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Theologie wofür

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Begonnen von bayle, 12. Dezember 2012, 12:21:29

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bayle

Eine Diskussion der Theologie mag man für überflüssig halten. Der Glaubende weiß sich im Besitz einer Wahrheit, die dem besserenfalls irrenden und suchenden, schlimmerenfalls zynischen oder bösartigen Ungläubigen verschlossen ist, und der Atheist bleibt unfähig zu begreifen, wie man einer Lehre anhängen kann, die so offensichtlich mit der Realität zerfällt und die in sich derart widersprüchlich ist, wie das eine jede Religion für ihn zwangsläufig ist.

Dennoch finden solche Diskussionen statt. Ich zitiere mal einen Aspekt aus einem kürzlichen Beispiel. Die Äußerungen sind original; P ist ein Protestant, K ein Katholik und A ein Atheist.

ZitatK: Allein schon Dawkins Tirade gegen den "Gott des Alten Testaments" beweist klar, dass er von der Exegese und Hermeneutik des selbigen keine Ahnung hat
A: Der Jahwe des AT war ein nun mal ein henotheistischer, lokaler Kriegsgott; das kann moderne Exegese nicht ändern, sondern höchstens verschleiern.
K: DEN Jahwe des AT gibt es nicht. Allein zwischen Gen 1 und Gen 2,4b (ff) liegen ein halbes Jahrtausend ...
A: Kein wirklicher Dissens, aber eben auch kein wirklicher Dissens mit Dawkins
K: ... nach meiner Ansicht schon
P: Dann belege du [A] bitte auch – und zwar nicht per "argument by authority", als da sind Dawkins, Myers, Deschner etc pp. , sondern konkret am Text. (Primärquelle und so)
A: Jonas 1, 3: ,,Aber Jona machte sich auf und floh vor dem HERRN und wollte gen Tharsis und kam hinab gen Japho" – wenn man vor dem HERRN fliehen kann, dann heißt das er hat nur eine lokale Macht, er ist henotheistisch (sicher, das ist hier nur noch ein ferner Reflex).
Das Thema ,,Kriegsgott" hatten wir ja schon einmal berührt:
Ex 33, 1-2 Der HERR sprach zu Mose: Gehe, ziehe von dannen, du und das Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, in das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe und gesagt: Deinem Samen will ich's geben; und ich will vor dir her senden einen Engel und ausstoßen die Kanaaniter, Amoriter, Hethiter, Pheresiter, Heviter und Jebusiter
Num 24, 8: Gott hat ihn aus Ägypten geführt; seine Freudigkeit ist wie eines Einhorns. Er wird die Heiden, seineVerfolger, fressen und ihre Gebeine zermalmen und mit seinen Pfeilen zerschmettern.
Dtn 9, 3: So sollst du wissen heute, daß der HERR, dein Gott, vor dir her geht, ein verzehrendes Feuer. Er wird sie vertilgen und wird sie unterwerfen vor dir her, und du wirst sie vertreiben und umbringen bald, wie dir der HERR geredet hat.
Und zahllose weitere Stellen.
P: Ach A – wie oft muss ich dir noch erklären, dass man nicht pauschal über biblische Texte spekulieren soll, sondern konkret am jeweiligen Text (möglichst mit Urtext und Quellenvergleich) interpretiert.
A: @K: Ich bin mit Deiner Erklärung der historischen Genese der Bibeltexte völlig d'accord bzw. halte sie für diskussionsfähig, solange sie eben historisch ist und nicht den Anspruch auf göttliche Inspiration erhebt.
@P: Aber wenn ich Dir ein paar Bibelverse zur gefälligen Kenntnisnahme vorlege, dann ignorierst Du sie. Die Forderung, die Bibel dürfe nur von denjenigen kritisiert, d.i. gelesen, werden, die Latein, Griechisch, Aramäisch und Hebräisch lesen können, hat schon einen Stich ins Lächerliche. Großteile der Bibel sind in einer einfachen Faktensprache geschrieben, die einfach zu verstehen ist. Welchen Wert hätten die Texte, wenn sie so vertrackt wären, dass nur eine Handvoll Lebender sie deuten könnte?
P: Du meinst, die Bibel sei primär auf Deutsch geschrieben worden? ... Nehmen wir die Jona-Stelle [folgt eine kurze Interpretation des Buchs Jona]. Wo ist da der von dir herauf beschworene lokale Kriegsgott??
A: Jonas 1, 3 war ein Beispiel für den Henotheismus. Was die Jona-Geschichte bedeutet, war nicht Thema. Belege für den "Kriegsgott" sind Ex 33, 1-2, Num 24, 8 Dtn 9, 3 und zahllose weitere Stellen.
K: Die Bedeutung des Ganzen [der Jona-Interpretation] ist sogar von _zentraler_ Wichtigkeit. ... [zu den aggressiven Bibelversen:] Was angesichts der enklavenartigen Struktur des damaligen Judentums und im Laufe der Geschichte oftmals vorhandenen Gefahr des Identitätsverlustes (z.B. Babylonisches Exil) nicht verwundert.

