalb haben wir trotz der geringen Zinsen, keine Inflation in Europa und auch kein Wirtschaftswachstum. Schlimmer noch, wir laufen Gefahr in eine Deflation zu geraten.

Auch jetzt versucht die EZB Geld in die Wirtschaft zu pumpen (Anleihen Käufe). Das wird in meinen Augen nur in einem sehr begrenzten Umfang funktionieren, denn das Geld wird wohl anders eingesetzt als sich dies Draghi wünschen würde.

Unternehmen investieren selbst wenn das Geld günstig ist, nicht in einen stagnierenden Markt. Warum soll VW in Deutschland etwa eine neue Fabrik bauen, wenn der Markt in Deutschland und Europa nicht wächst und die Autos niemand kaufen möchte.

Deshalb wird VW eher da Werke bauen, wo die Nachfrage steigt. Etwa China. Hier hilft dann das günstige Geld. Nur hilft es nicht Europa.

Schlimmer ist es dann noch in Griechenland, Spanien oder Portugal. Hier werden etablierte Konzerne nur sehr ungern investieren. Hohe Arbeitslosigkeit bedeutet einfach für sie eine geringe Nachfrage. Banken denken hier ähnlich und scheuen sich Geld in neue Unternehmen zu investieren.
Das Risiko ist für sie einfach zu groß. Besser ist es da, wenn man das Geld im Finanzmarkt unterbringt. So denken dann auch viele Menschen wenn sie mir ihrem Geld Spekulationsblasen bei Kunst, Oldtimern und Immobilien aufbauen. Immer noch besser als....

Ich hoffe das konnte helfen.

MfG


PS Auch hier gilt. Das ist eher als populärwissenschaftlicher Text zu verstehen. Vieles ist zum besseren Verständnis etwas von mir vereinfacht dargestellt worden. Erkennt man auch daran das ich argumentativ nicht auf die Immobilien eingegangen bin.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Typee am 22. Januar 2015, 12:29:01
ZitatUnter anderem deshalb haben wir trotz der geringen Zinsen, keine Inflation in Europa und auch kein Wirtschaftswachstum.

Das ist für mich einer der beunruhigendsten Gesichtspunkte. Wer gehofft hatte, durch Inflation die Staatsverschuldungen abbauen zu können, muss erschreckt feststellen, dass die Steuerung der Inflation über den Zinshebel versagt.

Danke übrigens für den prima Kolleg.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Groucho am 22. Januar 2015, 12:36:11
Zitat von: Typee am 22. Januar 2015, 12:29:01
Danke übrigens für den prima Kolleg.

Ich schließe mich an. Und halte mich mit Zwischenfragen erstmal zurück.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: alliance1979 am 23. Januar 2015, 04:55:17
Zitat von: Typee am 22. Januar 2015, 12:29:01
ZitatUnter anderem deshalb haben wir trotz der geringen Zinsen, keine Inflation in Europa und auch kein Wirtschaftswachstum.

Das ist für mich einer der beunruhigendsten Gesichtspunkte. Wer gehofft hatte, durch Inflation die Staatsverschuldungen abbauen zu können, muss erschreckt feststellen, dass die Steuerung der Inflation über den Zinshebel versagt.

Danke übrigens für den prima Kolleg.

Danke. Eines aber nicht falsch verstehen. Ich halte die Entscheidung der EZB für absolut notwendig. Selbst wenn ich befürchte das die Maßnahme nicht im vollen Umfang Früchte trägt.
Was den Abbau der Staatsverschuldung angeht...Das ist eine heikle und komplexe Sache. Wenn ein Land (etwa Deutschland oder die USA) ihre Schulden über Inflation abbaut, dann geht das zu Lasten der Investoren.

