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...ein weiterer "ganzheitlicher" Standpunkt zu ADHS/Ritalin:

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Begonnen von P.Stibbons, 28. März 2010, 20:34:08

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P.Stibbons

http://ganzheitlichesicht.de/forum/thread.php?postid=12251

Recht aktiv in seinem "Dialog" mit den gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern:

Michael Schlicksbier-Hepp
Arzt für Kinderheilkunde
Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Systemischer Familientherapeut"


ZitatMichael 
Administrator

Dabei seit: 09.10.2005
Beiträge: 2681
   
Wie entsteht "Hyperaktivität" z.B. in Zusammenhang mit ADHS?    Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Eriks Frage nach dem ADS, der Aufmerksamkeitsstörung vom "Träumer-Typ", hat mich mit Gedanken zum Symptom "Hyperaktivität" z.B. im Rahmen des so genannten ADHS beschäftigt. Was ist diese überbordende körperliche Unruhe, Hibbeligkeit, Rastlosigkeit und wie könnte sie hervorgerufen bzw. erklärt werden? Verschiedene Hypothesen kommen mir in den Sinn.

Zum einen findet man häufig, dass im emotionalen Bereich entstehende, psychogene Spannungen eine Energieansammlung darstellen, die nach einer mehr oder weniger raschen Entladung zur Herstellung eines erträglicheren Entspannungszustandes bzw. Gleichgewichtes drängen. Ein häufiger "Kurzschluß" ist bei inadäquater Ausdrucksmöglichkeit auf der emotionalen und verbalen Ebene der Weg in die Bewegungsenergie, also die Skelettmuskulatur mit unwillkürlichen Zuckungen (etwa Tics), tonischen Verkrampfungen (Steifheit), mehr klonischen Zuckungen und Zittern (auch psychogene Anfälle über den "Gehirnumweg" zentraler synchroner nervaler Übererregung) und u. U. auch in die glatte Muskulatur der Hohlorgane mit deren Verkrampfung in Spasmen (Koliken, Asthma) oder vermehrte Peristaltik (Durchfälle).

Das (psychische) Ungemach, welches die oft negativen Umgebungsreaktionen bei so genannten ADHS-Symptomen für den Betroffenen bedeuten, führt häufig zu psychischen Spannungen, die oft schon deshalb keinen "adäquaten" oder bewußten Ausdruck finden, weil den Getadelten aufgrund einer oft anderen Eigenwahrnehmung auch selten von Anfang an bewußt ist, was die anderen an ihrem Verhalten "falsch" oder kritikwürdig finden. Und wenn sie das Was herausgefunden haben, wissen sie noch lange nicht, wie sie das störende Verhalten abstellen sollen, unabhängig davon, ob eine solche Forderung überhaupt berechtigt ist.

Ein anderer Grund für Hyperaktivität kann eine suchende, verunsicherungsbedingte Unruhe eines Menschen sein, der zunehmend ratlos und verwirrt nach Orientierung sucht. Seine Fähigkeit, wie bei einem hoch empfindsamen aber wenig selektiven Scanner alle möglichen Sinneskanäle auf Wahrnehmung zu richten, die eine dann aber schwer zu sortierende Informationsflut einströmen läßt, kann zu dem Phänomen führen, dass der Betreffende den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Es könnte sich ein Eindruck wie ein Nebel oder ein Rauschen ergeben und Orientierung wird erschwert. Der dadurch Irritierte erhöht seine körperliche Aktivität wie ein immer unruhiger und nervöser werdender Verzweifelter, der hektisch nach einem Ausweg sucht. Wenn dann Fokussierungsübungen, Aufmerksamkeitstraining, Meditation oder auch Medikamente zur Beruhigung, zu Übersicht, zu Ordnung führen, geht allmählich auch die Hektik zurück, die den orientierungslos in der Informationsflut Herumrudernden in die Rastlosigkeit trieb.

