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Pianoman rockt!

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Begonnen von cohen, 27. März 2009, 00:20:14

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cohen

Pianoman· 26.03.09 · 16:02 Uhr
Zitat>>>>Antibiotika nach tiefen Fußphlegmonen ist auch total uncool - und noch sooo schlecht für die natürliche Darmflora.


Ich erinnere mich - im Zusammenhang mit der oben angesprochenen "unkonventionellen" Therapie der Phlegmone - an den Abschuß der "Biochemie nach Schüssler" im 3. Reich, nachdem die dem Okkultismus und der esoterischen Naturverherrlichung zugewandten Nazis, die jedes noch so absurde Heilverfahren in den Konzentrationslagern ausprobiert haben, wenn es nur in die Ideologie passte, sich irgendwann dann doch von den Beschüßlerchen wegen ihrer allzu offensichtlichen Erfolglosigkeit abwandten; davor aber mit den Phlegmonenversuchen im KZ Dachau Menschen mit dieser sanften, neben- und hauptwirkungsfreien Therapie gequält und umgebracht haben.

(Wenn er einen starken Magen hat, lese doch mal den Bericht, den der Sozialpsychologe und Analytiker der deutschen Nachkriegsbefindlichkeit Alexander Mitscherlich, in seinem Buch ,,Wissenschaft ohne Menschlichkeit. Medizinische und eugenische Irrewege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg." zu diesem Thema verfasst hat.)

Jedenfalls; das Therapiemittel der aus der Homöopathie stammenden "Biochemie" ist der mit Hausstaub verunreinigte Milchzuckerpressling.
Die Evidenz des Verfahrens entspricht dem der Homöopathie.
Die Absurdität der Theorie ebenfalls.

Gerade deswegen ist das ist das Verfahren heute wieder "in".

Dank der esoterischen Naturverherrlichung, die das postmoderne Denken so auszeichnet. Dank der Geschichtsvergessenheit, der Ignoranz, und des Egozentrismus, der den Kosmos der individuellen Erfahrung über den Kanon des intersubjektiven Wissens stellt. Dank des orientierungslosen Getaumels zwischen Naturwissenschaft und Metaphysik.
Und, nicht zuletzt, Dank eines unverständlichen, ambivalenten Verhältnisses zur Qualitätssicherung in der Medizin und der Komplementär-Quacksalberei.

Wir wissen, dass dort, wo Leitlinien existieren, wo Standards entwickelt werden, ein systematischer Wissenszuwachs möglich ist, und Patientenfürsorge drückt sich nicht zuletzt in der Verwendung qualitätsgesicherter Verfahren aus.
(Ich bin immer wieder erstaunt, wenn gerade in einem hochsensiblen Bereich wie der Medizin Diskussionen über qualitätssichernde Verfahren geführt werden, die z.B. im Bereich Lebensmittelsicherheit oder in der technischen Produktion als unabdingbar angesehen werden.)

Letztlich sind aber diese obsoleten Diskussionen die Voraussetzung dafür, dass alles, was in den letzten Jahren - entweder unter dem Mäntelchen der Innovation - oder - unter Berufung auf "uraltes vergessenes Wissen" - auf dem Markt der Alternativpfuscher gehandelt wird, nur deswegen ausschließlich als Placebo ,,funktionieren" kann, weil jedes dieser Verfahren sich einen Furz um den Aspekt Patientenschutz schert.

Für dessen Sicherheit ist die Wissenschaftsmedizin zuständig; und wehe, es geht etwas schief.

Da wird dann geklagt, denunziert, aggitiert, verleugnet. Es wird gelogen und selbstbetrogen, was das Zeug hält und die Phantasie hergibt. Und anschließend, als sichtbarer Ausdruck der Enttäuschung über die Unfähigkeit der "Schulmedizin", den Tod entgültig zu besiegen, wird, fast schon symbolisch, das Zuckerkügelchen eingeworfen. Che, it´s time for another Revolution...

Es gehört deshalb – neben einer fast schon schizophrenen Ambivalenz - eine absurde Überberwertung der eigenen Person dazu, während einer Erkältungsperiode
- nachdem man mit einem Dutzend anderen Rotznasen im Wartezimmer auf die Zuwendung des Mediziners gewartet hat - eine 40-minütige Anamnese zur Diagnose einer vriusverursachten Rhinitis zu erwarten, d.h. mehr zu fordern.
Scheiß drauf, dass die qualitätsgesicherte Diagnose "Erkältung" schon nach 2 Minuten vorlag...

Da gehört auf die Leitlinien – die man im Zweifelsfall dennoch einklagt – geschissen, denn ist man nicht das außerordentliche Individuum und – immer – der besondere Einzelfall, die Ausnahme von der Regel ?

Wer sich – aufgrund der Einflüsterungen seines Heilpraktikers, der Kräuterhexe von Nebenan, des diensthabenden Questico-Astrologen, und des Guru seines Vertrauens -in so einer Denkwelt befindet, der hat auch ein Problem damit, sich mit solchen Kausalitäten, wie sie die moderne Infektionslehre liefert, zufrieden zu geben.

Denn die gibt - aufgrund deren geringen Gehalts an metaphysischer Bedeutsamkeit - keine befriedigende Erklärung für die umfassenden Befindlichkeitsstörungen, die auch einen Schnupfen zum lebensbedrohenden Ereignis werden lassen.

