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Buchtipp: Das Zeitalter des Irrationalen

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Begonnen von cohen, 07. Juli 2009, 08:00:56

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cohen

Habe gerade diese Rezension gelesen:
ZitatREZENSION
Flüchtlingskolonnen aus dem Land der Vernunft
Hakan Baykal über "Das Zeitalter des Irrationalen - Politik, Kultur und Okkultismus im 20. Jahrhundert" von James Webb
Der Rezensent ist freier Journalist in Berlin
Hakan Baykal

Ein Rezensent sollte Adjektive der Übertreibung wie "epochal" möglichst meiden. Aber manche Bücher verlangen geradezu nach Superlativen. Der schottische Historiker James Webb (1946 – 1980) brachte, noch ehe er sein 30. Jahr vollendet hatte, gleich zwei solcher Werke zu Stande: "The Flight from Reason" (1972), das in den USA als "The Occult Underground" erschien, sowie "The Occult Establishment" (1976), das nun endlich auch auf Deutsch vorliegt (die Übersetzung von "Flight from Reason" ist für September vorgesehen). Das Werk ist – es muss gesagt werden – epochal.

Im ersten Band beschrieb Webb die im 19. Jahrhundert einsetzende Flucht weg von der Vernunft. In einer von Zweifeln geprägten Epoche, die ungefähr von der Niederlage Napoleons bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs reichte, wandten zahlreiche Menschen in Europa und Nordamerika sich vom materialistischen und rationellen Konsens ab und mystischen sowie okkulten Versprechungen zu. Allen voran, so Webb, besannen sich Künstler und Literaten...
http://www.spektrum.de/artikel/999280
Im Heft steht die komplette Rezension. Online ist sie nur für Abonnenten komplett abrufbar. Das sieht sehr interessant aus.

Beim HPD gibt es eine komplette Rezension:
ZitatZeitalter des Irrationalen

(hpd) In seinem voluminösen Band erweist sich James Webb als ausgezeichneter Kenner der unterschiedlichen Ausdrucksformen des ,,Irrationalen" in Gesellschaft wie Politik des 20. Jahrhunderts und schildert deren Entwicklung auf breiter Quellengrundlage.


Gegen die Entwicklung hin zu Moderne und Rationalismus standen nicht nur im 20. Jahrhundert immer wieder Bewegungen, die mit esoterischen, mystischen und okkulten Inhalten Einfluss auf Gesellschaft und Politik nehmen wollten. Aufgrund deren hochgradiger Irrationalität fanden sie in der Forschung kaum Aufmerksamkeit, wollte man sich doch mit derartigen ,,Spinnereien" wissenschaftlich nicht abgeben. Dies hätte in einem kritischen Sinne aber durchaus geschehen sollen, denn die gemeinten Auffassungen und Bestrebungen waren und sind gesellschaftlich relevant. Darauf machte der schottische Historiker James Webb (1946-1980) in den 1970er Jahren in zwei voluminösen Bänden zu obskurantistischen Gegenbewegungen zur Aufklärung aufmerksam. Erst jetzt liegt eines dieser Werke, ,,The Occult Establishment" von 1976, in einer Übersetzung mit dem Titel ,,Das Zeitalter des Irrationalen. Politik, Kultur und Okkultismus im 20. Jahrhundert" vor. Darin soll die ,,Flucht vor der Vernunft" anhand von einschlägigen Phänomenen thematisiert werden.

In acht Kapiteln widmet sich Webb den unterschiedlichsten Ausdrucksformen: Zunächst geht er auf die Entstehung und Verbreitung okkulter und spiritistischer Auffassungen und Organisationen in Deutschland, England, Italien und Österreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Danach stehen der Einfluss mystischen Denkens aus Russland nach der Revolution von 1917, die Propagierung von antisemitischen Verschwörungsvorstellungen und die esoterischen Prägungen des frühen Nationalsozialismus im Zentrum des Interesses. Und schließlich behandelt das Buch die okkulten Einflüsse auf die Psychoanalyse, die Hippie- und Protestbewegung der 1960er Jahre und die Science-Fiction-Fangemeinde. Der Autor orientiert seine Darstellung stark an den Auffassungen und Handlungen einzelner Organisationen und Personen. Dabei geht es etwa um die Anthroposophie Rudolf Steiners und die LSD-Religion Timothy Learys, den Rasse-Okkultismus Alfred Rosenbergs und den Satanismus Aleister Crowleys, die Theosophie Helena Blavatskys und die Scientology-Lehre L. Ron Hubbards.

Die erwähnten Beispiele machen deutlich, dass Webb mit einem relativ weiten Verständnis von Okkultismus arbeitet. Er spricht hier von einem ,,verworfenen Wissen": ,,Diese Bezeichnung ist so locker und allumfassend, dass sie den Spiritismus, die Theosophie, zahllose östliche (und nicht ganz so östliche) Kulte, unterschiedliche christliche Sekten und die esoterischen Bestrebungen der Magie, Alchemie und Astrologie abdeckt und auch auf Pseudowissenschaften ... anwendbar ist" (S. 42). Entgegen weit verbreiteter Annahmen solle man derartige Auffassungen nicht ignorieren, stellten sie doch eine Reaktion auf gesellschaftliche Krisen- und Umbruchphasen dar. Rein historisch betrachtet handele es sich um den Ausdruck eines dritten Ausbruchs der Unvernunft, der sich gegen die gesellschaftlichen Folgen von Aufklärung und Rationalität richte. So etwas komme immer in Zeiten vor, ,,in denen der Druck auf das Individuum so stark geworden war, dass er eine breit angelegte Flucht vor der Vernunft auslöste" (S. 560).