Beispiel: Deutschland ist mit 100 € bei Dirk verschuldet. Dirk bekommt 1% Zinsen, die Inflation beträgt aber 2%.
Angenommen die Schulden Deutschlands bleiben ansonsten stabil, hat Deutschland seine Schulden via Inflation gesenkt, selbst wenn sie nominal auf 101 € gewachsen sind. Denn die Kaufkraft der 100€ vom Vorjahr, ist größer als die Kaufkraft der 101 € heuer.
Dirk hat hingegen Geld verloren. Zwar bekommt er von Deutschland nominal mehr Geld zurück als geliehen, real kann er sich dafür aber weniger kaufen als noch vor einem Jahr.
Schulden sind generell ein Heikles Thema. ;) Ebenso wie der Abbau von Schulden, der global betrachtet in die Rezession führt und partiell betrachtet durchaus Sinnvoll sein kann, aber nicht sein muss.

Wie wünschenswert ist es nun für eine Volkswirtschaft, wenn sie via Inflation die Schulden abbaut? Möglich ist es jedenfalls. Für Europa als Ganzes genommen aber zurzeit jedenfalls nicht. Durch die Aktionen der EZB wird jedenfalls die Wettbewerbsfähigkeit Europas temporär etwas gestärkt. Wie nachhaltig das ist, hängt von vielen Faktoren ab. Dem zukünftigen Lohnniveau, der Investitionsquote innerhalb der europäischen Volkswirtschaften und der Reaktionen aus dem Ausland. Ich glaube nämlich nicht, das die USA der Abwertung des € lange Tatenlos zuschauen werden, denn die Abwertung des Euro belastet die Wettbewerbsfähigkeit der anderen Volkswirtschaften.

@ Groucho

Du kannst die aber gerne stellen. Schlimmstenfalls antworte ich dann, das die Frage sich bald von selbst beantworten wird ;).

MfG
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Groucho am 23. Januar 2015, 14:13:34
Zitat von: alliance1979 am 23. Januar 2015, 04:55:17
Danke. Eines aber nicht falsch verstehen. Ich halte die Entscheidung der EZB für absolut notwendig. Selbst wenn ich befürchte das die Maßnahme nicht im vollen Umfang Früchte trägt.

Was sagst Du denn zum Handeln der Schweizer NB? Soweit ich das beurteilen kann, hatte diese den gegenläufigen Kurs der EZB verfolgt durch Euro-Ankäufe, und der Ausstieg aus der Bindung war jetzt eine Notbremse, da die SNB natürlich nicht gegen die EZB volumenmäßig anstinken kann.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: uran am 24. Januar 2015, 17:39:36
Ich lese diesen Faden seit Beginn gespannt durch und finde ihn sehr lehrreich.
Ich fände es schön, wenn noch Unterschiede zwischen produzierender Industrie und Dienstleistungen behandelt werden könnten.
Also wäre es potenziell möglich, dass ein Land nur von Dienstleistungen lebt und alle Produkte importiert?
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Groucho am 24. Januar 2015, 18:09:37
Zitat von: uran am 24. Januar 2015, 17:39:36
Also wäre es potenziell möglich, dass ein Land nur von Dienstleistungen lebt und alle Produkte importiert?

Ohne vorzugreifen, aber warum sollte das nicht theoretisch möglich sein? Dienstleistungen haben einen Wert, und gegen diesen Wert werden Produkte im Ausland gekauft.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Belbo am 24. Januar 2015, 21:34:28
...ist es nicht so, dass weltwirtschaftlich bei der breiten Masse zu wenig hängen bleibt, und deshalb zu wenig konsumiert wird?
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: uran am 24. Januar 2015, 21:40:45
Ich habe extra das Ausland in die Frage mit einbezogen. Für eine Person, beispielsweise einem Zahnarzt, ist es natürlich möglich seinen Lebensunterhalt mit Dienstleistungen zu bestreiten.
Eine Dienstleistung ist jedoch sofort verbraucht, im Gegensatz zum Goldbarren, oder der Waschmaschine und kann auch nicht transportiert werden. Damit man sich Produkte aus dem Ausland kaufen kann, muss man dem Ausland ja auch einen Gegenwert geben. Auf Dauer Schulden machen kann ja auch nicht funktionieren.
Andererseits sehe ich außer einer "Währungsbarriere" jetzt auch kein theoretisches Hinderniss mehr.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Typee am 24. Januar 2015, 22:14:53
Es hängt wohl nicht mit der Verbrauchbarkeit von Dienstleistungen zusammen, sondern damit, ob der Volkswirtschaft die Erlöse zufließen.  Gebilde wie die Fürstentümer Liechtenstein und Luxemburg leben fast ausschließlich von (Finanz)Dienstleistungen, ebenso die Kanalinseln.  Auch einzelne Kantone in der Schweiz könnten das. Island und Irland sind  daran gescheitert, zugegeben. Dort hatte man die Sache aus Unerfahrenheit dümmer eingestielt. Ob das UK es nicht übertrieben hat, weiß man noch nicht so recht.

