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Carl Gustav Jung

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Begonnen von impostor, 24. Mai 2024, 22:30:15

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impostor

Braucht C.G. Jung einen eigenen Wiki-Eintrag? Ich habe Einträge über Psychoanalyse und Traumdeutung gefunden, Jung wird dabei zwar erwähnt, aber das wird seinem esoterischen Grusel eigentlich nicht umfänglich gerecht. Ich habe gerade die Kritik von Heinrich Balmer über Jungs Archetypentheorie offen und das dort gezeichnete Bild erinnert mich mehr an Steiner als an Freud. Das geht über unwissenschaftliches Arbeiten hinaus. Bei Interesse schreib ich da noch mehr zu.

Im Studium war Jung nur eine Randnotiz, aber mir fällt privat auf, dass noch viele Leute damit was seriöses verbinden und mir z.B. Links zu irgendwelchen Hypnosecoaches schicken, die irgendwas über Schatten und Persona erzählen. Daher wäre es vielleicht einen Eintrag wert, auch wenn es kein aktueller Schwurbel ist. Oder wie würden die Fachleute hier das sehen?

Typee

Nach dem wenigen, was ich über C.G.Jung gelernt habe, liegt er auf einer Skala, die bei Freud anfängt und bei Reich aufhört, etwa in der Mitte. Das ist dann auch etwa der Standort der Leute, die sich auf ihn und seine Lehren berufen. Wenn sich jemand die Kompetenz zutraut, etwas dazu zu schreiben, würde ich das unterstützen.
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Peiresc

Verstrahlt genug isser ja. Wo Freud wenigstens noch eine Terminologie benutzt, die an Wissenschaftlichkeit denken lässt (die Bananenschale ohne Banane), dreht Jung ganz frei.

Aber es ist ein mühseliges Geschäft, bei seinem Output, und mir ist nicht völlig klar, wie weit der noch relevant ist. Wenn Du eine grobe Vorstellung dazu hast, wie so ein Lemma aufgebaut werden sollte, dann spricht nichts dagegen.

In Benetka: Die Psychoanalyse der Schüler um Freud. Entwicklungen und Richtungen, Springer Wiesbaden 2017, gibt es einen Abschnitt über seinen Antisemitismus und seine Nazi-Nähe:
ZitatIn seinem im US-amerikanischen Exil zwischen 1938 und 1947 entstandenen Opus magnum Das Prinzip Hoffnung hat Ernst Bloch (1959, S. 65) Carl Gustav Jung einen ,,faschistisch schäumenden Psychoanalytiker" genannt.

Ansonsten haben wir ihn mal kurz gestreift, als es um ,,Karma" ging.
https://forum.psiram.com/index.php?topic=16933.0

Gefährliche Bohnen

Zitat von: Peiresc am 25. Mai 2024, 03:27:49mir ist nicht völlig klar, wie weit der noch relevant ist.

Jordan Petersen fährt total auf Jung und seine Archetypen ab und der hat schon einen gewissen Einfluss, zumindest in einer gewissen Bubble.
"Ich muss an dieser Stelle gestehen: Ich mag Karpfen gar nicht." - Groucho
RIP

impostor

Zitat von: Peiresc am 25. Mai 2024, 03:27:49mir ist nicht völlig klar, wie weit der noch relevant ist.
Eine gewisse Pet Anthony nutzt ihn auch sehr gern in ihren Einlassungen. Auf YT hat sie zumindest 33k Abonnenten. Auf ihrer Homepage gibt sie keinerlei Qualifikationen an und das Impressum ist nicht ordentlich verlinkt. Wahrscheinlich könnte man die Tante dafür fast schon abmahnen.


Die Relevanz würde ich sogar eher darin sehen, dass besonders im künstlerisch gebildeten Umfeld die Vorstellungen von Jung als hochwertige Bildung gelten. Selbst in einem wissenschaftsaffinen Podcast über Filmkritik ist mir das schon untergekommen. Da ist es weniger die Person Jungs, sondern die verstrahlten Konzepte wie Archetypen, kollektives Unbewusstes usw. Solche Leute halten auch Freud für den Begründer der Psychologie und nicht für Folklore. Dementsprechend halten sie auch irgendwelche Schwurbelcoaches für hochwertig.

