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Esoterik als "Kind des Positivismus"

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Begonnen von Wolleren, 20. Oktober 2013, 21:31:08

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Wolleren

Thomas Steinfeld – SZ vom 10./11. August 2013 schreibt unter dem Titel ,,Die Vernebelung der Zukunft":

Die Esoterik ist ein Kind des Positivismus – warum gilt sie immer noch als die Flucht davor?

,,Das Problem ist nur, dass der Positivismus, die im späten neunzehnten Jahrhundert herrschende akademische Doktrin, etwas ganz anderes ist, als der ,Glaube an die schiere Materie'."
Weil nämlich in der Entdeckung auch stets ein Forschungsauftrag mitschwingt, d.h. die Entzauberung  stets die erneute ,,Verzauberung" mit einschließe.

,,Der, von heute aus betrachtet: unglaubliche Erfolg, den Helena Blavatsky und ihre Schule, die Theosophie, um die vorvergangene Jahrhundertwende errang, beruht auf diesem Miteinander von Theorie und Spekulation. Was auch bedeutet, dass diese Esoterik keineswegs, wie die Autorinnen der Blavatsky-Biographie [Ursula Keller und Natalja Sharandak, Insel Verlag] und mit ihnen viele andere Historiker der Esoterik behaupten, aus dem Szientismus hinausführt. Sie führt in ihn hinein." Jedenfalls ist laut Steinfeld die Weltflucht eben nicht ein Merkmal der (dieser) Esoterik.

Steinfeld illustriert diese Behauptung mit: ,,Wie selbstverständlich vermutet Julian Strube, der Autor dieser Studie (Vril. Eine Urkraft in Theosophie und esoterischem Neonazismus, Wilhelm Fink Verlag) den Grund aller Esoterik in der ,Destruktivität des technischen Fortschritts' und in der ,ultimativen Entfremdung des Menschen' – was umso seltsamer ist, als das ,Vril' sich als Antrieb von Flugscheiben hätte eignen sollen."

Steinfeld fragt: ,,Ist es Unwille oder Unfähigkeit, dass es kaum eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Esoterik gibt, die diesen Namen verdiente?"


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Die aktuelle Verwendung des Begriffs Esoterik hat wohl tatsächlich nicht viel mit der Fortsetzung von Wissenschaft mit anderen Mitteln zu tun, mit der sich eine Auseinandersetzung nach Steinfeld lohnen würde. Was meint Ihr zum Begriff der Esoterik und zu ihrer philosophischen Einordnung als legitimes Kind des Positivismus?

Superkalifragilistisch

Äh, hast Du Dich mal mit dem Humanismus beschäftigt? Das ist ein Pantheismus (Siehe Spinoza: ,,Deus sive natura") - und das auch nur in seiner modernsten Ausprägung. Der Humanismus geht immer noch von einem Leib Seele Dualismus aus, der Energie/Materie-Dualismus (bzw. Monismus) ist nicht nur in der Interpretation von Esoterikern ein Kind dieses Konzeptes. Das ist die Grundlage jeder ,,modernen" Psychologie.

Und Novalis schreibt über die Verbindung von Ent- und Verzauberung:
Zitat
,,Die Welt muß romantisirt werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Diese Operation ist noch ganz unbekannt. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen den unendlichen Schein gebe so romantisiere ich es. Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche – dies wird durch diese Verknüpfung logarithmisiert – es bekommt einen geläufigen Ausdruck. Romantische Philosophie. Lingua romana. Wechselerhöhung und Erniedrigung."

Seit der Aufklärung herrscht nicht mehr die erwähnte Weltflucht sondern das Prinzip der Weltveränderung
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

Jetzt im Trend: »irgendwas mit Gesellschaftskritik«

Superkalifragilistisch

ZitatDie aktuelle Verwendung des Begriffs Esoterik hat wohl tatsächlich nicht viel mit der Fortsetzung von Wissenschaft mit anderen Mitteln zu tun
Da möchte ich Einspruch erheben. Das ist nämlich das genau das, was Wissenschafts-Moderatoren immer wieder propagieren. Aus dem 3. Clark'sche Gesetz lässt sich ableiten, daß ,,Esoterik" angeblich nur eine Proto-Wissenschaft ist, welche folglich nur im Grad, nicht aber im Wesen von Wissenschaft zu unterscheiden ist. Das ist ein großes Problem des ,,Esoterik" oder ,,Mysik" Begriff zum skeptischen Einsatz, weil es keine deutliche Linie zwischen beiden zieht.

ZitatRichard Dawkins: The miracles wrought by our technology would have seemed to the ancients no less remarkable than the tales of Moses parting the waters, or Jesus walking upon them.

Was er damit folgenschweres sagt ist nichts anderes, als daß man folgende Gleichung aufstellen könne: Technologie = Magie + Fortschritt. Wo ist der Unterschied zu den Esoterikern, die behaupten, daß Esoterik ,,im Grunde Wissenschaft" sei, die bloss ,,noch nicht bewiesen" sei?
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

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Wolleren

Zitat von: Superkalifragilistisch am 21. Oktober 2013, 19:16:15
ZitatDie aktuelle Verwendung des Begriffs Esoterik hat wohl tatsächlich nicht viel mit der Fortsetzung von Wissenschaft mit anderen Mitteln zu tun
Da möchte ich Einspruch erheben. Das ist nämlich das genau das, was Wissenschafts-Moderatoren immer wieder propagieren. Aus dem 3. Clark'sche Gesetz lässt sich ableiten, daß ,,Esoterik" angeblich nur eine Proto-Wissenschaft ist, welche folglich nur im Grad, nicht aber im Wesen von Wissenschaft zu unterscheiden ist. Das ist ein großes Problem des ,,Esoterik" oder ,,Mysik" Begriff zum skeptischen Einsatz, weil es keine deutliche Linie zwischen beiden zieht.
Wenn der Begriff der Esoterik allgemein so verstanden würde, hätte sich Esowatch damals nicht einen anderen Namen gegeben? Tarot, Stühlerücken, "es kommt nur auf Deine Einstellung an", Astrologie, Homöopathie: alles nicht mit dem Begriff Esoterik zu bezeichnen? Deswegen habe ich die Frage hier gestellt.

