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Genetik und Menschen

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Begonnen von Scipio, 23. April 2018, 06:45:25

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Scipio

Hi ich habe gerade folgenden Artikel in der NZZ gelesen:

https://www.nzz.ch/feuilleton/der-genetiker-david-reich-loest-in-den-usa-einen-intellektuellen-streit-ueber-erbgut-und-rassen-aus-ld.1378433

Könnt ihr mir erklären, was da an dem was Herr Reich behauptet dran ist?

eLender

Wolfgang Nellen (hat auch bei uns schon mal geschreibselt) beschäftigt sich mit dem (erweiterten) genetischen Fingerabdruck und warum es ggf. auch mal nicht so toll ist, wenn nicht sein kann, was nicht sein darf:

ZitatDie Phänotypisierung beruht im Prinzip auf einem erweiterten ,,genetischen Fingerabdruck". Die ursprünglich von Alec Jeffries entwickelte Methode lieferte tatsächlich nur einen sehr einfachen Strich-Code. Damit konnten Verwandschaftsverhältniss geklärt werden und im direkten Vergleich konnte festgestellt werden, ob zwei Proben von der selben Person stammen. Eine Aussagen über körperliche Eigenschaften eines Individuums oder den Phänotyp (das Aussehen) waren nicht möglich.
Mit den heutigen Methoden kann man jedoch mühelos mehr als 1 Mio Orte auf der DNA vergleichen und bei Bedarf das ganze Genom sequenzieren. Daraus können zunehmend mit gewisser Wahrscheinlichkeit (!) sowohl phänotypische Merkmale als auch die ethnographische Herkunft abgeleitet werden
https://www.biowisskomm.de/2022/11/phantombilder-aus-dna-analyse/

Habe mal den Stein des Anstoßes gefettet. Man kann also feststellen, aus welcher "Ethnie" jemand stammt. Wenn man Ethnie mit Rasse assoziiert (das Thema ist ganz heikel, vor allem dann, wenn man damit gleichzeitig Rassenwahn denkt und meint) ist man schnell bei Tabus. Es gibt auch von biologischer (ich nehme mal an: nicht ideologischer Seite) Überlegungen, den Begriff nicht nur abzulehnen. Die Links kann ich ggf. mal raussuchen. Tabus können dann auch Konsequenzen haben:

ZitatIn Deutschland ist die Nutzung von Markern zur Phänotypisierung und zur ethnographischen Herkunft weitgehend verboten. Zu groß ist die Angst vor rassistischen Vorwürfen. Nur neutrale genetische Marker, die keine Aussage zum Aussehen erlauben, dürfen verwendet werden. Diese können nur zu einem Ergebnis führen, wenn es einen ,,Treffer" in der Datenbank gibt oder die DNA mit der eines Verdächtigen übereinstimmt. Eher verlässt man sich auf dubiose Zeugenaussagen (der Täter hatte ein ,,europäisches" oder ein ,,südländisches" Aussehen – was auch immer das bedeutet). Oder man nutzt sachdienliche Hinweise wie ,,der Täter trug eine schwarze Hose".

Lieber windet man sich raus, als die Möglichkeiten zu nutzen. Natürlich ist das auch heikel, wer möchte schon alleine anhand seiner DNA "rekonstruiert" werden? Finde das Dilemma!

(Es gibt doch irgendeinen SciFi-Film, wo der Täter komplett anhand seiner DNA rekonstruiert (d.h. neu geboren) wird, um ihn dann zu verurteilen. Weil man den echten Täter halt ned in die Finger bekommen kann, ey. K.A. wo ich das mal gesehen habe. Aber sicherlich wird man das als mahnendes Beispiel irgendwo zitieren, so absurd das ist.)
Wollte ich nur mal gesagt haben!

Daggi

Den Begriff der menschlichen Rasse hat man aufgegeben. Was nicht heissen soll, dass es keine Möglichkeiten gibt aus "genetischem Material" auf die ethnische Herkunft zu schliessen. Es gibt auch die Möglichkeit (wo es erlaubt ist) in Kriminalfällen beim Auffinden von genetischem Material auf die Herkunft und auch das Aussehen zu schliessen. Und das hat in der Vergangenheit funktioniert bestimmte Täter quasi auszusortieren und andere einzusortieren. 

eLender

Das Ganze wird dann zum Problem, wenn man es problematisiert ( ::) ), d.h. wenn ich "ethnische Herkunft" als genauso problematisch einstufe, wie "Rasse". Darum geht es.
Wollte ich nur mal gesagt haben!