Auch da gilt allerdings: die Dienstleistung muss international attraktiv und ausreichend qualifiziert sein. Keine Volkswirtschaft könnte von den weltweit besten Schuhputzern leben, nicht einmal von den besten Zahnärzten. Von den besten IT-Dienstleistungen und den cleversten Industrieversicherungen möglicherweise schon.

@ Cavaliere:
Die Formel, es werde zu wenig konsumiert, ist nicht einmal falsch, man muss nur aufpassen, dass man das Problem nicht von der falschen Seite her angeht. Für Griechenland z.B. ist es schon klar, dass der einfachste Weg zu mehr Konsum die Verteilung von Geld wäre. Man kann auch sagen: die Rückkehr zu den alten Zu- und Missständen. Was Tsipras verlangt, wäre genau das: ein Verteilungsapparat, in dem die alten Eliten natürlich wieder am gründlichsten absahnen würden. Ein böses Vorhaben ist insbesondere die Wiedereinstellung von 20.000 offenkundig überflüssigen Beamten... Und der Zaster - oder das, was nach vielen Korruptionsrunden noch übrig ist - würde, so lange nichts konkurrenzfähiges an Waren und Dienstleistungen aus dem Land selbst angeboten wird, über Importe gleich wieder ins Ausland abfließen. Geld für Griechenland wird viel dringender benötigt, um im Lande selbst profitable und konkurrenzfähige Waren und Dienstleistungen zu schaffen, mit den dringend benötigten Arbeitsplätzen - die dann auch nachhaltigen Konsum ermöglichen.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Typee am 24. Januar 2015, 22:17:51
Gnihihi,

findet Ihr den letzten Post nicht auch komisch, neben dem Ava?
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Groucho am 24. Januar 2015, 22:29:27
Zitat von: Typee am 24. Januar 2015, 22:17:51
Gnihihi,

findet Ihr den letzten Post nicht auch komisch, neben dem Ava?

Und wie  ;D
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: alliance1979 am 25. Januar 2015, 16:46:25
Zitat von: Groucho am 23. Januar 2015, 14:13:34
Zitat von: alliance1979 am 23. Januar 2015, 04:55:17
Danke. Eines aber nicht falsch verstehen. Ich halte die Entscheidung der EZB für absolut notwendig. Selbst wenn ich befürchte das die Maßnahme nicht im vollen Umfang Früchte trägt.

Was sagst Du denn zum Handeln der Schweizer NB? Soweit ich das beurteilen kann, hatte diese den gegenläufigen Kurs der EZB verfolgt durch Euro-Ankäufe, und der Ausstieg aus der Bindung war jetzt eine Notbremse, da die SNB natürlich nicht gegen die EZB volumenmäßig anstinken kann.

Erst mal ich bereue gerade vor allem, nicht für ein Schweizer Unternehmen oder Institut in der Schweiz zu arbeiten ;).

Zur Aussage:
Das ist nicht korrekt. Ich versuche das mal zu erklären. Deshalb erst mal kurz etwas zur  Zentralbank.
Diese kann nur unter bestimmten Umständen Pleite gehen.  Das werde ich gleich kurz erklären und dann Erleutern warum dies kein Grund für die SNB war, sich vom € zu lösen.
Folgende Bedingungen müssen vorliegen, damit eine  Zentralbank Pleite geht:

- Sie muß Verbindlichkeiten in einer Währung haben, die sie selber nicht herstellen kann.
- Die eigene Währung wird im Außland nicht mehr akzeptiert.
- Die Bank verfügt über keine sonstigen Aktiva mehr.
- Die Bank kann ausstehende Forderungen nicht mehr Bedienen.