Was die Definition von Esoterik angeht:
Wenn man Clarke und Dawkins heranzieht und sich infolgedessen das Problem einhandelt, zwischen Esoterik und Wissenschaft nicht sauber trennen zu können, wäre das doch ein Anlass, sich an andere Autoritäten zu halten. Es ist doch sehr häufig feststellbar, wo die wissenschaftliche Methodik zugunsten von Schwurbleritis verlassen wird (genau dazu gibt es hier vor Ort ein wiki). Das ist vor 100 Jahren vielleicht nicht so einfach gewesen, weil in diesen Jahren des Forschungs-Go-Wests (immerhin stammt auch Futurismus aus dieser Zeit) alles möglich schien.

Es mag sein, dass vor 100 Jahren der Esoterik-Begriff viel mit Wissenschaft zu tun hatte, da finde ich Steinfelds Argumentation nachvollziehbar. Heute jedoch gibt es einen Ken Wilber oder einen Roger Penrose:

  • Mit der Begrifflichkeit von vor 100 Jahren könnte man Penrose als Esoteriker bezeichnen, der mit wissenschafltichen Mitteln dem Einfluss eines "Geistes" auf Menschen zu Leibe rücken will.

  • Bei Wilber verhält es sich anders: dieser Mann erfindet einen ganzen Begrifflichkeitszoo und nennt diesen dann "Integrale Theorie"; da ist für mich die Grenze klar überschritten.
Penrose mag ein Kind des Positivismus sein, Wilber nicht.

Handelt es sich bei Steinfelds Behauptung vielleicht um einen begrifflichen Strohmann?
Es kommt ja schließlich nicht so sehr darauf an, was mit Esoterik bezeichnet wird. Es ist vielmehr wichtig, Trittbrettfahrer der wissenschaftlichen Methode zu erkennen, Betreiber eines wissenschaftlichen Cargo-Kults wie die Homöopathen. Diese Integrationsbemühungen sind oft genug Nebelkerzen von Leuten, die etwas Irrationales verbergen wollen.

Superkalifragilistisch

Diese Argumentation ist genau das, was ich hier geschrieben habe. "Ja das war vor 100 Jahren vielleicht, aber heute doch nicht mehr, denn es gab: den Fortschritt"

Fortschritt ist ein Totschlagargument. Ein "Echter Schotte."

Du hast Recht, daß das Clarksche Gesetz nicht die Definition von Esoterik ist. Deshalb habe ich auch Anführungszeichen verwendet. Esoterik hat streng genommen keine Definition. Der Begriff ist eher dem der "Sekte" oder "Droge" sehr nahe. Trotz allem: Esoterik und Religion (Mythos) heißt für den Skeptizismus üblicherweise Protowissenschaft.

Ich bin der Meinung: Solange man das Evidenzprinzip zum Kern von Wissenschaftlichkeit schlechthin macht erhebt man Magie zu Technologie die bloss ,,noch nicht getestet" ist. Warum zum Teufel müssen wir zum 1000. Mal etwas testen, von dem man auch ohne Test sagen kann, daß es Spiritualismus ist? Das eröffnet den Spirituellen nur die Möglichkeit zur Manipulation: Mit genügend funding erreicht schon ein andauerndes Testen den Eindruck von potentieller Wirksamkeit - auch selbst wenn wir voraussetzen, daß alle Studien in peer-reviews durchfallen. Dann kann man sagen: ,,Wir sind ja dabei, es zu beweisen. Es ist nur eine Frage der Zeit."

Andere Frage: Warum übt der humanistische Atheismus/Positivismus keine Kritik am Dualismus/Monismus von Leib und Seele? Ganz im Gegenteil, er macht sie zu einer seiner Prämissen. Die ,,Einheit von Leib und Seele", die ja ach so modern und wissenschaftlich ist, ist nicht die Überwindung und Abschaffung sondern die dialektische Aufhebung in eine höhere Einheit des Gegensatzes - und an der partizipiert der Humanismus unkritisch und mit Begeisterung.

Zeige mir eine durchgreifende positivistische Kritik davon! Eine reicht mir.

PS: Ken Wilber ist ein New-Age Guru, das ist ein absurdes Beispiel. Roger Penrose hingegen, hat der nicht sogar letzlich ein Buch mit einem amerikanischen Arzt über ,,Quanten-Neurologie" rausgebracht? Ah, hier. Darf man Penrose damit noch als ,,Positivist" bezeichnen, oder ist er nun kein "echter Positivist" mehr?
"Umgekehrt mußte die Psychoanalyse manchen enttäuschten Adepten eines vulgarisierten, auf eine ökonomisch-soziale Theorie reduzierten Marxismus als Bereicherung erscheinen."

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