Scipio 2.0

Ob du da nun ethnische Herkunft oder Rasse als Begriff drauf pinselst ist zweitrangig. Im Kern geht es darum das menschliche Population genetische Unterschiede aufweisen. Das ist ja an sich das was man aus evolutionärer Sicht erwarten würde.

Die Sache wird dadurch problematisch, das es offenbar ein sehr kleiner gedanklicher Schritt ist, auf Basis dieser Unterschiede Wertigkeiten zu vergeben und eine entsprechende Auswahl von höherwertig vor niederwertig auszurufen, mit bekannten Folgen.

Wie man damit jetzt genau umgehen soll weiß ich leider auch nicht.

Peiresc

Zitat von: Scipio 2.0 am 22. November 2022, 14:11:18Im Kern geht es darum das menschliche Population genetische Unterschiede aufweisen.
Ich verstehe nicht, was du meinst. Jeder Mensch ist von jedem anderen genetisch verschieden. Das taugt i. allg. zu genau gar nichts, außer bei der Diagnostik genetischer Erkrankungen.

Max P

Zitat von: Peiresc am 22. November 2022, 14:35:21
Zitat von: Scipio 2.0 am 22. November 2022, 14:11:18Im Kern geht es darum das menschliche Population genetische Unterschiede aufweisen.
Ich verstehe nicht, was du meinst. Jeder Mensch ist von jedem anderen genetisch verschieden. Das taugt i. allg. zu genau gar nichts, außer bei der Diagnostik genetischer Erkrankungen.

Körperliche Eigenheiten wie Hautpigmentierung, Haarfarbe und -struktur, Augenfalte bei Asiaten etc. sind großräumig auftretende Merkmale in der äußeren Erscheinung, an denen der herkömmliche Rassenbegriff ja meist festgemacht wird. Tatsächlich ist das natürlich willkürlich. Man könnte auch irgendwelche physiologischen Unterschiede zur Definition von "Rassen" heranziehen, z.B. die Fähigkeit, als Erwachsener Milchzucker verdauen oder nicht verdauen zu können. Es gäbe demzufolge eine "Milchrasse" und eine "Antimilchrasse". (Die statistische Verteilung von Lactosetoleranz bzw. -intoleranz deckt sich wahrscheinlich global gesehen sogar teilweise mit den herkömmlichen Rassenunterscheidungen, aber eben nur teilweise.) Die einzige Schwierigkeit dabei wäre, dass die jeweilige Rassenzugehörigkeit nicht sofort sichtbar, sondern nur durch aufwändige Tests feststellbar wäre. Dito beliebige andere physiologische Eigenheiten, die in diversen Populationen vorherrschen können.

In jedem Fall ist das Auftreten solcher Unterschiede, ob nun Hautfarbe oder Laktosetoleranz, wohl evolutionsbiologisch interessant, aber ansonsten banal und postuliert objektiv keine "Rassen" im Sinne irgendwelcher Rassentheorien.

eLender

Zitat von: Scipio 2.0 am 22. November 2022, 14:11:18Die Sache wird dadurch problematisch, das es offenbar ein sehr kleiner gedanklicher Schritt ist, auf Basis dieser Unterschiede Wertigkeiten zu vergeben und eine entsprechende Auswahl von höherwertig vor niederwertig auszurufen, mit bekannten Folgen.

Ist aber kein notwendiger Schritt und bestimmt nicht aus der einer objektiven Perspektive ableitbar. Solche Vorstellungen waren früher verbreitet, nicht nur bei den Nazis. Auch Rudolf Steiner mit seiner Lehre war so ein Vertreter, das tradieren die Anthroposophen bis heute weiter. Und sie stört es auch nicht weiter.
Wollte ich nur mal gesagt haben!


eLender

Zitat von: RPGNo1 am 23. November 2022, 07:43:15Cornelius Courts hat zu diesem Thema (im Rahmen seines Fachgebiets) Artikel verfasst.
Das ist natürlich der Spezialist für das Gebiet. Er schreibt im ersten Link:

ZitatDann entwickelten sie ein statistisches Modell, um den Einfluss von Genen, Geschlecht und Morphotyp (also europäisch vs. afrikanisch etc.) auf die Lage dieser Punkte und damit die Gesamtform des Gesichts einschätzen zu können.

