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Der Kern verschwörungstheoretischen Denkens - wie kommt er zustande?

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Begonnen von Yadgar, 16. April 2021, 16:10:53

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Yadgar

Hi(gh)!

Egal, welche Verschwörungstheorien man auch untersucht: letzten Endes kann man sie alle auf eine Kernbehauptung herunterbrechen.
Diese lautet: Die Herrschenden (egal ob jetzt die offziellen gemeint sind oder irgendwelche geheimen Kräfte im Hintergrund) sind durch und durch BÖSE. Bei den Herrschenden handelt es sich um gewissenlose, sadistische Psychopathen, deren ganzes Handeln darauf zieht, Menschen Leid zuzufügen, und zwar als Selbstzweck (ein Bekannter von mir schon in den 1990ern: "das ist für die geiler als Sex!"), wie z. B. in Orwells "1984" geschildert.

Alles Handeln von Herrschenden wird, so der Grundton des Verschwörungsdenkens, letzten Endes darauf hinauslaufen, die Welt in eine einzige niemals mehr endende KZ-Hölle zu verwandeln. Auschwitz für alle, Auschwitz für immer - auch wenn der typische Verschwörungsfreak mit Rechtsdrall das eher nicht so nennen würde, die Nazis waren schließlich die Guten(tm) und der Holocaust nur eine Erfindung(tm)...

Als jemand, der selbst durchaus anfällig ist für solche Horror-Phantasien frage ich mich: warum denken Menschen so? Was ist da irgendwann in Kindheit oder Jugend schief gelaufen?

Bis bald im Khyberspace!

Yadgar
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Konrad Husten

Da gabs doch dieses neue Buch, von vor nicht all zu langer Zeit veröffentlicht. Pia Lamberti und Katharina Noncun, sind die Autoren, wenn ich mich nicht irre. Habs nicht selber gelesen. Soll die Problematik aber gut zusammen fassen.
Wäre vielleicht mal einen Blick wert.

Gute Frage, übrigens. Das interessiert mich auch schon eine Weile. Ich warte aber lieber noch mal ab, bevor ich meinen Laien-haften Senf dazu gebe.
Propellermütze aufgesetzt, Konfetti-Geschütz geladen!

celsus

Das kleine Büchlein von Bernd Harder über Verschwörungstheorien schadet auch nicht. Das gibt einen schnellen, leichten Überblick, wie solche Wahrnehmungen entstehen. Eine Patentlösung, was man dagegen unternehmen kann, ist natürlich nicht enthalten.

https://blog.psiram.com/2018/11/angelesen-verschwoerungstheorien-von-bernd-harder/

Die Grundfrage, was bei solchen Leuten schief gelaufen ist, beschäftigt mich auch seit Jahrzehnten und ich muss zugeben, dass mir nur eine theoretische Annäherung möglich ist. Reinfühlen kann ich mich da nicht so richtig.
The best thing about science is that it works - even if you don't believe in it.


Yadgar

Hi(gh)!

Zitat von: celsus am 16. April 2021, 18:11:31
Das kleine Büchlein von Bernd Harder über Verschwörungstheorien schadet auch nicht. Das gibt einen schnellen, leichten Überblick, wie solche Wahrnehmungen entstehen. Eine Patentlösung, was man dagegen unternehmen kann, ist natürlich nicht enthalten.

https://blog.psiram.com/2018/11/angelesen-verschwoerungstheorien-von-bernd-harder/

Die Grundfrage, was bei solchen Leuten schief gelaufen ist, beschäftigt mich auch seit Jahrzehnten und ich muss zugeben, dass mir nur eine theoretische Annäherung möglich ist. Reinfühlen kann ich mich da nicht so richtig.