Depressiv empfindende Menschen, die nicht beim Gefühlskomplex der Melancholie stehen bleiben, sondern einer quälenden Leere zu entkommen suchen, entfalten manchmal eine hektische geistige und auch körperliche Unruhe, um in dieser Aktivität dem Zurückfallen auf sich selbst und die als unerträglich wahrgenommenen Gefühle der Leere, der Sinnlosigkeit und der Ohnmacht zu entkommen, noch bevor sie sich mit der Traurigkeit einlassen könnten. Diese Vorgänge beobachtet man bei der so genannten agitierten Depression, die unruhig, manchmal aufgebracht, gereizt, hektisch imponiert. Klagend, überlastet und in wenig effektiven Anstrengungen gefangen rackern sich diese Menschen ab und scheuen sich, jemals zur Ruhe zu kommen. Sie ertragen keinen Urlaub, keine Untätigkeit, müssen immer was zu tun haben. Viele so genannte ADHS'ler sind eigentlich eher deprimiert und viele, denen primär wirklich ADHS-Symptome zu schaffen machen, werden durch feindselige Reaktionen ihrer Umwelt deprimiert.

Und schließlich: Menschen haben individuell unterschiedliche Techniken und Gewohnheiten, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren, die Konzentration aufrecht zu erhalten und zu lernen. Manche schätzen absolute Ruhe und Ungestörtheit. Andere benötigen eher ein Hintergrundgeräusch, Musik, die Lautkulisse eines Großraumbüros, das Rauschen des Windes usw. Manche können sich besser auf geistige und abstrakte Aufgaben konzentrieren, wenn sie beiläufig wie zur "Stimulation" (propriozeptive Reize suchend) irgendeine körperliche Tätigkeit ausführen, indem sie hibbeln,wippen, schaukeln, ruckeln, die Finger bewegen, auf und ab gehen. Manchmal ist ein Rhythmus dabei wichtig. therapeutisch werden oft Igel- oder Prickbälle angewendet, Körnerkissen, Sitzbälle. Fordert man diese Personen auf, ruhig zu sitzen und sich nicht "unnötig" zu bewegen, benötigen sie oft mehr (zusätzliche) Energie, ihre Bewegungen zu kontrollieren und still zu sein, als für das Lernen und Fokussieren, Tätigkeiten, für die dann zu wenig Energie da ist.

Der Heiler Malcolm Southwood erklärte die Unruhe und Hyperaktivität bei der ADHS-Symptomatik als Folge eines kindlichen Energiemangels, ausgehend vom hohen Energieverbrauch des schnell wachsenden Gehirns für seine Wahrnehmungs- und Denktätigkeit. Der kindliche Organismus sei nicht wie der erwachsene in der Lage, schnell genug Energie bereitzustellen, aufzunehmen und genügend zu speichern. Kinder benötigen daher ständig Nahrungsenergie und emotionale Energie, die sie von den Erwachsenen und Geschwistern beziehen. Sie bevorzugen daher auch Zucker als direkte Hirnnahrung, Eiweiß, z.B. Milchprodukte für den Hirnaufbau und Salze für die elektrische Nervenleitung. Auch motorische, also Bewegungsenergie kann in einem bestimmten Umfang genutzt werden. Zwar verbraucht Muskelbewegung Energie, zum anderen treibt sie aber eine Art Dynamo an. Kämen die sehr energiebedürftigen Kinder, zu denen Southwood besonders die ADHS-Kinder zählt, längere Zeit zur Ruhe, z.B. im Schlaf, würde ein stetig abfallender cerebraler Energielevel (im Gehirn) irgendwann Alarm auslösen, zu Unruhe und schließlich Erwachen führen mit einer Notfallmobilisierung von Reserven über den Dynamoeffekt mittels motorischer Energie gefolgt von Nahrungsaufnahme und Anforderung von elterlicher Aufmerksamkeit. Daher würden ADHS-Kinder oft wenig und unruhig schlafen, meist erschöpft nach einem rastlosen Tag in einen kurzen Narkoseschlaf fallend, aus dem sie sich bald wieder aufrappeln.

