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Havanna-Syndrom

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Begonnen von Peiresc, 03. Mai 2021, 05:10:51

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Bachblüte

Danke, Peiresc!

Die Idee mit dem vor der Botschaft geparkten Kleinlaster halte ich für abwegig. Letztere haben üblicherweise Karosserien aus Metallblech, die Mikrowellen sehr gut abschirmen. Es müsste also eher eine sehr gut sichtbare Richtantenne auf dem Dach des Fahrzeugs montiert werden. Auch würde ich erwarten, dass Botschaften gut videoüberwacht sind, solche Fahrzeuge sollte man also sofort auf Aufnahmen aus der Vergangenheit entdecken können.

Wegen der Tonaufnahme wäre ich übrigens nach wie vor bereit meine Seele zu verwetten, dass es sich um Insekten handelt (Grillen, vielleicht auch Zikaden). Es dürfte schwierig werden, den "Frey-Effekt" aufzuzeichnen. Im Netz finden sich zwar Aufnahmen, aber bisher konnte ich nirgends eine nachvollziehbare Vorgehensweise finden. Einstrahlungen in die Zuleitungen der Mikrophone u.ä. halte ich also für die wahrscheinlichste Ursache von "Klicks" in solchen Aufnahmen. So oder so: Keine der "Aufnahmen" des Frey-Effekts, die ich gehört habe, erinnert auch nur entfernt an das Grillengezirpe.

Außerdem bleibt beim Bestrahlen von Botschaftern die Frage: Was hat man davon?? 

Peiresc

Inzwischen habe ich den Leserbrief komplett und die Antwort von Verma et al gelesen. Der Brief ist nicht viel länger, der Inhalt oben ausreichend wiedergegeben.

In ihrer Antwort sagen Verma et al:
ZitatPerez and colleagues suggest that the potentially exposed personnel may have had a functional disorder. However, a team of clinical specialists independently examined the patients and found neurological dysfunction2
Das heißt zunächst: Verma et al behaupten nicht, dass ihre eigenen Neuroimaging-Befunde per se geeignet sind, eine organische Genese zu beweisen.

Quelle 2 ist Swanson et al, JAMA 2018
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29450484/
Volltext verfügbar.

Diese Arbeit berichtet über die klinischen Erscheinungen bei 21 Patienten. Es handelt sich um weitgehend subjektive Beschwerden (symptoms, nicht signs). Die Arbeit ist nicht kontrolliert und hat keine morphologischen Substrate aufgedeckt. Sie ist damit ebenso nicht geeignet, eine organische Genese nachzuweisen. Sie erzeugt ein seltsam leeres Gefühl im Magen. Perez et al haben Recht.

Zum Frey-Effekt: der kommt in diesem Kommissionsbericht, der irgendwo verlinkt ist, ausführlich vor. Ich finde den Bericht jetzt nicht so einfach wieder und bin zu faul zum Suchen. Ich erinnere mich, mir die Frage gestellt zu haben, ob irgendjemand so etwas jemals außerhalb eines Labors beobachtet hat – und ob irgendjemand außer Frey den Effekt reproduziert hat (die Quellen waren steinalt). Aber ich versteh' von Biophysik nix, deshalb habe ich diese Bedenken zurückgehalten.

Zitat von: Bachblüte am 20. November 2021, 20:55:38
Außerdem bleibt beim Bestrahlen von Botschaftern die Frage: Was hat man davon?? 
That's the Question.

edit. Zu dem bewussten Kommissionsbericht von 2020. Kurzfassung hier
https://www.nationalacademies.org/news/2020/12/new-report-assesses-illnesses-among-us-government-personnel-and-their-families-at-overseas-embassies

Langfassung hier
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK566407/
PDF, freier Download, 77 S. Frey-Effekt auf S. 19.


sailor

Zum "Warum":

a) Weil man es kann? Manchmal spielen gerade im "Schattenkrieg" keine objektiven Ziele eine Rolle, sondern reine "Vergeltungs- und Terrormaßnahmen". Die CIA und andere US-Dienste sind da ja auch nicht wirklich unschuldig dran (diverseste "Planspiele" zur Schädigung der Gegenseite, gerade Kuba war dort beliebtes Plangebiet).

b) Destabilisierung der Aussenvertretungen der USA. Das ist insofern ein relevantes Ziel, da Botschaften immer eine Hauptrolle bei der Beschaffung und Verbreitung von Informationen spielen. Dazu kommt die Einflussnahme der Botschaften auf staatliche Institutionen im Land und die Rolle für Visa/Auswanderung, sowie kulturelle Einflüsse. Eine dysfunktionale Botschaft bedeutet signifikant weniger Einfluss, selbst in einem "feindlichen Land" wie Kuba. Dazu kommt, dass gerade in Kuba die Unzufriedenheit der Bevölkerung in der Führung auf "bezahlte amerikanische Provokateure" geschoben wird. Den Betonkopfkommies dort traue ich zu, dass sie ihre eigene Propaganda glauben^^

Zur Studie: Wäre die Wahl der Kontrollgruppe aus Patienten mit psychisch/neurologischen Erkrankungen nicht kontraindiziert und würde einen Bias mitbringen? Eher sollte man eine Kontrollgruppe nehmen, die entweder "total" gesund ist oder eine ähnliche Belastung aufweist, die Symptome aber nicht in dem Maß zeigt (Soldaten in Übersee, Niederlassungspersonal von amerikanischen Unternehmen, Personal anderer Botschaften).

