Anti-Scientology-Aktivistin: tatsächlich verfolgt oder doch krank im Kopf?

[Yadgar]

Hi(gh)!

In der Leserkommentarspalte zu einem "Zeit Online"-Artikel über Schizophrenie behauptet eine gewisse Ameli Zieseniß, wegen ihres Engagements gegen Scientology von einem "Kommissar der Staatspolizei" mit der Ermordung ihres Sohnes bedroht worden zu sein (Kommentar Nr. 17), sie berichtet von merkwürdigen Vorkommnissen in ihrem Garten und ihrer Tischlerwerkstatt (umgeknickte Rosenblüten, tote Vögel und Brotlaibe in den Beeten; potentiell lebensgefährliche Manipulation an einer Fräsmaschine - Kommentar Nr. 25); drei Jahre später rastet ihre Nachbarin und Freundin quasi-psychotisch aus, erzählt von Bestrahlungsgeräten in ihrer Wohnung, mit der sie Frau Zieseniß bestrahlt, erklärt sich auch verantwortlich für die seltsamen Manipulationen im Garten und offenbart ihr (also Frau Zieseniß) schließlich, für eine Geheimorganisation zu arbeiten. Die Nachbarin zog später in eine andere Stadt, wo sie 2010 unter ungeklärten Umständen ums Leben kam (Kommentar Nr. 24).

Kann das alles stimmen? Kann es wirklich, wie Ameli Zieseniß unter Bezug auf einen Ex-Scientologen behauptet, 500000 Scientology-Anhänger alleine in Deutschland geben? Kann es sein, dass Scientology die Polizei unterwandert hat und Polizisten für Auftragsmorde an Angehörigen von Kritikern benutzt (Kommentar Nr. 17)? Frau Zieseniß selbst wurde übrigens nach eigener Aussage eine "wahnhafte Störung ohne Krankheitseinsicht" (aha!) unterstellt...

Morddrohungen, bizarre Veränderungen in der Umgebung, Belästigung durch Strahlen... das sind üblicherweise Geschichten, wie sie von paranoiden Psychotikern erzählt werden, ob sie nun Adelheid Streidel, Dieter Kaufmann, Martin Bott oder Robert "THX 1138" Born heißen. Vor bald 20 Jahren hatte ich selbst einmal "live" eine Begegnung mit so einem Menschen... es war am Tag der NRW-Landtagswahl 1995, ich war auf der Wahlparty der Kölner ÖDP (Ökologisch-Demokratische Partei), in die ich einige Zeit zuvor eingetreten war (und vergaß allen Ernstes vor lauter Begeisterung, selbst zur Wahl zu gehen!), dort erzählte mir ein junger ÖDP-Sympathisant, wie er aufgrund seiner zeitweiligen Sympathie für die "Republikaner" (dazu muss man wissen, dass sich die ÖDP als "öko-konservativ" sieht und folglich für Leute aus dem rechten Spektrum nicht ganz unattraktiv ist) von linken Autonomen terrorisiert wurde, ganz seltsame Geschichten, die dann darin gipfelten, dass ihm anonym per Post ein Karton mit Menschenfleisch (!) zugeschickt worden sei... ich fragte ihn, warum er sich nicht mit eindeutigen Beweisen (z. B. Fotos) an die Polizei gewandt hätte, er antwortete, dass man ihm dort ohnehin nicht geglaubt hätte... für mich war der Fall damit erledigt.

Oder ungefähr ein Jahr später, ich schrieb wegen eines Artikels über Gehirnforschung und Neurotechnologie einen Leserbrief an den "Spiegel", der auch abgedruckt wurde und in dem ich Sorgen über die (theoretische) Möglichkeit von Gedankenkontrolle durch solche Technologien äußerte - zwei Tage später bekomme ich einen Anruf von einer Frau, die felsenfest davon überzeugt war, dass an ihr solche neurotechnologischen Experimente durchgeführt würden... es war für mich nicht ganz einfach, sie abzuwimmeln und an einen Psychiater zu verweisen, sie meldete sich wenige Minuten später noch einmal (sie musste wohl über eine Telefon-CD meine Nummer herausgefunden haben)... für mich war dieser Fall dann erst recht klar.

Oder doch nicht? Kann es eventuell sein, dass es so etwas wie "Psychose" in Wirklichkeit gar nicht gibt und all diese geschilderten Vorkommnisse real sind - mit Geheimdiensten, dämonischen Mächten oder Außerirdischen als Urhebern? Das Internet ist schließlich voll von solchen Geschichten, da muss doch irgendwo was dran sein...

Mal wieder ziemlich verunsichert... woher kommt dieser Müll in menschlichen Gehirnen?

Yadgar

[71hAhmed]

Oder doch nicht? Kann es eventuell sein, dass es so etwas wie "Psychose" in Wirklichkeit gar nicht gibt und all diese geschilderten Vorkommnisse real sind - mit Geheimdiensten, dämonischen Mächten oder Außerirdischen als Urhebern? Das Internet ist schließlich voll von solchen Geschichten, da muss doch irgendwo was dran sein...

Irgendwo was dran sein. Wahrscheinlich dürfte der reale Kern bei ca.0,5% liegen. Daß Scientologie und andere Organisationen mit Aussteigern/Kritikern nicht gerade sehr verständnisvoll umgehen, ist nachgewiesen; daß Geheimdieste manchmal im Interesse der Staatssicherheit (oder was sie dafür halten) zu Mitteln greifen, die jeglicher juristischer Legitimität entbehren auch.
Wieviel Realität in einer Einzelfallschilderung liegt, sowohl was die geschilderten Ereignisse angeht als auch die Schlussfolgerungen (-> individuelle Verfolgung durch "dunkle Mächte"), lässt sich häufig gar nicht nachvollziehen, genausowenig, ob die vermutete Zuschreibung aller Ereignisse zu einem Urheber zutreffend sein könnte (Koinzidenz=/=Korrelation, so etwa
Zudem tauchen die selben Geschichten in neuem Zusammenhang immer wieder auf, auch wenn das personal immer mal wechselt.

Mal wieder ziemlich verunsichert... woher kommt dieser Müll in menschlichen Gehirnen?

Grundsätzlich sind Menschen gut im Muster erkennen, aber deutlich weniger gut darin, zu prüfen, ob die Erklärung so tatsächlich zutrifft, bzw. sind viele Menschen halt nicht bereit, sobald eine (scheinbare) Erklärung gefunden ist, noch weitere Energie in genauere Prüfung zu stecken.
Wo die Grenze zwischen noch normalem Verhalten und schon krankhafter Veränderung der Wahrnehmung und des Verhaltens liegt und ob die sich überhaupt trennscharf ziehen lässt, kann ich auch nicht wirklich sagen.