Auch wenn die meisten Kulturleute Jung in harmlos verwenden, fällt mir dabei die Faszination für die vorgeblichen kosmischen Zusammenhänge auf (Stichwort Karma). Da ist halt schon die Sehnsucht nach einem spirituellen Welterklärmodell mit Determinismus ohne langweilige Evolutionsbiologie. Die Archetypen sind nicht nur hübsche Metaphern, sondern kosmische Kräfte, die sich sozusagen bei uns physisch manifestieren (Hitler = Wotan). Jung sah sich als auserwählten Visionär, der diese Zusammenhänge gechannelt hat. Daher auch meine Assoziation mit Antroposophie, Theosophie usw.

Die Doktorarbeit von Heinrich Balmer über die Archetypentheorie ist umfangreich, daran würde ich mich orientieren, werde mir den anderen Literaturvorschlag aber auch suchen. Karma, Nazis und Antisemitismus kommen darin auch vor. Balmer schwächt die Verbindung ein bisschen ab mit der Begründung, Jung sei dadurch zu seinen Schlüssen gekommen, indem er naiv an die Archetypen als kosmische Kräfte geglaubt habe. Nach diesem Weltbild sind die Menschen nicht verantwortlich, sondern einem kollektiven Wahn unterworfene Organe, die kosmische Ziele ausführen. Das grenzt Balmer ab von einer expliziten persönlichen Parteinahme für das dritte Reich wie bei Heidegger oder Benn.
http://libgen.is/search.php?req=die+archetypentheorie+von+c.+g.+jung+%E2%80%94+Eine+Kritik&lg_topic=libgen&open=0&view=simple&res=25&phrase=1&column=def

ZitatJungs Verhalten während der Hitlerzeit zeigt die große Gefahr, die in seiner Lehre liegt, und der er selbst erlegen ist. Der Archetyp wird quasi wertneutral als Naturereignis aufgefaßt - wo also Archetypisches waltet, waltet die Natur.Dieses Walten der Natur nun hat Jung inAdolf Hitler festgestellt. Ich möchte dazu mit Nachdruck festhalten: ich behaupte keineswegs, Jung habe positiv für den Nationalsozialismus als solchen Stellung genommen; aber er hat in einer grenzenlosen Naivität auf seine Spekulation vertraut, das Ergriffensein der deutschen Massen gehe auf archetypische Ereignisse zurück.

An sich würde es mehr Sinn ergeben, sich auf die Archetypentheorie zu konzentrieren, aber durch das Visionäre ist das ganze Zeug kaum von der Person Jungs zu trennen. Zum Aufbau würde ich mir die Tage noch etwas überlegen.

ZitatVorgreifend habe ich hier schon einige Texte zitiert, deren volle Bedeutung erst dann ganz klar wird, wenn dargestellt worden ist, wie Jung die Archetypen und das ,,kollektive Unbewußte" sieht. Zur vorläufigen Erhellung ziehe ich eine andere Stelle bei:

,,Ist nicht jede Erfahrung, auch im besten Falle, mindestens zur Hälfte subjektive Deutung? Andererseits ist aber auch das Subjekt eine objektive Gegebenheit, ein Stück Welt; und was aus ihm her vorgeht, geht in letzter Linie aus dem Weltgrund hervor ... So sind gerade die subjektivsten Ideen diejenigen, die der Natur am nächsten stehen, daher sie auch die allerwahrsten geheißen werden können."

Die subjektivsten Ideen, Visionen etc. sind mit dem ,,Weltgrund" verbunden. Einerseits seien dadurch die subjektiven Ideen ,,wahr" , da sie aus einem Objektiven hervorgehen. Andererseits bekommt dadurch auch der ,,Schöpfungsakt" eine ganz besondere Würde. Der Seher oder Führer ist nicht Spekulant, sondern der jeweils einzige Mensch, der die ,,Wahrheit" sieht, die in seinem Inneren liegt. Das gibt dem Visionär einen messianischen Zug, eine gnostische Sicherheit.

Typee

Zitat von: Gefährliche Bohnen am 25. Mai 2024, 04:11:56
Zitat von: Peiresc am 25. Mai 2024, 03:27:49mir ist nicht völlig klar, wie weit der noch relevant ist.