Erst unter diesen Bedingungen ist eine Zentralbank insolvent.
Jetzt ist die Frage was die SNB gemacht hat, um den Schweizer Franken an den € zu koppeln.
In den letzten 3 Jahren sorgte die SNB dafür,  das der  Kurs des CHF nicht über 1,20 CHF/€uro  steigt.
Um das zu erreichen mußte die SNB mit ihren CHF schlicht €uro am Devisenmarkt kaufen, damit der €uro Kurs gestärkt wird. Diese erworbenen €uro werden dann in europäische Wertpapiere oder Immobilien angelegt.

Sie hält also einen Gegenwert zu den von IHR gedruckten Franken in den Händen (in den Büchern), deren einziges Risiko der Wertverlust oder Ausfall ihrer Investitionen ist.

Gleichzeitig darf man nicht vergessen das eine Zentralbank so viel Geld drucken kann wie sie möchte. Es kostet sie nichts.
Das einzige reale Risiko das durch das Gelddrucken entsteht, nämlich die Preisniveaustabilität, kommt für sie selber nicht zum Tragen, denn das Geld fließt ja in den europäischen Wirtschaftsraum (und dort auch nur in den Finanzmarkt) und nicht in den eigenen.

Sollte ihre Investitionen im Euro Raum Wertlos werden (was äußerst unwahrscheinlich ist), hat die Bank zwar einen Verlust in den Büchern stehen, aber da es von ihr gedrucktes Geld war, spielt das nur auf dem Papier, also in der Bilanz eine Rolle.

Es droht schließlich keine weitere Forderung aus diesen Geschäften. Selber schuldet sie das Geld niemandem (schließlich selber gedruckt) und der Wertverlust belastet auch nicht die heimische Wirtschaft. Geschäfte mit der SNB würden sich immer noch lohnen, da der eigene Wirtschaftsraum ja von all dem völlig unbehelligt geblieben wäre und damit der CHF weder an Wert verloren noch gewonnen hat. Man hätte sich also noch ohne weiteres an den € hängen können. Es wurde werde zu teuer, noch zu riskant.

Ironischer weise hat die SNB durch die Maßnahme den Wert ihrer Euro Investitionen überigens selber noch relativ reduziert.

Ich wurde selbst, wie fast alle anderen auch, von diesem Schritt der SNB sehr überrascht. Wirklich logisch erklären kann ich ihn nicht wirklich. Zwar hege ich einige Vermutungen, aber das wäre reine Spekulation. In einem Punkt bin ich mir aber sicher. Ein wenig war man wohl selber über die eindeutige Reaktion des Marktes bei der SNB erschrocken.
Man ist in der Schweiz einfach daran gewöhnt, das man im allgemeinen nicht sonderlich beobachtet wird. Als die Schweiz etwa den CHF an den € koppelte, hatte das medial kaum große Wellen geschlagen, sorgte aber für einen enormen schub auf den europäischen Aktienmärkten.
Um ein anderes Beispiel zu nennen was die unbeobachtete Schweiz angeht... Sind  jemanden die Zinsentscheidungen der SNB (auf die ich gleich noch zu sprechen komme)  der vergangenen Jahre geläufig? Außer Experten sicher kaum jemand.

Bleibt jetzt die Frage was ich von der Entscheidung halte. Aus Schweizer Sicht im Augenblick nicht sonderlich viel.

Selbst wenn man damit ein strategisches Ziel verfolgt das mir nicht bewußt ist (durchaus möglich da dies nicht mein Schwerpunkt ist), wäre es Sinnvoll gewesen vorher die eigene Wirtschaft dezent zu warnen. Eine verklausulierte Pressemitteilung hätte da gereicht und die meisten Schweizer Unternehmen hätten sich (noch) besser auf Währungsschwankungen einstellen können.