Nun ja, ich habe selbst seit früher Kindheit das Schwarzsehen gelernt... als Jugendlicher bekam ich öfters von meiner Mutter zu hören "Das nimmt mal ein ganz böses Ende mit dir!", und entsprechend gehe ich immer vom Schlimmsten überhaupt aus: als 1993 über den "Großen Lauschangriff" debattiert wurde, ging ich ernsthaft davon aus, dass meine Wohnung verwanzt würde, weil ich mich einmal in der Öffentlichkeit zum Besitz von "Raub"kopien bekannt hatte, nach dem 11. September 2001 rechnete ich mit dem Dritten Weltkrieg, bei der Einführung der Hartz-Gesetze 2005 sah ich mich schon langsam verhungernd in einem geschlossenen Lager für Arbeitslose, der Aufstieg der AfD in den Zehnerjahren führte in meinen Augen geradewegs in einen faschistischen Alptraumstaat, und jetzt mit den Corona-Ausgangssperren (Ausgangssperren! So etwas kennt man nur aus Kriegsgebieten und Diktaturen, so etwas hat es in über 70 Jahren BRD-Geschichte nie jemals gegeben! Was kommt als Nächstes?) sehe ich am Horizont wieder mal die Krematorien von Neu-Auschwitz rauchen, um es (nur leicht) überspitzt auszudrücken...

...es gibt da einen paranoiden 70er/80er-Jahre-Anarcho in mir, der in jeder Form staatlicher Herrschaft nur eine Form oder allenfalls eine Vorstufe zum Faschismus sieht, mit organisiertem Massenmord als letztem Ziel allen staatlichen Handelns... ich glaube, das kriegt man nicht aus mir raus, es sei denn, durch eine Gehirnwäsche, wie sie Winston Smith im dritten Teil von "1984" erleidet! Übrigens ein Buch, das mich geprägt hat wie kein anderes, seit ich es 1987 zum ersten Mal las...

Bis bald im Khyberspace!

Yadgar
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sailor

Ich sehe die Ursache für die ganze Soße darin, dass diese Menschen nicht mit den Veränderungen in der Gesellschaft und den Reaktionen der Akteure (egal ob staatlich oder nicht staatlich) klarkommen.

Ein sehr gutes Beispiel ist 9/11. Hier war/ist vielen Menschen nicht bewusst (oder sie wollen es nicht wahrhaben), dass die Welt vernetzter und mobiler ist. Ausserdem ist es ein Widerspruch zu Stereotypen und Vorurteilen (Die Kameltreiber können doch gar keine Flugzeuge fliegen!). Die Folge ist dann, nach anderen Verantwortlichen zu suchen, möglichst solche, die Fähigkeiten/Fertigkeiten und Mittel dafür haben... das Motiv wird dann dazugedichtet. Dort greift dann der "Vorteil" selektiver Informationsnutzung im Zeitalter des Informationsüberflusses sowie der Existenz paralleler Verschwörungserzählungen. Die Erzählungen bestätigen das Motiv gegenseitig und werden durch Cherrypicking ("Aber die Negersklaven in den USA.... aber die Iran-Contra-Affäre.... aber der Vietnamkrieg/Tonkin-Zwischenfall....") "bewiesen.

Kurz: Es geht um die Simplifizierung komplexer Ereignisse, um das Finden eines/weniger Sündenböcke UND um die absolute Dämonisierung dieser "Schuldigen", damit man sich da absolut abgrenzen kann (in-group/out-group). Man will sich als Gruppe moralisch herausheben, überhöhen, um zumindest 10 min während des youtube guckens dem elenden Leben zu entfliehen.

Juliette

Vielleicht kommen auch noch ein paar ganz praktische Sachen dazu:

1) Die Ansteckungsgefahr durch Familie oder enge Freunde (um im Coronaduktus zu bleiben), denen man ziemlich blind vertraut, weil man sie gut kennt. Deswegen bilden sich wahrscheinlich auch bei Verschwörungserzählungen regional größere Cluster heraus. Auch Prominente, die Quatsch verbreiten wirken so, wie die Werbung überall, von der alle behaupten, dass sie dadurch nicht beeinflusst werden - obwohl man längst weiß, dass das nicht stimmt.

2) Dass die meisten Leute in der Schule kritisches Denken nicht lernen und wie man herausbekommen kann, ob irgendwelche Sachen Fakenews und Lügen sind, oder nicht. Und dass sie kaum vermittelt kriegen, dass Lernen auch Spaß machen kann. Der Mensch ist anscheinend in der Hinsicht ziemlich faul, das sieht man ja auch bei Auslandsaufenthalten: Solange jemand dabei ist, der übersetzen kann, strengt man sich selbst nicht mehr so richtig an. Und auch das Gegenüber strengt sich nicht mehr an. Oder wenn man die Smartphonenutzung ansieht: Fast jeder will nur das wissen, was er unbedingt selbst braucht. Ab einem gewissen Alter wartet man bei jedem Problem lieber auf andere Leute, die sich besser auskennen, statt zu versuchen, selbst Lösungen für Probleme zu finden. 