Ich denke, das meint das gleiche wie Ethnie. Wahrscheinlich wollten es die Autoren vermeiden, das Wort "Rasse" zu verwenden. Weiter unten heißt es, man habe den Einfluss des Morphotypen (und den des Geschlechts) herausgerechnet, um nur ganz spezielle Gene, die das Gesicht "prägen", zu finden. Man möge sich selber denken, was das heißt.
Wollte ich nur mal gesagt haben!

eLender

So, jetzt habe ich den Artikel, den ich gedanklich schon frei zitiert habe, gefunden. Er stammt von Jerry Coyne (why evolution ist true), von dem zur Genderdebatte schon sehr gute Bemerkungen (insb. zur Biologie) gekommen sind.

Er schreibt öfters mal über das Problem mit dem Begriff Rasse. Hier ein sehr guter Beitrag dazu. Ich zitiere mal ein Highlight:

ZitatThere I cited the 2002 paper of Rosenberg et al. reporting that "one can show by using data from many genes and gene sites, and clustering algorithms, that humanity can be shown to form genetic clusters that correspond to geography (different continents or subcontinents), which of course correspond to evolutionary history." As I also said then,...
https://whyevolutionistrue.com/2022/07/19/once-again-are-races-social-constructs-without-scientific-or-biological-meaning/

Man weiß das schon länger und es ist evolutionsbiologisch auch beinahe zwingend, dass die genetische Drift (auch) ein geographischer Prozess ist. Man findet, wenn man sich eine Vielzahl genetischer Variationen ansieht und diese statistisch auswertet, dass man Cluster (mit der Clusteranalyse werden Cluster identifiziert, die auch eine hierarchische Struktur haben (können)) findet, die mit geographischen Regionen korrelieren. Man muss gar nicht irgend etwas definieren, man sieht es schon in der Struktur der Daten.

Es gibt bei Ethnien (man kann den Begriff mit Rasse gleichsetzen und hat das auch gemacht, aber weil der Begriff missbraucht wurde, verwendet man heute andere Begriffe) auch eine Selbstzuschreibung, die sehr eng mit genetischen Merkmalen verknüpft ist und die einen (ggf. historischen) geographischen Ursprung verrät. Deshalb ist das auch forensisch interessant.

Die Ethnie ist also kein (rein) soziales Konstrukt, so wie es die postmoderne Perspektive heute verkaufen will. Auch die Selbstzuweisung zu einer Ethnie korreliert mit genetischen Merkmalen, wie zigfach wissenschaftlich belegt ist. Es ist ein wenig wie mit dem Genderschwurb: objektiv und ohne eine nötige Bewertung gibt es biologische Einteilungen. Die Selbstzuschreibung kann abweichen, aber der biologische Unterbau ist nicht verhandelbar (um mal ein Wort aus dem postmodernen Sprech zu verwenden). Das zeigt Coyn sehr schön.

ZitatJust remember this: when you hear that human race/ethnicity is a purely social construct, and doesn't say anything about biology or evolution, that's just wrong.

Wer sich mal genetisch Dekonstruieren lassen will, kann das mittlerweile recht günstig tun. Sein Genom sequenzieren und auswerten zu lassen, bekommt man schon für knapp 80 Dollaten im Sonderangebot. Schönes Weihnachtsgeschenk* (das ich mir vll. mal selbst gönne, Datenschutz mal ausgeblendet).

ZitatFind out what your DNA says about you and your family.
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https://www.23andme.com/en-int/

* Hinweis auf schwere Erbkrankheiten und Krebswahrscheinlichkeiten könnten allerdings die fröhliche Stimmung trüben
Wollte ich nur mal gesagt haben!

