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ADHS und die Fehldiagnosen

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Begonnen von P.Stibbons, 22. September 2012, 16:59:26

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P.Stibbons

Vor einiger Zeit schwappte eine Welle von Alarmmeldungen durch die Medienlandschaft, in deren Mittelpunkt stereotyp unkritisch ein angebliches Zitat von Frau Prof. Ulrike Lehmkuhl, KiJuPsych Berlin/Charité wiedergegeben wurde:

"Bis zu 90% der ADHS-Diagnosen sind falsch"

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ritalin-gegen-adhs-wo-die-wilden-kerle-wohnten-11645933.html

http://medicalobserver.com/news/2012023666/sind-90-prozent-der-adhs-diagnosen-falsch

ZitatUlrike Lehmkuhl, Direktorin der Kinderklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, beobachtet seit etwa zehn Jahren eine Inflation von ADHS-Diagnosen. Dass sich das Syndrom tatsächlich ausbreitet, hält sie für unwahrscheinlich: ,,Das ist schließlich kein Virus", sagt Lehmkuhl. Von zehn Kindern, die mit einer ADHS-Diagnose zu ihr geschickt werden, stellt sie bei neun eine andere Verhaltensstörung oder psychische Erkrankung fest. Kurz gesagt: 90 Prozent der ADHS-Diagnosen sind falsch. Der Diagnosen, nicht der Kinder. Drei Kriterien müssten für eine richtige ADHS-Diagnose zusammenkommen, sagt Lehmkuhl: Impulsivität, Hyperaktivität und ein Aufmerksamkeitsdefizit. ,,Und das schon seit dem frühen Kindesalter: ADHS, das in der siebten Klasse plötzlich auftritt, gibt es nicht!"

Frau Prof. Lehmkuhl hat sich bis heute nicht öffentlich von dieser Aussage distanziert.

Heute bloggt Martin Winkler folgende Begebenheit:

http://adhsspektrum.wordpress.com/2012/09/21/ebook-adhs-von-piero/
Zitat
"...Gestern erhielt ich einen Anruf eines Vaters, der sich bedanken wollte. Ich leite den Dank mal über diesen Weg an Piero weiter. Es ging um das eBook ADHS von Piero Rossi, das er sich ausgedruckt habe und mit einem Hardcover binden lies.

Seit mehreren Jahren sucht er Hilfe für seine Tochter. Er sei u.a. in der Charite in Berlin vorstellig gewesen. Als Privatpatient (Vater ist Akademiker) kam er mit Frau Prof. L in Kontakt, die die pure Existenz von ADHS mehr oder weniger in Abrede stellte. Das Kind habe eine "soziale Störung" und gehöre letztlich in ein Heim..."

Das allein ist, wenn dieser Satz so gefallen sein sollte, schon ein Skandal.
Aber es geht weiter:
Zitat
"...Erst nach Jahren vergeblicher "Bemühungen" auf sozialpsychiatrischer bzw. sonderpädagogischer Ebene habe der Vater dann motiviert durch das eBook sich genauer mit der Thematik bei den Mädchen beschäftigen können. Und habe einen anderen Arzt gefunden, der jetzt die Diagnose ADHS vom unaufmerkamen Subtyp stellte und neben der fortgeführten psychotherapeutischen Betreuung eben auch Methylphenidat erfolgreich einsetzte...."

Tja, wer nicht weiß, dass die Hyperaktivität beim unaufmerksamen Subtyp eben nicht vorhanden ist - und dies betrifft häufig Mädchen - der macht sich die Welt ganz fix, wie es ihm gefällt, Frau Professor!

Was sollen wir nun davon halten, dass gerade Sie sich rühmen, im Rahmen Ihrer Zweitgutachten viele Fehldiagnosen aufzudecken?
Wie war das noch mal mit den Leitlinien?

Und auch das hier:

ZitatADHS, das in der siebten Klasse plötzlich auftritt, gibt es nicht!"

trifft für die Mädchen mit dem unaufmerksamen Subtyp nicht zu.
Anders als die quirligen Jungs fallen sie eben nicht durch "Störungen des Sozialverhaltens" (oder was immer die genervten Lehrerinnen dazu sagen) schon in den ersten beiden Schuljahren auf, sondern sie sind lieb, verträumt und malen Blümchen in ihre Hefte. Oft haben sie ein besonders feines Gefühl für ungerechte Behandlung ihrer Mitschüler.

Erst im dritten Schuljahr gibt es Noten. Dann steigt der Stress - auch weil zuvor während der ersten zwei Schuljahre den Kindern eine Schonfrist hinsichtlich Hausaufgaben, Rechtschreibfehlern etc eingeräumt wurde und sie sich noch halbwegs "in Ordnung" fühlten.