Für den solchermaßen in Sachen Autapotheose indoktrinierten Gegenwartsmenschen, ist natürlich auch der abschätzend kurze Blick des erfahrenen Mediziners auf die geröteten Augen, die sturzbachartige Schleimabsonderung des Riechorgans, dem Päckchen Papiertaschentücher in der Hand des von Niesattacken gebeutelten Patienten, und die sich geradezu aufdrängende Schlussfolgerung: "Der Mensch hat ´ne Erkältung!", nur der Ausdruck einer kalten mechanistischen Medizin, die der angegriffenen Persönlichkeit des moribunden Zeitgenossens zu wenig, viel zu wenig Bedeutung beimisst.

Verweigert der Mediziner dann auch noch die dringend benötigten Medikamente (weil der Arzt weiß, dass es Hühnersuppe und Bettruhe nicht in der Apotheke gibt) ist der Ofen ganz aus; denn wie kann man Leiden nur so missachten ?

Kommt jedoch, nach der Feststellung des Mediziners, dass sich offenbar schon eine bakterielle Sekundärinfektion auf den gebeutelten Schleimhäuten entwickelt hat, und die Streptokokken auf der Schleimspur im Rachen den Weg in Richtung Bronchien angetreten haben, ein Rezept für Antibiotika, wird´s noch schlimmer.

Dann beleuchtet das Feuerwerk der medizinischen Viertelwissens, angezündet von den Evangelisten der Alternativheilergilde, die Bedenklichkeiten des echten Laiens
im Umgang mit dem Teufelszeug der Pharma-Mafia. (Interessant sind dazu die Äußerungen eines hier gut bekannten Astrologen zur homöopathischen Quacksalberei an einem Scharlach-Patienten).

Welch eine Zumutung: Man ist schon kurz vorm Sterben, und dann auch noch Antibiotika !

Da bedarf es doch – jenseits jeder Leitlinie – ganz anderer Heilkunst für den geschunden Riechkolben. Da bedarf es des seelischen Beistandes wegen der Störung der Lebenskraft, des versteinerten Trostes und der Aura-Korrektur, da bedarf es des geballten Einsatzes von Natriumchlorid in D12, der Zaunrübe in Verdünnungen jenseits der Avogadro-Zahl, schwermetallangereicherter chinesischer Kräuterinfusionen, kolloidalem Silber, ayurvedischen Ölmassagen; und wenn sich gerade ´ne Jungfrau zur Verbrennung anbietet, warum nicht auch ?
Und haben nicht schon vor über 10.000 Jahren die alten Hirtenvölker der kasachischen Steppe erkannt, dass Bacitracin locker durch ein halbstündiges Gurgeln mit Salatöl ersetzt werden kann ? Respekt vor dem Wissen der Ahnen !

Dieser Gegenwarts-Idiotie kann man nur auf einem Weg begegnen: Man sollte alle Verfahren, die sich anmaßen, Krankheiten des Menschen zu heilen, einer konsequenten Qualitätssicherung unterziehen.
Wen ein Astrologe behauptet, er könne durch sein Wissen homöopathische Behandlungen effektiver gestalten, hat er den Nachweis genau so zu erbringen, wie der Homöopath, der wirkstofffreie ,,Arzneien" einsetzt.
Den Heilpraktikern ist die gleiche Dokumentationspflicht aufzuerlegen, wie sie der niedergelassene Arzt oder die Krankenhäuser durchzuführen hatben.
Die skandalösen Regelungen zu den ,,besonderen Therapierichtungen" gehören in den Orkus. Heel, DVU und wie sie alle heißen, haben die gleichen Wirksamkeitsnachweise für ihre Medikamente zu erbringen, wie sie von allen anderen Pharmaherstellern gefordert werden.

Gleiches Recht, gleiche Pflicht für alle. Ende mit dem Geschwurbel.
Wie sagte Sil einmal: 40.000 Jahre Placebo-Medizin reicht, heute darf es schon etwas mehr sein.

Wenn dann noch der niedergelassene Arzt durch ein adäquate Honorierung seiner beratenden, mithin seelsorgerischen Tätigkeit, in die Lage versetzt wird,
wesentliche soziale Aspekte der Arzt-Patienten-Beziehung in seine therapeutischen Bemühungen mit einzubeziehen, sage ich ein schnelles Ende der Komplementär-Quacksalberei großen Stils voraus.

Es ist allzu deutlich, dass deren Bedeutung sich vor allem aus der defizitären Wahrnehmung sozialen Aufgaben im ärztlichen Handeln rechtfertigt.
Denn in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft, in der der Einzelne immer weniger soziale Geborgenheit, Trost in Krisen und zwischenmenschliche Zuwendung erhält, kommt dem Arzt eine immer größere Bedeutung als Ansprechpartner in Lebenskrisen zu.

Wen wir also in Zukunft eine wirklich ganzheitliche Medizin haben wollen, kommen wir nicht daran vorbei, unseren Ärzten die Möglichkeit dazu zu geben, das zu tun, was ihre eigentliche Aufgabe ist, den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen und zu heilen. Denn nur sie verfügen über die notwendigen Qualifikationen, das Wissen über die physischen und psychischen Prozesse im menschlichen Organismus, in konkrete Therapiemaßnahmen umzusetzen.

Die Mittel und Möglichkeiten dafür zu Verfügung zu stellen, ist allerdings keine medizinische, sondern eine ökonomische und damit gesellschaftlich-politische Aufgabe.

rincewind

Pianoman ist Billy Joel.