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Religionsfreiheit

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Begonnen von Typee, 30. August 2016, 09:19:32

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Typee

Alexander Grau ist studierter Philosoph (ruhig bleiben: ein moderner Aufklärer) und unterhält u.a. eine Kolumne im Cicero. Auch wenn er manchmal etwas postmodern wird - hier bringt er etwas wesentliches auf den Punkt:

ZitatDas Primat der Religionsfreiheit ist ein Anachronismus aus der Zeit der Konfessionskriege. Alle relevanten Rechte, die damit verbunden werden, sind durch andere Grundrechte wie Versammlungs- oder Meinungsfreiheit gedeckt. Für den säkularen Staat gibt es keinen logisch erkennbaren Grund, Religionen Privilegien einzuräumen, die er anderen Weltanschauungen untersagt.

http://www.cicero.de/berliner-republik/burka-verbot-absolute-religionsfreiheit-gibt-es-nicht

Das muss man sich klarmachen. Wenn irgend etwas über Religion in eine Verfassung gehört, dann ist es die negative Religionsfreiheit: der Staat darf niemanden zur Ausübung einer Religion zwingen oder irgendwie anhalten; weder direkt noch indirekt, auch nicht durch diskriminierende Ungleichbehandlung.
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Eumel

Zitat von: Typee am 30. August 2016, 09:19:32
Das muss man sich klarmachen. Wenn irgend etwas über Religion in eine Verfassung gehört, dann ist es die negative Religionsfreiheit: der Staat darf niemanden zur Ausübung einer Religion zwingen oder irgendwie anhalten; weder direkt noch indirekt, auch nicht durch diskriminierende Ungleichbehandlung.

Yep, das sehe ich auch so! Grundsätzlich halte ich Religionsfreiheit schon für wichtig - im Sinne der Toleranz. Sie verdeutlicht, dass es eben zu akzeptieren ist, wenn Menschen Dinge glauben, die man selbst für völlig abstrus hält (anders sieht es natürlich aus, wenn diese Glaubensinhalte, z.B. in der Forum von gruseligen Heilungsversprechen verkauft werden sollen. Das ist für mich schlicht Betrug). Die dürfen das! Nur sieht es in der Praxis häufig so aus, dass man Rechte gerne für sich selbst in Anspruch nimmt und dann einschränken möchte, wenn man sie anderen zugestehen soll. Das gilt für so ziemlich alle Religionen und philosophischen Richtungen. Daher würde ich zwar nicht gerade die Religionsfreiheit aus der Verfassung nehmen, aber diesen "negativen" Sinn auf alle Fälle besonders betonen und herausstellen. Eine diskriminierende Ungleichbehandlung haben wir in diesem Land immer noch in gar nicht so wenigen Bereichen (z.B. arbeitsrechtliche Ausnahmen). Das sind Signale in die falsche Richtung.

Groucho

Zitat von: Typee am 30. August 2016, 09:19:32
Das muss man sich klarmachen. Wenn irgend etwas über Religion in eine Verfassung gehört, dann ist es die negative Religionsfreiheit: der Staat darf niemanden zur Ausübung einer Religion zwingen oder irgendwie anhalten; weder direkt noch indirekt, auch nicht durch diskriminierende Ungleichbehandlung.

Wirklich mal eine interessante Sicht. Damit liese sich auch unschwer ableiten, wie man z.B. mit Burka etc. umgehen kann, indem man sich einfach fragt: Darf ich z.B. mit einem Sack über dem Kopf öffentlich rumlaufen? Man darf erstmal, soweit ich weiß. Warum auch nicht, jeder darf sich zum Vollhorst machen, wie er lustig ist. Außer es gibt ein explizites Vermummungsverbot, aus welchen Gründen auch immer, aber fernab jeglicher religiöser Begründung.

Typee

Zitat von: Groucho am 30. August 2016, 10:46:52
Zitat von: Typee am 30. August 2016, 09:19:32
Das muss man sich klarmachen. Wenn irgend etwas über Religion in eine Verfassung gehört, dann ist es die negative Religionsfreiheit: der Staat darf niemanden zur Ausübung einer Religion zwingen oder irgendwie anhalten; weder direkt noch indirekt, auch nicht durch diskriminierende Ungleichbehandlung.