Peiresc

Zitat von: sailor am 21. November 2021, 13:43:43
Zur Studie: Wäre die Wahl der Kontrollgruppe aus Patienten mit psychisch/neurologischen Erkrankungen nicht kontraindiziert und würde einen Bias mitbringen? Eher sollte man eine Kontrollgruppe nehmen, die entweder "total" gesund ist oder eine ähnliche Belastung aufweist, die Symptome aber nicht in dem Maß zeigt (Soldaten in Übersee, Niederlassungspersonal von amerikanischen Unternehmen, Personal anderer Botschaften).

Idealerweise unterscheidet sich die Kontrollgruppe nur in einer einzigen Variablen von der Zielgruppe: in derjenigen, die man untersuchen will.

Die Frage ist, welche Hypothese man mit der Studie prüfen will. Wenn ich nachweisen will, dass eine spezifische Hirnveränderung Substrat für diese unspezifischen Symptome (Konzentrationsstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlafstörung usw.) ist, dann muss ich eine Kontrollgruppe haben, die eben diese Symptome aufweist, aber anerkanntermaßen keine organische Ursache dafür hat oder wenigstens nicht in der Botschaft gedient hat. Es könnte sein, dass diese Gruppe mit schlichter Angst- oder depressiver Störung genau die gleichen strukturellen Hirnveränderungen hat wie die Havanna-Kranken.

Das wollten Verma & Co. aber nicht wissen. Statt dessen haben sie sich für diese Frage auf die völlig unzureichende Studie von Swanson et al berufen.

sailor

Ah ok, danke. Es ging dabei also um eine konkrete physiologische Frage/Vergleich und weniger um die kausale Ursachenforschung für ein "Botschaftssyndrom".

Peiresc

Zitat von: sailor am 21. November 2021, 16:15:23
kausale Ursachenforschung für ein "Botschaftssyndrom".

Wenn man nach Ursachen forscht, dann muss man zunächst, oder zugleich, das Syndrom charakterisieren und von klinisch ähnlichen Syndromen abgrenzen, sonst hat man keine Chance.

Peiresc

Ich will nochmal versuchen, das ein wenig zu verdeutlichen, obwohl ich nicht sicher bin, dass es mir gelingt.

Perez et al wenden ein:
ZitatWith regard to the neuroimaging findings, the study hypotheses were nonspecific
Das stimmt (zunächst). In der Hypothesen-Sektion von Material und Methode schreiben Verma et al:
ZitatIn brain volumeanalysis, the hypothesis was that there would be differences between patients and controls in overall white and gray matter volume, as well as regional differences in these measures.
Das ist keine spezifische Fragestellung, sondern Schrotschussdiagnostik: wir machen mal ein Scan und gucken, was rauskommt.

Allerdings schreiben sie weiter unten:
ZitatIn functional connectivity analysis, based on the observed persistent neurological symptoms and signs, the primary hypothesis was that there would be a difference within the auditory, visuospatial, or executive control subnetworks of patients compared with controls
Das klingt schon spezifischer. Aber:
1) wenn ich paranoid bin, dann sage ich: das ist eine post-hoc-Hypothese, erfunden, nachdem die Ergebnisse da waren (wenn das auch kein Einwand ist, den man offiziell vorbringen kann).
2) Die  richtige Kontrollgruppe für diese Hypothese sind Patienten z. B. mit einem phobischen Schwankschwindel; d.h. Patienten, die ohne Feindeinwirkung zu ihren Beschwerden gekommen sind.

HAL9000

Zitat von: Peiresc am 21. November 2021, 22:37:51... Schrotschussdiagnostik:
[..]
1) wenn ich paranoid bin, dann sage ich: das ist eine post-hoc-Hypothese...
Texanischer Scharfschütze?
Denen das nachzuweisen, wird wohl schwierig, auch wenn sie diese Hypothese nicht vorher schon dokumentiert haben.

Peiresc

Zitat von: HAL9000 am 21. November 2021, 22:59:54
Denen das nachzuweisen, wird wohl schwierig, auch wenn sie diese Hypothese nicht vorher schon dokumentiert haben.
Völlig richtig. Bei größeren prospektiven Untersuchungen ist es inzwischen üblich, vorher den Untersuchungsplan zu veröffentlichen, aber hier handelt es sich nur teilweise um eine prospektive Untersuchung.

Peiresc

Btw, anlasslos und aus keinem spezifischen Grund. Heute grad gesehen: es gibt in WP eine liebevoll gepflegte Liste über Massenhysterien. An denen ist auch im 21. Jhd. kein Mangel.

https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_mass_hysteria_cases#2000%E2%88%92present

sailor

Auffallend ist an der Liste: Entwicklungs- und Schwellenländer... und die USA^^ (ok, einmal Portugal fällt da raus).


Bachblüte

Zitat von: Daggi am 20. Januar 2022, 09:48:30
https://www.nbcnews.com/politics/national-security/cia-says-havana-syndrome-not-result-sustained-global-campaign-hostile-rcna12838?cid=sm_npd_nn_tw_ma

Zitat von: nbcnews.com"We have reason to believe the interim report does not even represent the consensus of the full CIA," said the group Advocacy for Victims of Havana Syndrome, "instead reflecting the views of a subset of officials most interested in resolution and closure."

Na, das ist doch mal ein hervorragender Ansatzpunkt für eine solide, neue Verschwörungstheorie.  ::)

HAL9000

Zitat von: Bachblüte am 20. Januar 2022, 15:27:39... Na, das ist doch mal ein hervorragender Ansatzpunkt für eine solide, neue Verschwörungstheorie.  ::)
Da der Anwalt natürlich daran interessiert ist, seine Opfer möglichst lange zu vertreten , sieht er einfach seine Felle davonschwimmen,
sollte (abschließend) festgestellt werden, dass das kein Angriff, sondern einfach eine Massenpsychose ist. Dann baut man halt vor und
unterstellt den Gutachtern zur Sicherheit Voreingenommenheit.