Vielleicht haben andere dazu noch weitere Gedanken und Hypothesen? Wir wissen, dass es durch jahrhunderte lange Erfahrungen geprägte Bewegungstechniken gibt, um die "Lebenskraft", z.B. das "Qi" der Chinesen, anzuregen und fließen zu lassen. Es handelt sich um möglichst genau zu befolgende, meißt fließende Bewegungsabläufe, seien sie großräumig wie beim Tai Chi, seien sie kleinräumig wie beim Chi Gong. Ich könnte mir vorstellen, dass der Mensch, der bei sich spontan Energieungleichgewichte durch zu viel oder zu wenig oder ungünstig verteilte Energie verspürt, unwillkürlich versucht ist, hier durch Bewegungen zum Fließen und Ausgleichen, zum Öffnen von Energiekanälen in seinem Körper anzuregen.

LG, Michael

P.Stibbons

Nette Themensammlung:

http://ganzheitlichesicht.de/forum/index.php?sid=b9615e015bf4e5ef9b96f2d1e60635b0


ZitatDie biologische Medizin - das Verstehen des Menschen aus seinem Körper
Den Menschen kann man von oben aus seinem Geist, von innen aus seiner Seele oder von unten aus seinem Körper verstehen
   Biologischer Sinn von "Krankheiten" - die emotional-biologische Ebene
"Neue Medizin" (Dr. Hamer) u. Ableitungen, die zur Erweiterung u. Korrektur der naturwissen-schaftlichen Medizin führen können. Krankheitsentstehung u. Heilungsgeschehen nach biologischen Gesetzmäßigkeiten stammesgeschichtlicher Gehirn- u. Organentwicklung u. emotionalen Einflüssen

P.Stibbons

http://www.systemagazin.de/buecher/neuvorstellungen/2007/02/schweitzer_schlippe_lehrbuch_2.php

So sieht eine Buchbesprechung von ihm aus:

ZitatMichael M. Schlicksbier-Hepp, Wilhelmshaven: Teufelspakt? Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II - Das störungsspezifische Wissen