Die Schweiz ist in den vergangenen Jahren einer der größte Nutznießer des € gewesen, da sie durch Verträge mit der EU einen riesigen Wirtschaftsraum vor der eigenen Haustür hatte und gleichzeitig die eigene Währung behalten konnte.
Die Schweizer Wirtschaft ist dabei relativ Exportabhängig (1) und ihre Wirtschaftskraft basiert hauptsächlich auf kleinen und mittelständischen Unternehmen.(2)
Diese sind international meist besonders Anfällig für Währungsschwankungen, weil sie  sich weniger gut als Großkonzerne absichern können.

Gleichzeitig wird wohl der Binnenmarkt leiden, denn viele Schweizer werden wohl in Zukunft in Frankreich, Italien und Deutschland einkaufen gehen, während ein Urlaub oder eine Shoppingtour im Land selber für Außländer sehr teuer wird, der Urlaub woanders aber relativ günstig.
Sollte der Franke sich weiter so entwickeln, dann wäre z.B. ein Skieurlaub in Österreich extrem attraktiv. Der Binnenmarkt leidet also, wenn der chf stärker wird. Und zwar wesentlich eher als der Export.

Ein starker Franke hat natürlich auch Vorteile. Denn eine starke Währung macht den Kauf von Rohstoffen günstiger. Allerdings ist der Ölpreis gerade  eh im Keller und die Schweiz ist gemessen am BIP nicht außergewöhnlich abhängig von Rohstoffen.

Die Schweiz hat übrigens auch durchaus ihren Anteil daran, das der  € so schwach ist. Denn ihr "Konzept" basiert schließlich darauf seine Handelspartner konsequent zu überschulden.
Zum einem über die "massiven" Exporte (gemessen an der Wirtschaftsleistung), zum anderen über die eigene Zinspolitik.

Wie so ziemlich jeder mal gehört haben dürfte, ist die Schweiz ein kleines Steuerparadies. Was man wesentlich seltener hört, ist das die Schweiz davon doppelt partizipiert.
Denn sie hat damit in der Vergangenheit viel Kapital ins eigene Land gelockt und deshalb konnte sich die SNB einige Extravaganzen in der Zinspolitik erlauben.

So hat sie in der Vergangenheit(fast) immer dafür gesorgt, dass der eigene Leitzins unter dem aller anderen relevanten Leitzinsätze liegt.

Leitzins   
Euroland   0,05   
USA           0 - 0,25%   
Japan   0 - 0,10%   
GB           0,50%
Schweiz    -1.25 - -0.25   

Die Schweiz kann also den Markt unterbieten und bleibt für Anleger trotzdem interessant und für die Anleger ist das Steuerparadies also in einigen Fällen real nicht Umsonst.
Für die schweizer Finanzindustrie praktisch, da die Schweizer Banken im Kapital schwimmen, das sie aus dem Außland bekommen und mit diesem dann selber sehr gut im Außland arbeiten können. Fast niemand kam günstiger ans Geld als die Schweizer Banken. Einer der gründe warum die USA so massiv intervenierten was das Schweizer Bankgeheimnis angeht.

Im übrigen ist die Deflationsgefahr in der Schweiz gerade besonders groß. Durch die Entscheidung sich vom € abzukoppeln ist sie sogar noch gewachsen.  Bleibt der Franken lange Zeit so stark oder wird sogar noch stärker, muß die SNB die eigene Währung irgendwie abwerten (Wettbewerbsfähigkeit), ohne gleichzeitig  die Deflationsgefahr zu vergrößern. Für die Zentralbank alleine ist das dann schon ein wenig die Quadratur des Kreises und könnte darin münden, sich wieder an den € zu hängen.

Das wäre ein ziemlicher Imageschaden für die SNB. Aber auch das ist Kaffesatzleserei, denn niemand kann vorhersagen wie sich die nächsten Monate und Jahre ökonomisch entwickeln werden.