Man erhält schon einen gewissen Eindruck, wie die Rhetorik funktioniert: eingangs wirft man Dawkins Unwissenschaftlichkeit, Unkenntnis der Theologie, der Exegese usw. vor, und schließlich muss man ihm in der Sache rechtgeben, ohne aber diesen Umstand selbst einzuräumen.

Aber Textkritik ist noch keine Theologie. Die eigentliche Frage, die die Brisanz der (unbestritten selektiven) Dawkinschen Gottesdarstellung ausmacht, die Spannung zwischen diesem aggressiven, Völkermord gutheißenden lokalen Kriegsgott und dem Allmächtigen, Allgütigen Vater im Himmel, der in den Kirchen verehrt wird – diese Frage wurde noch nicht einmal berührt. Der Atheist sieht einer Antwort mit Interesse entgegen.

Ratiomania

Ich bin der Meinung solche Diskussionen werten die "Theo-Fans" nur auf.

Ersetze "Bibel" mit "Der Herr der Ringe" und "Theologe" mit "Ringkriegexperte".

Literatur bleibt Literatur. Es ist letzendlich nur kulturelle Tradition die eine persönliche Auslegung und historische Textvergleiche zur "Theologie" also angeblicher Wissenschaft machen.

Entweder ists nur ne Litaturwissenschaft oder eine sozio-kulturelle-historisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema (u.a. Soziologie und Religionswissenschaft).

Wie gut, dass J.R.R. Tolkien einen "Interpretations-Inhibitor" im Vorwort eingebaut hat... vielleicht ist der bei der Bibel & dem Koran verloren gegangen oder "ausversehen" vergessen worden?


Mephisto

Zitat von: Ratiomania am 12. Dezember 2012, 12:32:00
Ersetze "Bibel" mit "Der Herr der Ringe" und "Theologe" mit "Ringkriegexperte".

Literatur bleibt Literatur. ...[/b][/i]
Eben da bin ich anderer Meinung. Die Bibel ist eben nicht nur einfach Literatur. Sie ist ein wesentlicher kultureller Einflussfaktor, war und ist z.T. auch heute noch ein Machtinstrument und bildet(e) die Basis für sehr ernste und folgenschwere Konflikte. All das gilt nicht für die "Herr der Ringe"-Bücher. Deshalb halte ich es für falsch, diese Diskussion als reine Literaturdiskussion zu führen.

Dr.Shrimp

ZitatDie Bibel ist eben nicht nur einfach Literatur. Sie ist ein wesentlicher kultureller Einflussfaktor, war und ist z.T. auch heute noch ein Machtinstrument und bildet(e) die Basis für sehr ernste und folgenschwere Konflikte.

Sie ist auch teilweise Grundlage für die Gesetzgebung. Darum ist es ja so schwer Homosexualität gleichzustellen und war es so schwer, Frauen gleichzustellen.

Compuholic

ZitatDie Bibel ist eben nicht nur einfach Literatur. Sie ist ein wesentlicher kultureller Einflussfaktor, war und ist z.T. auch heute noch ein Machtinstrument und bildet(e) die Basis für sehr ernste und folgenschwere Konflikte.

Naja, viele Bücher sind kulturell einflussreich gewesen. Trotzdem haben wir keine eigenen Studiengänge für sie.

