Homöopathische Elektrotechnik: Oder ist das moralisch verwerflich?

[Wiesen-Sohle]

Ich bin Elektroinschinör. Und ich kenne einige Leute, die an Strahlenpanik leiden. Ich hab mir da schon den Mund fusselig geredet. Über thermische Wirkung, über Funkamateure, die seit über hundert Jahren nicht krank werden, von den "Strahlen", und die sich beim Hobby mehr Feldstärke ´reinziehen wie sonst wer. Da hat man schon mal den Kopf direkt vor der Yagi, bei Abstimmarbeiten...
...nun, ja, ich habe Mitleid mit diesen Leuten, sie Leiden ja wirklich. GSM, UMTS, LTE, WLAN, Bluetooth, und dann noch die ganzen Satelliten und, nicht zu vergessen, HAARP (Das wahrscheinlich wirklich auch noch der U-Boot-Kommunikation in ELF dient, aber das ist eine andere Geschichte...) und der heimische Radiowecker.

Jedenfalls keimte heute bei mir die Idee, aus billigem Glasrohr kleine Ampullen, die eine Wendel aus Kupferdraht enthalten, herzustellen... ...hat man ja im Chemieunterricht gelernt.
Die könnte ich dann mit der Expertise des Ingenieurs unterfüttert, an die Leute verschenken, gewürzt mit etwas eloquent gibberish und dem Versprechen, daß es all ihre Strahlenleiden heilt oder doch stark lindert. Einfach neben den W-Lan-Router oder auf den Nachttisch legen. Vielleicht noch die Bauanleitung weitergeben... ...die Leute wären, wenn schon nicht geheilt, so doch sediert, und sicher vor Quacks, die ihnen Geld abknöpfen.

Fragt sich nur: Heiligt hier der Zweck die Mittel? Oder wäre es ein niederträchtiger Betrug?

Nachdenklich,
Wiesen-Sohle

[Dr. Schmock]

Wenn ja warum nicht? . .
Ich verwende alte Konservendosen, stecke einige"personalisierte Haarsträhnen"
des "Strahlenopfers" rein, durch ein loch im Deckel kuckt ein Stück
Kleiderbügeldraht als l-Antenne raus.

Fertig ist die Strahlenhandgranate mit Persönlicher "Kotierung",
die man dem "Strahlenfuehligen Subjiekt in den Garten unters Bett
oder aufn Schrank stellt und möglicherweise eine "Heilende Wirkung" entwickelt.
Einige wohlplazierte "Buzzwords" können denden gewünschten Effekt unterstützen.
UU, sind die Haare durch die Hinterlassenschaften des Nachtbars besten Freunds ersetzbar.

MfG ein Funkgerätefreund.

[celsus]

Heiligt hier der Zweck die Mittel? Oder wäre es ein niederträchtiger Betrug?

Knifflig, das. Als Fachkollege teile ich deine Bedenken. Meine Erfahrung sagt allerdings etwas anderes.

In meiner Lehrzeit hatte ich viel mit HiFi-Esoterikern zu tun. Die kamen mit einem perfekt eingemessenen Bandgerät in die Werkstatt und wollten das optimiert haben. Ich hätte sagen müssen, das geht nicht besser (habe ich anfangs gemacht), aber dann bin ich ein schlechter Techniker und der Kunde geht zum nächsten Spezialisten.
Also lieber ein paar hübsch bunt blinkende Messgeräte anschließen, kurz den Bias verstellen und wieder korrigieren, den Kunden am Oszi beobachten lassen wie die Pegel sich langsam angleichen, anschließend noch einen schicken Frequenzgang plotten (unbedingt mehrfarbig) und den glücklichen Klassikliebhaber mit einer angemessenen Rechnung entlassen.
Das gleiche Spiel gab es mit Verstärkern, Platten- und CD-Spielern usw. Alles teures Zeug und die Besitzer sind einfach glücklicher, wenn man ihr Anliegen ernst nimmt und irgendwas tut, anstatt sie ohne Diagnose und ohne Befund wieder nach Hause zu schicken.
Nicht selten kam am nächsten Tag ein Anruf, wie viel besser doch jetzt alles klinge und schönen Dank für die Mühe, man bringe seine anderen Geräte auch demnächst vorbei.

Du willst kostenlos Leute glücklich machen, die ein irrationales Problem haben. Das ist verwerflich und ehrenwert zugleich - und manchmal die einzige Lösung.

[Hildegard]

Sicher ist dieser Umgang mit ungerechtfertigten Kundenwünschen in vielen Branchen Usus.

Im Prinzip macht ihr natürlich das Gleiche wie der  Arzt, der wider besseres Wissen Globuli verschreibt. Letzeres ist deshalb problematisch, weil der Arzt damit die Zuckerkugeln gefährlich aufwertet.