Prof. Dr. rer. soc. Jochen Schweitzer, Diplompsychologe mit Professur in Heidelberg, gab zusammen mit Prof. Dr. phil. Arist von Schlippe, Diplompsychologe, psychologischer Psychotherapeut und Lehrstuhlinhaber in Osnabrück und Witten/Herdecke, vor zehn Jahren den inzwischen als Klassiker bekannten ersten Band des seit Ende letzten Jahres zweibändigen "Lehrbuchs der systemischen Therapie und Beratung" heraus, welches inzwischen im Verlag Vandenhoeck und Ruprecht in der 10. Auflage erschienen ist. Der zweite Band mit dem Untertitel "Das störungsspezifische Wissen" hat inzwischen einige lobreiche Rezensionen erhalten. Schweitzer, von Schlippe und zahlreiche MitautorInnen hätten sich bemüht, mit "der Kunst der Entstörung" eine Brücke zu bauen zwischen dem kontext- und lösungsorientierten Denken der systemischen Therapie und dem an Störungsbildern orientierten Denken der evidenzbasierten Medizin und Psychotherapie. Nun ist es jedoch eine Grundannahme des systemischen Denkens, nicht von außen eine Expertenwertung vorzunehmen, auch nicht, um zu helfen, weil Wertungen sich eben nicht als hilfreich erwiesen haben. Eine stärkere Bewertung, als die vom Experten verhängte Diagnose als Grundlage einer Be-handlung ist aber kaum denkbar.
Der beabsichtigte Brückenschlag der Herausgeber mag dennoch eine verdienstvolle Absicht sein, wenn man weiß, dass die beiden Autoren und Wissenschaftler sich seit Jahren innerhalb und außerhalb der systemischen Gesellschaften um die Anerkennung und wissenschaftliche Legitimierung der Methodik der systemischen Familientherapie bei den etablierten bundesdeutschen therapeutischen Gesellschaften und den Ärzte- und Psychotherapeutenkammern bemühen. In der Tat verdient das Werk auch Bewunderung. Ich wäre sicher nicht so systematisch, wissenschaftlich, fleißig und kreativ bei der Herstellung dieser Brückenkonstruktion vorgegangen. Aber ist der gewählte Weg auch zielführend, oder könnte es sich pointiert formuliert nicht eher als eine Art "Pakt mit dem Teufel" erweisen, der dank einer Hybridisierung unvereinbaren Denkens zu einer Chimärengeburt führen könnte, die nicht lebensfähig wäre? Werden da nicht einige Gefahren übersehen, wenn man zu sehr nach Anerkennung und Legitimierung schielt und die spezifischen Wesensunterschiede zwischen der systemischen und der analytischen, tiefenpsychologischen oder verhaltenstherapeutischen Sichtweise verwischt, um die systemische Therapie für die Traditionalisten annehmbarer zu machen? Und ist systemische Therapie eher eine dozierbare und in Büchern niederzulegende Methodik, oder nicht doch viel mehr eine lebendige Haltung?
Die Konzeptionalisierungen der systemischen, konstruktionistischen Sichtweise unterscheidet sich jedenfalls fundamental von den störungsspezifischen, diagnosegeleiteten Vorgehensweisen der Organmedizin, der biologischen Psychiatrie und im Psychotherapiebereich insbesondere der analytisch-tiefenpsychologischen Schulen. Natürlich gibt es Brücken des Verstehens, doch befinden sich diese nicht im Bereich der Konstruktion einer Störungsdiagnose und der Dekonstruktion derselben durch "Entstörung" des Patienten. Ein störungsspezifisches Denken und eine entsprechende Therapie stellt die vermeintliche Störung in den Fokus, deren professionelle "Entstörung" durch die therapeutische Fachperson am Patienten nach einer entsprechenden Methodik, die sich demzufolge nach der Störungsart verändert, vollzogen wird. Der Kreativität und Originalität der funktionellen Konstruktion verschiedener Anpassungssymptome wird eher der Bereich der Dysfunktion als der eines kreativen Lösungsversuches zugewiesen, der weitere adaptive Lenkung benötigen könnte. Dadurch tritt der Aspekt der Entwicklung eines lebendigen und kommunikativen Systems in den Hintergrund und der Aspekt der Beseitigung eines Störfaktors in den Vordergrund. In diesem Sinne ist bereits die "Lösungsorientierung" in einigen systemischen Ansätzen ein "Problem" im Sinne einer Verursachung von Problemdenken, wenn eine "Lösung" eine Blockade, eine Verfestigung im Sinne eines "Problems" voraussetzt.