Ab der 3. Klasse gibt es eklige Sachen wie Eckenrechnen, wo sich der Defekt im Arbeitsspeicher zeigt.
Das ist die Zeit, in der die Träumer stundenlang über ihren Hausaufgaben sitzen und nicht wie die anderen draußen spielen gehen dürfen.

Das alles sollten Sie wirklich wissen, Frau Professor Lehmkuhl! :po:

P.Stibbons

Nachtrag:

http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/news/2012/02/12/ein-goldesel-fuer-die-pharmaindustrie/6489.html
Zitat
...ADHS ist für Glaeske eine ,,Zuschreibungsdiagnose", die unter gesellschaftlichem Druck ausgestellt werde, um die Gabe leistungssteigernder Mittel zu legitimieren. Die Leitlinien zur ADHS-Therapie sehen vor, die Ritalin-Gabe durch eine Verhaltenstherapie zu begleiten. Spätestens nach einem Jahr habe ein Auslassversuch im Hinblick auf Methylphenidat zu erfolgen. Der Schulalltag spricht jedoch eine andere Sprache. Häufig nehmen die Kinder ihre ,,Pille" jahrelang, oft zur Erleichterung von Eltern und Lehrern, die das Medikament anderen Eltern auch noch ,,wärmstens empfehlen". Es wird eine Lehrerin zitiert, die das Absetzen von Ritalin selbst ein Jahr vor dem Abitur nicht für richtig hält.

Ulrike Lehmkuhl, Direktorin der Kinderklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Berliner Charité, bezeichnet 90 Prozent der ADHS-Diagnosen als falsch. Neun von zehn Kindern, die zu ihr mit angeblichem ADHS kommen, seien verhaltensgestört oder psychisch erkrankt. Aber sie räumt ein, dass es ADHS durchaus gibt – und das meist vom frühesten Kindesalter an. Der ,,Erfinder von ADHS", der amerikanische Psychiater Leon Eisenberg, soll dagegen kurz vor seinem Tod im Jahr 2009 gesagt haben: ,,ADHS ist ein Paradebeispiel für eine fabrizierte Erkrankung."

Antipsychiatrie in der Apothekerzeitung - selbst Leon Eisenbergs angeblicher Ausspruch ("Reue auf dem Totenbett" ::) ) wird bemüht.


Binky

Und wie wird die Zahl von 90% begründet?

Bartimaeus

ZitatBinky:
Und wie wird die Zahl von 90% begründet?
Persönliche Erfahrungen:
ZitatNeun von zehn Kindern, die zu ihr mit angeblichem ADHS kommen, seien verhaltensgestört oder psychisch erkrankt.

P.Stibbons

ZitatUnd wie wird die Zahl von 90% begründet?

Dafür gibt es keine schlüssige Begründung - jedenfalls nicht aus dem Mund von Frau Lehmkuhl und schon gar nicht irgendwelche nachvollziehbaren Daten.

Es gibt eine persönliche, ganz inoffizielle Mitteilung (auf Nachfrage einer Einzelperson), dass sie sich fehlzitiert fühlt: eine Aussage in einem Telefonat sei falsch wiedergegeben worden...
Wenn sich das tatsächlich so verhielte, hätte sie sich öffentlich davon distanzieren müssen, meine ich.

Immerhin ging das durch ganz viele Medien, immer unter Bezug auf ihren Namen.
Ihr Mann ist gemeinsam mit Manfred Döpfner in der Leitungsgruppe des Zentralen ADHS-Netzes.

Ich habe damals schon überlegt, ob wir das nicht mal bloggen sollten  >:(

Bartimaeus

Zitat von: P.Stibbons am 22. September 2012, 17:54:39
Es gibt eine persönliche, ganz inoffizielle Mitteilung (auf Nachfrage einer Einzelperson), dass sie sich fehlzitiert fühlt: eine Aussage in einem Telefonat sei falsch wiedergegeben worden...
Auf diesen Beitrag bezieht sich P.Stibbons (falls es jemanden interessiert):
http://adhs-chaoten.net/ads-adhs-presse-medien/17024-wilden-kerle-wohnen-faz-12-02-12-a-2.html#post206611

P.Stibbons

@ rednael:

Danke für die Quelle!

Ich wusste noch dunkel, dass jemand in einem der ADHS-Foren dazu recherchiert hatte, aber ich hätte den Faden jetzt nicht mehr gefunden.
Da kann man nun ganz gut nachlesen, wie stinksauer die gesamte Community damals war.

Binky

Das EBook von dem Pierro Rossi ist wirklich gut, informativ, kurzweilig zu lesen und auch für Nichtbetroffene eine gute Erklärung.