Jetzt kenne ich mich mit dem Theologiestudium nicht wirklich aus. Auf die Schnelle habe ich lediglich eine Übersicht über den Lehrplan an der pädagogischen Hochschule Freiburg gefunden der in etwa bestätigt, wie ich mir Theologie immer vorgestellt habe. Theologie besteht ja nicht nur aus dem Studium eines Buches sondern auch aus Kirchengeschichte und wahrscheinlich ist noch ein bisschen Philosophie mit dabei.

Wenn das alles ist, habe ich prinzipiell kein Problem mit einem eigenen Studiengang "Theologie". In diesem Fall ist Theologie nichts anderes als eine Mischung von Geschichtswissenschaften, Religionswissenschaften, Philosophie und Literaturwissenschaften, was alles respektable Disziplinen sind. Was ich dann allerdings nicht verstehe ist, warum wir z.B. extra Studiengänge für kath. Theologie oder ev. Theologie brauchen was nahelegt, dass das eben doch nicht alles ist, was gelehrt wird.

Und sobald irgendein übernatürlicher Blödsinn gelehrt wird, gehört das Fach nicht an eine Universität.

sumo

warum das gelehrt wird?
Zweitausend Jahre Einfluß der Bibel und ihrer Protagonisten haben einfach ihre Spuren hinterlassen. Angefangen bei Regeln, welche das tägliche Leben betreffen, bis hin zu einer sich universell gebenden Ethik, hat diese Buch das Leben extrem geprägt.
In den sich atheistisch nennenden Staaten des früheren Ostblockes wurde die dort vorgeschriebene Weltanschauung auch gelehrt, sie wurde wissenschaftlich genannt, und das bestehen der Prüfungen war examensentscheidend. Auch das war eine Art Religion.

Ist denn die heutige "Lehre der Theologie" an Universitäten darauf ausgelegt, Menschen zum Glauben daran zu bringen, oder ist das eher ein analytisches Studium mit dem Ziel, die Geschichte der Bibel und des Christentums zu beleuchten?

bayle

Obwohl K sein Wissen bereitwillig mit A geteilt hätte (,,Für Näheres darf ich dich herzlich in meinen Unterricht einladen (ja, wirklich!)"), hat er sich dennoch schon verabschiedet:

ZitatHättest du nicht gleich deinen ersten Eintrag zum Thema "zugespitzt und gewürzt" (meiner Ansicht nach polemisiert), hätte ich Zeit für die Diskussion im Forum aufgebracht. So aber nicht. Tut mir leid.

Das nennt man denn wohl einen eleganten Rückzug. Aber ich hatte es geahnt. Einen ähnlichen Wortwechsel hat es ja hier schon gegeben:

ZitatA: Im Übrigen ist die Bibel als moralische Anleitung wie ein Rorschach-Test, da kann sich jeder al gusto zusammensuchen, was zu seiner Persönlichkeit und zu seinen Interessen passt.
K: Nunja, dafür gibt es ja Katechese und Katechismus.
A: Mit Vergnügen würde ich mit Dir durch den Katholischen Katechismus wandern
K: Ich hätte tatsächlich gerne das Vergnügen gehabt. Gerade angesichts der Tatsache, dass ich natürlich nicht gänzlich hinter allen Punkten des selbigen stehe. Leider hat mir Gemaro jedoch die Lust auf anspruchsvolle Diskussionen verdorben ...

Dumm gelaufen. Ich erkläre hiermit offiziell, dass ich das verbockt habe.

Mephisto

Zitat von: sumo am 12. Dezember 2012, 15:55:58
Ist denn die heutige "Lehre der Theologie" an Universitäten darauf ausgelegt, Menschen zum Glauben daran zu bringen, oder ist das eher ein analytisches Studium mit dem Ziel, die Geschichte der Bibel und des Christentums zu beleuchten?
Nun ja, auch wenn letzteres der Fall ist, darf die Frage gestellt werden, warum die Theologie eine eigene Disziplin darstellt und nicht als Teilgebiet der Geschichte läuft.

sumo

nun, wegen der zweitausendjährigen Prägung ist das nicht nur Geschichtsunterricht, sondern aus meiner Sicht mehr. Es gab Zeiten, in denen aus der Bibel das gesamte öffentliche und private Leben abgeleitet wurde, so daß da durchaus auch soziologische und wissenschaftliche Probleme behandelt werden. natürlich kann man das alles als Geschichte bezeichnen, aber dann wäre die christliche Geschichte in unserem Lebensraum ein so großes Fachgebiet, daß es ein alleiniges Fach wäre.
Das gilt allerdings nur, wenn man die Theologie als ein analytisches Fach ansieht.