Als Lösung gilt dann letztlich eher die Leistung des Therapeuten bzw. seines methodischen Therapieansatzes. Um Krankheitssymptome beseitigen zu können, muß man sie zu Diagnosen zusammenfassen und diese Konstrukte dann behandeln. Diese ärztlichen bzw. therapeutischen Fachkonstrukte bekommen jedoch so eine außerhalb des Erlebens und des Entstehungskontextes des Patienten liegende Eigenidentität und -dynamik. Der Therapeut schafft eine scheinbar objektive dritte Wirklichkeit, die maßgeblich von seinem pathognomonischen Denken inspiriert und bestimmt ist, also von seiner Wirklichkeit, mit der und nach der er beurteilt. Damit wird das Geschehen aus dem Patienten und dem Kontext vom subjektiven wandelbaren Sein in ein scheinbar objektives statisches Verharren verwandelt und kann dann zum Behandlungsobjekt eines anderen, des Therapeuten werden, der dann eben diese Krankheiten oder Störungen behandelt. Dies hat mit der Beziehung auf Augenhöhe zwischen Klient und Therapeut, die im Dialog zweier Subjekte eine gemeinsame Wirklichkeit erschaffen und teilen, nichts mehr zu tun. Soweit die Gegenüberstellung zweier paradigmatisch entgegenstehender Anschauungen über die therapeutische Beziehung zum Gegenüber und zur so genannten Wirklichkeit aus systemischer und nicht systemischer Sicht.
Es lohnt ein vergleichender Blick auf zwei andere paradigmatisch entgegengesetzte Medizinanschauungen bei der arzneilichen Behandlung, nämlich auf die homöopathische Regulationsmedizin und die allopathische Substitutions- und Inhibitionsmedizin, der sich die Schulmedizin verpflichtet fühlt und deren Medikamentengruppen mit der Vorsilbe "Anti-" beginnen. Die Konzepte des systemischen Denkens und der der traditionellen Psychiatrie- und Psychotherapiemethoden ähneln sich ungefähr so, wie die Homöopathie der allopathischen Schulmedizin ähnelt: nämlich überhaupt nicht. Auch wenn es seit Jahrzehnten den schlechten Kompromiß für die Allopathen, die Schulmediziner gibt, die ein wenig Homöopathie verordnen möchten, neben den Arzneimittellehren und Symptomensammlungen (Repertorien) auch Diagnoselisten im Stichwortverzeichnis aufzuführen, behandelt der Homöopath einen Kranken, während der Schulmediziner mit seinen Allopathika Krankheiten, genauer gesagt Diagnosen behandelt. Während der Homöopath den Gesamtorganismus als geistig-seelisch-körperliche Dreieinheit regulationsmedizinisch zur Selbstheilung anregen möchte, bekämpft der Allopath so genannte Krankheitserreger und Krebszellen, ersetzt oder überbrückt gestörte Körperfunktionen und beseitigt Symptome einer Erkrankung. Manchmal ist das notwendig, aber es ist nicht heilsam, es kann weiter helfen, kurieren kann es nicht. Dies tut ohnehin der Patient mit seinem Körper, seinem seelischen Befinden und seinem Geist immer selbst - oder er tut es eben nicht. Medicus curat, natura sanat.
Die Annäherung Schweitzers und von Schlippes an das Denken der Diagnosesteller und Krankheitserfinder soll sicherlich den systemischen Gedanken für die nachwievor vormoderne, traditionelle Schulmedizin wie deren psychologisch-psychotherapeutisches Pendant, die störungs- und komplexdefinierte Psychoanalyse und tiefenpsychologische sowie verhaltenstherapeutische Psychotherapie erleichtern, um vielleicht das systemische Denken durch die Hintertür einzuführen, aber sie ist ein Anachronismus und erinnert wie ein déjà vue an die Anbiederungsbestrebungen der massgeblichen amerikanischen systemischen Therapieschulen vor der allgemeinen Anerkennung der systemischen Therapie in der amerikanischen Psychotherapielandschaft gegen den starken Widerstand der Traditionalisten der Psychoanalyse und Verhaltenstherapie vor über zwanzig Jahren, wobei Letztere aus dem lerntheoretischen Kontext heraus noch am ehesten funktionale Adapatationsmöglichkeiten an den systemischen Gedanken aufweist, als die starren Glaubenssätze der Psychoanalyse über die psychische Verfasstheit des Menschen. Inzwischen sind der systemischen Fraktion schon längst neue, konstruktionistische Flügel gewachsen, im therapeutischen Bereich z.B. mit einem Harry Goolishian oder im wisschaftlich soziologischen und philosophisch diskursiven Bereich mit einer Mary und einem Kenneth Gergen.