(1) http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/06/05/blank/key/handelsbilanz.html
(2) http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/06/01/pan.html
(3) http://www.leitzinsen.info/schweiz.htm
(4) http://www.finanzen.net/leitzins/

Noch fragen dazu?

MfG
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: alliance1979 am 25. Januar 2015, 17:08:12
Zitat von: uran am 24. Januar 2015, 17:39:36
Ich lese diesen Faden seit Beginn gespannt durch und finde ihn sehr lehrreich.
Ich fände es schön, wenn noch Unterschiede zwischen produzierender Industrie und Dienstleistungen behandelt werden könnten.
Also wäre es potenziell möglich, dass ein Land nur von Dienstleistungen lebt und alle Produkte importiert?

Ich werde versuchen die nächsten Tagen (nicht böse sein falls es länger dauert) meine gleich folgende Antwort sehr genau zu begründen. Die Frage ist nämlich außerordentlich komplex.

Kurzantwort:

Allgemein Theoretisch:
Nur kleinste Volkswirtschaften wären dazu in der Lage. Selbst Länder wie das hier bereits genannte Luxemburg wären dafür meiner Ansicht nach schon zu "groß".

Praktisch betrachtet wird es wohl nie eine Volkswirtschaft geben, die nur auf Dienstleistung beruht. Einfach weil es keinen Sinn ergibt.
Warum sollte etwa eine Regierung seinen Bürgern verbieten Waren zu produzieren? Auch Luxemburg exportiert Metallwaren, Maschienen oder Nahrungsmittel.

Ich werde dazu aber relativ präzise Stellung nehmen, denn etwas komplexer ist es schon und die Frage ist äußerst berechtig und Groucho´s unmittelbare Antwort ja im ersten Moment nicht von der Hand zu weisen. ;)

MfG
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Groucho am 25. Januar 2015, 17:40:15
Zitat von: alliance1979 am 25. Januar 2015, 16:46:25
Noch fragen dazu?

Nein, vielen Dank, gut erklärt! Ich seh schon, das Thema beginnt mich noch wirklich zu interessieren  :grins2:
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: Groucho am 25. Januar 2015, 17:44:14
Zitat von: alliance1979 am 25. Januar 2015, 17:08:12
Ich werde dazu aber relativ präzise Stellung nehmen, denn etwas komplexer ist es schon und die Frage ist äußerst berechtig und Groucho´s unmittelbare Antwort ja im ersten Moment nicht von der Hand zu weisen. ;)

Ich habe ja bewusst ein "theoretisch" eingefügt. Praktisch wäre das wirklich etwas absurd. Vermute mal, es muss eine gute Mischung geben, Dienstleistungen sind ja oft an Produkte gekoppelt.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: MrSpock am 26. Januar 2015, 09:42:36
Zitat von: Groucho am 25. Januar 2015, 17:44:14

Ich habe ja bewusst ein "theoretisch" eingefügt. Praktisch wäre das wirklich etwas absurd. Vermute mal, es muss eine gute Mischung geben, Dienstleistungen sind ja oft an Produkte gekoppelt.

Das ist ein sehr komplexes Thema. Die Umsätze der deutschen Serviceorganisationen sind in den letzten Jahren stetig gewachsen. Der Trend geht zu eigenen Produkten. Nahezu die Hälfte der befragten Unternehmen (Quelle: KVD Servicestudie 2014) bietet mittlerweile ihre Dienstleistungen nur noch für die eigenen Produkte an. Das war in den Jahren 2009 - 2012 anders. Bis 2012 ging der Trend zu fremden Produkten, das hat sich ab 2013 wieder umgekehrt. Meine Vermutung: Die Produkte werden immer komplexer. Wir reden nicht mehr über reine Mechanik, sondern über hybride Produkte, die an komplexe Steuerungssysteme gekoppelt sind. Das Know-how liegt bei den Herstellern. Auch die Entwicklungszyklen für neue Produkte werden immer kürzer. Als unabhängiger Dienstleister wird es immer schwieriger, sich für fremde Produkte das notwendige Know-how rechtzeitig anzueignen.