Wenn die Theologie allerdings darauf ausgelegt wird, in der Uni neue Gläubige zu generieren oder bereits Gläubige in ihrem Glauben zu bestärken, so wäre es tatsächlich sinnvoll, über die Wissenschaftlichkeit zu diskutieren. Es bleibt beim Glauben nämlich immer ein Rest von Unhinterfragbarem, welches als Dogma hinzunehmen ist, und dann ist für mich keine Wissenschaftlichkeit mehr gegeben, weil man nicht mehr hinterfragen darf.

Belbo zwei

Wahrscheinlich sollte man darauf achten die Priesterausbildung und den Philosophisch-Geschichtlichen Teil trennen, bevor man jetzt in berechtigtem Zorn darauf rumprügelt sollte man sich der geschichtlichen Bedeutung bewusst werden etwas die Luft rauslassen und sich fragen wer der erste Philosoph nach dem Mittelalter war der sich sein Weltbild ohne einen Gott erklären konnte  ;D

Leguan999

Ich halte es für besser, wenn Religionen grundsätzlich und selbstbewusst an Universitäten studiert werden können, als dass sie ein verschämtes Dasein fristen und womöglich in Hinterzimmern vor sich in wuchern. Das Recht, gelehrt zu werden gegen die Pflicht,  transparent zu sein und vertrauenswürdige Dozenten einzusetzen. Was dann natürlich erst recht gilt, wenn aus Theologen Priester werden, die eine Gemeinde leiten.






sumo

mal eine grundsätzliche Frage: Muß man als Student der Theologie gläubig sein?
Also so richtig, nicht nur im Sinne eines Lippenbekenntnisses? Ich weiß, daß das wohl eine rein theoretische Frage ist.....

Hildegard

Zitat von: sumo am 12. Dezember 2012, 20:38:44
mal eine grundsätzliche Frage: Muß man als Student der Theologie gläubig sein?
Also so richtig, nicht nur im Sinne eines Lippenbekenntnisses? Ich weiß, daß das wohl eine rein theoretische Frage ist.....
Ich weiß nur, dass zumindest manche es hinterher nicht mehr sind. Von zwei Theologen,die ich kenne, hat der eine nach dem Studium ein Schwulenmagazin gegründet, und der andere ist jetzt Skeptiker.
Ansonsten bin ich der Meinung, dass Theologie an der Uni eine Berechtigung als Kulturwissenschaft hat, dass man das aber klar von Priesterausbildungen trennen sollte.
[url="http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com"]http://vierfrauenundeinscharlatan.wordpress.com[/url]

Lord Ahriman

Zitat von: sumo am 12. Dezember 2012, 20:38:44
mal eine grundsätzliche Frage: Muß man als Student der Theologie gläubig sein?
Also so richtig, nicht nur im Sinne eines Lippenbekenntnisses?

Wohl kaum, da es sich gar nicht prüfen lässt, ob man wirklich glaubt.

Binky

Zitat von: Leguan999 am 12. Dezember 2012, 20:29:08
Ich halte es für besser, wenn Religionen grundsätzlich und selbstbewusst an Universitäten studiert werden können, als dass sie ein verschämtes Dasein fristen und womöglich in Hinterzimmern vor sich in wuchern. Das Recht, gelehrt zu werden gegen die Pflicht,  transparent zu sein und vertrauenswürdige Dozenten einzusetzen. Was dann natürlich erst recht gilt, wenn aus Theologen Priester werden, die eine Gemeinde leiten.

Dann sollte man einerseits Theologie als Kulturwissenschaft sehen und die Priesterausbildung als eine Art Sozialpädagogik.