Wirklich mal eine interessante Sicht. Damit liese sich auch unschwer ableiten, wie man z.B. mit Burka etc. umgehen kann, indem man sich einfach fragt: Darf ich z.B. mit einem Sack über dem Kopf öffentlich rumlaufen? Man darf erstmal, soweit ich weiß. Warum auch nicht, jeder darf sich zum Vollhorst machen, wie er lustig ist. Außer es gibt ein explizites Vermummungsverbot, aus welchen Gründen auch immer, aber fernab jeglicher religiöser Begründung.

Ja, und es erleichtert ungemein die Frage, ob es z.B. ein Schule hinnehmen muss, dass die SchülerInnen bei Klassenarbeiten identifizierbar sind oder nicht. Nur mal so.
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Sauropode

Dann stellt sich mir die Frage, ob ich mich als Atheist durch Glockengebimmel und Muhezzinrufe stören lassen muss, mich als Kuffar beschimpfen lassen darf oder sogar eine Bedrohung an Leib und Leben von Wirren in Kauf nehmen muss. Religion sollte Privatsache sein.

Sauropode

Zitat von: Groucho am 30. August 2016, 10:46:52
Zitat von: Typee am 30. August 2016, 09:19:32
Das muss man sich klarmachen. Wenn irgend etwas über Religion in eine Verfassung gehört, dann ist es die negative Religionsfreiheit: der Staat darf niemanden zur Ausübung einer Religion zwingen oder irgendwie anhalten; weder direkt noch indirekt, auch nicht durch diskriminierende Ungleichbehandlung.

Wirklich mal eine interessante Sicht. Damit liese sich auch unschwer ableiten, wie man z.B. mit Burka etc. umgehen kann, indem man sich einfach fragt: Darf ich z.B. mit einem Sack über dem Kopf öffentlich rumlaufen? Man darf erstmal, soweit ich weiß. Warum auch nicht, jeder darf sich zum Vollhorst machen, wie er lustig ist. Außer es gibt ein explizites Vermummungsverbot, aus welchen Gründen auch immer, aber fernab jeglicher religiöser Begründung.

Das wiederum hat eine soziale Relevanz. Wer sagt denn, dass ich meine Mitmenschen nicht erkennen möchte? Nur wer sich als Person in einer Gesellschaft zeigt, kann sich darin integrieren. Für mich ist so eine Verhüllung ein Zeichen der Abgrenzung.

Groucho

Zitat von: Sauropode am 30. August 2016, 11:22:57
Das wiederum hat eine soziale Relevanz. Wer sagt denn, dass ich meine Mitmenschen nicht erkennen möchte? Nur wer sich als Person in einer Gesellschaft zeigt, kann sich darin integrieren. Für mich ist so eine Verhüllung ein Zeichen der Abgrenzung.

Natürlich ist es das. Nur, wenn man es eben frei von Religion betrachtet, muss man Anderen durchaus zugestehen, sich z.B. nicht integrieren zu wollen. Und man kann dann ganz rationale Gründe finden, wann und wo z.B. sowas nicht mehr durchgeht, sei es in der Schule (Siehe Typees Beispiel), am Bankschalter oder sonstwo. Einfach diese Religionsbegründung weglassen, und schon wird es viel einfacher.

Eumel

Zitat von: Groucho am 30. August 2016, 12:05:14
Natürlich ist es das. Nur, wenn man es eben frei von Religion betrachtet, muss man Anderen durchaus zugestehen, sich z.B. nicht integrieren zu wollen. Und man kann dann ganz rationale Gründe finden, wann und wo z.B. sowas nicht mehr durchgeht, sei es in der Schule (Siehe Typees Beispiel), am Bankschalter oder sonstwo. Einfach diese Religionsbegründung weglassen, und schon wird es viel einfacher.

Das sehe ich auch ganz genau so! Was genau ist denn Integration? Wenn ich mir ansehe, wie unterschiedlich Ansichten, Verhaltensweisen, Glaubensinhalte, Persönlichkeit etc. bei "Urdeutschen" sind, dann gibt es kein "typisch deutsch".