Die Gefahren, die ich bei allen guten Absichten in Schweitzers und von Schlippes "Brückenschlag" in die Vergangenheit des "noch herrschenden Systems" mittels eines "Lehrbuches" sehe, beziehen sich dann auch tatsächlich auf den pragmatischen Anwendungsbereich für den syncretistischen Therapeuten, dem es nur darauf ankommt, eine weitere gewinnbringende (in vielerlei Hinsicht) Methode zur Behandlung von "Störungen" zu erwerben, und auf den Bereich der Lehre, in dem Studenten und angehenden Psychotherapeuten die Konstrukte der Diagnosen als Realitäten verkauft werden, als wenn es tatsächlich irgendwelche "Krankheiten" losgelöst vom Individuum und dessen Kontext gäbe, also unabhängige und klassifizierbare Entitäten. Und der Hunger nach solch einem verwertbaren Wissen zum Erwerb einer trügerischen Sicherheit ist immens groß, so groß, wie die Angst vor dem ungeheuren Wagnis, sich auf eine echte Beziehung zu einem Gegenüber einzulassen, ohne das Netz von Vor- und Expertenwissen, das man getrost ganz oft als Vorurteil bezeichnen darf.
Natürlich wird man Schweitzer und von Schlippe zu Gute halten dürfen, dass die diagnosezentrierte Ausrichtung ihres zweiten Lehrbuchbandes eine Realität antizipiert und reflektiert, in der systemisch ausgerichtete Therapeuten bereits faktisch Teil des "faustischen Paktes" über die Abrechnung mit den Kostenträgern, den Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen sind. Ihre Zusammenarbeit mit dem Patienten vergüten diese Systeme nur nach der Aushändigung einer Diagnose mit dem derzeitig aktuellen ICD-10-Schlüssel, der "internationalen Klassifikation psychischer Störungen". Dabei dürfte mancher Therapeut nicht nur danach fragen, welche Diagnose dem Patienten nützt oder schadet, sondern auch danach, welche ihm selbst nützt, seinen Aufwand entschädigt zu bekommen. Es stellt sich für mich allerdings die Frage, ob die Vertreter des systemischen Denkens diesen "faustischen Pakt" nicht eher beklagen, als sich ihm anpassen, ja anbiedern sollten? Sollten Schweitzer und von Schlippe der Idee anhängen, dass es mit ihrem Weg gelingen könnte, die Traditionalisten auf dem Psychotherapiemarkt zu unterwandern und sie infiltrativ mit systemischen Ideen zu impfen, sollten sie sich auch das Gesetz der Wechselwirkungen vor Augen halten, nach dem die Diffusion in beiden Richtungen möglich ist.
An einem konkreten Beispiel möchte ich illustrieren, wie Diagnosen - vielleicht durchaus noch harmlos - Unruhe stiften wenn nicht gar schaden und den therapeutischen Prozess erheblich mitbestimmen können. Ein junger Mann wurde jugendpsychiatrisch zuletzt mit der Diagnose einer "prodromalen Schizophrenie", die unter ICD-10 F 21 als "schizotype Störung" kodiert wird, unter anderem auch mit Neuroleptika behandelt. Sehr verantwortungsbewußt wirkt der Patient an seiner eigenen medikamentösen Einstellung mit und führt viele Gespräche, in denen er seine Sorgen insbesondere hinsichtlich seiner - dem Verlauf nach eigentlich sehr guten - Prognose thematisiert. In ängstlichster Selbstbeobachtung bewertete er eine lange Zeit fast alle seine inneren Empfindungen und Gedanken unter dem Aspekt, ob sie einen Hinweis auf einen Rückfall in ein "verrücktes Denken" dergestalt sein könnten, dass nun wieder eine "Psychose" ausbricht oder sich gar die "Erkrankung Schizophrenie" manifestiert und festsetzt. Im Rahmen dieser akribischen Beschäftigung mit "seiner Diagnose" und den damit zusammenhängenden Befürchtungen durchforstete er das Internet nach Krankheitsbeschreibungen, Symptombewertungen und Diagnosenschlüssel. Zeitweise waren seine Gedanken so stark auf seine Befürchtungen eingeengt, dass er wirklich immer mehr verrückt zu werden glaubte. Glücklicherweise gelang es diesem sensiblen und intelligenten jungen Mann immer wieder, im Gespräch mit dem Therapeuten eigene Kontextuierungen herzustellen und auch ein Gefühl für seine "Normalität", seine Individualität und "Außerordentlichkeit" zu entwickeln und die verrückten Erfahrungen zusammen mit den damit verbundenen Leiderfahrungen in verschiedene Zusammenhänge zu stellen und nicht nur in einen Diagnostischen. Somit bekam er auch ein Gefühl für die tatsächliche wie vermeintliche Verrücktheit unserer Welt, unserer Kontexte, die nach unausgesprochenen Übereinkünften für normal gehalten werden und es entwickelte sich Staunen über die eigenen und überhaupt über die menschlichen psychischen Fähigkeiten, "Gutes" und "Böses" zu erleben, zu erfinden, auszuhalten, miteinander zu teilen und dort, wo solche Einteilungen und daraus resultierenden Empfindungen und Reaktionen Leid verursachen, miteinander zu heilen.