Gefährliche Bohnen

Zitat von: eLender am 26. November 2022, 23:24:21Wer sich mal genetisch Dekonstruieren lassen will, kann das mittlerweile recht günstig tun. Sein Genom sequenzieren und auswerten zu lassen, bekommt man schon für knapp 80 Dollaten im Sonderangebot. Schönes Weihnachtsgeschenk* (das ich mir vll. mal selbst gönne, Datenschutz mal ausgeblendet).

ZitatFind out what your DNA says about you and your family.
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* Hinweis auf schwere Erbkrankheiten und Krebswahrscheinlichkeiten könnten allerdings die fröhliche Stimmung trüben
(Hervorhebung von mir)

Ich entschuldige mich im Voraus für mangelnden Restverstand, falls mein Flachsometer schon wieder kaputt ist, aber darf ich fragen, was du dir davon versprechen würdest?

Mein Fazit als ich mich das letzte Mal damit beschäftigt habe, war, dass die tatsächlich verlässlichen Aussagen aus solch einem Test mit einem Blick in den Spiegel sogar noch günstiger zu haben sind (ca. 0 Dollar). Aber vielleicht bin ich da auch nicht auf dem neuesten Stand (habe den Coyne-Artiel bisher auch nur überflogen). Aber selbst wenn die verlässliche geographische Auflösung mittlerweile die Kontinentebene verlassen hat und man sich damit zuverlässig seine Vanille-Präferenz gegenüber Schokolade bestätigen lassen könnte- warum das Ganze/bzw. dafür Geld ausgeben?
"Ich muss an dieser Stelle gestehen: Ich mag Karpfen gar nicht." - Groucho
RIP

Max P

ZitatAuch die Selbstzuweisung zu einer Ethnie korreliert mit genetischen Merkmalen, wie zigfach wissenschaftlich belegt ist.

Das verstehe ich nicht. Oder ist es wirklich so trivial gemeint, dass man sich in der Regel der Ethnie selbst zuweist, in die man hineingeboren und aufgewachsen ist? Ansonsten ist Ethnie natürlich nicht dasselbe wie "Rasse", sondern ein rein kulturell-historischer Zusammenhang. Ein Sizilianer bsw., der aus irgendwelchen Gründen in Lappland in einer traditionellen Samen-Familie aufwächst und als voll zugehörig anerkannt wird, ist ethnisch ein Same, genetisch aber immer noch Sizilianer. Ein biologisches Fundament der Samen-Ethnie gibt es, wenn man so will, natürlich durch die in der Regel gemeinsame Abstammung, aber das spezifisch Ethnische wird durch Sprache, Kultur und Tradition konstituiert und nicht durch Biologie.

Möglichweise findet hier auch eine Begriffsverwirrung statt. Wenn Populationsforscher die geographische Verteilung genetischer Muster untersuchen wollen, sprechen sie begreiflicherweise nicht mehr von Rassen, sondern unverfänglicher eben von Ethnien. Trotzdem bleibt "Ethnie" ein in erster Linie sozio-kultureller Begriff.

Scipio 2.0

Wie wird das dann eigentlich gehandhabt, wenn ich zum Beispiel eine Japanerin heirate und mit ihr Kinder in die Welt setze?

Die sitzen dann doch gewisser Maßen "zwischen den Stühlen".

Peiresc

Zitat von: Gefährliche Bohnen am 27. November 2022, 00:43:56mit einem Blick in den Spiegel sogar noch günstiger zu haben sind (ca. 0 Dollar).

Aber da sind die Investitionskosten für den Spiegel nicht drin.  8)

Vor langer Zeit habe ich mal irgendwo gelesen: wenn man eine Reise um den Erdball zu Fuß unternimmt, dann wird man feststellen, ... dass man bzgl. der "Rassen" nichts feststellen kann. Es gibt für kein einziges körperliches Merkmal (Augenform, Haar- und Hautfarbe etc. pp.) etwas, das einer umschriebenen geographischen Grenze auch nur nahe käme, es gibt nur völlig allmähliche Übergänge. Der Begriff der "Rasse" ist ein Artefakt, der nur zustandekommt, wenn sich Bewohner verschiedener Erdgegenden plötzlich einander direkt gegenüber sehen.