Was ich erwarte ist die Freiheit, selbst glauben zu dürfen, was ich will (oder halt nicht), anzuziehen, was mir passt usw. Da hat mir niemand dreinzureden - egal, ob er seit x Generationen in Deutschland lebt oder gerade erst angekommen ist und ob er seine Religion für die einzige richtige hält (sogar das darf er von mir aus). Nur müssen die staatlichen Gesetze meine Freiheit schützen. Das tun sie nur effektiv, wenn sie auch die der anderen schützen (ansonsten schränken sie ein). Mir ist es egal, ob meine Nachbarin in Ganzkörperklamotten baden geht, solange mir niemand meinen Bikini verbietet. Manchmal ist der mir allerdings zu kalt. Dann habe ich Neopren an. Leben und leben lassen!

Ausnahmen gibt es immer und dort, wo sie sachlich sinnvoll und begründet sind, ist es eben so.

Sauropode

Zitat von: Groucho am 30. August 2016, 12:05:14
Zitat von: Sauropode am 30. August 2016, 11:22:57
Das wiederum hat eine soziale Relevanz. Wer sagt denn, dass ich meine Mitmenschen nicht erkennen möchte? Nur wer sich als Person in einer Gesellschaft zeigt, kann sich darin integrieren. Für mich ist so eine Verhüllung ein Zeichen der Abgrenzung.

Natürlich ist es das. Nur, wenn man es eben frei von Religion betrachtet, muss man Anderen durchaus zugestehen, sich z.B. nicht integrieren zu wollen. Und man kann dann ganz rationale Gründe finden, wann und wo z.B. sowas nicht mehr durchgeht, sei es in der Schule (Siehe Typees Beispiel), am Bankschalter oder sonstwo. Einfach diese Religionsbegründung weglassen, und schon wird es viel einfacher.

Die rationale Gründe sind es doch: Man betrachtet einen Menschen in Burka oder auch verkleidet als Nachtgespenst oder sonstwie verhüllt (um mal die Religion außen vor zu lassen) nicht als jemanden, mit dem man eine kommunikative Basis hat. Klar, darf alles sein. Menschen sind aber soziale Wesen und hier wird soziale Interaktion ganz klar verhindert. Ok, darf auch sein. Im Zweifel aber grenzt man eben jene aus, und dann kommt wieder der Vorwurf des Rassismus. Das ist sicher ein Grenzfall, aber ich möchte mich nicht in einer Umgebung von Burkas/Nachtgespenstern etc. bewegen.



Groucho

Zitat von: Sauropode am 30. August 2016, 12:57:57
Das ist sicher ein Grenzfall, aber ich möchte mich nicht in einer Umgebung von Burkas/Nachtgespenstern etc. bewegen.

Ich auch nicht. Aber Gesetze und Vorschriften sind ja nichts Starres. Diese Vollversackung ist ja selbst in islamischen Ländern m.W. eher die Ausnahme. Wenn das tatsächlich größer um sich greifen würde, muss man sich halt was überlegen. Selber habe ich noch nie so eine Vollverhüllung live gesehen. Aber ok, ich lebe in keinem Ballungszentrum.

Gefährliche Bohnen

Zitat von: Typee am 30. August 2016, 09:19:32

ZitatDas Primat der Religionsfreiheit ist ein Anachronismus aus der Zeit der Konfessionskriege. Alle relevanten Rechte, die damit verbunden werden, sind durch andere Grundrechte wie Versammlungs- oder Meinungsfreiheit gedeckt. Für den säkularen Staat gibt es keinen logisch erkennbaren Grund, Religionen Privilegien einzuräumen, die er anderen Weltanschauungen untersagt.

Ziemlich genau dieser Gedanke kam mir damals in der Beschneidungsdebatte schon. Hätte es in der Vergangenheit systematische Diskriminierungen wegen der Wahl der Lieblingsfarbe gegeben, stände die freie Lieblingsfarbwahl im Gesetz und wäre im Kern trotzdem genauso redundant.
"Ich muss an dieser Stelle gestehen: Ich mag Karpfen gar nicht." - Groucho
RIP

Sauropode

Genau, das ist eine Frage der Toleranz. Beschneidung von Mädchen ist böse, bei Jungs ist es Religionsfreiheit. Sagen manche. Burka? Sollte man mal die Frauen fragen, ob ihnen dieser Sack gefällt, aber ich denke, da ist ganz viel sozialer Druck, als dass man eine wirklich ehrliche Antwort erhält. Toleranz ist aber auch eine Falle für sie selber. Toleranz schafft sich selbst ab, wenn man sie den Feinden der Toleranz angedeihen lässt.