Jordan Petersen fährt total auf Jung und seine Archetypen ab und der hat schon einen gewissen Einfluss, zumindest in einer gewissen Bubble.

Auch so einer, an dem man verzweifeln könnte. Wirklich gute Ideen, unsortiert neben wirklich dummem Zeug. Problematisch ist das, weil die Fangemeinde da nicht gerne differenziert. "Peterson" ruft man sich da zu, wie man "C.G.Jung" in den von impostor genannten Kreisen - kulturliebend und ARTE-affin - skandiert. Als wär's eine short hand abstraction. 
The universe is under NO obligation to make sense to us
(Neil deGrasse Tyson)

Gefährliche Bohnen

Zitat von: Typee am 25. Mai 2024, 10:45:05
Zitat von: Gefährliche Bohnen am 25. Mai 2024, 04:11:56
Zitat von: Peiresc am 25. Mai 2024, 03:27:49mir ist nicht völlig klar, wie weit der noch relevant ist.

Jordan Petersen fährt total auf Jung und seine Archetypen ab und der hat schon einen gewissen Einfluss, zumindest in einer gewissen Bubble.

Auch so einer, an dem man verzweifeln könnte. Wirklich gute Ideen, unsortiert neben wirklich dummem Zeug.

Ja. Er kritisiert zu Recht die postmodern-konstruktivistischen Ideengebäude, macht dann aber teilweise das gleiche in grün.
Irgendwann hab ich mal einen Videoclip von ihm gesehen, da sprach er über seine Vorstellung von "Wahrheit", das war genau der gleiche Quatsch wie das, was er kritisiert. Leider habe ich den Clip später nicht mehr wiedergefunden.
"Ich muss an dieser Stelle gestehen: Ich mag Karpfen gar nicht." - Groucho
RIP

eLender

Zitat von: impostor am 24. Mai 2024, 22:30:15Braucht C.G. Jung einen eigenen Wiki-Eintrag?
Das kann ich zwar nicht beurteilen (es sieht aber so aus), finde aber prima, wenn du dazu was machen willst. Ich hatte in der Tat auch schon mal was von Petersen's Faible für Jung gehört. Habe das aber auch nie weiter verfolgt.
Wollte ich nur mal gesagt haben!

Daggi

Es gibt ja schon einen Wikipedia-Artikel:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gustav_Jung

Einziges Hindernis wäre ein ausführlicher WP-Artikel, der auf die oben genannten Fragen ausführlich einginge. Ich schau mal...

Ansonsten freut sich Psiram immer über Autoren/Manuskripte.

eLender

Der WP-Artikel ist ziemlich umfangreich. Da ist sogar eine Kritik vermerkt. Mglw. sollte man sich da tatsächlich auf (einen?) konkrete Punkte konzentrieren. Ich habe mich auch am Begriff "Archetypen" gerieben. Dachte erstmal: eigentlich eine gute Beobachtung, es gibt ja auch das Konzept der kulturellen Universalien. Dann lese ich aber, dass das damit scheinbar nichts zu tun hat. Die Arschetypen 🙄 sollen ja nicht vererbbar sein, was aber evolutionspsychologisch erklärbar wäre (und damit zumind. naturwissenschaftlich plausibel). Bestimmte Ängste (nachts alleine im Wald, ohne Händy) sind ja evolutionär begründbar. Was ich aber bei Jung (via WP) lese, klingt eher nach Steiner.
Wollte ich nur mal gesagt haben!