3) Ich glaube, in weiten Teilen der Bevölkerung herrscht eine völlig undifferenzierte dumpfe Grundstimmung vor, dass die Natur immer gut ist, dass Chemie immer Scheiße ist, dass Politiker immer korrupt oder unfähig sind und vieles andere mehr. Jeder, der die Welt gerne ein bisschen gerechter hätte, gerät da leicht in Gefahr, Populisten und Verschwörungsgläubigen aufzusitzen. Es sind ja nicht dumme Leute, die so werden, sondern sie sind ein paar mal irgendwo falsch abgebogen. Es ist wie mit der Korruption: Es beginnt mit einem Kugelschreiber oder einem kleinen Gefallen und endet mit Millionenbeträgen, wenn sich die Möglichkeit bietet. Man gewöhnt sich dran und hält es für normal, wie die Coronatoten inzwischen. Am Anfang würde fast jeder auf ein plötzliches hohes Bestechungsangebot antworten: "Was, ich bin doch nicht käuflich!" Und die heutigen Coronazahlen hätten letztes Jahr noch für heftige Reaktionen gesorgt, statt für Lockerungsdiskussionen. Genauso fangen die Verschwörungsgläubigen wahrscheinlich mit ganz kleinen Dingen an.

sailor

Zu 1) Da bin ich mir nicht sicher, es gibt auch viele Fälle, in denen sich die Familien und Freunde abwenden. Die "In-Gruppe" existiert heute mehr virtuell, der Stammtisch ist tot. Damit braucht der VTler auch sein reales Umfeld nicht mehr. Mein Onkel ist so einer, der wird von der ganzen Familie ignoriert.

2) Es geht nicht um "kritisches Denken", genau das tun die VTler ja nach eigener Aussage. Das Problem ist Quellenkritik, sprich die Fähigkeit, Informationen einordnen zu können. Das ist nicht einfach und kann bildungsseitig erst ab der 7./8. Klasse erfolgen, wenn eine sprachliche und Faktenbasis gelegt wurde.

3) Das Naturbild und die grundsätzlich Kritik ggü. staatlichen Stellen ist eher eine Sache des Mittelstandes. Undifferenziert ist dies nur im Bezug auf Fakten, es hat viel mit Emotionalität und "Gefühl" zu tun. Es gab hier ja mal den Link zu der Studie über Corona-Leugner in der Schweiz, die eher aus akademischen Kreisen kamen. Der Ansatzpunkt ist das Versprechen von "geheimen Wissen", das Bewusstsein die WAHRHEIT (TM) zu kennen und diese Wahrheit ist singulär und "einfach". Diese Wahrheiten bestätigen dann in der Regel auch noch vorhandene Stereotypen. Corona und die ganze Bill-Gates-Sache passt hervorragend in antiamerikanische, antikapitalistische Stereotypen. Dazu kommt PHARMAMAFIA!!!! und der ganze Eso-Kram. Insofern ist Corona VT in a nutshell.

Konrad Husten

Komplexitäts Reduktion und Selbstwirksamkeitssuche bzw. Selbstaufwertung. Dazu kommen kognitive verzerrungs Mechanismen.
Wichtig ist ja auch, dass sie ihren aktuellen Hirnfurz glauben WOLLEN. Sie sind ja schon Skeptisch, nur aber eben nicht bei ihrer tollen Story, sondern bei evidenteren und differenzierteren Erklärungsansätzen. Dunning und Kruger lassen ebenfalls grüßen ;)

Spannend, soll es sein. Und es muss mich und mein Weltbild aufwerten. Kritisches Denken stört dabei nur.
Wir lieben Geschichten. Unser Alltag ist voll davon. Auch in den Nachrichten, die wir konsumieren, wird darauf aufgebaut. Beispielsweise werden Informationen gerne dramatisch Aufgebauscht. Das steigert die Konsumierbarkeit und damit die Auflage. Die nötige Zurückhaltung, um diesen Selbsttäuschungen nicht zu unterliegen, hat nicht jeder und muss sich auch erst mal entwickeln.