Andererseits geht es bei Plattenspielern nicht um Menschenleben. Also meinen Segen habt ihr :-)

[Groucho]

Du willst kostenlos Leute glücklich machen, die ein irrationales Problem haben. Das ist verwerflich und ehrenwert zugleich - und manchmal die einzige Lösung.

So ist das.

[Frau Kuchen]

Bliebe natürlich die Frage, inwiefern man sich dann vorwerfen muss, die Leute in ihrem Fehlglauben zu bestärken. Aber wenn du diese Ambivalenz selbst aushältst: Mach nur :)

[celsus]

Im Prinzip macht ihr natürlich das Gleiche wie der  Arzt, der wider besseres Wissen Globuli verschreibt.

Nicht ganz, finde ich. Eher wie der Arzt, der ein paar Hustenpastillen oder eine neutrale Salbe verschreibt, weil ihm klar ist, dass das Leiden in ein paar Tagen ohnehin weg ist. Aber man hat dann eben nicht nichts getan.

[celsus]

Noch etwas dazu:
Wir gehen ja oft davon aus, dass sich Menschen früher oder später rationalen Argumenten öffnen werden wenn man nur geduldig genug ist. Vielleicht ist das wirklich zu kurz gedacht.

http://scienceblogs.de/gesundheits-check/2013/09/15/starrkopfe-uberzeugen/

Sollte man sich, um mehr Vernunft in Esoterikdebatten zu bringen, also gewissermaßen ein Beispiel an der Bibel nehmen, die ihre Botschaften ja auch in Gleichnissen, also Geschichten, vermittelt? Oder ist das manipulativ und es läuft letztlich der Förderung rationalen Denkens zuwider, auf irrationale Überzeugungen mit ,,Psychotricks" zu reagieren, wie es der – etwas reißerische – Untertitel des Buches ,,Psychotricks für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern, Fundamentalisten, Partnern und Ihrem Chef" nahelegt?

[Hildegard]

Im Prinzip macht ihr natürlich das Gleiche wie der  Arzt, der wider besseres Wissen Globuli verschreibt.

Nicht ganz, finde ich. Eher wie der Arzt, der ein paar Hustenpastillen oder eine neutrale Salbe verschreibt, weil ihm klar ist, dass das Leiden in ein paar Tagen ohnehin weg ist. Aber man hat dann eben nicht nichts getan.

Joa, das wäre eigentlich eine gute Lösung, wenn der Arzt auf die Frage: "Haben Sie nicht was Homöopathisches?" sagen würde: "Leider nein, aber es gibt dieses Brechmittel, das ist zwar Off-Label-use, und ich riskiere meine Lizenz, aber da gibt es eine Studie, dass es auch bei Fußpilz hilft, und ich  könnte Ihnen da ein Privatrezept ausstellen."

[Kimchi]

Im Prinzip macht ihr natürlich das Gleiche wie der  Arzt, der wider besseres Wissen Globuli verschreibt.

Nicht ganz, finde ich. Eher wie der Arzt, der ein paar Hustenpastillen oder eine neutrale Salbe verschreibt, weil ihm klar ist, dass das Leiden in ein paar Tagen ohnehin weg ist. Aber man hat dann eben nicht nichts getan.

Deine Taktik das Gerät "bitte mal optimieren" zu lassen, vielleicht schon. Die Idee aus dem OP, Ampullen gegen Elektrosmog zu verschenken, adelt den Strahlenwahnsinn aber schon auf ähnliche Weise.

Außerdem: der HiFi-Esoteriker der glaubt, irgendwas könnte an seiner Technik nicht stimmen, ist nicht von denselben Ängsten und Sorgen um seine Gesundheit geplagt wie das Elektrosmog-Opfer, die es verwundbar gegenüber richtig gefährlicher Abzocke machen.

Ich glaube, solche Ampullen helfen allerhöchstens nur kurzfristig, und die Aktion hätte vor allem Nachteile:
- man verstärkt den Glauben an das Phänomen beim Beschenkten
- man muss sich das "eloquent gibberish" aus den Fingern saugen und seinem gesunden Menschenverstand zumuten
- man muss sich den Elektroquark ggf. später noch öfter anhören, mit noch erheblicheren Folgen für die geistige Gesundheit

Das einzige, was mir sinnvoll vorkommt, ist nach 1-3 Wochen mal nachzufragen obs schon besser ist, und dann aufzulösen dass die Materialien vom Müll kommen und die Aufklärung anlaufen zu lassen. Aber das wird auch nicht immer klappen - ist halt dasselbe Roulettespiel wie das der Pseudobehandlungen, die sich das übliche Placebo-Wohlbefinden zuschreiben wollen.