impostor

Zitat von: eLender am 26. Mai 2024, 22:39:15Der WP-Artikel ist ziemlich umfangreich. Da ist sogar eine Kritik vermerkt. Mglw. sollte man sich da tatsächlich auf (einen?) konkrete Punkte konzentrieren. Ich habe mich auch am Begriff "Archetypen" gerieben. Dachte erstmal: eigentlich eine gute Beobachtung, es gibt ja auch das Konzept der kulturellen Universalien. Dann lese ich aber, dass das damit scheinbar nichts zu tun hat. Die Arschetypen 🙄 sollen ja nicht vererbbar sein, was aber evolutionspsychologisch erklärbar wäre (und damit zumind. naturwissenschaftlich plausibel). Bestimmte Ängste (nachts alleine im Wald, ohne Händy) sind ja evolutionär begründbar. Was ich aber bei Jung (via WP) lese, klingt eher nach Steiner.
Ich finde, die Kritik im WP-Artikel wird relativ oberflächlich und zurückhaltend abgehandelt gegenüber der Ausführlichkeit, wer wann mit wen befreundet, Geliebte oder sonst irgendwas war. Als Laien würde mich doch eigentlich zuerst interessieren, ob das Werk einer Person noch im jeweiligen Fach relevant ist und empirisch Bestand hat. Prinzipiell steckt die Aussage aber im Artikel. Nicht mal in der Tiefenpsychologie ist der inhaltlich noch relevant, nur bei obskuren Nebenkratern und Schwurblern. Nur sein Introversion/Extraversions-Begriffspaar hat sich sprachlich gehalten, wird heute aber auch in der Theorie anders definiert. Bei Themen wie Astrologie, Spiritismus usw. kann man sich auch seinen esoterischen Teil dazu denken. So was könnten Außenstehende aber auch als Jugendsünden interpretieren und annehmen, dass die Arbeit trotzdem fachlich eine Rolle spielt.

Ja, die Ähnlichkeit zu Steiner sehe ich auch. Die Archetypen sind kosmisch wirkende Naturkräfte. Die Schiene über Evolutionsbiologie ist eher der Versuch, Archetypen und kollektives Unbewusstes irgendwie passend zu machen, aber dann kann man die Theorie auch weglassen. Jung wollte nicht, dass das Psychische vom Physikalischen geschluckt wird, es sollte eine eigene Qualität haben. Traditionalisten und Ethnopluralisten fahren auf Jung ab, weil sein gnostischer visionärer Ansatz subjektiv empfundenes zu vermeintlich universalistischen und besonders reinen Wahrheiten adelt (Appell an den gesunden Menschenverstand). Mit unterkomplexen Identitätsbegriffen kann man sich schön kontrolliert die Welt erklären. Mit dem mystischen Determinismus aus den Archetypen als Naturgewalten kann man dann prima Sozialdarwinismus und andere Sein-Sollen-Fehlschlüsse als kosmisch gewollt begründen und sich aus der Verantwortung stehlen (Karma). Der Unterschied zu den postmodernen Identitären ist, dass letztere praktisch auf den universalistischen Objektivitätsbegriff verzichten, die Rechten und Antroposophen geben es vor, ihn zu haben.

Bildungskonservative Deutschlehrertypen wie z.B. Dieter Nuhr bringen seine Konzepte wie das Kollektive Unbewusste ganz gern, weil es sich nach Durchblick anhört. Bei Peterson habe ich ehrlich gesagt schon eher den Eindruck, dass er sich an die philosophische Kritik am Relativismus dranhängt, um salonfähig zu wirken.

Wahrscheinlich komme ich erst am Wochenende ausführlich zum Lesen.

eLender

Ich habe übrigens dummes Zeug geredet 😇 Man sollte Artikel halt nicht zu schnell überfliegen. Jung erklärt die Arschtypen schon halbwegs so, wie man aus evolutionspsychologischer Perspektive bestimmte Verhaltensmuster deutet (etwas allgemein ausgedrückt). Er hält sie für angeboren und vererbbar (den Punkt hatte ich überlesen). Aber seine Folgerungen sind dann sehr esoterisch. Es ist wie immer beim Quack: ein wenig Wahrheit, aber viel Geschwurbel drumherum. Man könnte ihm zugutehalten, dass er auch nur ein Kind seiner Zeit war und er ggf. sogar einen bestimmten Beitrag in seiner Disziplin geleistet hat. Könnte man auch bei Freud so sehen, mit viel gutem Willen.

Problematisch ist das aus heutiger Sicht, wenn man das einfach für ein valides und aktuelles Modell zum Verständnis der menschlichen Psyche hält - und vor allem Konsequenzen und Anwendungen daraus ableitet. Das sind veraltete Denkmodelle, die zu ihrer Zeit vll. modern waren, aber aus heutiger Sicht eher Esoterik sind. Homöopathie galt ja auch mal als fortschrittlich, nichwa 🤥
Wollte ich nur mal gesagt haben!