Webb erweist sich in seinem voluminösen Band als ausgezeichneter Kenner der unterschiedlichen Ausdrucksformen und schildert deren Entwicklung auf breiter Quellengrundlage. Gerade letzteres macht ,,Das Zeitalter des Irrationalen" zu einem gut nutzbaren Nachschlagewerk, wozu auch das ausführliche Namens- und Sachregister dienlich ist. Darüber hinaus wirft der Autor ein interessantes Licht auf heute noch bekannte und einflussreiche Denker wie Carl Gustav Jung, Maria Montessori oder Rudolf Steiner. Problematisch ist indessen das doch eher ungenaue und zu weit gefasste Verständnis von Okkultismus, führt dies doch zu nicht nachvollziehbaren Zuordnungen. So kritikwürdig die Gesellschaftstheorie von Herbert Marcuse sein mag, so problematisch ist deren Deutung als Variante des Okkultismus. Derartige Mängel erklären sich durch die stark historisch-beschreibende Anlage des Bandes, der zwar auch analysierende und definitorische Passagen enthält - sie gehören aber nicht zu den Stärken des Autors.

Armin Pfahl-Traughber


James Webb, Das Zeitalter des Irrationalen. Politik, Kultur und Okkultismus im 20. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen von Michael Siefener, Wiesbaden 2008 (marixverlag), 608 S., 19,90 €

http://hpd.de/node/6650

cohen


Schau-ma-amoi

Cohen, du bist super. Amazon hat den Zuschlag bekommen!  ;)

cohen

Ich habe es selber (noch) nicht gelesen.
Allerdings deuten die Rezensionen und die Quellen der Rezensionen doch schon auf "unserem" Geschmack hin.

Schau-ma-amoi

Zitat von: cohen am 07. Juli 2009, 11:30:07
Ich habe es selber (noch) nicht gelesen.
Allerdings deuten die Rezensionen und die Quellen der Rezensionen doch schon auf "unserem" Geschmack hin.

Denk ich auch. Ich berichte.

rincewind

Zitat von: General Stumm v.  Bordwehr am 07. Juli 2009, 16:32:44
Zitat von: cohen am 07. Juli 2009, 11:30:07
Ich habe es selber (noch) nicht gelesen.
Allerdings deuten die Rezensionen und die Quellen der Rezensionen doch schon auf "unserem" Geschmack hin.

Denk ich auch. Ich berichte.

Solang mag ich nicht warten: Habs eben bestellt  :)

twister


GeMa

Ja, bitte berichtet mal  :). Das macht mich neugierig - nur hab´ich Umzugsstreß und dermaßen Arbeit bis Mitte September, das reicht z.Z. nicht mal für Buch in Badewanne.  :-\


Schau-ma-amoi

Zitat von: rincewind am 07. Juli 2009, 19:22:20Solang mag ich nicht warten: Habs eben bestellt  :)

Na, klar; immer die Vordrängler. Jetzt ist es an dir, zu berichten.  :aetsch:

rincewind

Zitat von: nachteule am 08. Juli 2009, 08:30:56
Ich wäre für eine Rezension dankbar. Also eine, die man veröffentlichen kann.

Ich glaube kaum, das ich was gleichwertiges oder gar besseres hinbekomme als oben vom HPD steht.

rincewind

Zitat von: nachteule am 08. Juli 2009, 10:18:21
Dann brauch ich eine Bestätigung, daß man eine bestimmte Rezension so übernehmen kann.

Naja, ich brauch eh lang. Erst muss das Buch mal kommen, dann erstmal lesen ...

Schau-ma-amoi

Ich hatte Gelegenheit dieses "Büchelein" zu lesen und empfehle es nur an Leute weiter, deren Tag zu viele Stunden hat, arbeitslos oder Rentner sind. Studenten gehen auch.   ;)

Der Autor war Historiker, eine tragische Figur und endete im Suizid. Ja und der Inhalt, Er handelt in erster Linie das 19. Jh in Europa ab und jedes Sektchen uä wird hier in einer Detailfülle angegangen, die mein Interesse sehr rasch auf Null sinken ließ. Zusammenhänge gingen so verloren und unserer Schwerpunkte fehlen weitgehend.

Nein, sorry, ich will dazu keine Rezension schreiben, die angeführte Kritik trifft es ohnehin ziemlich genau.


Schau-ma-amoi

Ja, noch etwas dazu. Der Buchtitel ist insofern irreführend, als ich gar nicht weiß, ob es denn je rationales Zeitalter gegeben hat. Insofern hätte der Autor die gesamten Menschheitsgeschichte aufrollen müssen. Er aber meinte, dass besonders die Zeit nach der Aufklärung irrational gewesen sei und bezieht darin auch den Okkultismus mit ein, den er in Nahebeziehung zum Nationalsozialismus setzt.