Aber auch in der Ausbildung neuer TherapeutInnen sehe ich Gefahren bei der Verwendung des in Schweitzers und von Schlippes zweitem Lehrbuch angewendeten diagnosebezogenen Denkens. Ein letztes kurzes Beispiel: Eine junge Kollegin fragte mich vor dem Beginn ihres Praktikums in meiner Klinik, welche Literatur sie denn lesen solle, um sich gut vorzubereiten. Ich schlug vor, sie könne sich ja, da blickschärfend, unterhaltsam sowie in vielen Kontexten nützlich, mit den Gedanken der "Gewaltfreien Kommunikation" nach Marshall B. Rosenberg vertraut machen und nannte zwei Bücher - aber nur, wenn sie Lust habe. Sie fragte etwas später noch einmal nach, ob sie nicht etwas Kinder- und Jugendpsychiatrisches lesen müsse. Das andere habe doch mehr mit Beziehungen zu tun und sie argwöhnte, ich hätte die Empfehlung wegen privater Belange gegeben und nicht als eine brauchbare Einführung in den Klinikalltag. Ich freute mich über diesen unbändigen Wissensdurst und doch versuchte ich, die Kollegin noch für einen anderen Gedanken zu gewinnen, damit sie erfahre, sich Wissen kontextbezogen im Rahmen lebendiger Beziehungen anzueignen. Ich meinte, dass sie ja täglich mindestens acht Stunden arbeiten würde und wenn es ihr gelänge, während eines Teils dieser Zeit Ohren, Augen und Herz ganz weit für das zu öffnen, was dort mit ihr und den Menschen, denen sie begegne, geschehe, würde sie schon genug zu tun haben und mehr lernen und mitnehmen, als sie je in einem Buch über Kinder- und Jugendpsychiatrie lesen könne. Und über diese Erfahrungen  könnte sie in einen lebendigen Austausch mit denjenigen eintreten, die sie anleiten würden.
Bevor man Wissen speichert, ist es wichtig, seine Haltung zu bestimmen, mit der man das tut. Ein Element dieser Haltung ist das in Erfahrung begründete Wissen, dass es kein Wissen ohne Kontext gibt, auch wenn man seine Erfahrungen niederlegen und systematisieren kann. Doch bereits die Verallgemeinerung von Erfahrung zu objektivierbaren Metakonstrukten, wie sie Diagnosen nun einmal darstellen, beinhaltet im Beziehungskontext viele Irrtumsmöglichkeiten. Ich habe es so begründet: Die Diagnosen und Einteilungen, die man aus den Büchern lernt und die vermeintlichen Ursachen von Krankheiten sind wie Schubladen. Und in Schubladen versteckt man Dinge, die man übrig hat und augenblicklich nicht wirklich benötigt und deshalb am besten auch nicht gebraucht. Ob die systemische Familientherapie ein Lehrbuch über "störungsspezifisches Wissen" und eine Methodik zur "Entstörung" wirklich benötigt, ob nun im wissenschaftlichen oder praxisbezogenen Kontext, möchte ich hiermit ernsthaft bezweifeln, es sei denn, wir müssen uns daran gewöhnen, dass es nicht nur grundsätzlich ganz verschiedene systemische Denkweisen, sondern auch geradezu gegensätzliche Grundannahmen systemischen Denkens gibt. Doch darauf weist das Buch von Schweitzer und von Schlippe nicht hin. Eher scheint mir, die Herausgeber gehen von der Ansicht aus, dass sie das systemische Denken schlechthin vertreten. Auch daran hätte ich nach diesem "Brückenschlag" so meine Zweifel.

P.Stibbons

Und hier sitzt der Mensch:

ZitatReinhard-Nieter-Krankenhaus
26389 Wilhelmshaven

...Oberarzt:
Michael Schlicksbier-Hepp   
Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie , Kinderarzt...

http://www.rnk-whv.de/rnk/pages/seiten.php4?Seite=kliniken-kinderpsychiaterie-02

Dienstag

Himmel. Solche Typen im Reinhard-Nieter. Wenn man sich überlegt, dass das für unzählige Leute da in der Gegend das Synonym für Krankenhaus ist, brrr.