Eumel

Zitat von: Sauropode am 30. August 2016, 12:57:57
Die rationale Gründe sind es doch: Man betrachtet einen Menschen in Burka oder auch verkleidet als Nachtgespenst oder sonstwie verhüllt (um mal die Religion außen vor zu lassen) nicht als jemanden, mit dem man eine kommunikative Basis hat. Klar, darf alles sein. Menschen sind aber soziale Wesen und hier wird soziale Interaktion ganz klar verhindert. Ok, darf auch sein. Im Zweifel aber grenzt man eben jene aus, und dann kommt wieder der Vorwurf des Rassismus. Das ist sicher ein Grenzfall, aber ich möchte mich nicht in einer Umgebung von Burkas/Nachtgespenstern etc. bewegen.

"Man" halte ich hier für nicht ganz passend. Ich denke, es geht vielen Menschen in Deutschland so, weil sie nicht daran gewöhnt sind. Das hat den Grund, dass es gar nicht so häufig vorkommt. Nur sehr wenige Frauen, die dauerhaft in Deutschland leben, tragen eine "Vollversackung". Auch in den meisten muslimischen Ländern ist das gar nicht üblich. Wenn man aber beruflich öfter mit Menschen aus den verschiedensten Ländern zu tun hat, dann erschrickt man nicht mehr vor dem "Nachtgespenst". Und wenn man dann noch freundlich ist (vermutlich habe ich es da leichter mit der Kommunikation, da selbst eine Frau), dann ist die Distanz nicht größer als bei anderen Menschen, mit denen man eben beruflich zu tun hat. Daher denke ich, nicht die Kleidung ist das eigentlich Problem, sondern die Angst vor dem Unbekannten und die Unsicherheit wie man damit umgehen soll.

Momentan greift die Vollverschleierung wieder in der Münchner Innenstadt um sich. Man sieht sie eigentlich jeden Sommer gehäuft dort. Auch gewisse Designerläden sind voll davon ;). Das ist schon lange so und ein Integrationsproblem ist das keines. Die meisten der Damen sind in ein paar Wochen wieder weg und haben noch ordentlich Geld in besagten Läden und bei den Hoteliers gelassen. Mich würde interessieren, wie die Münchner Geschäftsleute das Thema betrachten ;).

Eumel

Zitat von: Sauropode am 30. August 2016, 13:15:59
Genau, das ist eine Frage der Toleranz. Beschneidung von Mädchen ist böse, bei Jungs ist es Religionsfreiheit. Sagen manche. Burka? Sollte man mal die Frauen fragen, ob ihnen dieser Sack gefällt, aber ich denke, da ist ganz viel sozialer Druck, als dass man eine wirklich ehrliche Antwort erhält. Toleranz ist aber auch eine Falle für sie selber. Toleranz schafft sich selbst ab, wenn man sie den Feinden der Toleranz angedeihen lässt.

Nach meiner Erfahrung sind es hauptsächlich kulturelle Gewohnheiten. Hierzulande läuft ja auch kaum eine Frau "oben ohne" mitten durch die Innenstadt. In anderen Ländern (so mancher Südseeinsel) ist "oben ohne" dagegen völlig normal. Frauen aus einem strengen muslimischen Land sind an diese Bekleidung gewöhnt und werden sie nicht einfach so ausziehen und quasi "nackt" (nach ihrem Verständnis) durch die Stadt laufen. Natürlich kann man diese Gesellschaften kritisieren und das hinterfragen. Ein Verbot grenzt allerdings diese Frauen aus und verhindert ihren Stadtbummel. Wenn sie dann gezwungenermaßen zuhause hocken und nicht mehr raus trauen, ist das sicherlich sehr "integrationsfördernd". Kann man jemanden zur Emanzipation zwingen, in dem man Freiheitsrechte einschränkt?

Sauropode

Ich sehe das nicht als etwas kulturelles, sondern als ein Problem des Kulturrelativismus. Ich erinnere mich, in der Schweiz ist das verboten und auf einmal kamen jene ganz einfach ohne daher. Von Angesicht zu Angesicht.

http://www.nzz.ch/schweiz/burka-verbot-ohne-pardon-1.18652157