Schließlich sind produktbegleitende Dienstleistungen hoch profitabel. Die meisten Unternehmen aus der Maschinenbau-Branche erwirtschaften ihre Gewinne nicht aus dem Produkt, sondern aus den Dienstleistungen. Daher haben sie kein Interesse, dass unabhängige Dienstleister ihnen das Geschäft wegnehmen. Monopol-Ersatzteile und komplexe Steuerungssysteme, möglichst auch Remote-Service, sind wirksame Instrumente dagegen. Die Digitalisierung von originären Serviceprozessen kommt vermehrt auch bei der Schnittstelle zum Kunden an.

Der Anteil der Dienstleistungen an der gesamten Bruttowertschöpfung liegt bei mittlerweile 69%. Dienstleistung sind der Treiber der Gesamtwirtschaft.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der Trend von einzelnen Produkten zu vernetzten Kombinationen aus Produkt und Dienstleistung geht. Reine Dienstleistungen ohne eigenes Produkt funktioniert auf Grund der technischen Komplexität der Produkte nicht. Das schließt allerdings eine stetig steigende Qualifikation der Dienstleister und somit dementsprechende Löhne mit ein.

Natürlich gibt es auch reine Dienstleistungen, die nichts mit Produkten zu tun haben wie z. B. Altenpflege. Andere Trends wie Carsharing benötigen immer weniger Produkte, kommen aber nicht ganz ohne Produkte aus. Irgendeiner muss die Autos ja herstellen. Anders ausgedrückt: Der Kunde möchte keine Bohrmaschine, die an 364 Tagen im Jahr in der Schublade liegt. Er möchte ein Loch in der Wand.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: pelacani am 26. Januar 2015, 12:17:11
Zitat von: MrSpock am 26. Januar 2015, 09:42:36
Schließlich sind produktbegleitende Dienstleistungen hoch profitabel. Die meisten Unternehmen aus der Maschinenbau-Branche erwirtschaften ihre Gewinne nicht aus dem Produkt, sondern aus den Dienstleistungen. Daher haben sie kein Interesse, dass unabhängige Dienstleister ihnen das Geschäft wegnehmen. Monopol-Ersatzteile und komplexe Steuerungssysteme, möglichst auch Remote-Service, sind wirksame Instrumente dagegen.

Kann auch ein äußerst wirksames Instrument gegen Kundenzufriedenheit sein. Erlebe ich gerade aus der Nähe, bei einer VW-Werkstatt.
Titel: Re: Bruttowertschöpfung
Beitrag von: MrSpock am 26. Januar 2015, 12:25:48
Zitat von: Pelacani am 26. Januar 2015, 12:17:11
Zitat von: MrSpock am 26. Januar 2015, 09:42:36
Schließlich sind produktbegleitende Dienstleistungen hoch profitabel. Die meisten Unternehmen aus der Maschinenbau-Branche erwirtschaften ihre Gewinne nicht aus dem Produkt, sondern aus den Dienstleistungen. Daher haben sie kein Interesse, dass unabhängige Dienstleister ihnen das Geschäft wegnehmen. Monopol-Ersatzteile und komplexe Steuerungssysteme, möglichst auch Remote-Service, sind wirksame Instrumente dagegen.

Kann auch ein äußerst wirksames Instrument gegen Kundenzufriedenheit sein. Erlebe ich gerade aus der Nähe, bei einer VW-Werkstatt.

In der Tat, die Kfz-Werkstätten haben den Knall noch nicht gehört! Da kann ich auch bücherweise Anekdoten erzählen. Es gab mal eine gut gemachte Doku, nannte sich passender Weise: "Das Märchen von Made in Germany - Neues aus der Servicewüste".

In der Automobilbranche ist es so, dass mittlerweile 80% des Gesamtumsatzes aus Dienstleistungen (inkl. Gebrauchtwagenverkauf) bestehen, nur 20% des Umsatzes generiert sich aus dem reinen Produkt - sprich Auto.

Quelle siehe Anhang.