Dann wollen wir unser Umfeld auch gerne beeinflussen. Es sollen schon gerne alle merken, was ich für tolle Sachen weiß und womit ich mich so alles spannendes beschäftige. Es ist im Kern also immer auch eine Form der Selbstaufwertung. Nur, geht es uns allen so. Das kann man den Verschwörungseumeln also nicht allein vorwerfen.

Extremisten und Dogmatiker verrennen sich halt nachhaltiger als andere.
https://www.livescience.com/extremist-psychological-traits.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Verzerrung
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_kognitiver_Verzerrungen

Das Buch von dem ich im vorrangegangenen Post geschrieben habe:
https://www.luebbe.de/quadriga/buecher/gesellschaft/fake-facts/id_7818123

https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstaufwertung
https://www.psychomeda.de/lexikon/selbstwirksamkeit.html
Propellermütze aufgesetzt, Konfetti-Geschütz geladen!

einstein

Alles begann vor 2000 Jahren

Eine Philosophie kam in die Welt. Dreihundert Jahre später erkennen die Herrscher des Römischen Reiches, dass sich mit der Unterwürfigkeit dieser Philosophie ihr Volk leichter lenken lässt. Deshalb wird sie am 27. März 380 zur Staatsreligion erhoben, ungeachtet dessen, dass eine Religion mit Zeremonien und Ritualen der ursprünglichen Philosophie widerspricht. Später wird man diese Religion Christentum nennen.
.
Symbolisches Startkapital ihrer Staatsreligion:  1  Euro.

Die Unterwürfigkeit ist auch die Garantie dafür, dass es in Folge niemand wagen wird, dieses in Zukunft ständig wachsende Kapital anzurühren. Und gegen die Ungläubigen wird aufgerüstet. Heute mehr denn je (Militärbündnis). Die Ungläubigen rüsten ebenfalls auf. Notwehr ist das bei denen.

Wie groß ist das Kapital bis heute angewachsen und wem gehört es überhaupt?

Der Totenkult des Imperialismus

Peiresc

Zitat von: einstein am 13. Mai 2022, 17:07:07Wie groß ist das Kapital bis heute angewachsen und wem gehört es überhaupt?

Der Totenkult des Imperialismus (https://dumm-gelaufen.at/)

 :gaehn:

Hast Du denn schon ganz vergessen, dass Du uns mit dem Schmonzes schon mal ausführlich gelangweilt hast?
https://forum.psiram.com/index.php?topic=17053.0

Yadgar

Hi(gh)!

Zitat von: sailor am 17. April 2021, 09:15:16Kurz: Es geht um die Simplifizierung komplexer Ereignisse, um das Finden eines/weniger Sündenböcke UND um die absolute Dämonisierung dieser "Schuldigen", damit man sich da absolut abgrenzen kann (in-group/out-group). Man will sich als Gruppe moralisch herausheben, überhöhen, um zumindest 10 min während des youtube guckens dem elenden Leben zu entfliehen.

Und warum ist das Leben so elend? War es das immer schon? Wird es immer elender? Gab es einmal Zeiten, wo es weniger elend als heute war? Oder redet, denkt, liest oder schreibt sich der typische Internet-Insasse es sich elend? Ist es in Wirklichkeit so super wie noch nie? Trotz allgegenwärtiger Kriege, trotz Klimakatastrophe, trotz Faschismus 2.0?

Bis bald im Khyberspace!

Yadgar
ENTEIGNET SPRINGER!

Schwuppdiwupp

Zitat von: Yadgar am 07. November 2024, 08:09:09Und warum ist das Leben so elend? War es das immer schon?

Ja. Man denke nur an die Hexen- und Judenverfolgung.


Zitat von: Yadgar am 07. November 2024, 08:09:09Wird es immer elender?

In diesem Forum auf jeden Fall! ;) :teufel :rofl

Ach, was weiß denn ich ...